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Evangelisches Predigerseminar - Kirchenbibliothek St. Blasii Nordhausen

Adresse. Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars, Collegienstr. 54, 06886 Lutherstadt Wittenberg [Karte]
Telefon. (03491) 40 21 96, 40 21 97
Telefax. (03491) 40 41 03

Unterhaltsträger. Kirchgemeinde St. Blasii
Funktion. Depositum im Evangelischen Predigerseminar. Historische Kirchenbibliothek.
Sammelgebiete. Abgeschlossener historischer Bestand.

Benutzungsmöglichkeiten. Präsenzbibliothek. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 15.30-16.30, für auswärtige Besucher und Benutzer des Leseraums 8-18 Uhr. - Leihverkehr: DLV und kirchl. Leihverkehr über das Predigerseminar.
Technische Einrichtungen für den Benutzer. Kopiergerät, Mikroverfilmung.
Hinweise für anreisende Benutzer. Schriftliche Anmeldung erforderlich. Fußwegnähe vom Bahnhof (ca. 10 Minuten). A 9 (E 51), Ausfahrt Coswig, B 187. Parkmöglichkeit vorhanden.

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Den Grundstock der Kirchenbibliothek St. Blasii bildet die Bibliothek des ehemaligen Servitenklosters Himmelgarten, das sich vor den Toren der Stadt Nordhausen befand. Obgleich das Kloster schon 1295 vom Servitenorden " Ordo Servorum Mariae" (OSM) gegründet wurde und aus dem Jahre 1488 Bucherwerbungen bezeugt sind, ist der zielgerichtete Aufbau der Bibliothek im wesentlichen die Leistung von Johannes Pilearius (Huter). Er wurde erstmals im Jahre 1510 als Prior erwähnt und 1514 an der Erfurter Universität zum Doktor der Theologie promoviert. Mit den evangelischen Predigern Nordhausens pflegte er freundschaftliche Kontakte. Von den heute vorhandenen 337 Bdn tragen 200 den Vermerk " procuratio fratris Joannis Pilarii". Mindestens 14 weitere Bände gehören zu der ehemaligen Klosterbibliothek. Eine genaue Zahl kann nicht bestimmt werden, da ein mit Sicherheit damals vorhandener Katalog nicht überliefert wurde, teilweise die Titelblätter fehlen und durch unsachgemäße Restaurierung z. T. Ketten, Einbände und Schnittitel verloren gingen. Pilearius' Bucherwerbungen sind durch den Geist der Erfurter Universität (Nominalismus, Konziliarismus, Bibelhumanismus), die Klosterreform und die Auseinandersetzungen mit der reformatorischen Bewegung geprägt.

1.2 Obwohl das Kloster im Bauernkrieg zerstört wurde, konnte die Bibliothek gerettet werden und gelangte 1552 in die St. Blasii-Kirche zu Nordhausen, wo sie durch den 1717 von Pastor Johann H. Kindervater erstellten Katalog ( s. u. 3.2), der 305 Bde " gebunden und noch wohl conditioniert" aufführt, erstmals wieder faßbar wurde. Kindervater regte auch an, zu den drei Hauptfesten einen Klingelbeutel für den Erhalt und die Vermehrung der Bibliothek in der Gemeinde herumzureichen. Bis 1840 kamen so jährlich 3 bis 4, im 19. Jh 6 Taler zusammen. Die Einnahmen reichten aber nur zur Anschaffung einzelner theologischer Standardwerke. Dazu traten gelegentliche Buchschenkungen. Ab 1830 wurden die Neuerwerbungen nicht mehr in die alte Bibliothek eingeordnet. Im Jahre 1879 fand der Heimatforscher Richard Rackwitz die Bibliothek in den " feuchten Räumen der Sakristei in einem kläglichen Zustande" und betrieb die " Restaurierung" der beschädigten Ledereinbände, die durch Leineneinbände ersetzt wurden. Dabei gingen jedoch bibliotheksgeschichtliche Spuren undokumentiert verloren. Außerdem werden in der von ihm veröffentlichten Bibliotheksgeschichte, die auch einen ausführlichen Katalog enthält, bereits 32 Bde als fehlend ausgewiesen ( s. u. 4.2). Seitdem gelten weitere 18 Bde als verschollen.

1.3 Da die Bücher weiterhin in der feuchten Sakristei verblieben und Schäden durch Schimmel und Insekten fortschritten, wurde mit der Bibliothek des Katechetischen Oberseminars Naumburg ein Dauerleihvertrag abgeschlossen. Als auch dort eine sachgerechte Aufbewahrung nicht mehr gewährleistet war, wurde die Bibliothek 1989 unter die Aufsicht der Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars in Wittenberg gestellt, wo sie sich einstweilen befindet.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

2.1 Nach Auszählung des vorhandenen Zettelkataloges umfaßt die Bibliothek 714 Titel. Davon sind 230 Inkunabeln (32 Prozent). 384 Titel (54 Prozent) stammen aus der ersten Hälfte des 16. Jhs, 44 (6 Prozent) aus der zweiten Hälfte des 16. Jhs, 39 (5 Prozent) aus dem 17. Jh sowie 17 (2 Prozent) aus dem 18. Jh. Vier Bde enthalten lateinische Handschriften vom Ende des 15. Jhs. Sprachlich dominiert mit insgesamt 86 Prozent das Lateinische. Die deutschen Drucke konzentrieren sich auf die späteren Jahrhunderte. Fremdsprachige Titel fehlen völlig.

2.2 Vertreten sind 51 Druckorte sowie 103 Drucker und Verleger. Am häufigstgen unter den Druckorten aufgeführt werden Leipzig (114 Titel), Straßburg (94) und Basel (92). Insgesamt wurden 90 Prozent der Titel im deutschen Siedlungsgebiet gedruckt. Es folgen Frankreich, Italien und Holland mit 39, 27 und 10 Titeln. Buchgeschichtlich hervorzuheben sind neben den Inkunabeln und zahlreichen Erfurter und Wittenberger Frühdrucken 8 Einblattdrucke, größtenteils Unikate, z. B. die erste protestantische Bildpolemik Andreas Bodensteins von Karlstadt mit Holzschnitten Cranachs in der lateinischen Erstfassung von 1519.

2.3 Die Bücher sind unabhängig von ihrem Inhalt nach drei Formaten aufgestellt. 469 Titel behandeln theologische Themen. Darunter sind 76 Predigten. 186 Titel sind der philosophischen Fakultät, 21 der juristischen und 6 der medizinischen zuzuordnen.

2.4 Die philosophische Literatur spiegelt den Studienbetrieb an der Erfurter Artistenfakultät im Spätmittelalter wider und deckt die Gebiete Grammatik, Logik, Rhetorik, Metaphysik, Ethik und Naturphilosophie ab. 23 Titel, darunter eine Hs., widmen sich Aristoteles. 13 Werke sind Ausgaben antiker Schriftsteller.

2.5 Die theologische Literatur ist in ihrem älteren Teil durch Kirchenväter-Ausgaben (30 Titel) und scholastische Schriften geprägt, später durch konfessionelle Kontroverstheologie und Bibelwissenschaft. 13 Werke repräsentieren den Nominalismus (Duns Scotus, Wilhelm von Ockham, Robert Holcot, Gabriel Biel, Petrus de Aliaco), 7 die " Devotio Moderna". 22 Titel stammen von Erfurter Gelehrten. Von den zahlreich vertretenen Humanisten sind mit jeweils mehr als 5 Titeln Erasmus, Jacob Wimpheling, Joannes Versor, Johann Geiler von Kaysersberg, Jacques Lefèvre, Paulus Schneevogel und Jodocus Trutfetter präsent. Unter den Reformatoren nimmt Luther mit 19 Titeln die Spitzenposition ein, von seinen Gegnern Konrad Koch mit 10 Schriften.

3. KATALOGE

3.1 Moderne Kataloge

Alphabetischer Katalog

[in Zettelform; nach PI]

Maschinenlesbarer Katalog

[erstellt durch Retrokonversion eines PI-Zettelkataloges]

Die Bestände sind im Kirchlichen Zentralkatalog Berlin (Mikroficheausgabe 1997) nachgewiesen.

3.2 Historischer Katalog

Kindervater, Johann Heinrich: Arcana Bibliothecae Blasinianae, oder: eigentliche Nachricht von der alten raren Bibliothec S. Blasii in der Kays. Freyen Reichs-Stadt Nordhausen. Nordhausen 1717 [enthält Katalog von 305 Bdn und teilweise inhaltliche Beschreibung]

S. auch u. 4.2, Rackwitz 1883

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

4.1 Archivalien

Rechnungsbücher der Kirchgemeinde S. Blasii 1649-1740 [III, 1.2]

4.2 Darstellungen

Kindervater, Johann Heinrich: Gloria Templi Blasiniani, oder: Ehren-Gedächtniß der Kirche S. Blasii in der Reichs-Stadt Nordhausen. Nordhausen 1724

Förstemann, Ernst Günther: Kleine Schriften zur Geschichte der Stadt Nordhausen. Nordhausen 1855

Rackwitz, Richard: Urkunden des Servitenklosters Himmelgarten bei Nordhausen. Nordhausen 1881

Rackwitz, Richard: Nachrichten über die St. Blasii-Bibliothek in Nordhausen und das Kloster Himmelgarten bei Nordhausen, dem die Bibliothek entstammt. Nordhausen 1883 [enthält Katalog, auch der angebundenen Drucke]

Götting, Hannelore: Geschichte und Bedeutung der Kirchenbibliothek St. Blasii in Nordhausen. [Nordhausen?] 1972 [mschr.; enthält Verzeichnis der Inkunabeln]

Götting, Hannelore: Geschichte und Bedeutung der Kirchenbibliothek St. Blasii in Nordhausen. In: Kirchenbibliotheken als Forschungsaufgabe. Hrsg. von Uwe Czubatynski, Adolf Laminski und Konrad von Rabenau. Neustadt a. d. Aisch 1992, S. 21-34

5. VERÖFFENTLICHUNGEN ZU DEN BESTÄNDEN

Kindervater, Johann Heinrich: Arcana Bibliothecae Blasinianae, s. o. 3.2 Rabenau, Konrad von: Lucas Cranach d. Ä. Der Fuhrwagen. In: Kunst der Reformationszeit. Berlin 1983, S. 356-357

Stand: Dezember 1997

Stephan Lange


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.