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Bibliotheken in Sachsen-Anhalt

Politisch-kultureller Hintergrund

Den staatlichen Rahmen für die vorzustellenden Standorte historischer Buchbestände bildet das heutige Bundesland Sachsen-Anhalt. Das Territorium läßt sich geographisch eingrenzen etwa durch Wittenberg im Osten, Merseburg und Zeitz im Süden, Wernigerode und den Brocken im Westen sowie die Städte Salzwedel, Arendsee und Havelberg im Norden. Die Vergangenheit des dem heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt entsprechenden Raumes ist für mehr als 1500 Jahre zu verfolgen. Sie veranschaulicht über die regionalen Sonderarten hin die Vielfalt der im Laufe der Jahrhunderte geknüpften nachbarschaftlichen Beziehungen und die wiederholt gemeinsam erlebten und erlittenen geschichtlichen Erfahrungen der Bewohner dieses Gebietes. Sachsen-Anhalt wird trotz unterschiedlicher Entwicklung einzelner Teilbereiche als historisch eigenständig gewachsener Kulturraum erkennbar, dessen Kernland in der Region der mittleren Elbe und der unteren Saale magdeburgische, halberstädtische, askanische sowie teilweise wettinische Territorien umfaßte. Es besteht aus den Regierungsbezirken Magdeburg, Halle und Dessau, mit der Landeshauptstadt Magdeburg.

Das Mittelalter

Als letzten nichtchristlichen germanischen Stamm Mitteleuropas hatte Karl der Große (769-814) in den Jahren bis 804 die Sachsen unterworfen. Burgen bei Halle und Magdeburg, bei Lenzen und Tangermünde sowie später an der Saale bei Merseburg dienten der Grenzsicherung gegen die Slawen. Von einer Missionsstation des Bischofs von Châlons sur Marne in Osterwieck aus wurde Anfang des 9. Jahrhunderts das erste dauerhafte Bistum im nahegelegenen Halberstadt gebildet, dessen Diözese weitgehend das Gebiet des späteren Sachsen-Anhalt umfaßte. Im Raum zwischen Leine und mittlerer Saale errichteten die Ottonen zu Beginn des 10. Jahrhunderts das Machtzentrum des sächsischen Herzogtums, nach dem Erwerb der Königskrone durch Heinrich I. (912- 936) zugleich Kernland des sich entwickelnden deutschen Reiches für die ersten zwei Jahrhunderte. Nach der Niederschlagung der Slawen und Ungarn durch Heinrich (933 an der Unstrut) und Otto I. (936-973; Schlacht auf dem Lechfeld 955) setzte die Ausbreitung im Gebiet östlich der Elbe und Saale ein, die in einem langen Prozeß den historischen Raum vom östlichen Grenzland in die heutige Mittellage einbrachte. Für die Errichtung des Markensystems bestimmte Otto I. 937 Gero (937-965) zum Markgrafen an der mittleren Elbe und an der Saale.

In enger Verknüpfung missionarischer Absichten und militärisch-politischen Strebens wählte Otto I. als Ausgangspunkt für die Ordnung des Neulandes das 937 begründete Mutterkloster Magdeburg und errichtete die Slawen-Bistümer Havelberg (948) und Brandenburg (946; Zerstörung 983) sowie die Sorben-Bistümer Merseburg, Zeitz (1028 nach Naumburg verlegt) und Meißen (968), die unter dem 968 eingesetzten Erzbischof von Magdeburg die Kirchenprovinz Magdeburg bildeten. Der 983 ausbrechende Liutizenaufstand beendete das deutsche Vordringen in die Gebiete östlich der Elbe für etwa 150 Jahre. Die Krönung Ottos des Großen durch Papst Johannes XII. (955-964) im Jahre 962 begründete das bis 1806 währende Kaisertum des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Nach dem Tode von Markgraf Gero bildeten sich in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts allmählich die drei Markengebiete Nordmark (deren wesentlicher Teil im 14. Jahrhundert als Altmark erscheint), die Ostmark (Mark Lausitz) und die Mark Meißen heraus.

Unter den Salier-Kaisern (1024-1125) endeten die Bemühungen, in Sachsen königliche Macht zu behaupten, mit dem Sieg sächsischer und thüringischer Fürsten über Heinrich V. (1106-1125) am Welfesholz (1115). Mit den Erzbischöfen von Magdeburg, den Bischöfen von Halberstadt, Merseburg, Zeitz-Naumburg sowie den Askaniern, Wettinern und Ludowingern traten mächtige Konkurrenten auf, die versuchten, unabhängige Territorialherrschaften aufzubauen.

Zur Förderung der ostdeutschen Kolonisation verlieh Herzog Lothar von Sachsen (1106-1137; ab 1125 deutscher König) an Albrecht den Bären (1134-1170) aus der Grafschaft der Askanier (Burg Askanien bei Aschersleben) die Nordmark zwischen Mittelelbe und Oder, womit dieser den Grundstein für die Mark Brandenburg (marchio Brandenburgensis) legte. Das Land östlich der Saale bis zur Görlitzer Neiße (Obersachsen) wurde durch den Herrschaftsbereich der Wettiner (Stammsitz Wettin im Mansfeldischen an der Saale, nordwestlich von Halle) zusammengefaßt, dem König Heinrich IV. (1056-1106) 1089 bereits die Mark Meißen übertragen hatte.

Neben der Besiedelung der von Deutschen und Slawen bewohnten Teile durch flämische und rheinfränkische Kolonisatoren auf dem Lande, der rascheren Entwicklung der Produktivkräfte, der zunehmenden Ware-Geld-Beziehungen sowie der Entstehung von Städten in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts trugen zahlreiche Klöster und Stifte zur wirtschaftlichen Entwicklung Sachsen-Anhalts bei. Askanier, Welfen, Wettiner sowie die Erzbischöfe von Magdeburg gründeten Städte im sächsisch-anhaltinischen Raum. Das eng mit dem Recht des Sachsenspiegels verbundene Magdeburger Stadtrecht erhielt Bedeutung für neue planmäßige Städtegründungen in Brandenburg, Obersachsen, der Lausitz und weiteren östlichen und südöstlichen Ländern.

Nach dem Sturz Heinrich des Löwen (1142-1195) ging der östliche Restteil des Herzogtums Sachsen an die Askanier über. Heinrich I. (1212-1252; Enkel Albrecht des Bären) begründete mit seinen Stammesbesitzungen die bis 1918 bestehende Linie und den Staat Anhalt. Das ab 1356 mit der Kurwürde ausgestattete Sachsen-Wittenberg fiel 1423 nach Aussterben der Askanier den Wettinern zu. Im 13. und 14. Jahrhundert bestimmten Abgrenzungskonflikte, Erb- und Kaufverträge sowie Lehnsübertragungen zwischen den Adelshäusern, aber auch den Abteien und Stiften die Territorialgeschichte im Elbe-Saale-Raum. Sachsen-Anhalt blieb eines der zerrissensten Gebiete in Deutschland. Einen Höhepunkt wettinischer Territorialpolitik gegenüber den benachbarten geistlichen Territorien bedeutete 1476 die Wahl des Prinzen Ernst von Wettin (1513) zum Erzbischof von Magdeburg, ab 1479 auch Administrator des Bistums Halberstadt, womit die beiden geistlichen Territorien für fast 100 Jahre unter einer Regierung vereinigt waren.

Da sich im Mittelelbegebiet keine dominante Gebietsherrschaft durchsetzen konnte, die den mächtigen benachbarten Kurfürstentümern Sachsen und Brandenburg gewachsen war, stand der Raum weiterhin unter dem Einfluß der miteinander um die Vorherrschaft ringenden Nachbarstaaten. In den Auseinandersetzungen mit der geistlichen und weltlichen Herrschaft büßten die meisten Städte ihre politische, ökonomische und militärische Selbständigkeit ein. Mit der Leipziger Erbteilung des Hauses Wettin 1485 erfolgte die Aufspaltung der Territorialherrschaft in die albertinische Linie mit dem Zentrum Meißen-Dresden und die ernestische Linie mit Zentrum Wittenberg-Torgau sowie Gebieten des südlichen Thüringen und Herrschaftsrechten gegenüber dem Hochstift Naumburg. Den Ernestinern fiel auch die Kurwürde zu.

Dem 1486 verstorbenen Kurfürsten Ernst (*1441; reg. 1464-1486) folgten die Söhne Friedrich der Weise (*1463; reg. 1486-1525) und Johann der Bärtige (*1468; reg. 1525-1532); ihre Brüder waren die Erzbischöfe Albrecht zu Mainz (1482-1484) und Ernst zu Magdeburg (1476-1513), ihre Schwester Hedwig (*1445; reg. 1458-1511) regierte die Abtei Quedlinburg. Sie alle bestimmten das politische, kulturelle und religiöse Leben der Region.

Die Harzgrafen und die anhaltischen Fürsten (Aschersleben, erloschen 1315; Bernburg, erloschen 1468; Köthen, Verzicht zugunsten von Zerbst 1508; Zerbst Gesamtherrschaft ab 1570 bis 1603) wußten sich weiterhin zwischen Kursachsen und dem Erzstift Magdeburg zu behaupten, weil trotz vieler Eingriffsmöglichkeiten bei Erbstreitigkeiten die größeren Territorien sich gegenseitig etwaige Erweiterungen neideten.

Reformationszeit und Dreißigjähriger Krieg

Die wettinische Dominanz im Mittelelbe-Saale-Bereich endete nach dem Tode Ernsts im Jahre 1513 mit der Wahl des Hohenzollern Albrecht von Brandenburg (1513-1545) für Magdeburg und Halberstadt (ab 1514 auch Erzbistum Mainz). Wittenberg, die Residenz der ernestinischen Kurlinie, entwickelte sich insbesondere durch die im Kontakt mit Vertretern der Augustinerkongregation seit 1502 errichteten Universität zu einem bedeutenden humanistischen Zentrum. Schauplatz des 1520 von Martin Luther (1483-1546) endgültig erklärten Bruchs mit der katholischen Kirche und Ausgangspunkt für die Verbreitung der Reformation in Kursachsen sowie über seine Grenzen hinaus, stand Wittenberg ab 1517 über drei Jahrzehnte an der Spitze der Druckproduktion massenhaft verbreiteter Flugschriften, Traktate und Bibelübersetzungen.

Währenddessen wuchs der Widerstand römisch-katholischer Kreise im Herrschaftsbereich Kardinal Albrechts. Die Situation verschärfte sich, als 1525 der Bauernkrieg auf das Territorium Sachsen-Anhalts übergriff, Plünderungen und Zerstörungen von Klöstern in Anhalt (Nienburg, Ballenstedt), im Harz (Michaelstein, Ilsenburg) sowie im Halberstädtischen von den Fürsten nicht verhindert werden konnten.

Nach diesen Erfahrungen hielt sich eine Reihe feudaler und städtischer Obrigkeiten gegenüber religiösen Neuerungen zunächst zurück, vermochte die Durchsetzung der Reformation jedoch auch im albertinischen Sachsen, im Bistum Merseburg, in Anhalt-Köthen, Anhalt-Dessau und in der Altmark nicht aufzuhalten. Mit der kaiserlichen Sanktion des Reichstages von Speyer 1526 begannen die protestantischen Fürsten den Aufbau von Landeskirchen, die ihre Position im Staat erheblich stärken sollten. Nach dem Abzug Kardinal Albrechts 1541 erlosch der Widerstand seitens der katholischen Kirche weitgehend auch in den magdeburgischen und halberstädtischen Gebieten.

Die Gegenreformation erreichte keine Erfolge im Raum Sachsen-Anhalt; jesuitische Aktivitäten blieben in den Anfängen stecken und wurden rasch unterbunden. 1555 sicherte der Augsburger Religionsfrieden endgültig die Kirchen- und Schulhoheit der Landesfürsten mit der Anerkennung des Luthertums, nicht aber der Calvinisten. Nach dem Sieg des streng katholischen Kaisers Karl V. (1519-1556) über die im Schmalkaldener Bund zusammengeschlossenen protestantischen Fürsten und Reichsstädte bei Mühlberg 1547 gingen das Territorium des Kurkreises Wittenberg und die Kurwürde an den evangelischen Albertiner Herzog Moritz (1521-1553) über, ebenso wie die bis 1815 verbleibenden Schutzrechte über die Stifte Merseburg und Naumburg-Zeitz. Als Zentrum des Protestantismus, seines Druck- und Verlagswesens behauptete sich die 1550 von Moritz von Sachsen vergeblich belagerte, mit kaiserlicher Reichsacht belegte Stadt Magdeburg. Die Ernestiner wurden auf ihren thüringischen Besitz abgedrängt und verloren ihre politische Bedeutung. Die Wittenberger Universität büßte mit dem Verzicht Johann Friedrichs des Großmütigen (reg. 1532-1547) auch die 1505 von Kurfürst Friedrich III. dem Weisen (*1463; reg. 1486-1525) gegründeten Fürsten- und Universitätsbibliothek ein. Um der Gegenreformation wirksam begegnen zu können, war - wie einige andere deutsche Territorien - das 1570 wieder vereinigte Anhalt vom Luthertum zum Calvinismus übergewechselt. Die anhaltischen Kirchen begannen, sich von der sächsischen zu lösen. Für die 1603 durch Teilung zwischen den Söhnen Joachim Ernsts (1551-1586) entstandenen Hauptfürstentümer Dessau (1603-1918), Bernburg (1603-1863), Zerbst (1603-1793) und Köthen (1579-1665, dann an Plötzkau bis 1847) verlief die weitere kirchenpolitische Entwicklung im staatlichen Rahmen von vier gesonderten reformierten Landeskirchen. Als Gegenstück zur Wittenberger Universität, wo orthodoxe Lutheraner über Anhänger Melanchthons die Oberhand gewonnen hatten, gründete Joachim Ernst 1582 die bis 1782 bestehende Landesuniversität Gymnasium illustre in Zerbst. Der Zulauf der Studenten aus Mittel- und Osteuropa ebbte im 18. Jahrhundert ab, nachdem das Teilfürstentum Zerbst 1644 zum Luthertum zurückgekehrt war.

Die Vereinigung der protestantischen Reichsstände zur Union unter Führung Christian I. von Anhalt-Bernburg (*1568; reg. 1603-1650) im Jahre 1608 und die 1609 folgende Zusammenführung der katholischen Reichsstände unter bayrischer Führung von Herzog Maximilian I. (*1573; reg. 1597-1651) signalisierten eine verschärfte Konfrontation zwischen den Konfessionen. Die religiösen Gegensätze, verstärkt durch machtpolitische zwischen Kaiser und Reichsständen, zwischen Spanien-Österreich und den protestantischen Ländern, Habsburg und Frankreich beendeten 1618 eine der längsten Friedenszeiten für Sachsen-Anhalt. In der zweiten Phase (1625-1629, dänisch-niedersächsischer Krieg) erreichten die Kampfhandlungen des Dreißigjährigen Krieges das Harz- und Mittelelbegebiet. 1630 intervenierte König Gustav Adolf von Schweden (*1594; reg. 1611-1632), interessiert an einem Bündnis mit den Anhalter Fürsten. Der Besitz der strategisch wichtigen fruchtbaren Landstriche der Börde und des nördlichen Vorharz war - ebenso wie Straßenzüge und Flußübergänge in Anhalt - von entscheidender Bedeutung für die kaiserliche Kriegsführung. Nach dem Prager Frieden (1636) brachten die schwedisch-kursächsischen Auseinandersetzungen (1636-1648) weitere Zerstörungen, Plünderungen, Verwüstungen und riesige Menschenverluste über das Gesamtgebiet des heutigen Sachsen-Anhalt. Trümmer und Verschuldungen aus Kontributionen lähmten noch Jahrzehnte nach Kriegsende das wirtschaftliche Leben.

Die westfälischen Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück brachten erhebliche Territorialveränderungen. Mit der Übernahme der Bistümer Halberstadt, Minden und Kammin als weltliche Fürstentümer sowie des Erzstiftes Magdeburg nebst zugehörigem Saalkreis nach dem Tode des derzeitigen sächsischen Administrators 1680 erhielt Kurbrandenburg die eindeutige Vormacht in Mitteldeutschland. Die westlichen Ausläufer Kursachsens wurden ab 1656 infolge Erbteilung in mehrere Seitenlinien zerstückelt. Auch die anhaltischen Staaten blieben zersplittert. Die Wernigeröder Grafen hatten sich 1645 in die Linien Stolberg-Wernigerode (nördliche Grafschaft Wernigerode und obere Grafschaft Honstein) und die Linie Stolberg-Stolberg (Grafschaft Stolberg, untere Grafschaft Honstein-Neustadt mit weiterer Nebenlinie Stolberg-Roßla ab 1706) geteilt. Die Harzgrafschaft (ab 1707 Fürstentum) gelangte 1690 an Braunschweig.

Das Zeitalter des Absolutismus Preußens

Nach testamentarischer Verfügung durch Kurfürst Georg I. (1611-1656) bestanden vorübergehend drei Sekundogenituren der regierenden Seitenlinien: Sachsen-Weißenfels (bis 1680 in Personalunion mit dem Erzstift Magdeburg) bis 1746; Sachsen-Merseburg mit dem Hochstift Merseburg und den Ämtern Delitzsch, Zörbig, Bitterfeld unter Prinz Christian I. (*1615; reg. 1656-1691) sowie Sachsen-Zeitz mit dem Hochstift Naumburg-Zeitz und einigen umliegenden kursächsischen Ämtern unter Prinz Moritz (*1619; reg. 1656-1681). Ihre Residenzstädte zeichneten sich durch bemerkenswerte höfische Kultur aus, die z. B. in Weißenfels der Dichter Christian Weise (1642-1708), der Historiker, Geograph und Sprachforscher Christoph Cellarius (1638-1707) und der Schriftsteller Johann Riemer (1648-1714) am neu errichteten Gymnasium illustre Augusteum repräsentierten. Das musikalische Leben wurde durch die von Johann Hermann Schein (*1586; ab 1613-1630) geleitete Schloßmusik und die zahlreichen Opernaufführungen des Hofkapellmeisters Johann Philipp Krieger (1649-1725) bestimmt. Die albertinischen Nebenlinien erloschen bereits nach wenigen Generationen. Ihre Gebiete Zeitz (1718), Merseburg (1738) und Weißenfels fielen wieder an das Kurland Sachsen zurück.

Etwa ab 1680 begann sich der Eingliederungsprozeß der brandenburgischen (ab 1708 preußischen) Gebiete in einen Großstaat abzuzeichnen. Für Bestechungsgelder zum Erwerb der polnischen Krone hatte Kurfürst Friedrich August von Sachsen 1687 das Amt Burg, 1697 u. a. die Erbvogtei Quedlinburg, das Reichsschulzenamt Nordhausen und das Amt Petersberg an Brandenburg-Preußen verkauft. Zerteilt und patrimonial regiert als Grundlage für die Hofhaltung, schieden kleinere Territorien aus der Politik mehr oder weniger aus. Ihre Angehörigen, z. B. Johann Georg II. von Anhalt-Dessau (*1627; reg. 1660-1693), sein Sohn Leopold I. (der Alte Dessauer *1676; reg. 1698-1747) und andere suchten das Zusammenwirken mit den Hohenzollern durch die Übernahme militärischer Aufgaben in den Großstaaten.

Wie die meisten anderen Landesherren setzte sich Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (*1657; 1688-1713) über die bisherige Vorstellung einer einheitlichen Konfessionalität hinweg und duldete zumindest mehrere protestantische Richtungen. 1679 erkannte auch Anhalt die calvinistische und die lutherische Glaubensrichtung als gleichberechtigt an. Seit 1687 wurden Synagogen gestattet; in Halle besteht seit 1692 eine der ältesten jüdischen Gemeinden. Als wichtiges Entwicklungselement für wirtschaftliche Entwicklungen in dem durch Krieg und mehrere Pestepidemien geschwächten Gebieten erwiesen sich im Raum Magdeburg und Halle die Kolonien der Ende des 17. Jahrhunderts ins Land gerufenen französischen Hugenotten und der religiös verfolgten Pfälzer Protestanten. Die Aufklärungstheologie und der entgegenwirkende Pietismus im brandenburgisch geförderten Halle konnten dagegen in der Bevölkerung kaum Fuß fassen. Stärkere Wirkungen gingen im 18. Jahrhundert von den interkonfessionellen Gemeinden der Herrnhuter aus.

Auf Initiative des seit 1690 an die La fleur-Berghornsche Ritterakademie berufenen Christian Thomasius (1655-1728) begründete Kurfürst Friedrich III. 1694 in Halle eine moderne protestantische Universität für die Ausbildung von Fachkräften der landesfürstlichen Behörden und Finanzverwaltungen mit Fachrichtungen wie Rechtswissenschaft, Medizin und Kameralistik. Ein hoher Grad der Lehrfreiheit bot nicht nur den der Aufklärung verpflichteten Rechtsgelehrten Thomasius und Christian Wolff (1679-1754) neue Wirkungsfelder, sondern auch der pädagogischen Reformkonzeption des Pietisten August Hermann Francke (1663-1727). Mit dem ab 1695 errichteten Waisenhaus, der Stiftung von Schulen und zahlreichen Einrichtungen zur Vermittlung berufs- und lebenspraktischer Kenntnisse an Jungen und Mädchen wurde Halle zum Zentrum des frühen Pietismus. Franckes Sozial- und Erziehungswerk fand Nachahmung in Preußen, Anhalt und Sachsen sowie im Ausland und gewann Einfluß auf die Organisation des Volksschulwesens in Preußen.

Die Universität entwickelte sich als Zentrum des geistigen Lebens. 1740 waren in der Stadt Halle 16 Drucker und Verleger ansässig. 1733 wurde in Halle eine Gesellschaft zur Förderung der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit gegründet, der sich junge Lyriker wie Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803), Johann Nikolaus Götz (1721-1781), Johann Peter Uz (1720-1796) und andere anschlossen. Ausstrahlungen auf das Geistesleben gingen auch von Schülern und Lehrern des Gymnasiums Schulpforte aus: von Friedrich Gottlieb Klopstock (1714-1803; 1739-1745 in Schulpforte, 1759-1763 in Halberstadt, Braunschweig, Quedlinburg lebend) sowie von Johann Adolf Schlegel (1721-1793, Vater der Brüder August Wilhelm und Friedrich von Schlegel, Mitbegründer der Bremer Beiträge). In Halberstadt rief Gleim nach 1747 einen eigenen Dichterkreis ins Leben, dessen Mitglieder im Bestand der Bibliothek des Gleimhauses Halberstadt vertreten sind. Nachhaltigere Bedeutung für diese Stadt erlangte die 1785 gegründete Literarische Gesellschaft, die einen relativ eigenständigen Kreis führender Persönlichkeiten (Regierungsbeamte, Domherren, Pädagogen, Gelehrte, Offiziere) zum Gedankenaustausch vereinigte. Anregungen und Kontakte bestanden zu den Aufklärern in Dessau und Halle. Ihre rege sozialpädagogische und schulpolitische Wirksamkeit brachte das Halberstädter Gebiet an die Spitze des preußischen Schulwesens. In Magdeburg machte die Mittwochsgesellschaft (1761) die Öffentlichkeit mit aufklärerischem Schrifttum bekannt und unterstützte begabte Literaten. Die dortige Ökonomische Gesellschaft (1772) setzte sich für die Verbesserung landwirtschaftlicher Produktionsmethoden ein.

Mit König Friedrich Wilhelm I. (*1688; reg. 1713-1740) endete in Preußen abrupt der höfische Absolutismus zugunsten einer rationalen Autokratie. Die dezentralen Landesbehörden in den preußischen Provinzen wurden aufgelöst, die einstigen Reichsstände Magdeburg und Halberstadt beseitigt. Mit der Errichtung des Generaldirektoriums zu Berlin und dem Zusammenschluß der entsprechenden Landesbehörden zu Kriegs- und Domänenkammern schloß Friedrich Wilhelm I. seine Organisationsreformen 1723 ab. Im wirtschaftlichen Bereich verfolgte er weiter rigoros die vom Großen Kurfürsten begonnene Abschirmung seiner Länder gegenüber den kleineren Nachbarn.

Die territoriale Zersplitterung und gefährdete Lage Preußens sowie der Wunsch, das Staatsgebiet abzurunden, veranlaßten Friedrich II. (*1712; reg. 1740-1786) zu kriegerischen Auseinandersetzungen, beginnend mit der Eroberung des industriell entwickelten, vormals österreichischen Schlesien. Die Feldzüge des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) fanden mit wenigen Ausnahmen (Schlachten bei Roßbach 1757, Gefechte an mehreren Stellen entlang der Saale zwischen Halle und Bernburg, bei Köthen sowie an der unteren Elbe bei Pratau und Pretzsch) außerhalb des historischen Raumes Sachsen-Anhalt statt. Der Übertritt Kursachsens auf die Seite Österreichs machte jedoch dessen Territorien an Mittelelbe, unterer Saale und im Harz sowie vor allem die anhaltischen Staaten tributpflichtig. Erst der Friede zu Hubertusburg ermöglichte Wiederaufbau und Kulturpflege auch in außerpreußischen Regionen. Für die verbesserte Bodennutzung trieb Friedrich II. bevorzugt in den Provinzen Magdeburg und Halberstadt eine verstärkte Kolonisation voran. Großflächige Meliorationen erfolgten z. B. bei Jerichow. Erste atmosphärische Dampfmaschinen zur Entwässerung wurden 1745 bei Ballenstedt, 1778 bei Altenwedding im Magdeburgischen installiert.

Die anhaltischen Staaten hatten wegen des wachsenden preußischen Einflusses nach dem Dreißigjährigen Krieg zunehmend an politischer Bedeutung verloren. Eine Reihe kultureller Leistungen an den Höfen dieser Kleinstaaten wirkten seit Beginn des 17. Jahrhunderts jedoch über den anhaltischen Raum hinaus. Der wichtigste Beitrag noch vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges war die Begründung der Fruchtbringenden Gesellschaft im Jahre 1617 durch Fürst Ludwig von Köthen (reg. 1603-1650). Der Einsatz der ersten deutschen, aus Fürsten, Gelehrten und Barockdichtern gebildeten Akademie für Pflege und beharrliche Anwendung der deutschen Sprache auch während der Jahrzehnte des Dreißigjährigen Krieges kann nicht überschätzt werden. An ihre Ideen knüpfte die Pädagogik Wolfgang Ratkes (1575-1635) an, die auf einen naturgemäßen, methodischen Sprachenerwerb abzielte. Die Umsetzung der Reformen an den 1619 wieder eröffneten, gründlich verbesserten Schulen scheiterten jedoch infolge ideologischer Auseinandersetzungen des Lutheraners Ratke mit der calvinistischen Geistlichkeit und der Vertreibung des Pädagogen aus Anhalt im April 1620. Die anfangs zur Verbreitung von Schulbüchern gegründete Offizin des Fürsten druckte zwischen 1618 und 1644/50 in sechs Sprachen mindestens 177 Titel von Akademieschriften, pädagogischen Publikationen, aber auch Andachtsbüchern und mustergültigen Texten der Fruchtbringenden Gesellschaft für breitere Schichten.

Im 18. Jahrhundert begann Leopold I. (1693-1747) mit dem Ausbau Dessaus als Residenzstadt und den Anlagen von Schloß, Park und Stadt Oranienbaum unter Einbeziehung niederländischer Architektur, womit sich die Verbreitung niederländischen Geistes der Frühaufklärung und Toleranz, Vernunft und effektiven Ökonomie verband. Niederländische, italienische und Einflüsse des friderizianischen Rokoko bestimmten den Bau des Zerbster Schlosses sowie der Anlagen in Friederickenburg, Dornburg und anderen.

Zur anhaltischen Musikkultur trugen Johann Sebastian Bach (1685-1750) als Hofkapellmeister in Köthen (1717-1723) und Johann Friedrich Fasch (1688-1758) ab 1722 in Zerbst bei. Das Verzeichnis der Konzertstube des Zerbster Schlosses weist die Noten von 125 Ouvertüren aus, darunter 62 von Fasch und 39 von Georg Philipp Telemann (1681-1767). Ab 1766 setzte Hofkapellmeister Friedrich Wilhelm Rust (1739-1796) in Dessau die Tradition anhaltischer Musikkultur mit wöchentlichen öffentlichen Konzerten im Philanthropinum fort.

Bedeutendster anhaltischer Fürst war Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (*1740; reg. 1758-1817). Gemeinsam mit dem Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736-1800) schuf er die Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft. Er begann Reformen in Staat und Kultur durchzuführen und durch Förderung von Wirtschaft und Bildungswesen sowie durch sozialpolitische Verbesserungen (Armenpolitik, Gesundheitspolitik, Breitensport) das Land Anhalt-Dessau zu einem Musterland der Aufklärung umzugestalten. Seine Schulreform galt der Bildung der Unterschichten und gab Impulse für die Verbesserung der Lehrerbildung. In Dessau finanzierte der Herzog die nach Johann Bernhard Basedows (1723-1790) reformpädagogischen Vorstellungen errichtete Versuchsschule. Schüler aus ganz Europa besuchten das zwischen 1774 und 1793 unter Beteiligung von Christian Gotthilf Salzmann (1744-1811) und Joachim Heinrich Campe (1746-1818) bestehende Philanthropinum. Zur philanthropischen Bewegung gehörten ferner der Versuch einer nichtkommerziellen Verlagsbuchhandlung (Dessauer Gelehrtenbuchhandlung 1781-1788). Die 1760 in Bernburg gebildete Fürstlich-Anhaltische Deutsche Gesellschaft knüpfte unter dem Vorzeichen der Aufklärung an die Bestrebungen der früheren Fruchtbringenden Gesellschaft an.

Zwischen 1780 und 1815 trat eine Reihe territorialer Veränderungen ein: der König von Preußen und der sächsische Kurfürst teilten sich die erloschene Grafschaft Mansfeld; das 1793 ausgestorbene Fürstentum Anhalt-Zerbst ging an die übrigen drei Linien Anhalts über. Zur Entschädigung für Verluste linksrheinischer Gebiete an Frankreich erhielt Preußen 1803 das Stift Quedlinburg als erbliches Fürstentum, die Reichsstädte Nordhausen, Mühlhausen und andere. Der Tilsiter Frieden von 1806 bedeutete die Abtretung der westelbischen Gebiete mit Einschluß von Magdeburg und der Altmark. Napoleon Bonaparte (*1769; reg. 1799-1821) bildete aus diesen Territorien, kleineren sächsischen Anteilen (Barby, Gommern, Mansfeld) sowie den beseitigten Fürstentümern Braunschweig, Kurhessen und dem Kurfürstentum Hannover das Königreich Westfalen unter Verwaltung seines Bruders Jerôme Bonaparte (reg. 1807-1813). Die drei anhaltischen Staaten sowie Sachsen traten 1807 dem Rheinbund bei und gerieten unter französisches Protektorat. Alexius Friedrich Christian von Bernburg nahm 1806, August von Anhalt-Köthen und Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau 1807 den Titel Herzog an. Der Raum zwischen Elbe, Saale und Oder, u. a. mit den Elbefestungen Magdeburg, Wittenberg und Torgau, bildete 1813 den Hauptschauplatz der Kampfhandlungen des Befreiungskrieges.

Der Zeitraum von 1815 bis 1918

Der Wiener Kongreß 1814/15 belohnte Preußens Einsatz in der antinapoleonischen Koalition mit der Wiedereinsetzung als Großmacht. Friedrich August I. von Sachsen mußte fast drei Fünftel seines Königreiches an Preußen abtreten. Mit der staatlichen Neugliederung in den alten und den neu gewonnenen Gebieten im Raum Altmark-mittlere Elbe-Saale-Harz-Thüringen entstand am 30. April 1815 die Provinz Sachsen. Sie umschloß das zerstückelte Anhalt und umfaßte die altpreußische Altmark, Magdeburg, Halberstadt, die vormals kursächsischen Kreise Wittenberg, Teile der Meißner und Leipziger Kreise, Gebiete der Bistümer Merseburg und Naumburg-Zeitz sowie kurmainzische Gebiete (Erfurt und Umland, Eichsfeld).

Mit dem Übergang an Preußen verlor Wittenberg 1815 seine Universität. Sie wurde 1817 mit der von Napoleon zeitweise (1806-1808) aufgehobenen Universität Halle vereinigt, die danach noch mehrere Jahrzehnte bis zur Wiedererlangung ihres alten Rufes benötigte und erst Mitte des 19. Jahrhunderts neben der Theologie in nahezu allen geistes- und naturwissenschaftlichen Disziplinen, den für die Provinz besonders wichtigen Landwirtschaftswissenschaften sowie der Medizin Bedeutendes in Lehre und Forschung leisten konnte. Für die herausragende Bedeutung als naturwissenschaftliche Forschungsstätte spricht auch die Verlegung des Sitzes der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina von Dresden nach Halle im Jahre 1878, wo sich die weltweit älteste naturwissenschaftliche Einrichtung endgültig ansiedelte.

Die aus neu oder wiedererworbenen Territorien zusammengesetzte Provinz Sachsen, in abgeleiteter Form auch Anhalt, wurden ein Zentrum widersprüchlicher Prozesse von Restauration, Industrialisierung und Revolution. Die Angleichung der Rechtsverhältnisse feudal-territorialer Strukturen mit den reform-preußischen erforderte einige Jahrzehnte. Die Zusammensetzung des Provinziallandtages (erstmals 1825) und der Kreistage zeigte eindeutig die Bevorzugung des Adels. Sie führte andererseits zu den unabdingbaren Agrargesetzen (1816, 1821, 1825, 1829) mit Abschaffung von feudalen Frondiensten, Abgaben sowie der Ablösung des Gutsbesitzes. Auch die Aufhebung der preußischen Binnenzölle (1818) und das Inkrafttreten des Deutschen Zollvereins (1834) trugen zum Fortschritt der zunächst nur zögerlichen bodenständigen Industrialisierung bei. Unternehmer waren neben Großkaufleuten, ehemaligen Handwerkern, Bauern, einzelnen Wissenschaftlern auch Großgrundbesitzer wie Graf Henrich zu Stolberg-Wernigerode (1824-1854), der bereits Bergwerke und Hüttenbetriebe im Harz, ab 1835 auch eine kleine Maschinenfabrik in Magdeburg besaß. Im anhaltischen Alexisbad wurde 1856 der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) ins Leben gerufen.

Die Industrialisierung warf mit der Arbeiterfrage zugleich ein gänzlich neues Sozialproblem auf: Streiks und spontane Protestaktionen waren in den dreißiger und vierziger Jahren die ersten Lösungsversuche und Reaktionen der Arbeiter. Wilhelm Weitling (1808-1871) trat mit einem ersten Programm für die politische Bewegung und dem von ihm geführten Bund der Gerechten insbesondere im Raum Magdeburg auf. Anfang der vierziger Jahre griff die Auseinandersetzung auf den staatlichen und verfassungspolitischen Bereich über: mit Vertretern in Stände- und Bürgerversammlungen sowie Vereinsbewegungen in den Städten bildete sich in der Provinz Sachsen ein Zentrum liberaler Opposition heraus. Die Universität Halle wurde Ausgangspunkt einer radikal-demokratischen Richtung auf der theoretischen Basis der Junghegelianer, vertreten durch Arnold Ruge (1802-1880). Als bedeutendste oppositionelle Strömung im Vormärz fand in der Provinz Sachsen und in Anhalt 1841 die freiheitlich-evangelische Bewegung der Lichtfreunde Verbreitung. In dem für neue politische Ideen besonders aufgeschlossenen Köthen vereinigte die Kellergesellschaft insbesondere demokratisch gesonnene Juristen und Mediziner, darunter Heinrich Hoffmann von Fallersleben.

Wenn auch nicht zu den Brennpunkten des Revolutionsgeschehens von 1848 zählend, waren die Provinz Sachsen und Anhalt an den Märzereignissen beteiligt: tumultartige Volksbewegungen in Städten und Landgemeinden bekräftigten die Forderungen nach demokratischen Verfassungen, bürgerlichen Rechten und Freiheiten, der Einheit der Nation und anderem. Für die Frankfurter Nationalversammlung wurden überwiegend liberale Vertreter gewählt. Die Herzogtümer Dessau-Köthen und Bernburg erhielten demokratische Verfassungen mit weitgehenden Bürgerrechten. In Dessau-Köthen hatte das Grundgesetz formal Gültigkeit bis 1851, wurde aber 1859 durch die ehemalige, etwas abgeänderte und bis 1918 geltende landständische Verfassung ersetzt. Das nach dem Tod der letzten Herzöge von Köthen (Heinrich 1778-1847) und Bernburg (Alexander Karl 1805-1863) vereinigte Anhalt beteiligte sich 1866 an der Seite Preußens am Deutschen Krieg, schloß sich 1867 dem Norddeutschen Bund und - nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 - der Reichseinigung an.

Zunächst außerhalb der Großstädte hatte im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts die industrielle Entwicklung mit der Gewinnung und Verarbeitung örtlicher Rohstoffe begonnen: Braunkohle, Salze, Baumaterialien, landwirtschaftliche Produkte, insbesondere Zuckerrüben. Mit der Einheitlichkeit der Zoll- und Handelsgebiete, dem Ausbau und der schrittweisen Erweiterung der Eisenbahngrundnetze um 1870 sowie der Dampfschiffahrt (Elbe-Havel-Kanal) bildeten sich auch in zahlreichen Städten umfangreiche Produktionszentren heraus (z. B. in Magdeburg Maschinenbau, Eisengießereien; in Halle Chemie-, Maschinen-, Nahrungsmittelindustrie; in Staßfurt Stein- und Kalisalzgewinnung und andere). Neben dem Ausbau der vorhandenen Zuckerrübenfabriken, Korn-, Kalk- und Tonbrennereien, Gaswerke, Braunkohlen- und Salzgewinnungsanlagen entstanden auf der Basis neuer chemischer und elektrochemischer Verfahren weitere Zweige der Energiewirtschaft sowie der chemischen Grundstoff- und Verarbeitungsindustrie (Braunkohlenteergewinnung, Düngemittel- und Munitionsherstellung).

Zugleich verschärften sich in den industriellen Ballungsgebieten die politischen und sozialen Gegensätze: Die nach dem Fall des Sozialistengesetzes (1889) auftretende Sozialdemokratische Partei Deutschlands vermochte in der Folgezeit eine starke Linkstendenz in Mitteldeutschland durchzusetzen und unter der Bevölkerung die erhebliche Antikriegsstimmung während des Ersten Weltkrieges zu begünstigen.

Der Zeitraum von 1918 bis zur Gegenwart

Generalstreiks und bewaffnete Massendemonstrationen erzwangen im November 1918 den Rücktritt Kaiser Wilhelms II. (1888-1918) und den Thronfolgeverzicht des Herzoghauses Anhalt. Die von der neu gewählten Landesversammlung 1918 verabschiedete Verfassung erklärte Anhalt zum Freistaat innerhalb des Deutschen Reiches. Er wurde bis April 1932 von einer Koalition aus Sozialdemokraten (58 Prozent) und Demokraten regiert. Mit dem Ausbau der Junkers-Flugzeugwerke und der Verlegung des Bauhauses von Weimar nach Dessau 1926 entwickelte sich die Hauptstadt Dessau zur modernen Industriestadt. Die sozial relativ ausgewogene Landespolitik hielt große politische Auseinandersetzungen in den zwanziger Jahren zunächst von Anhalt fern.

In den Wahlkreisen der industriellen Ballungsgebiete Magdeburg und Merseburg dominierten die Abgeordneten der Arbeiterparteien KPD und USPD. Insbesondere während der ersten Jahre der Weimarer Republik ereigneten sich große Demonstrationen, Aufstände und bewaffnete Auseinandersetzungen (Märzkämpfe 1921) in der Provinz Sachsen. Als reaktionärer Gegenpol traten der 1918 als Bund der Frontsoldaten in Magdeburg gegründete Stahlhelm sowie die am gleichen Ort zur Unterstützung und Verteidigung der Weimarer Republik geschaffene Organisation Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold auf.

Beträchtliche wirtschaftliche Probleme erwuchsen den beiden Teilen Sachsen-Anhalts aus den Reparationsverpflichtungen nach dem Ersten Weltkrieg, dem Übergang der Rüstungsindustrie zur Friedensproduktion sowie der Weltwirtschaftskrise. Wirtschaftliche Flaute, Arbeitslosigkeit und soziale Not förderten die Bereitschaft breiter Bevölkerungsschichten, den Versprechungen Hitlers zu vertrauen, so daß in Anhalt bereits im Mai 1932 eine Rechtsregierung die Führung übernehmen konnte. Diese veranlaßte im August 1932 die Schließung des Bauhauses. Nur zwei Tage nach der Bücherverbrennung vor der Berliner Universität gingen 1933 auch auf dem Hallenser Universitätsplatz in Anwesenheit von Studenten, einer Mehrheit der Professoren, des Oberbürgermeisters und NSDAP-Funktionären die Werke demokratischer, humanistischer und revolutionärer Schriftsteller in Flammen auf.

Die faschistische Regierung baute die Provinz Sachsen und Anhalt rasch und planmäßig zu einem der wichtigsten Rüstungszentren aus. Die von dem liberal gesinnten Kriegsgegner Hugo Junkers (1859-1935) 1890 gegründeten Flugzeug- und Motorenwerke gingen an das Reichsluftfahrtministerium über. 1936/37 entstanden die Buna-Werke, welterster Großbetrieb zur synthetischen Kautschukherstellung. Im November 1938 brannten auch zwischen Harz und Elbe die Synagogen und wurden die z. T. seit Jahrhunderten ansässigen jüdischen Gemeinden liquidiert.

Massive angloamerikanische Luftangriffe auf Industrieanlagen und Zivilobjekte in den Jahren 1944 und 1945 richteten verheerende Schäden an, auch an kulturhistorisch wertvollen Bauten, Kirchen und Kultureinrichtungen in Magdeburg (Zerstörung der Innenstadt zu 90 Prozent), Dessau (85 Prozent), Halberstadt (82 Prozent), Zerbst, aber auch in Aschersleben, Eilenburg, Halle (7 Prozent), Merseburg (20 Prozent) und Oschersleben. Im Frühjahr 1945 wurden die Territorien der Provinzen Halle-Merseburg, Magdeburg und Anhalt Frontgebiet. Das im April 1945 bis an die Mulde-Linie zunächst von amerikanischen und britischen Truppen besetzte Gebiet der Provinzen Magdeburg, Merseburg und Anhalt ging am 1. Juli 1945 vereinbarungsgemäß an die Rote Armee über. Mit der Sperrung der Demarkationslinie zwischen der sowjetischen Besatzungszone und den westlichen Zonen am 30. Juni 1946 (ab 1949 Staatsgrenze der DDR) wurde Sachsen-Anhalt bis 1989 auf ca. 350 km Länge Grenzregion mit vorgelagerten Sperrzonen.

Am 23. Juli 1945 erfolgte die Vereinigung der Provinzen Magdeburg, Halle-Merseburg und des Landes Anhalt zur Provinz Sachsen-Anhalt mit der Hauptstadt Halle. Nach juristischer Auflösung des preußischen Staates durch Kontrollratsgesetz im Februar 1947 wurde die neue Provinz in das Land Sachsen-Anhalt umgewandelt; der Staat Anhalt war endgültig liquidiert. Bodenreform (1945), Übereignung industrieller und gewerblicher Unternehmen und Betriebe in den Besitz der Provinz Sachsen (1946), Schul- und Verwaltungsreformen sowie die Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands schufen auch für Sachsen-Anhalt den Rahmen der eigenständigen gesellschaftlichen Umwandlung innerhalb der Sowjetischen Besatzungszone. Die Gliederung in die Bezirke Halle und Magdeburg ab Juli 1952 unterbrach die noch ungefestigte Entwicklung des Landes Sachsen-Anhalt.

Der wirtschaftliche Wiederaufbau orientierte sich auf das traditionelle Grundprofil der beiden Bezirke. Den Nordteil des Industrie- und Agrarbezirks Magdeburg bestimmte vorwiegend die Landwirtschaft, der Südteil wies Betriebe des Schwermaschinenbaus, der Energiewirtschaft, der Kaliproduktion und Baustoffindustrie auf. Im Unterschied zur Situation nach dem Ersten Weltkrieg wurden verbliebene Anlagen von Rüstungsbetrieben (z. B. Krupp, Junkers, Polte & Co) anstelle einer Demontage von der Sowjetischen Aktiengesellschaft übernommen, das Weiterbestehen und der Ausbau durch Großaufträge gefördert und ab 1953 schrittweise in deutsche Hände zurückgegeben (z. B. Eisen- und Hüttenwerk Thale, Gruson Magdeburg). Den Industriebezirk Halle, der auch große Teile Anhalts einschloß, prägten chemische Großbetriebe (PVC-Herstellung, Photo-, Agrarchemie) im Raum Halle-Leuna-Bitterfeld, ferner Produktionsstätten der Energiewirtschaft, des Maschinenbaues, der Metallurgie, des Kupferbergbaus, von Kali- und Baustoffindustrie sowie eine intensive Landwirtschaft. Komplexe Industrieprogramme wie das Kohle- und Energieprogramm 1957 und das Chemieprogramm 1958 schlossen z. B. für Halle-Neustadt und Magdeburg-Nord den Aufbau umfangreicher Wohnanlagen in industrieller Bauweise ein. Im Juni 1953 gehörten die Industriegebiete von Sachsen-Anhalt zu den Brennpunkten des z. T. gewaltsam beendeten Volksaufstandes vom 17. Juni.

Unmittelbar in den industriellen Zentren erfolgte der Ausbau des Forschungs- und Ausbildungspotentials von Sachsen-Anhalt mit der Errichtung der Technischen Hochschule für Schwermaschinenbau in Magdeburg (1953), der Technischen Hochschule für Chemie Leuna-Merseburg (1954), der Umwandlung der Ingenieurschule Köthen in Ingenieurhochschule (1969), die Neugründung der Medizinischen Akademie Magdeburg (1954), der Pädagogischen Hochschulen in Magdeburg (1948), Köthen und Halle sowie weiterer Hoch- und Fachschulen. Zunächst in den schwer zerstörten Innenstädten Magdeburgs und Halberstadts begannen Wiederaufbau und Restaurierung der mittelalterlichen Dome und Klosterbauten, der Stiftskirche Quedlinburg sowie ausgewählter weiterer Bauten z. B. in den Lutherstädten Wittenberg und Eisleben, in Halle, Dessau, Salzwedel und anderen Orten.

Bereits 1955 wurde die Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft in Halle gegründet. Im schwer zerstörten Dessau öffnete 1977 das restaurierte Bauhaus zunächst als Ausstellungsstätte, ab 1986 auch als Bildungs-, Forschungs- und Experimentierstätte sowie Theaterspielstätte. Zum Kulturprofil Sachsen-Anhalts zählten auch die unmittelbar im Industriebezirk veranstalteten Bitterfelder Konferenzen (1959, 1964) sowie der vieldiskutierte Bitterfelder Weg, der die aktive Mitwirkung von Werktätigen und die Lenkung des Kunstschaffens durch konkrete Themenstellungen anstrebte.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurden die Bezirke Halle und Magdeburg zum Land Sachsen-Anhalt mit den drei Regierungsbezirken Magdeburg, Halle und Dessau zusammengeschlossen und Magdeburg als Hauptstadt gewählt. Durch Vereinigung mit dem bis dahin selbständigen Halle-Neustadt ist Halle gegenwärtig die bevölkerungsreichste Stadt des Landes. Magdeburg (mit der Otto-von-Guericke-Universität) und Halle (mit der Martin-Luther-Universität und der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein) sind zugleich Universitätsstädte. Fünf staatliche Fachhochschulen befinden sich in Magdeburg, Merseburg, Stendal (FH Altmark), Wernigerode und Köthen (FH Anhalt mit Standorten in Köthen, Bernburg und Dessau). Darüber hinaus gibt es zwei staatlich anerkannte Hochschulen in kirchlicher Trägerschaft (Theologische Hochschule Friedensau bei Magdeburg, Evangelische Hochschule für Kirchenmusik Halle).

In dem sowohl industriell als auch landwirtschaftlich geprägten Land wurden die ehemals strukturbestimmenden Industriezweige Bergbau, Chemie und Maschinenbau von dem sich noch vollziehenden Umstrukturierungsprozeß nach 1990 besonders hart betroffen. Mit der Restaurierung, Pflege und gezielten Erschließung von Baudenkmälern, von den als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannten Orten und Gedenkstätten (Stätten an der Straße der Romanik, Luther-Gedenkstätten in Wittenberg und Eisleben, Fachwerkarchitektur in Wernigerode, Quedlinburg und Stolberg, Wörlitzer Park) sowie von Naturparks (Brocken, Harz) konnte sich in den letzten Jahren der Tourismus als ein dynamischer Wirtschaftsfaktor herausbilden. Geschichte der Bibliotheken in Sachsen-Anhalt

Bibliotheken im Mittelalter

Die Anfänge des Bibliothekswesens im heutigen Land Sachsen-Anhalt gehen zurück auf die schrittweise Einrichtung von Bistümern in den sächsischen Gebieten, die seit Karl dem Großen (*742; reg. 768-814) unter fränkischer Herrschaft standen. Als erstes wurde 827 in zentraler Lage das Bistum Halberstadt errichtet, das schon 814 von Kaiser Ludwig dem Frommen (*778; reg. 814-840) urkundlich bestätigt worden war. Die kirchlich-religiösen Aufgaben zur Verbreitung und Erhaltung christlichen Glaubens schlossen auf lange Zeit auch die Pflege der geistlichen Kultur ein sowie die Übermittlung von Gelehrsamkeit und lateinischer Sprache durch den Klerus. Die frühesten Erwerbungen der Halberstädter Dombibliothek wurden vermutlich unter dem dritten Bischof Haymo (im Amt 840-853) getätigt und von den wissenschaftlichen Interessen seiner Nachfolger bestimmt. Nach erheblichen Verlusten durch Brände, insbesondere die völlige Zerstörung des Doms durch Heinrich den Löwen (1179), ist die dank reichhaltiger Vermächtnisse und Schenkungen bald aufgefüllte Domstiftsbibliothek 1416 erstmals wieder urkundlich erwähnt und in einem Inventar von 1465 mit 103 Handschriften beziffert. Ansehnliche Spenden z. T. ganzer Bibliotheken juristischen, theologischen und historischen Inhalts, darunter zahlreiche Inkunabeln, bereicherten den Bestand seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Eine erhebliche Anzahl juristischer Werke, vor allem zahlreiche Handschriften und Quellenausgaben, mußten 1827 an die Universitätsbibliothek Halle abgegeben werden.

Im Jahre 968 erweiterte Otto der Große (*912; Kaiser 962-973) das seit 937 bestehende Mauritiuskloster Magdeburg als Zentrum der Kirchenprovinz zum Erzbistum Magdeburg. Dem wissenschaftlichen Ruf der ersten dortigen Domschule im 10. und 11. Jahrhundert zufolge, nach Berichten über den übernommenen klösterlichen Buchbesitz und über Bücherschenkungen durch Otto I. und Otto II. (reg. 973-983) sowie durch mehrere Erzbischöfe und andere Persönlichkeiten muß die Dombibliothek Magdeburg bis Mitte des 15. Jahrhunderts eine der bedeutendsten Bibliotheken gewesen sein. Bis auf einige, im Dom aufbewahrte liturgische Handschriften verbrannte die gesamte Bibliothek im Dezember 1449.

Erst nach Aufhebung des Dominikanerklosters (um 1550) konnte das seit 1561 evangelische Domstift den Bibliotheksbestand spürbar auffüllen, wobei Drucke aus dem Besitz der Predigermönche sowie einige serienmäßig hergestellte Handschriften des 15. Jahrhunderts übernommen wurden. Nach der Besitznahme des Erzbistums Magdeburg durch Brandenburg verlor die Bibliothek 1680 ein Viertel ihres Bestandes, insbesondere Handschriften, an die Kurfürstliche Bibliothek Berlin. In der Folgezeit wurden die noch in beachtlicher Zahl verbliebenen wertvollen Werke (1790 ca. 250 Hss, 7000-8000 Drucke, darunter 600 bis 650 z. T. seltene oder unikale Inkunabeln) ergänzt, insbesondere zur Unterstützung der 1675 gegründeten dritten Domschule. Nach 1810 erlosch das Patronat des Domkapitels über Domschule und Bibliothek. Der Universitätsbibliothek Halle wurde zugestanden, sämtliche Pergamentdrucke und andere Rara, juristische Handschriften und seltene juristische Drucke nach Auswahl zu übernehmen. Die verbliebenen Teile der Dombibliothek (ca. 8000 Bände) gingen 1824 an das Domgymnasium über.

Mit der Gewinnung des Raums östlich von Elbe und Saale wurde unter Otto I. die Christianisierung mit der Gründung von Bistümern fortgeführt: 948 in Havelberg und Brandenburg sowie 968 in Merseburg, Zeitz (1028 Verlegung nach Naumburg) und Meißen. Die Anfänge der heutigen Domstiftsbibliothek Merseburg sind spätestens mit dem Gründungsjahr des Bistums anzusetzen. Vielleicht verfügten schon das vorangehende Kollegiatstift und die Bibliothek der Vorgängerkirche des Doms über fränkische Missionsliteratur des 9. Jahrhunderts. Möglicherweise zählten die Handschriften des 8. und 9. Jahrhunderts bereits zur Ausstattungsliteratur des Bistums. Bereits die im Mittelalter von Merseburg ausgehenden Klostergründungen erhielten nachweislich Schenkungen aus der Dombibliothek.

Auch Zeitz erhielt 968 ein Bistum, doch wurde der Bischofssitz 1028 an das sicherere Hochstift in Naumburg verlegt. Nach der Rückkehr des Bistums auf die Zeitzer Bischofsburg im Jahre 1285 entstand eine Stiftsbibliothek (ab 1564 in Verantwortung des Domstifts Naumburg), zu der einzelne Bischöfe privaten Buchbesitz beisteuerten. Die umfangreichsten und wertvollsten Bestände verdankt diese Bibliothek im 16. Jahrhundert dem Erbe der Privatbibliothek des letzten katholischen Bischofs Julius von Pflug (1499-1564), im 17. Jahrhundert und 18. Jahrhundert der Förderung und dem Erwerb mehrerer reichhaltiger Gelehrtenbibliotheken durch die Herzöge der sächsischen Sekundogenitur, die nach Auflösung des Bistums zugleich Administratoren des Stifts waren. Das während der Abwesenheit der Bischöfe um 1030 in Zeitz gebildete Kollegiatstift verfügte über eine gesonderte Kapitelsbibliothek, die weitgehend auf den z. T. wertvollen Büchergaben der Domherren beruht (Domherrenbibliothek).

Aus den ersten Jahrzehnten des 948 von Otto I. errichteten, infolge des Slawenaufstandes von 983 wieder verlorenen rechtselbischen Bischofssitzes in Havelberg gibt es keine Überreste. Vermutlich geht die für lange Zeit einzige Bibliotheksgründung der ganzen Prignitz auf Anselm (im Amt 1129-1155; 1158) zurück, dem ersten Bischof nach Rückgewinnung und Wiedererrichtung des Bischofssitzes ab 1141. Wesentliche Schenkungen und Nachlaß-Zugänge werden seit Anfang des 15. Jahrhunderts berichtet. Das gesamte Havelberger Handschriftenmaterial aus dem 12. bis 15. Jahrhundert liegt vor. Nach der Umwandlung des Domkapitels in ein evangelisches Stift in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren zunächst zahlreiche Bücher und Handschriften erhalten, von denen jedoch während des Dreißigjährigen Krieges viele Stücke durch Plünderungen und Kriegseinwirkungen verloren gingen. Weitere Verwahrlosungen traten in der Folgezeit ein. Ungenutzt blieben alle Möglichkeiten, die Büchersammlung während des 17. und 18. Jahrhunderts zu vermehren. Beschlüsse des Generalkapitels von 1780 und 1799 über Buch- und Geldbeiträge der Domherren, erforderliche Abrechnungen und Aufstellung eines Kataloges vermochten nur wenig zu bessern.

Nach der Enteignung sämtlicher Stifter im Jahre 1810 und der Übernahme des Domstifts durch die Staatsbehörde (1819) gelangten die verbliebenen Bücher (ca. 300 Bände) und Archivalien an das Rentamt Havelberg; fast 150 Handschriften und Drucke wurden 1821 an die Königliche Bibliothek Berlin übernommen. In Anbetracht der Dublettenaussonderung und des z. T. schlechten Erhaltungszustandes ist der Verbleib von Druckschriften Havelberger Provenienz an der Berliner Bibliothek jedoch zweifelhaft.

In Naumburg war vermutlich um 1030, nach der Verlegung des Hochstifts aus Zeitz, eine Bibliothek angelegt worden. Der Brand von 1532 hatte Archiv- und Bibliotheksgut jedoch so in Mitleidenschaft gezogen, daß eine zutreffende Bibliotheksgeschichte für die Zeit des Mittelalters nicht zu rekonstruieren ist. Bei der Wiederbeschaffung der für den Gottesdienst benötigten Liturgica konnte das Domkapitel auch einige wertvolle Handschriften und frühe Drucke erwerben. Eine stetige Bestandserweiterung erfolgte seit dem 17. Jahrhundert, wofür insbesondere die Domherren aufkamen. Eine bedeutendere Kapitelsbibliothek konnte in Naumburg jedoch nicht entstehen.

Aus dem 1185 gegründeten und 1188 von Tangermünde in die aufblühende Stadt Stendal verlegten Kollegiatstift St. Nicolai (Chorherrenstift an St. Stephan Tangermünde) sind keine mittelalterlichen Bücher oder Handschriften überliefert. Die Askanier konnten ihren Plan nicht verwirklichen, das Domstift, welches 1522 ein eigenes Breviarium Stendaliense (Leipzig: Melchior Lotter) herausgegeben hatte, zu einem altmärkischen Bischofssitz erheben zu lassen. 1540 wurde der Dom St. Nicolai evangelische Pfarrkirche. 1590 ermöglichte Frau Bartha von der Schulenburg (1550-1606) mit einer Stiftung eine Bibliothek zur Weiterbildung für Generalsuperintendenten der Altmark und Prignitz einzurichten, für deren Vermehrung auch im Dreißigjährigen Kriege und bis Ende des 19. Jahrhunderts ein solider Jahresetat zur Verfügung stand.

Auf dem ausgedehnten Hoheitsgebiet des ersten Bistums Halberstadt (827), später Kirchenprovinz des Erzbistums Magdeburg, erfolgten vom 10. Jahrhundert an zahlreiche Klostergründungen. Allein im 10. Jahrhundert wurden im Bistum Halberstadt 21 Klöster und Stifte errichtet, getragen zumeist von dem wissenschaftsfreundlichen Orden der Benediktiner, wie 936 das von Otto I. gegründete Kanonissenstift St. Marien Quedlinburg, 937 das Mauritiuskloster Magdeburg, 956 das von Markgraf Gero gegründete Kanonissenstift Gernrode, 960 die Klöster Hillersleben und Drübeck, vor 977 (981/983 durch den Papst bestätigt) Arneburg und andere. Augustinerchorherrenstifte entstanden u. a. 1083 in Halberstadt (St. Johannis, von Bischof Burchardt II. 1059-1088 gestiftet), Hamersleben (1107/08 Erhebung des bestehenden Kanonissenstifts durch Bischof Reinhard von Halberstadt 1106-1123), Naumburg (1119 Umwandlung des Kanonissenstifts in das Augustinerchorherrenstift St. Moritz), Diesdorf/Altmark (Nonnenkloster 1161 geweiht). Als neue Orden beteiligten sich ab 1120 die Prämonstratenser (im frühen 12. Jahrhundert Gründung des Klosters Unser Lieben Frauen unter Erzbischof Norbert von Xanten, 1138/39 Errichtung des Stifts Leitzkau und 1144 des Stifts Jerichow durch Bischof Anselm von Havelberg.

Seit Mitte des 12. Jahrhunderts kamen die Zisterzienser, die ihre Ordensregeln insbesondere auf dem Lande verbreiteten (z. B. in Michaelstein bei Blankenburg/Harz ab 1144, 1221 in der Abtei St. Lorenz Magdeburg, 1228 in Althaldensleben und Wolmirstedt). Klöster in den Städten riefen ab Anfang des 13. Jahrhunderts die Bettelorden der Franziskaner ins Leben (ab 1258 in Wittenberg nachweisbar; um 1240 in Halle, wenig vor 1280 im Frauen- oder Barfüßerkloster Salzwedel), ebenso die Dominikaner (1225 Stift St. Peter und Paul Magdeburg, vermutlich 1231 St. Nikolaus in Halberstadt, um 1266/67 in Seehausen/Altmark). Für die zur Geschichte Sachsen-Anhalts insgesamt weniger einflußreichen Ritterorden sei z. B. auf Bücherbesitz der Komturei Werben des Johanniterordens verwiesen.

An den genannten Klöstern befanden sich mit einiger Sicherheit Bibliotheken. Dies ist den Berichten landesherrlicher Visitatoren über die in den Klöstern des Erzbistums Magdeburg in den Jahren 1561/62 vorgefundenen Buchbestände zu entnehmen, sowie weiteren Dokumenten über Schenkungen der Landesherren, Nachlässe und Stiftungen von Geistlichen oder einzelnen Mitgliedern von Adelshäusern. Auf dem Boden des heutigen Landes Sachsen-Anhalt können insgesamt wenigstens 47 Bibliotheken an Klöstern und Stiften angenommen werden, darunter für die heutige Propstei Altmark 7, Anhalt 4, Halle 4, Magdeburg 14, Naumburg 3, Quedlinburg 13, Südharz und Wittenberg je eine. Gewalttaten während der Bauernunruhen und administrative Eingriffe im Jahrhundert der Reformation hatten zur Folge, daß keiner der vorreformatorischen Klosterbestände geschlossen erhalten geblieben ist.

Bibliotheken im Zeitalter von Humanismus und Reformation bis zum Anfang des Dreißigjährigen Krieges

In einem längeren Zeitraum vollzog sich die Wende vom Mittelalter zum Zeitalter des Humanismus. Mit der Ausprägung einer z. T. drastischen Kirchenkritik erreichte die neue Geisteshaltung etwa Mitte des 15. Jahrhunderts den mitteldeutschen Raum und fand ihre Konsequenz in Reformation und Gegenreformation während des 16. Jahrhunderts, deren Erscheinungsbilder sich z. T. bis zum Dreißigjährigen Krieg erstreckten. Nachlassende Sammel- und Schreibtätigkeit sowie Brände, Plünderungen und Verschleuderungen hatten bereits seit dem ausgehenden Mittelalter Umfang und Qualität des klösterlichen Buchbesitzes dezimiert, so daß Visitatoren an ehemals reichen Abteien im 16. Jahrhundert nur noch geringe Bestände vorfanden. Der Buchbesitz der noch relativ seltenen vorreformatorischen Kirchenbibliotheken beschränkte sich im allgemeinen auf die für den Gottesdienst unentbehrlichen Liturgica und einzelne theologische Werke aus Geschenken und Nachlässen, deren Unterschiedlichkeit das besondere Profil der Kirchenbibliotheken ausmachte. Die Vorzüge der maschinellen Papierproduktion seit Anfang des 15. Jahrhunderts und die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern für massenhafte Herstellung und Verbreitung von Literatur kamen für die Bibliotheksentwicklung zunächst noch nicht zum Tragen.

Als älteste Kirchenbibliotheken sind beurkundet die vor 1467 angelegte Bibliothek an der St. Katharinenkirche Salzwedel, die Kirchenbibliothek Tangermünde und die Bibliothek der Marienkirche Salzwedel. Überliefert wurden Nachweise von Beständen des 12. bis 15. Jahrhunderts an der Stadtkirche Wittenberg (vormals Stiftskirche des Franziskanerklosters) und an der St. Benediktibibliothek Quedlinburg. Weitere Hinweise auf Bibliotheksanfänge vom Ende des 15. Jahrhunderts finden sich an der St. Ulrichskirche Sangerhausen, an der Stadtkirche Weißenfels (1495), der St. Michaeliskirche Zeitz (um 1496) sowie in Wernigerode. Der Rektor der Universität Leipzig Stefan Hüfner (1466) vermachte seine gesamte Bibliothek der Pfarrkirche (Stadtkirche St. Marien) seines Heimatortes Prettin.

Seit Ende des 15. Jahrhunderts ist in Naumburg auch eine Ratsbibliothek nachweisbar, deren älteste Bestände bis ins 14. und 15. Jahrhundert zurückreichen. Die durch Luthers Einspruch gegen Dogmen der katholischen Kirche angestoßene und sich von Wittenberg aus rasch verbreitende Reformationsbewegung hatte für die weitere Entwicklung der Bibliothek nachhaltige, wenn auch durchaus zwiespältige Auswirkungen. Der Reformator hatte bereits 1517 Drucke und Handschriften ganzer Gattungen scholastischen Schrifttums als überflüssige, aussondernswürdige Makulatur verurteilt und sie in seiner symbolischen Bücherverbrennung (1520) zusammen mit der Bannandrohungsbulle sowie den Schriften seiner theologischen Hauptgegner den Flammen übergeben. An ihre Stelle sollte für alle Stände allein die Bibel treten und eine Auswahl der besten Bücher künftig die wahllose Bücheranhäufung in den Bibliotheken ersetzen. Die scharfen Kritiken Luthers (z. B. Wider das Mönchstum 1522) und Melanchthons (Grundbegriffe der Theologie 1521) hatten schon Anfang der zwanziger Jahre zahlreiche Klosteraustritte und erste -schließungen bewirkt. Unter dem Eindruck von Andreas Karlstadts (1480-1541) Bildersturm 1521/22 verließen überdies viele Studenten nicht nur in Wittenberg ihre Hochschule, so daß Schulen und Universitäten zu veröden drohten.

Von der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts an wandelte sich auch in Sachsen-Anhalt die Bibliothekslandschaft: In den Jahren 1525/26 richteten sich Bauernaufstände gegen die Belastungen durch Geistliche Herrschaft, Klöster und Stifte. Plünderungen, Zerstörungen und Brandschatzungen vernichteten klösterliche Büchersammlungen in ungekannter Anzahl und Umfang, insbesondere in ländlichen Gegenden, z. B. im Kloster Michaelstein bei Blankenburg, in Himmelpfort und Abbenrode bei Wernigerode, im Kanonissenstift St. Marien Quedlinburg sowie in den Klöstern Adersleben und Badersleben. Weniger betroffen waren Kursachsen und die Gebiete östlich der Saale und nördlich der Bode. Die zunehmende Abwanderung von Mönchen und die Schließung der Klöster führte zur Auflösung von Jahrhunderte alten mittelalterlichen Bibliotheken, deren Bestände oftmals verstreut oder gar als papistisch vernichtet wurden.

Die Territorialfürsten griffen nach den Erfahrungen des Sturmjahres 1525 verstärkt in die reformatorische Bewegung ein. Gegen mitunter größeren Protest der verbliebenen Abteien setzten sie ab 1526 in Kursachsen und Anhalt Kirchenvisitationen durch, deren Protokolle u. a. Aufschluß über den Umfang verbliebener Buchbestände geben. So erwarb z. B. der Rat der Stadt Zerbst für Schulzwecke das dortige Franziskanerkloster mit einigen Büchern. Der Konvent des aufgehobenen Augustinerklosters Magdeburg übergab im November 1525 dem Rat der Stadt das Kloster mit dem gesamten Inventar einschließlich der 1355 gegründeten Klosterbibliothek, deren 200 Handschriften und Bücher den Grundstock für die neue Stadtbibliothek bilden sollten.

Luthers Sendschreiben An die Radherren aller stedte deutschen lands mit dem Verlangen, ...gutte librareyen odder bücher heuser (1524) einzurichten, wurde als Appell vorrangig an Kirchen und Schulen verstanden. Während die entschiedensten Befürworter Philipp Melanchthon (1497-1560) und Johannes Bugenhagen (1485-1558) die Kirchenbibliotheken als Institutionen der Gemeinde begreifen wollten, verlangten schon seit den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts kursächsische und brandenburgische Kirchenordnungen auch die Anschaffung bestimmter Titel zum Gebrauch durch Pfarrer und andere Kirchenbedienstete. Für die Ausstattung der neuen Bibliotheken waren die Kirchen jedoch weiterhin auf eigene Mittel, Spenden, Schenkungen und Nachlässe von Geistlichen, Patronatsherren und anderen Persönlichkeiten angewiesen.

Zu den ersten Bibliotheksgründungen in den Reformationsjahren zählten u. a. die der Chorherrenstiftskirche St. Silvestri Wernigerode vermachten Werke der Dechanten Albrecht Lisemann d. J. (1523) und Johann Kerkener (1541) und die von Pfarrer Kaspar Güttel (1471-1541) an der St. Andreaskirche Eisleben unter Einbeziehung von Neuhelftaer Klosterbeständen begonnene Kirchenbibliothek. Hinzu kamen die mit dem Buchbesitz der ersten lutherischen Prediger errichteten Bibliotheken an der Stephanskirche in Aschersleben (Petrus Plateanus 1551) und an der Stadtkirche St. Martin in Stolberg (Tilmann Platner 1490-1551). 1552 legte Superintendent Sebastian Boetius (1515-1573) mit dem Kauf von Luthers Werken den Grundstein für die Marienbibliothek Halle, die dank reichlicher Unterstützung nach knapp 70 Jahren bereits 5000 Bände umfaßte. Die Mehrzahl reformatorischer Bibliotheksneugründungen datiert aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, nachdem administrative, finanzielle und weitere Voraussetzungen für die Kirchenorganisation hinlänglich geklärt erschienen. Dazu gehörten u. a. die St. Marienbibliothek Bernburg und die Neugründung der St. Bartholomäusbibliothek Zerbst nach der Reformierung des Chorherrenstifts.

In der zur Reformationszeit zum Kurfürstentum Brandenburg gehörenden, bis dahin bücherarmen Altmark setzte die Neubelebung vorhandener und die Errichtung neuer kirchlicher Bibliotheken erst seit dem Erlaß der revidierten Kirchenordnung von 1572 ein. Sie bewirkte ab 1575 die Weiterführung der 1541 nicht mehr erweiterten St. Marienbibliothek in Salzwedel, die Errichtung der Kirchenbibliothek St. Nicolai in Kalbe/Milde aus dem umfangreichen Büchernachlaß des ersten evangelischen Pfarrers Elias Hoffmann (1518-1579) sowie die Anlage der von ihrem Gründer Arnold Bierstedt (1542-1597) zugleich als Schulbibliothek gedachten Kirchenbibliothek St. Nikolai in Gardelegen.

Belegt sind ferner beachtenswerte Bücherspenden von Havelberger Bürgern an ihre Stadtkirche St. Laurentius sowie - wenige Jahre vor 1600 - das Legat von Frau Emerantia von Alvensleben, Gattin des Kirchenpatrons Thomas von dem Knesebeck, für den Aufbau einer Kirchenbibliothek in Tylsen bei Salzwedel. 200 Bände stifteten die Patronatsherren Heinrich (1589) und Lorenz von Krosigk (1578) für die Errichtung der Dom- und Dorf-Kirchenbibliothek in Alsleben/Saale. Noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts ermöglichten Spenden u. a. von mehreren Innungen in Naumburg die Bibliotheksgründung an der St. Wenzelskirche (1611). Unter Verwendung des eigenen Bücherbesitzes legte der Halberstädter Oberprediger Herold (1623) im Jahre 1610 in der St. Martinikirche eine Kirchenbibliothek theologischen und historischen Inhalts an, die dank weiterer Schenkungen von Ratsherren und Geistlichen bald als Bibliotheca illustria gerühmt wurde.

Mit der Neuordnung des Kirchenwesens unter fürstlicher Oberhoheit waren landesherrliche Behörden und Stadtverwaltungen in die Pflicht genommen, auch das mit der Kirche seinerzeit noch geistig und wirtschaftlich eng verflochtene Schulwesen neu zu organisieren. So erhielten im sächsischen Kurkreis Wittenberg die reformierten höheren Schulen eigene Schulbibliotheken aus Beständen aufgehobener Klöster, durch Stiftungen oder Darlehen der Magistrate und Landesherren sowie aus ehemaligem Besitz von Lehrern oder Geistlichen. Mit der Aufstellung der dem Rat der Stadt Magdeburg vom Augustinerkloster übergebenen Bibliothek in der Stadtschule konnte das Altstädtische Gymnasium bereits im Erscheinungsjahr des Lutherschen Sendschreibens eine eigene Bibliothek benutzen, die vermutlich erst zur Zeit der Centuriatoren als Ratsbibliothek eingerichtet wurde und mit dem Erwerb der Magdeburger Centurien ihre wissenschaftliche Priorität erlangte. Bestände säkularisierter Klöster dienten als Grundlage von Schulbibliotheken, z. B. auch für die Lateinschulen in Torgau (um 1525; Schule erstmals genannt 1371) und in Eisleben (1546), für die Domschule in Zeitz (um 1541) und die Landesschule zu der Pforten (Schulpforte; Zugang insbesondere von Inkunabeln und Handschriften 1573). Das gleiche galt für die umgewandelte Klosterschule in Ilsenburg (um 1545).

Nach dem Verzicht der Stiftskirche St. Silvestri auf ihre alte Lateinschule (gegr. 1200) entstand ab 1538 in Wernigerode eine städtische evangelische, sogenannte freie Schule, die 1598 über eine Gymnasialbibliothek mit 160 Bänden verfügte. In Halberstadt hatte der Rat der Stadt 1545 für die städtische Rats- und Martinischule eine eigene Büchersammlung erworben. In Halle wurde 1565 aus drei Parochialschulen das Ascenterium oder Gymnasium gebildet (bekannt als Schola Halensis, später ev.-lutherisches Stadtgymnasium). Es wurde gerühmt wegen seines beachtlichen Besitzes an hebräischen und griechischen Bibeln sowie zahlreicher Schriften griechischer und lateinischer Klassiker. Zusätzlich zur Kirchenbibliothek St. Ulrich ist auch in Sangerhausen 1575 eine Schulbibliothek nachgewiesen.

Zentrum der protestantischen Theologie und des nunmehr in landesherrlicher Kompetenz liegenden Universitätswesens war im 16. Jahrhundert das kursächsische Wittenberg. Nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes von 1547 und dem Verlust der ernestinischen Kurwürde blieb die dortige Universität zwar bestehen, verlor jedoch ihre Universitätsbibliothek. Sie war 1502 aus Privatbesitz von Friedrich dem Weisen gestiftet, ab 1514 zum allgemeinen Gebrauch geöffnet und durch den Kurfürsten, Melanchthon sowie Bibliothekare wie Georg Spalatin (1484-1545) sorgfältig geführt worden und sollte später den Grundstock für die Universitätsbibliothek Jena bilden. Der Aufbau einer neuen Bibliothek in Wittenberg kam wegen der wenigen verfügbaren Mittel nur zögernd voran, gefördert hauptsächlich durch Schenkungen, Stiftungen und Nachlässe, wovon namhaftere Beiträge, z. B. zur orientalistischen Literatur, erst nach 1600 eingingen. Die Bibliothek an der Landesuniversität Gymnasium illustre im anhaltischen Zerbst basierte auf zwei ehemaligen Stadtschulen. Ihren Grundstock bildeten - abgesehen von einigen wohl aus der Klosterbibliothek St. Johannis stammenden Restbeständen - die Drucke aus der der Universität angeschlossenen Offizin. Hinzu kamen Bücherschenkungen sowie die bei zumeist bescheidenem Etat möglichen Bücherkäufe.

Die Privatbibliotheken von Landesfürsten, ihren Familienmitgliedern sowie einigen Adelshäusern hatten im 16. Jahrhundert z. T. beachtlichen Umfang erreicht und zunehmend öffentlichen Charakter gewonnen. Zu den wichtigsten fürstlichen Sammlungen in Europa zählte die von Kurfürst Friedrich dem Weisen (*1463; reg. 1484-1525) in Wittenberg gestiftete Schloßbibliothek, ab 1514 zugleich öffentliche Bibliothek für die Universität, die bis 1548 (Überführung nach Jena) 3132 Bände umfaßte. Ein Verzeichnis hatte schon 1434 31 deutsche Bücher in der Wittenberger Schloßkapelle nachgewiesen. Aus dem Wittenberger Franziskanerkloster mit der vom Meißner Domherrn Thammo Löser (1450 oder 1460-1503) hinterlassenen Bibliothek stammen u. a. 120 noch in Wittenberg oder Jena erhaltene Inkunabeln. Nach dem neuen Souveränitätsverständnis der Landesherren veranlaßte Johann Friedrich (*1503; reg. 1532-1563, Kurwürde bis 1547), die Bestände weiterer Klöster zu durchmustern und der kurfürstlichen Bibliothek wertvolle Stücke zuzuführen.

Die mit 2000 Bänden vermutlich umfassendste Büchersammlung anhaltischer Fürsten bis Mitte des 16. Jahrhunderts hatte Herzog Georg III. von Anhalt-Plötzkau hinterlassen (*1507; reg. 1544-1553; ab 1545 erster evangelischer Coadjutor zu Merseburg). Ihre Entstehung und Zusammensetzung waren noch vorrangig von den persönlichen Interessen und Arbeitsgebieten der Besitzer bestimmt. Außer den theologisch-katholischen und reformatorischen Schriften, darunter zahlreiche Sammelbände, gehörten dazu u. a. 21 juristische Inkunabeln des schriftstellerisch tätigen Fürsten Magnus (1455-1524) sowie die von Georgs Mutter Margarete von Münsterberg (1473 oder 1477-1530) erworbenen Theologica. Hinzu kamen ca. 1200 Werke verschiedener Interessengebiete aus dem Besitz seiner Brüder Johann II. zu Anhalt-Zerbst (*1504; reg. 1516-1551) und Joachim (*1509; reg. 1544-1561), seiner Neffen Karl (1534-1561), Joachim Ernst (*1536; reg. 1561-1586) und Bernhard VII. (*1540; reg. 1561-1570). Das Interesse nachfolgender Generationen an den Büchersammlungen nahm vom 17. Jahrhundert an merklich ab, als der schöpferische Auftrieb aus dem Reformationsgeschehen abzuflauen begann. Die spätere Fürst-Georg-Bibliothek erfuhr nach 1610 nur noch unbedeutenden Zuwachs.

Der junge Graf Wolfgang Ernst zu Stolberg-Wernigerode (*1546; reg. 1569-1606) soll in seiner seit 1569 planmäßig angelegten Bibliothek mehrere tausend Bände zusammengebracht haben, darunter die Bibliotheken seines Onkels und Anregers Graf Ludwig zu Stolberg-Königstein (1525-1574) aus Wertheim/Main und Königstein/Taunus, eine Sammlung von Aldinen römischer Klassiker aus Franken sowie zahlreiche Erwerbungen zumeist von den Buchführern der umliegenden Städte. Bereitwillig stellte er den wissenschaftlich Interessierten die Bibliothek zur Verfügung, die dank der Unterbringung in einem Kirchengewölbe von St. Silvestri in Wernigerode 1623 von der Plünderung verschont blieb.

Die Anfänge der sogenannten von Alvenslebischen Lehnsbücherei Erxleben gehen auf die kleine, vermutlich mit mehreren Wiegendrucken sowie einer ansehnlichen Summe zur Bestandsvermehrung ausgestatteten Bibliothek von Busso IX. von Alvensleben (1534) zurück. Der eigentliche Initiator der Büchersammlung, Joachim I. (1514-1588), der die meisten Inkunabeln und Drucke des 16. Jahrhunderts erwarb, veranlaßte 1579 die Abtrennung von theologischen und kirchengeschichtlichen Werken und ihre Unterbringung in der Schloßkapelle (als sogenannte Kapellenbibliothek). Die neu gegründete Lehnsbücherei nichttheologischer Literatur wurde zu breiterer öffentlicher Nutzung 1610 zunächst in der Alten Dechanei im Dom zu Stendal aufgestellt, danach 1679 bis 1811 auf Schloß Hundisburg. 1811 gelangte sie wieder nach Erxleben, wo die Fideikommißbibliothek 1905 einen Neubau erhielt. Nach neuerlicher Sortierung der Kapellenbibliothek erhöhte sich der Umfang der Lehnsbücherei bis 1940 auf 6000 Bände.

Bibliotheken bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

Der politische Ausgang des Dreißigjährigen Krieges begünstigte in Mitteldeutschland die Herausbildung weiterer kleiner, auch zu Bibliotheksgründungen führender Territorialstaaten. In den Dörfern und Städten, insbesondere der Altmark sowie der Magdeburger und Halberstädter Gebiete, hatten Kriegszerstörungen jedoch unabschätzbare Schäden u. a. an Kirchenbibliotheken und -archiven verursacht und auf Jahrzehnte wirtschaftlichen Niedergang und Verarmung der Bevölkerung mit sich gebracht.

Die Förderung durch Magistrate, Bürgermeister, Geistliche und andere Bürger aller Stände während und nach den Kriegsjahren ermöglichte an zahlreichen Orten dennoch ein weiteres Wachstum, z. T. auch die Neugründung von Kirchenbibliotheken. Belege hierfür sind der Neubeginn der Studien- und theologischen Bibliothek an der St. Katharinenkirche Salzwedel, die Vermehrung der dortigen Marienbibliothek aus den Spenden der von Kriegstruppen mehrfach heimgesuchten Kirchgemeinde, aber auch die Entschuldung der Marienbibliothek Halle von den hohen Kosten ihres Neubaues (1615) durch den Magistrat der Stadt.

Aus dem 18. Jahrhundert anzuführen sind u. a. die umfangreiche Bücherspende an die Kirchenbibliothek Könnern, die Aufstellung der von Christoph Schönbeck (1601-1662) gestifteten Büchersammlung in der Marienbibliothek zu Stendal (1725), das Geschenk einer Kirchenbibliothek an die nahe gelegene Gemeinde Poritz durch Frau Generalin von Jeetze (1761) und das Vermächtnis von mehr als 2000 Bänden der Superintendentenfamilie Mitternacht an die Michaeliskirche Zeitz (1769). In Bernburg entstand 1792 eine weitere Bibliothek an der Ägidienkirche für die gemeinsame Nutzung durch die Diözesen Dessau und Zerbst. Die Pastoralgesellschaft Dessau rief 1787 die Anhaltisch-Dessauische Pastoralbibliothek ins Leben. Erhöhte Beachtung erfuhren kirchliche Bibliotheken zur Zeit des Pietismus (1680-1750). Darauf lassen die häufiger vorgelegten Bibliotheksordnungen und Instruktionen schließen (z. B. für die Marienbibliothek Halle 1717, die Stiftsbibliothek Zeitz 1724) oder die nachgewiesenen wiederholten Revisionen (z. B. der Bibliothek der Nikolaikirche Gardelegen). Es kam auch zur Neuordnung von Beständen sowie zur Anfertigung von Katalogen (z. B. für die Kirchenbibliothek Erxleben 1725, St. Marienbibliothek Halberstadt 1745).

Im 17. Jahrhundert wurde die Umsetzung von Melanchthons Schulordnung (1528) mit der Gründung protestantischer höherer Schulen in weiteren Städten fortgesetzt; diese waren in der Regel auch mit Schulbibliotheken ausgestattet. Dazu gehören u. a. die durch einen vor 1650 entstandenen Katalog belegten Anfänge der Bibliothek an der Lateinschule Aschersleben (gegr. 1325) und die 1679 zusätzlich zur Kirchen- und Stadtbibliothek errichtete Schulbibliothek in Gardelegen. Ein eigener Fonds zu Buchankäufen für die Lateinschule in Zeitz, später Domstiftsgymnasium, ist seit 1661 nachgewiesen, während der Rektor Samuel Schmidt (1706) in Quedlinburg erst nach mehr als 100 Jahren eine Büchersammlung für das Gymnasium zusammenbringen konnte.

Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts beeinflußten die verschiedenen pädagogischen Reformversuche im Raum der späteren Provinz Sachsen und des Landes Anhalt auch die Entwicklung schulischer Bibliotheken. Ein Zentrum bildete Magdeburg, wo die verheerende Zerstörung der Stadt 1631 für alle vier höheren Schulen einen Neubeginn erforderte. Die älteste, 1634 wieder eröffnete Stadtschule (später Altstädtisches Gymnasium, gegr. vor 1525) gewann bis Anfang des 18. Jahrhunderts hohes Ansehen bei den protestantischen Bürgern. Sie wurde infolge der zunehmenden Konkurrenz der Gymnasien am Dom und in den zwei Klöstern 1798 aufgehoben und in eine Realschule umgewandelt. Die 1550 neu angelegte Bibliothek für die Schule im Kloster Berge war 1631 geplündert und verbrannt worden. Die gezielte Förderung durch die Äbte und Reformatoren der Schule sowie Schenkungen ermöglichten ab 1676 einen Neuaufbau, wobei man sich am Ende des 18. Jahrhunderts um die Ergänzung der konventionellen Literatur bemühte, aber auch die bis dahin fehlenden Werke zeitgenössischer europäischer Schriftsteller erwarb. Von den bis 1806 gesammelten ca. 11.000 Bänden der Klosterbibliothek gingen bei der Zerstörung des Klosters durch die Franzosen 1807 große Teile verloren. Nach Schließung von Schule und Abtei 1810 gelangten einige Restbestände nach Halle und Magdeburg; die Schulbibliothek wurde 1811 öffentlich versteigert.

Nach ersten Wiederbeschaffungen ab 1638 wurde im Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg ab 1698 eine Schulbibliothek errichtet. Diese Lehranstalt war an den Unterrichtsmethoden der Philanthropen orientiert und zählte zur Zeit der Spätaufklärung und im 19. Jahrhundert zu den bedeutendsten Gymnasien Mitteldeutschlands. Dem aus philanthropischer Tradition erklärbaren weitgespannten Bildungsbedarf entsprach der Auf- und Ausbau einer umfangreichen Lehrerbibliothek mit aktuellen und zugleich differenzierten Neuerscheinungen aus allen Wissenschaftsgebieten. Bereits ab 1798 entstand auch eine Schülerbibliothek. Als Schulbibliothek für das ab 1689 reaktivierte Magdeburger Domgymnasium diente die zumeist durch Geschenke und Vermächtnisse erweiterte Bibliothek des Domkapitels. Nach den Bestandsabgaben an die Kurfürstliche Bibliothek Berlin (1680) erwarb sie zunehmend Literatur für die Zwecke der Schule, verfügte aber noch über einen beträchtlichen Bestand historischer Handschriften und Drucke. Die Einrichtung einer modernen Lehrerbibliothek gehörte daher auch an der Domschule zu der Konzeption der fortschrittlichen Pädagogen, die im 18. Jahrhundert die Entwicklung des Domgymnasiums voranbrachten. Aus Spenden früherer Absolventen begann 1799 der Aufbau einer Schülerbibliothek.

Auch in Halberstadt stand für die nach der Umbildung in ein brandenburgisches Fürstentum 1671 neu eingerichtete, nach kurzem jesuitischen Interim 1630/31 wieder protestantische Domschule kaum geeignete Schulliteratur zur Verfügung. Erst seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erlaubte die Verwaltung der Dombibliothek durch einen Lehrer der Domschule, die Bedürfnisse der Schule besonders zu berücksichtigen. 1785 kaufte das Domkapitel für die Schule eine Gelehrtenbibliothek insbesondere mit Werken der deutschen und französischen Literatur des 18. Jahrhunderts, einigen Neulateinern und historischen Titeln. In Halle hatte August Hermann Francke (1663-1727) 1695 eine Armen- und Bürgerschule errichtet. Für die im Waysen-Hause Studierenden des Pädagogiums (1695) und der Lateinschule (1697) wurde die zusammengetragene Büchersammlung im Jahre 1698 aufgestellt und 1708 als öffentliches Institut zugänglich gemacht. Sie bildete den Anfang des heute 96.000 Bände umfassenden historischen Bestandes der Franckeschen Stiftungen mit Werken insbesondere aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Für Lehrer und Schüler des 1712 gegründeten Gymnasium illustre Reformatorum erwarb die evangelisch-reformierte Gemeinde der Stadt Halle Anfang des Jahrhunderts zwei große Privatbibliotheken, u. a. mit einer großen Sammlung an Kirchenväter-Literatur sowie z. T. seltenen theologischen, historischen und philologischen Werken.

Mit der Neubelebung der nach dem Dreißigjährigen Krieg z. T. in Verfall geratenen Lateinschulen wurden auch die vorhandenen, mitunter vernachlässigten Büchersammlungen neu geordnet. Beispiele hierfür sind das Städtische Gymnasium Stendal (1593), die Lateinschule in Torgau (seit dem 14. Jahrhundert), das Lyzeum in Sangerhausen sowie das aus den beiden Lateinschulen von Alt- und Neustadt Salzwedel gebildete Gymnasium.

Im anhaltischen Köthen, wo Wolfgang Ratke (1571-1635) im Jahre 1618 mit dem Aufbau einer Schule nach seinen naturgemäßen Lehrmethoden begonnen hatte, kam die geplante Schulbibliothek zunächst nicht zustande. Erst 1756 erstand aus einer ehemaligen Klassenbibliothek der reformierten Stadtschule die Schulbibliothek für die Herzogliche Hauptbibliothek (gegr. 1674, später Ludwigs-Gymnasium), die von 1815 an noch eine Reihe wesentlicher Erweiterungen erfuhr. 1774 berief Fürst Leopold Friedrich Franz (*1740; reg. 1758-1817) den Hamburger Hauslehrer Johann Bernhard Basedow (1724-1790) nach Dessau, um dessen Unterrichtsmethoden in einer überkonfessionellen intereuropäischen Musterschule zu erproben. Dem Philanthropinum wurde auch eine Bibliothek angeschlossen. Nach den Erfahrungen der ersten Jahre gründete der Landesherr 1785 als erste öffentliche höhere Lehranstalt die Hauptschule zu Dessau, 1786 folgte eine höhere Töchterschule. Die Bibliothek des Philanthropinums wurde nach dessen Aufhebung 1793 an der Hauptschule aufgestellt und ging zusammen mit der Hauptschulbibliothek 1819 an die Herzogliche Behördenbibliothek Dessau. Die Bernburger Hauptschule (später Herzogliches Carls-Gymnasium) erhielt 1799 eine eigene Schulbibliothek.

Auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von August Hermann Francke und den Philanthropen beruhend, hat die Heranbildung befähigter Lehrer insbesondere an den Volksschulen in der Provinz Sachsen und dem Land Anhalt ebenfalls eine längere Tradition. In Franckes Seminaren ausgebildete Lehrer wirkten in deutschen Staaten wie auch im Ausland. Die für die Studierenden am Seminarium praeceptorum (1703) und am Seminarium praeceptorum selectum (1707) des Waisenhauses bestimmte Büchersammlung ist als Teil der Lehrerbibliothek an der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen erhalten. Die 1735 am Kloster Berge gegründete Ausbildungsstätte für Landlehrer wurde vermutlich mit dem 1783 an der Domschule Magdeburg errichteten Seminar vereinigt. Ein Landschullehrerseminar in Halberstadt (1778) hatte 1200 Bände für Lehrer, 500 für Schüler vorgesehen. In dem nach Aufhebung des Gymnasium illustre Augusteum (1664-1746) in Weißenfels eingerichteten Seminar für Kinderlehrer und Schulmeister stand von 1784 an auch eine Bibliothek für Schüler und Lehrer zur Verfügung, die nach der wechselvollen Geschichte der Nachfolgeeinrichtungen 1985 mit 17.630 Bestandseinheiten beziffert wurde. In Anhalt gab es ab 1779/80 Lehrerseminare in Köthen, ferner in Wörlitz/Dessau (1780-1854) sowie in Bernburg (1840-1878). Nach ihrer Vereinigung nahm die 1893 5800 Werke umfassende Bibliothek des Herzoglichen Landesseminars Köthen auch eine Anzahl Bücher aus Dessau auf.

Die pädagogisch-didaktischen Werke des 1797 bis 1825 im Franckeschen Sinne wirkenden Volksschullehrerseminars in Wernigerode gingen später an die Schulbibliothek des dortigen Fürst-Otto-Gymnasiums über. Die Bücherei im von 1824 bis ca. 1920/21 bestehenden Lehrerseminar Eisleben - ehemals einer Dependance des Hauptseminars Weißenfels - verfügte über einen größeren Bestand zur Geschichte der Volksschule im 18. Jahrhundert und zu verschiedenen, durch Volksschullehrer zu vermittelnden Wissensgebieten. Die meisten Werke, vor allem über die Mansfeldische Geschichte und Landeskunde, gelangten über den Altertumsverein (Verein für Geschichte und Altertümer; 1864) in die heutige Historische Bibliothek des Museums Eisleben.

Eine Reihe vorteilhafter Voraussetzungen begünstigten das Entstehen eines modernen akademischen Bildungsprogramms im seit 1680 zu Preußen gehörenden Halle. Dazu zählten der wirtschaftliche Auftrieb nach den Kriegsjahren, die verbreitete lutherische Konfession unter der von reformierten Territorialfürsten regierten Bevölkerung, aber auch die Ansiedlung vorakademischer Studienanstalten (z. B. der Ritterakademien, des Athenäum). Diese Faktoren sowie die Aufnahme der aus Leipzig vertriebenen Gelehrten Christian Thomasius (1655-1729) und August Hermann Francke führten zur Gründung einer neuen Universität in Halle im Jahre 1694. Dem raschen Aufschwung der alma mater während der ersten 40 Jahre ihres Bestehens vermochte die 1696 errichtete Universitätsbibliothek jedoch nicht zu folgen. Zwischen 1696 und 1709 waren ihr zunächst einzelne Schenkungen sowie Dubletten aus der Königlichen Bibliothek Berlin zugegangen. Ohne ausreichenden materiellen Anschub und klare Vorstellungen von ihrer Funktion und den Möglichkeiten, die Bibliothek für die Universität wirksam werden zu lassen, blieb die Universitätsbibliothek zunächst ohne Bedeutung. Das kaum spürbare Vorankommen veranlaßte Studierende und Professoren noch während des ganzen 18. Jahrhunderts, andere Bibliotheken der Stadt (Marienbibliothek, Bibliothek des Waisenhauses und - sofern zugänglich - die z. T. reichhaltigen privaten Büchersammlungen der Professoren und Gelehrten) in Anspruch zu nehmen. Entlastung für die Universitätsbibliothek boten auch die seit 1780 von dem Privatgelehrten Bispink in Halle eingerichtete, vornehmlich für die studierende Jugend gedachte Lesebibliothek sowie das Museum zur Beförderung der Lectüre periodischer Schriften, das der hallesche Professor Ludwig Heinrich von Jakob (1759-1824) in seinem Hause offen hielt.

Erstmals 1777 wurde die Universitätsbibliothek im Vorlesungsverzeichnis erwähnt. Sie stand noch während des ganzen 18. Jahrhunderts unter nebenamtlicher Leitung von Universitätsprofessoren. Von 1787 an erhielt sie vom preußischen Staat einen, wenn auch bescheidenen festen jährlichen Zuschuß. Die 1712 für Preußen angewiesene Abgabe von Pflichtexemplaren mußte ebenfalls mehrfach mit königlichen Reskripten bei Druckern und Verlagen angemahnt werden. Die Entwicklung zu einer modernen Gebrauchsbibliothek setzte mit dem Wirken von Friedrich August Wolf (1759-1824, im Amt 1802-1807) und dem hauptamtlichen Oberbibliothekar Otto Hartwig (1830-1903, im Amt 1876-1899) ein, die der Leistungsfähigkeit der Bibliothek ihre besondere Aufmerksamkeit widmeten. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts erfolgten Zugänge ganzer Bibliotheken oder Teilbestände von aufgehobenen Klöstern und Domkapiteln aus den Gebieten Magdeburgs und Halberstadts. Es kam zur Aufnahme der ehemals wettinischen Universitätsbibliothek Wittenberg und dem Erwerb weiterer Gelehrtenbibliotheken, so daß sich der Bestand bis 1844 auf fast 80.000 Bände belief.

Wissenschaftliche Forschungstätigkeit vollzog sich im 17. und 18. Jahrhundert noch außerhalb der Universitäten, unterstützt durch Privatpersonen, vereinzelt auch durch Sinekuren oder fürstliche Stipendien. Die seit 1617 zunächst in Weimar, ab 1629 in Köthen bestehende Vereinigung der Fruchtbringenden Gesellschaft zur Pflege und Reinhaltung der deutschen Sprache wie auch die 1652 gegründete private Sozietät Academia Naturae Curiosorum (später Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina) verfügten infolge der fehlenden Institutionalisierung zunächst nicht über Bibliotheken. 1731 wurde in Altdorf der Grundstock für die mit dem wechselnden Sitz der Präsidenten wandernde Bibliothek der später in Halle ansässigen Leopoldina gestiftet.

Die ohnehin geringe Anzahl öffentlicher Bibliotheken im 17. und 18. Jahrhundert vermochte Studierenden noch eine Unterstützung zu bieten, hatte für selbständige wissenschaftliche Tätigkeit jedoch nur begrenzten Stellenwert. Unverzichtbares Rüstzeug der Gelehrten bildeten seit der Frühaufklärung die aus selbständiger Sammlung relevanter Werke erwachsenen, umfangreichen Privatbibliotheken, auch wenn sie sich infolge des verringerten Buchmarktangebots in Deutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg zunächst bescheidener ausnahmen als die von ausländischen Fachkollegen. Der rasche wissenschaftliche Aufstieg an der jungen Universität Halle im frühen 18. Jahrhundert wird nicht zuletzt der Verfügbarkeit von reichhaltigen Bibliotheken ihrer Professoren zugeschrieben. Dazu zählten der 1696 bei der Gründung überwiesene Büchernachlaß des Juristen Johann Georg Simon (1644-1696) und die Schenkung des Oberkurators und Ministers Daniel Ludolf Freiherr von Danckelmann (1648-1709); außerdem die im Rahmen der Wittenberger Bestände erworbene Ungarische Bibliothek von Georg Michaelis Cassai (1640-1725) und die Saxonica-Sammlung des Kriegsrates Johann August von Ponickau (1718-1802). Weitere Professorenbibliotheken gelangten erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts an die Universitätsbibliothek. Noch bis 150 Jahre nach Gründung der Bibliothek vertrauten Hallenser Professoren ihre z. T. umfangreichen Gelehrtenbibliotheken, darunter medizinische und juristische Büchersammlungen, der Marienbibliothek an, zumal diese Sonderaufstellungen ermöglichte.

Häufiger als die Universitätsbibliothek erhielt auch die Bibliothek des Waisenhauses Büchernachlässe nicht nur von Theologen, sondern auch von Juristen, Orientalisten, Slawisten wie Heinrich Milde (1676-1739) oder des Geologen und Mineralogen Christian Keferstein (1784-1866). Von den Gelehrtenbibliotheken, die der zweiten Universitätsbibliothek Wittenberg Leucorea zugeeignet wurden, verblieben für das neu zu gründende Predigerseminar in Wittenberg umfangreiche theologische und orientalistische Privatsammlungen, in der Folgezeit vermehrt durch Ankäufe weiterer Spezialsammlungen. Über den für eine weltliche Bibliothek ihrer Zeit umfassendsten Fundus privater Gelehrtenbibliotheken verfügte in Anhalt das Gymnasium illustre Anhaltinum, die Bibliothek der von 1582 bis 1798 in Zerbst bestehenden anhaltischen Landesuniversität. In die 1731 gegründete Bibliothek der Wissenschaftlichen Akademie Leopoldina in Halle gingen im 18. Jahrhundert insbesondere die Bibliotheken einer Reihe von Akademie- und Vizepräsidenten ein.

Außerhalb der Universitätsstädte hielt z. B. in Halberstadt Johann Ludwig Gleim (1719-1803) seine Literatursammlung von 12.000 Bänden offen, die auch für seinen Freundeskreis gedacht war und daher verschiedene Themenkreise umspannte. An der Zeitzer Stiftsbibliothek waren die 1671 erworbenen 5000 Drucke der Bibliothek des Gelehrten, Arztes und Philologen Thomas Reinesius (1587-1667) zugänglich sowie 3000 Bände aus dem Besitz des Rektors und langjährigen Stiftsbibliothekars Christian Benedikt Milke (1712-1788). Der Verbleib einer Reihe der zu ihrer Zeit bedeutendsten Gelehrtenbibliotheken, z. B. in Halle, ist unbekannt. Einige erhaltene, z. T. aufwendig hergestellte Auktionskataloge berichten über ihren Inhalt. Bedeutende wissenschaftliche Sammlungen wurden nach dem Tode ihrer Besitzer wahllos weitergegeben, verkauft oder anderweitig verstreut. Der Verlust dieser Privatbibliotheken, die im 18. Jahrhundert zum Ruf der halleschen Reformuniversität wesentlich beigetragen haben, bleibt nicht ohne Tragik.

Als Folge der wirtschaftlichen Schwächung der Städte und des Verlustes ihrer Selbständigkeit nach 1648 blieb die Zahl städtischer Bibliothekesneugründungen im 17. und 18. Jahrhundert gering, sofern sie nicht auf größere Vermächtnisse zurückgreifen konnten. Dies traf zu für Quedlinburg, wo Rechtsanwalt Johann Hübner (1662) seine Bücher dem Rat der Stadt vermachte, die die entstehende Ratsbibliothek in den folgenden 160 Jahren jedoch nur sporadisch vermehrte. Nach zeitweiliger Vereinigung mit der Stifts-, der St. Benedikti- und der Gymnasialbibliothek wurden die Bestände 1868 wieder in eigene Verwaltung übernommen und in den Folgejahren durch z. T. umfangreiche und reichhaltige Schenkungen erweitert.

In Halberstadt waren der Kirchenbibliothek der St. Martinikirche schon bald nach ihrer Gründung (1610) auch Bücher aus Beständen des Magistrats hinzugefügt worden, so daß mitunter von der Rattsbücherei bei der Martinikirche berichtet wurde. In Halle galt im 17. und 18. Jahrhundert die Marienkirche als die eigentliche, öffentlich zugängliche Stadtbibliothek, die vom Magistrat auch vielfältige Unterstützung erfuhr. Das wissenschaftliche Niveau der angebotenen, oftmals in Latein oder einer anderen Fremdsprache abgefaßten Bücher schloß jedoch breitere Schichten der Stadtbevölkerung von der Nutzung der Stadtbibliothek aus. Neben den wissenschaftlichen wurden daher allgemeinbildende öffentliche Bibliotheken erforderlich oder solche, die beiden Bedarfsebenen gleichzeitig entsprechen konnten. Erwähnt sei als Beispiel die Stadt Delitzsch (seit 1816 Teil der Provinz Sachsen), die anläßlich der 200. Wiederkehr des Reformationstages eine öffentliche Bibliothek ins Leben rief und in einem gedruckten Katalog 1000 Titel verschiedener Wissensgebiete bekanntmachte.

Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges bis zum Jahre 1800 hatte sich die Buchproduktion im Deutschen Reich verdreifacht, überdies vermehrt durch das Erscheinen von Zeitschriften, Tages- und Wochenzeitungen. Die vereinzelten Stadtbibliotheken vermochten die gestiegene Nachfrage eines breiteren bürgerlichen Lesepublikums nicht zu befriedigen. Seit den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts suchten daher Lesegesellschaften, Journalzirkel und kommerzielle Leihbüchereien die Unzulänglichkeiten der kommunalen Literaturversorgung zu überbrücken und mit z. T. privatwirtschaftlichen Mitteln auszugleichen. In fast jeder Provinzstadt Sachsen-Anhalts gab es im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts für die gebildeten Bürger, zumeist aus wohlhabenden Kreisen, eine oder mehrere Lesegesellschaften, z. B. in Magdeburg (seit 1785 und 1801), Calbe (seit 1786), Bernburg (um 1786 und seit 1797), Wittenberg (seit 1787) oder Halberstadt (seit 1768 und um 1788). Der Bibliothekskatalog der Mansfeldischen Lesegesellschaft in Eisleben (seit 1799) wies 1806 311 Titel nach; der historische Lesezirkel in Quedlinburg (1835-1895) brachte Ende des Jahrhunderts 700 Bände historischer und geographischer Werke in die Stadtbibliothek ein.

Im Sinne der Aufklärung erreichten die Lesegemeinschaften auch breitere Kreise, indem die Werke nach dem Umlauf zu unentgeltlicher Entleihung zur Verfügung standen und die Bildung volkstümlicher Büchereien für kleinere Gruppen, z. B. eine Kirchengemeinde oder das Personal einer Gutsherrschaft, ermöglichten. Mit den Unruhen der Franzosenkriege und den politischen Ereignissen Anfang des 19. Jahrhunderts gerieten diese Bestrebungen ins Stocken. Indessen kam dem Unterhaltungs- und Bildungsbedürfnis der Mehrheit der lesefähigen Bevölkerung die wachsende Zahl gewerblicher Leihbüchereien entgegen. Sie behaupteten sich mit ihrem Angebot an Belletristik, z. T. auch populärwissenschaftlichen Büchern, neben den eben erst entstehenden Volksbüchereien bis ins 20. Jahrhundert hinein, hinterließen jedoch kaum historische Bestände.

In dem seit 1570 vorübergehend vereinigten Anhalt entstanden mit der erneuten Teilung eine Reihe eigener Fürstenbibliotheken an den Residenzen der Linien Dessau, Bernburg, Köthen und Zerbst. Johann Georg I. (*1567; reg. 1589-1618), bis 1603 in Anhalt allein regierend, hatte nach dem Tode seines Vaters Joachim Ernst von Anhalt (*1536; reg. ab 1561 Anhalt-Zerbst, 1570-1586 Anhalt) in Dessau eine neue Bibliothek angelegt, die den Grundstock für die spätere Herzogliche Hofbibliothek bilden sollte. Leopold III. Friedrich Franz (*1740; reg. 1758-1817) besaß darüber hinaus für den persönlichen Gebrauch eine eigene Bibliothek in Wörlitz, die 1817 mit den übrigen privaten Büchersammlungen vereinigt wurde und ab 1820 einer begrenzten Öffentlichkeit zugänglich war.

Die wohl 1603 gegründete, ab 1609 in der Residenz Bernburg untergebrachte Bibliothek geht wahrscheinlich auf den ersten Fürsten der Bernburger Linie Christian I. (*1568; reg. 1603-1630) zurück. Ihr Ausbau stagnierte, als die Fürsten von Anhalt-Bernburg sich mit Friedrich Albrecht (*1735; reg. 1765-1796) von 1765 an ständig in Ballenstedt ansiedelten. Fürst Alexius Friedrich Christian (1767-1834) legte dort für die jüngere Linie Anhalt-Bernburg eine eigene Bibliothek an, deren Vermehrung insbesondere der in Ballenstedt geborenen Pauline Wilhelmine Christine, Fürstin zu Lippe-Detmold (*1769; reg. 1796-1820) und der Herzogin Friderike Karoline Juliane ( 1902), Regentin des Hauses Anhalt-Bernburg, ab 1834 zu verdanken ist.

Die Herzogliche Schloßbibliothek in Köthen ging vermutlich aus der schrittweisen Zusammenführung mehrerer Handbibliotheken hervor. Die noch Ende des 19. Jahrhunderts beschriebenen, zahlreich vorhandenen Erstdrucke der Wittenberger Reformatoren, italienischen Streitschriften aus der Zeit Papst Paul V. (1605-1621) sowie der alchemistischen und astrologischen Titel lassen darauf schließen, daß Köthener Fürsten spätestens im 16. Jahrhundert im Besitz von Büchersammlungen gewesen sind. Wesentlich zum Bestand beigetragen haben vermutlich Ludwig I. (*1579; reg. 1603-1650), Gründer der Linie Anhalt-Köthen und Initiator der Fruchtbringenden Gesellschaft, und der alchemistisch interessierte Fürst August zu Plötzkau (*1575; reg. 1611-1653). Der gelegentlich als Bibliotheksgründer benannte Fürst Leopold von Anhalt-Köthen (*1694; reg. 1715-1728) machte sich wahrscheinlich verdient, den vorhandenen Bestand zu ordnen und das aus kleineren Hausbibliotheken der Fürsten und ihrer Verwandten Zusammengetragene beträchtlich zu vermehren. Nach seinem Tode (ohne männliche Erben) verblieb die Bibliothek in Köthen und wurde seither durch Schenkungen von Privatpersonen erweitert. Johann Georg Meusel erwähnte um 1778 außerdem eine vollständige Sammlung von Deduktionen, die Anhaltischen Häuser betreffend.

Eine weitere Büchersammlung in Anhalt hatte um 1665 Fürst Friedrich (*1613; reg. 1635-1670) für die Nebenlinie Anhalt-Bernburg-Harzgerode in dem ihm zugefallenen Schloß Plötzkau angelegt. Nach dem Aussterben der Harzgeroder Linie 1709 kehrte die Witwe des letzten Fürsten Friedrich Wilhelm (*1643; reg. 1670-1709), Sophie Augusta von Nassau-Dillenburg, in ihre Heimat zurück und starb dort 1733, so daß vermutlich keine Erbschaft an Anhalt hinterlassen wurde. Kenntnisse fehlen auch über den Verbleib der 1710 und 1776 erwähnten Bibliothek in dem erst Ende des 17. Jahrhunderts errichteten Schloß Zerbst. Friedrich August (*1734; reg. 1752-1793; Bruder Katharinas II. von Rußland) hatte sein mit Kontributionen belastetes Land bereits 1758 verlassen. Mit seinem Tode in Luxemburg starb die Linie Anhalt-Zerbst aus. Das Schloß (später Anhaltisches Landesmuseum und Sitz des Anhaltischen Haus- und Staatsarchivs) wurde 1945 völlig zerstört.

Zur Ausprägung einer reicheren mitteldeutschen Hofkultur in den drei albertinischen Sekundogenituren Sachsen-Weißenfels (1656-1746), Sachsen-Merseburg (1657-1738) und Sachsen-Zeitz (1657-1718) gehörte die Errichtung herzoglicher Privat- und Schloßbibliotheken. Die Aktivitäten von Herzog August (reg. 1657-1680) u. a. als Vorsitzender der Fruchtbringenden Gesellschaft zwischen 1667 und 1680 und das Wirken von Schriftstellern, Komponisten und Lehrern des Gymnasium illustre Augusteum bestimmten das Profil der rasch anwachsenden Weißenfelser Schloßbibliothek, von der Kurfürst Friedrich August II. von Sachsen (*1695; reg. 1733-1763) bereits 1731 einen Teil an die Bibliotheca Paulina (später Universitätsbibliothek Leipzig) überweisen ließ. Auch an der zeitweiligen Residenz der Fürsten von Sachsen-Weißenfels in Sangerhausen (Schloßbau 1616-1622), wo u. a. Herzog Christian (reg. 1712-1736) wohnte und starb, war eine Schloßbibliothek angelegt worden.

Die theologischen, historischen und regionalkundlichen Werke in der 1668 von Christian I. (*1615; reg. 1657-1691) gegründeten Bibliothek der kursächsischen Herzöge zu Sachsen-Merseburg (1657-1738) standen auch den Bürgern der Stadt zur Verfügung. Nach dem Tod des letzten Herzogs Heinrich ( 1738) gelangten die Bestände in die 1816 gebildete Königliche Regierungs-, später Provinzialbibliothek Merseburg. Während der erste Herzog von Sachsen-Zeitz, Moritz (reg. 1657-1681) mit Ankäufen und der Bereitstellung eines ständigen Bibliotheksfonds vor allem die Stiftsbibliothek in Zeitz gefördert hatte, soll sein Nachfolger Moritz-Wilhelm (reg. 1681-1718) bereits über eine auserlesene Handbibliothek insbesondere theologischer, historischer und genealogischer Werke in mehreren Sprachen verfügt haben.

Von einer Fürstlichen oder Schloßbibliothek in Quedlinburg wurde bis ins 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Stiftsbibliothek gesprochen. Letztere hatte Anna Dorothea, Äbtissin des Kaiserlich Freien Weltlichen Stifts Quedlinburg und Herzogin von Sachsen-Weimar (*1657; reg. 1685-1704) im Jahre 1686 für die Bediensteten des Stifts sowie Studierende angelegt. Dafür übergab sie ihre eigene Privatbibliothek, regte Schenkungen benachbarter Fürsten und bekannter Gelehrter an und bezog Bücher der St. Servatiuskirche sowie Handschriften des Klosters St. Wiperti ein. Alte Drucke und Handschriften, die während des Westfälischen Regimes aus der ab Mitte des 18. Jahrhunderts vernachlässigten Stiftsbibliothek geraubt worden waren, konnten erst unter König Friedrich Wilhelm III. von Preußen (*1770; reg. 1797-1840) zurückgeführt werden. 1832 ging die Bibliothek zusammen mit Beständen der St. Benediktikirche an das Gymnasium über. Die Stolberg-Wernigerödersche Bibliothek hatte Graf Christian Ernst (1700-1771) wieder ins Schloß zurückgeholt. Er nahm persönlich Einfluß auf Ermittlung, planmäßige Erwerbstätigkeit und Erschließung, wobei neben politischen und staatsrechtlichen Interessen vor allem religiöse und kirchengeschichtliche Schriften Beachtung fanden. Als Förderer des Pietismus veranlaßte er die Herausgabe von acht Auflagen der Wernigeröder Bibel sowie 12 Editionen des Wernigeröder Gesangbuches. Er brachte während seiner Regentschaft 2000 Bibeln und 1500 evangelische Gesangbücher in den Bestand ein. Seine erste Benutzungsordnung von 1746 erklärte die Bibliothek für öffentlich. Seine Nachfolger, zumeist von wissenschaftlich ausgewiesenen Bibliothekaren unterstützt, orientierten sich bei dem Ausbau der Bibliothek bis ins 20. Jahrhundert nach den von Christian Ernst aufgestellten Grundsätzen.

Nach der Teilung des Hauses Stolberg im Jahre 1645 in die Grafschaften Stolberg-Wernigerode und Stolberg-Stolberg sowie der Gründung der Nebenlinie Stolberg-Roßla 1706 sind mit dem Gründungsjahr 1707 zwei weitere gräfliche Bibliotheken nachgewiesen. Die Stolberg-Stolbergische Bibliothek umfaßte 1929 ca. 20.000 Bände. Als wichtigster Bestandteil kam die von der Gräfin Sophie Eleonore zu Stolberg-Stolberg (1669-1745) zusammengetragene sogenannte Funeralien-Sammlung mit 40.000 Stücken hinzu. 1744 übereignete die Besitzerin ihren gesamten Fundus an Büchern und Leichenpredigten nebst Zubehör der Schloßbibliothek zu Stolberg. Nach Weitergabe von Dubletten an die Bibliotheken in Roßla, Wernigerode und an weitere 11 öffentliche Bibliotheken der Provinz Sachsen wurde der verbleibende, mehr als 20.000 Stücke umfassende Bestand an Leichenpredigten ab 1926 in einem fünfbändigen gedruckten Katalog (Leipzig 1927-1935) erfaßt. Die Gräflich-Stolbergische Hausbibliothek Roßla war bis 1929 auf ca. 24.000 Bände sowie 50 Handschriften angewachsen. Neben Leichenpredigten aus eigener Sammeltätigkeit und Dublettenzugang gehörten historische Flugschriften des 17. Jahrhunderts zum Bestand, außerdem die 1880 übernommene Gräfliche Bibliothek von Ortenberg/Hessen (ca. 3000 Bände). Ein älterer gedruckter Katalog erschließt jedoch nur den theologischen Bestand.

Für die Wahrnehmung von Regierungsgeschäften und Verwaltungsaufgaben gab es neben Fürsten- und Hofbibliotheken gesonderte Behördenbibliotheken. Zu den ältesten gehört vermutlich die Bibliotheque auf der Königlichen Stiffts-Hauptmannei Quedlinburg, einer juristisch-fiskalischen Aufsichtsbehörde, die mit den Werken aller juristischen Autoritäten ihrer Zeit ausgestattet gewesen sein soll. Wohl in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden in Halberstadt die Bibliotheca illustrissimi Regiminis sowie die Bibliothek der Magdeburger Kammer (ab 1817 Königliche Regierungsbibliotheken).

Auf die Existenz einer gesonderten juristischen Büchersammlung der Regierung Anhalt-Zerbst etwa Anfang des 18. Jahrhunderts läßt das Auffinden pergamentgebundener, mit Besitzvermerken versehener Werke schließen, die im 19. Jahrhundert über das Oberlandesgericht in die Herzogliche Behördenbibliothek Dessau gelangt waren. In Halle fand die Handbibliothek des Schöppenstuhls wegen ihres Bestandes an Werken älterer spanischer und italienischer Juristen die besondere Aufmerksamkeit zeitgenössischer Berichterstatter. Seit 1772 verfügte auch das dortige Oberbergamt über eine eigene Bibliothek, die Ende des 19. Jahrhunderts bereits über 16.000 Bände und 535 Handschriften naturwissenschaftlichen, technischen, staats- und rechtswissenschaftlichen Inhalts umfaßte.

Bibliotheken im 19. Jahrhundert

Besonders folgenreiche Faktoren für die Bibliotheksentwicklung des Landes Sachsen-Anhalt im 19. Jahrhundert waren die Einführung der allgemeinen Schulpflicht und die zunehmende Spezialisierung der Wissenschaften, aber auch die Industrialisierung mit der Bildung großer und mittlerer Produktionsbetriebe. In sozialer Hinsicht war diese Entwicklung mit dem Übergang der wirtschaftlichen Macht an das Bürgertum verbunden, der Herausbildung einer eigenständigen Klasse von Lohnarbeitern und dem Anwachsen der städtischen Bevölkerung. Einen nachhaltigen Eingriff in den ältesten Teil der Bibliothekslandschaft bedeutete zu Beginn des Jahrhunderts der Reichsdeputationshauptschluß (1803). Er veranlaßte die Enteignung von 12 Klöstern und Stiften, 6 Domkapiteln sowie die Aufhebung reichsunmittelbarer Herrschaften und Städte, z. B. Quedlinburgs. Wertvolles Bibliotheks- und Archivgut aus geistlichem Besitz wurde nach Weisung der westfälischen Regierung 1810 konfisziert und einem Depot an der Universitätsbibliothek Göttingen zugeführt. Als eine der wenigen Ausnahmen blieb das Privateigentum der Gräflich Stolbergischen Sammlung in Stolberg und Wernigerode anerkannt und ihren Besitzern überlassen. Unangetastet blieben die Grundstrukturen von Staat und Gesellschaft im mitteldeutschen Raum u. a. für Anhalt, wo mit dem Aussterben zunächst der Zerbster Dynastie (1793), später der Linien Köthen (1847) und Bernburg (1863) aus deren Besitz nach konventioneller Erbfolge die Haupt- und Landesbibliothek Bernburg und weitere Bibliothekseinrichtungen an Anhalt-Dessau fielen. Im Vereinigten Fürstentum Anhalt unter Leopold IV. Friedrich (*1794; reg. 1817-1871) bildeten sie den Grundstock für die spätere Dessauer Behördenbibliothek (1876/78).

Die Städte der 1815 neu gebildeten preußischen Provinz Sachsen und Anhalts hatten durch die Steinsche Reform mehr Selbständigkeit erlangt, jedoch zumeist nicht die wirtschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen, um auch das Bibliothekswesen in ihre Zuständigkeit zu übernehmen. So gab der Magistrat von Halberstadt 1827 seine Absicht auf, aus Bibliotheken der säkularisierten Klöster, auch unter Hinzunahme von Dom- und Domgymnasialbibliothek eine allgemeine öffentliche Stadtbibliothek zu gründen. Auch die Errichtung und Ausstattung einer ersten Lesebibliothek für die Stadt Köthen geht auf die private Initiative eines Pfarrers, des späteren Herzoglichen Bibliothekars Friedrich Hartmann (1827) zurück.

Die in den dreißiger und vierziger Jahren durch Bevölkerungszuwachs und Industrialisierung in Sachsen-Anhalt noch kaum geforderten Kommunen überließen die Belange der Kulturpflege weitgehend privater Initiative, bürgerlichen Mäzenaten und Vereinen. Religiöse, weltanschaulich-politische und sozialpädagogische Organisationen, die sich vor allem um die Bildung des entstehenden vierten Standes bemühten, gründeten zumeist sehr kleine, oftmals zufällig zusammengebrachte und unzureichend ausgestattete Volksbüchereien, die jedoch kaum breiteren bleibenden Zuspruch fanden. Als eine der frühesten kommunalen Einrichtungen Anhalts entstand 1844 eine Lesebibliothek im wirtschaftlich aufsteigenden Roßlau bei Zerbst. 1849 folgte eine Stadtbibliothek in Barby an der Elbe.

Trotz des beginnenden wirtschaftlichen Aufschwungs in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts blieben auch die gelehrten Stadtbibliotheken sich selbst überlassen. Entscheidende Förderung erfuhr z. B. die seit vier bis fünf Jahrhunderten vorhandene Rats- oder Stadtbibliothek Naumburg im Jahre 1853 mit der Erbschaft Lepsius. Sie enthielt ca. 400 Bände Naumburgica aus dem Besitz des Landrats und Lokalhistorikers Karl Peter Lepsius (1775-1853), ergänzt durch Bücher- und Geldzuwendungen seiner Söhne Prof. Dr. Richard (1810-1884) und Karl Martin Gustav Lepsius (1887). Die sogenannte Bindseil'sche Bibliothek (jetzt Stadtbibliothek; gegr. 1854) in Eisleben erwuchs aus dem Vermächtnis von Büchersammlung und Kapital des Kaufmanns August Bindseil.

Die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstandenen öffentlichen Bibliotheken, z. B. in Coswig (1862), Wittenberg (1872), Sangerhausen (1876), Bernburg (öffentliche Lesehalle 1894), Querfurt (1895), Delitzsch (1896), Dessau (1898), Weißenfels, Aschersleben und Neuhaldensleben (alle 1900) hatten sämtlich den Charakter von Volksbibliotheken. Grundstock für die Stadtbibliothek Dessau bildete z. B. der Erwerb einer Leihbücherei. Stadtbibliotheken, die von gemeinnützigen Vereinen errichtet worden waren, wie Halle (1874), Merseburg (1887), Salzwedel (1896), Bitterfeld (1899), Köthen (1902), Staßfurt (1908), Calbe/Saale (1911) und Stendal blieben bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in deren Obhut, ehe sie von den Stadtverwaltungen übernommen werden konnten. Dies erfolgte u. a. in Bitterfeld und Halle 1924, in Merseburg 1933, in Stendal 1935 sowie nach 1935 in Salzwedel. Finanziell zumeist unzureichend ausgestattet, wurden die Bibliotheken bis in die vierziger Jahre oftmals nur nebenamtlich geleitet.

Mit der Reformgesetzgebung zum Bildungswesen zog der preußische Staat im 19. Jahrhundert die Initiativen zur Erneuerung des Schul- und Hochschulwesens an sich. Neue, auch die benachbarten Territorien beeinflussende Regelungen betrafen die allgemeine Schulpflicht, die Organisation des staatlichen Volksschulwesens und die Neuorganisation der gymnasialen Bildung. Neue Schultypen für den Oberstufenunterricht bereicherten zugleich das Spektrum der herkömmlichen Schulbibliotheken. Neben den bisherigen privaten, kirchlichen und städtischen Bildungseinrichtungen entstanden Gymnasien in staatlicher Trägerschaft. Dem Ausbildungsbedarf für Berufe in Industrie und Verwaltung in Staat und Wirtschaft wurde mit der Gründung von Realschulen und gewerblich-technischen Fachschulen entsprochen; die Schaffung der lateinlosen Oberrealschule und des auch moderne Fremdsprachen vermittelnden Realgymnasiums diente der Vorbereitung des Studiums an den neuen technischen Ausbildungsstätten. In Anlehnung an die Oberrealschulen entwickelten sich höhere Mädchenschulen. Zunehmend verfügten auch mittlere Städte in Sachsen-Anhalt über ein breiteres Angebot höherer Bildungsstätten, die teilweise mit beachtlichen Bibliotheksbeständen ausgestattet wurden.

Die ohne Einschränkung weiterbestehenden traditionsreichen Gymnasien erfuhren bedeutende Erweiterungen ihrer Bibliotheken z. B. aus den säkularisierten Bibliotheken der ehemaligen Domkapitel wie an den Domgymnasien Halberstadt, Magdeburg und der Stiftsschule Merseburg. Ältere historische Bestände bereicherten u. a. die Bibliothek des Gymnasium Francisceum Zerbst (1803) aus dem Fundus des 1798 aufgehobenen Gymnasium illustre und die Bibliothek des Domgymnasiums Naumburg (1802) durch die Schenkungen der Domherren Ernst Ludwig Wilhelm von Dachröden (1806) und Wilhelm Friedrich von Berlepsch (1807). Die Städtische Gymnasialbibliothek Wittenberg (ehemals Lyzeum, 1817) wurde mit philologischen Teilbeständen der Universitätsbibliothek Wittenberg angereichert. In die 1821 erneut angelegte Gymnasialbibliothek Eisleben gingen die Bibliotheken des Bergrats K. F. Ludwig Plümicke (1791-1866), des Oberkommissärs Hancke (1743) sowie weitere Schenkungen ein. Das Gymnasium Seehausen/Altmark (1863) erhielt die 1000 Nummern umfassende Bibliothek des Magdeburger Provinzialschulrats G. Heiland (1869). Auch die Bibliothek der Oberrealschule Halberstadt konnte bei ihrer Gründung 1841 auf den ansehnlichen Bestand der vorangegangenen Provinzialgewerbeschule zurückgreifen.

Wegen der ungleichmäßigen Bibliotheksverteilung an den höheren Lehranstalten und der z. T. geringen Eignung der Bestände für den aktuellen Schulbetrieb förderte das preußische Unterrichtsministerium in den zwanziger und dreißiger Jahren die Schaffung von Lehrerbibliotheken als einen Teil der Schulorganisation. Deren Existenz, gesicherte Unterhaltung und Qualität für Unterrichtsaufgaben und wissenschaftliche Arbeit der Lehrer bildeten wiederholt auch ein Kriterium für die Genehmigung von Schulneugründungen. Der Bestandsumfang solcher Lehrerbibliotheken erreichte in Einzelfällen den von Universitätseinrichtungen, z. B. an der 1698 gegründeten Lateinischen Hauptschule Latina in Halle. Die von Stadtverwaltungen beabsichtigte Zusammenlegung von Lehrerbibliotheken ist nur aus Magdeburg bekannt, wo der Magistrat 1822 an der Stadtschule eine in der Folgezeit reichlich vermehrte Bibliothek gegründet hatte. 1908 ging die Magdeburger Lehrerbibliothek an die Stadtbibliothek über. Auch umfangreiche Schülerbibliotheken waren an den seit Ende des 18. und im 19. Jahrhundert gegründeten Bildungseinrichtungen zu finden, u. a. an den höheren Schulen in Anhalt (Dessau, Zerbst, Köthen), in Burg, am Domgymnasium Naumburg (1832-1949; 750 Bände erhalten), an den Franckeschen Stiftungen Halle oder in Magdeburg.

Die zentralstaatlichen Interessen Preußens bestimmten auch die hochschulpolitischen Entscheidungen. Die Universität Erfurt (seit 1392) wurde aufgehoben, die alte sächsische Universität Wittenberg mit der halleschen zur Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg mit Sitz in Halle zusammengeschlossen. Das anhaltische Gymnasium illustre in Zerbst war bereits 1798 aufgehoben worden. Die hallesche Alma mater verblieb als einzige Provinzialuniversität in Sachsen-Anhalt. Mit den Bestandsübernahmen aus Wittenberg, von säkularisierten Domkapiteln und Klöstern sowie der schrittweisen Anhebung des Erwerbungsetats konnte die Universitätsbibliothek Halle ihre Konkurrenzbibliotheken am Ort von Anfang des 19. Jhs an deutlich überflügeln.

Wilhelm von Humboldts (1767-1835) Universitätskonzeption sah vor, die Forschung als gleichwertigen Arbeitsauftrag in den Universitätsbetrieb zu integrieren. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte eine Differenzierung der zuvor in den vier traditionellen Fakultäten zusammengefaßten Lehr- und Arbeitsgebiete der Universitäten ein. Die Bildungs- und Informationsbedürfnisse begannen sich durch die in Sachsen-Anhalt ab Mitte des Jahrhunderts verstärkte Industrieentwicklung zu erweitern. Als neue Bibliotheksgattung entstanden Spezialbibliotheken verschiedenen Charakters und unterschiedlicher Trägerschaften. Die Anfänge von vier der im Handbuch vorgestellten Zweigbibliotheken der Universitäts- und Landesbibliothek Halle reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück; zwei weitere entstanden in der ersten Hälfte, sieben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hinzu kamen Bibliotheksgründungen an vier medizinischen Kliniken und Instituten. Ihren Grundstock oder entscheidende Bereicherungen verdankten die Seminar- und Institutsbibliotheken vielfach den Nachlässen von Professoren mit zunehmend spezialisierten Privatbibliotheken.

Außerhalb der Universität entwickelte sich als bedeutendste und umfassendste theologische Spezialbibliothek von 1817 an die Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars Wittenberg. Als Grundbestand dienten die aus der Universität Wittenberg zugewiesenen theologischen und philologischen Teile, welche 1816 am Ort verblieben oder später aus Halle zurückgeführt worden waren. Bei der Gründung der Eislebener Bergschule im Jahre 1798 wurde auch eine Bibliothek angelegt und mit Literatur aller für den Bergbau wichtigen Wissensgebiete ausgestattet. Als wichtigstes Erbe erhielt sie ca. 840 Bücher zu Bergbau, Hüttenwesen und Grundlagenwissenschaften sowie die für die Schulgeschichte relevanten Privatakten aus dem Besitz des Bergschullehrers Dr. K. F. Ludwig Plümicke (1791-1866).

Mit Ausbildungsbeginn im Jahre 1891 stand auch an der Academie zu Cöthen für Handel, Landwirtschaft und Industrie, ab 1893/94 eine rein technische Lehranstalt, eine Bibliothek zur Verfügung. Die technisch-wissenschaftliche Bibliothek dieser einzigen, neben dem Polytechnikum in Mittweida noch vor dem Ersten Weltkrieg in ein Technikum umgewandelten Lehranstalt Deutschlands, verzeichnete damals bereits einen Jahreszuwachs von ca. 500 Bänden und sammelte u. a. sämtliche deutsche Patentschriften. Als weitere gewerblich-technische Fachschulbibliotheken entstanden in Magdeburg 1891 die Bibliothek der späteren Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik sowie 1892 die der Fachschule für Wasserwirtschaft. Nachgewiesen sind Bibliotheksgründungen am Ende des 19. Jahrhunderts ferner an einigen selbständigen Forschungseinrichtungen wie dem Institut für Formgebung auf Burg Giebichenstein Halle (1882), dem Institut für Getreideforschung Bernburg-Hadmersleben (1885) und dem Forschungsinstitut für Geflügelwirtschaft Merbitz in Nauendorf bei Halle (1901).

Gesellschaften und Vereine allgemeinen und speziellen fachlichen Profils, die die Förderung der Forschung, Verbreitung ihrer Ergebnisse und die Fortbildung ihrer Mitglieder aus der Praxis zum Ziel hatten, traten verstärkt seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts auch als Gründer von Fachbibliotheken auf. Dies geschah insbesondere in den Städten außerhalb des Universitätsstandortes, in der Provinz Sachsen z. B. in Eilenburg, Eisleben, Halberstadt und Zeitz (je eine Vereinsbibliothek), Halle (7), Magdeburg (5), Salzwedel (2). Spezielle Literatursammlungen entstanden vor allem auf den Gebieten der Volksbildung, der territorialen Geschichte und Altertumskunde, der Stenographie, Naturwissenschaften, Medizin, Landwirtschaft, des Gartenbaus, der modernen Literatur, aber auch der Freimaurerei.

Zu den frühesten Büchersammlungen gehört die Bibliothek des Thüringisch-Sächsischen Vereins für Erforschung des vaterländischen Altertums und Erhaltung seiner Denkmale, die auf Initiative von Karl Peter Lepsius 1819 angelegt worden war. 1892 wurde sie mit 5000 Bänden an die Universitätsbibliothek Halle übergeben. In den Folgejahren entstanden zahlreiche Bibliotheken, u. a. des Naturwissenschaftlichen Vereins des Harzes (1831; um 1875 ca. 1000 Bände), der Hallenser Naturforschenden Gesellschaft (1834; um 1875 ca. 5400 Bände), des Altmärkischen Vereins für Vaterländische Geschichte zu Salzwedel (1836; 1929 ca. 4000 Bände) und der Polytechnischen Gesellschaft Halle (1839; 1875 ca. 2000 Bände). 1850 fand die Fachbibliothek der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (1845) ihren ständigen Sitz wieder in Halle (1893; 20.000 Bände). Die nach der Vereinsgründung im anhaltischen Alexisbad 1856 begonnene Bibliothek des Vereins Deutscher Ingenieure ging, abgelöst durch eine Nachfolgegründung von 1906 in Berlin, 1922 an die Anhaltische Landesbücherei in Dessau über.

Fachbuchbestände wurden zunehmend zur wissenschaftlichen Orientierung gebraucht, zur technologischen Vorbereitung und wirtschaftlichen Leitung, zugleich aber auch für die Fortbildung breiterer Kreise von Beschäftigten der seit den dreißiger Jahren in größerer Zahl entstehenden Produktionsbetriebe. Die von den Unternehmen getragenen Werksbüchereien und öffentlichen Lesehallen (z. B. Kruppsche Lesehalle des Krupp-Grusonwerks Magdeburg, 1905; Werksbücherei der Agfa-Farbenfabrik Wolfen, 1900) boten überdies die Möglichkeit, auf die Bildungsbedürfnisse der zahlreichen Leser aus den Betrieben und ihrer Familien Einfluß zu nehmen.

Graf Henrich von Stolberg-Wernigerode (1772-1854) organisierte und finanzierte 1815 als einer der frühesten Unternehmer in Ilsenburg die Forstbibliothek, einen Lesezirkel zur Weiterbildung aller im Forst- und Jagdwesen Tätigen (1875: ca. 600-700 Bände), ab 1820 auch die Hüttenbibliothek (1875: ca. 700-800 Bände). In Eisleben entstand ab Herbst 1861 die Wissenschaftliche Bibliothek für Bergbau und Hüttenwesen an der Mansfeld AG. In der 1855 gegründeten maschinentechnischen Fabrik von Hermann Gruson Magdeburg (ab 1893 mit Krupp vereinigt zum Krupp-Gruson-Werk) wurde ab 1875 eine Fachbibliothek aufgebaut. Anfänge der pharmazeutischen Spezialbibliothek Fahlberg-List in Magdeburg stammen spätestens aus dem Jahre 1886. Am Sitz der von Wilhelm Oechelhäuser 1856 gegründeten Continental-Gasgesellschaft in Dessau legte Hugo Junkers (1859-1935) von 1890 an eine umfangreiche Spezialbibliothek an. Sie informierte über Gasmotoren- und -apparateherstellung und über Flugzeugkonstruktion in den späteren Junkers-Flugzeugwerken.

Während Volksbildungsvereine mit ihren Büchersammlungen die öffentlichen (Volks-)Bibliotheken ins Leben riefen, stellten die an zahlreichen Orten entstandenen regionalkundlichen Vereine (zumeist zu Geschichte und Altertumsforschung, außerdem für Naturkunde oder Kunstgeschichte) die angelegten Fachbibliotheken oftmals bei den von ihnen ins Leben gerufenen Schausammlungen auf. So war 1864 die Anlage der Eislebener Museumsbibliothek (heute Historische Bibliothek Eisleben) mit der Gründung des Vereins für Geschichte und Altertümer der Grafschaft Mansfeld verbunden. Die Bibliothek des Museums für Naturkunde Magdeburg geht auf den 1875 erstmals ausstellenden Naturwissenschaftlichen Verein zurück, die des Museums Schloß Bernburg (ab 1893 städtisch) auf den Bernburger Geschichts- und Altertumsverein (gegr. 1886). Die Bibliothek am Museum Schloß Moritzburg Zeitz (seit 1878) basiert auf dem 1897 als Bücherei des Geschichts- und Altertumsvereins Zeitz und Umgebung aufgestellten Handbestand des Museums. Die Bibliothek des Genthiner Museums (seit 1886) stammt vom Verein der Altertumsfreunde für das Jerichower Land, die des Burger Museums (seit 1891) aus der Sammlung des Heimat- und Altertumsvereins im Kreis Jerichow I, und die ab 1893 nachweisbare Bibliothek des jetzigen Kulturhistorischen Museums Magdeburg aus dem seit 1860 ausstellenden Kunstgewerbeverein.

Dem 1882 gegründeten Landesmuseum für Vorgeschichte Halle waren 1884 als Grundstock archäologische Buchbestände des Thüringisch-Sächsischen Geschichtsvereins überlassen worden. Im heutigen Spengler-Museum Sangerhausen sind seit 1952 die Bibliotheken des 1873 gegründeten Altertumsvereins und die heimatkundliche Privatbibliothek von Gustav Adolf Spengler (1869-1961) räumlich vereinigt. Auf Büchersammlungen einzelner Mitglieder des Altmärkischen Museumsvereins basiert auch der Buchbestand am Altmärkischen Museum Stendal (ab 1888). Die vogelkundlichen Spezialbibliotheken des heutigen Naumann-Museums Köthen und des Heineanums Halberstadt gingen aus den Privatbibliotheken von Johann Andreas (1744-1826) und Sohn Johann Friedrich Naumann (1780-1857) sowie von Ferdinand Heine (1809-1894) hervor. Frühzeitig mit Bibliotheken verbunden waren die städtischen Museumsgründungen z. B. des heutigen Stadt- und Kreismuseums Bitterfeld (1892) und des ehemaligen Museums für Kunst- und Kulturgeschichte, jetzt Staatliche Galerie Moritzburg in Halle (seit 1885).

Vom 19. Jahrhundert datieren die ersten der z. T. umfangreichen Bibliotheken in den Personengedenkstätten Sachsen-Anhalts. Die älteste Museumsbibliothek in Halberstadt ist die von dem Domsekretär Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) zusammengetragene Bibliothek in dem 1862 von der Familie eröffneten Gleimhaus. Sie wurde später ergänzt durch die von Oberdomprediger Christian Friedrich Bernhard Augustin (1771-1856) gesammelten Halberstadensien. In Quedlinburg kaufte der dortige Klopstockverein 1872 für die Aufstellung der 326 Bände umfassenden Klopstockbibliothek das Geburtshaus des Dichters (1724-1803), wo die Stadt 1899 ein literarisch-biographisches Museum mit Gesamt- und Einzelausgaben, Erstdrucken, verschiedenen Rara, Handschriften und anderem eröffnete. Die Ausstellung fand ihre Ergänzung mit der bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts begründeten, bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts planmäßig erweiterten Sammlung von z. T. eigenhändig korrigierten Druckausgaben, von Handschriften und Briefen Klopstocks (Pforta-Schüler zwischen 1739 und 1743) in der Bibliothek der Landesschule Pforta Bad Kösen-Schulpforte. In der 1883 eröffneten Lutherhalle Wittenberg wurden 1880 5000 Originaldrucke der Reformatoren und ca. 2000 anonyme Flugschriften aufgestellt, die Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (*1795; reg. 1840-1861) 1860 aus dem Besitz von Christian Friedrich Bernhard Augustin, Halberstadt, für das Lutherhaus aufgekauft hatte. Ankäufe weiterer wertvoller Einzelausgaben und Sammlungen, Nachlaßübernahmen und Geschenke im 19. und 20. Jahrhundert haben den Bestand an historischen Titeln nahezu verdoppelt.

Die Verwaltungsbehörden der 1815/16 neu gebildeten preußischen Provinz Sachsen wurden auf mehrere große Städte verteilt. Die Königliche Regierungsbibliothek Merseburg (1816; ab 1876 Bibliothek der Provinzialverwaltung Merseburg) nahm mit Ausnahme der Juridica die Buchbestände der Stiftsregierungen Merseburg und Zeitz auf. Die Königliche Regierungsbibliothek Magdeburg (1817) umfaßte die Werke aus den seit dem 17. Jahrhundert bestehenden Regierungsbibliotheken Magdeburg und Halberstadt. Am Evangelischen Konsistorium der überwiegend von einer lutherischen Bevölkerung gebildeten Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg gab es von 1816 bis 1845 eine gemeinsame Büchersammlung für Kirchenbehörde und Provinzialschulkollegium. In die Bibliothek des Oberlandesgerichts in Naumburg, das für die neuerworbenen sächsischen Landesteile eingerichtet worden war, ging 1863 der größte Teil der halleschen Schöppenstuhlbibliothek ein. Später kamen die Bibliotheken der Oberlandesgerichte Halberstadt und Magdeburg hinzu, so daß diese Bibliothek bis 1893 auf ca. 10.150 Bände staats- und rechtswissenschaftlichen Inhalts, insbesondere des preußischen Rechts, anwuchs.

In dem nach Absterben der Köthener (1847) und der Bernburger Linien (1863) vereinigten Land Anhalt wurde 1877 die Bernburger Regierungsbibliothek (Haupt- oder Landesbibliothek) nach Dessau überführt. Sie wurde mit verschiedenen Bibliotheken von Bernburger, Zerbster und Dessauer Behörden einschließlich älterer Bestände der Landesgerichte zur Herzoglichen Behördenbibliothek Dessau vereinigt. Nach dem Inkrafttreten eines einheitlichen Gerichtsverfassungsgesetzes im Deutschen Reich nach 1879 gab es, zumeist aus Buchbeständen vormaliger Kreisgerichte gebildet, Bibliotheken an den neuen Landgerichten in Dessau, Halberstadt, Halle, Magdeburg, Naumburg und Stendal. Eine Fachbibliothek mit allgemeinen Darstellungen, Quellenwerken und statistischen Veröffentlichungen ab 1886 entstand mit der Errichtung des Statistischen Amtes 1885 in der Provinzialhauptstadt Magdeburg.

Mit Stadtarchiven wurden von Beginn des 19. Jahrhunderts an Bibliotheken angelegt, z. B. in Salzwedel, Weißenfels (1813), Köthen, Naumburg (1853/54), Quedlinburg und Oschersleben (um 1900). In Magdeburg entstand 1823 mit Gründung des Provinzialarchivs für die preußische Provinz Sachsen auch die Bibliothek des jetzigen Landeshauptarchivs. Das nach der politischen Vereinigung der anhaltischen Kleinstaaten 1872 gebildete Anhaltische Haus- und Staatsarchiv im Zerbster Barockschloß erhielt zugleich eine Amtsbücherei.

Der innere und äußere Verfall der Kirchenverfassung seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte zur Folge, daß zahlreiche, über mehr als zwei Jahrhunderte aufmerksam gepflegte Kirchenbibliotheken seit dem ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert stagnierten oder gänzlich aufgelöst wurden. Der entstandene Aktualitätsrückstand ließ sich nach 30 bis 40 Jahren nicht mehr aufholen. Die Kirchenbibliothek St. Nikolai in Gardelegen verkaufte 1858 ihre kleine Musikaliensammlung an die Königliche Bibliothek Berlin. Nur wenige ältere Bibliotheken ließen sich mit verbliebenen Stiftungszinsen bis ins 19. Jahrhundert ergänzen, z. B. die Bibliothek der Schönbeckschen Stiftung an der Marienbibliothek Stendal, die Kirchenbibliotheken St. Andreas in Eisleben, St. Blasii Nordhausen oder St. Nicolai in Kalbe/Milde. Andererseits übernahm die Bibliothek der St. Ulrichskirche Sangerhausen Anfang des 19. Jahrhunderts die wertvollsten Bestände der seit 1575 nachgewiesenen Ratsschulbibliothek.

Zur aktuellen Orientierung der Geistlichen bot sich auch für das kirchliche Bibliothekswesen am Beginn des 19. Jahrhunderts die Nutzung von Lesevereinen und daraus erwachsenden Bibliotheken an. Diese waren vor der allgemeinen Bildung von Predigersynoden zunächst auf Privatinitiativen angewiesen, wie im Falle des Lesezirkels von Theologen und Lehrern in Blankenburg (1800), oder des Wissenschaftlichen Vereins für die Diözese Dom Havelberg (1812). Im Idealfall konnten Synodalbibliotheken an bereits bestehende Kirchenbibliotheken anknüpfen wie an der Dombibliothek Stendal (1818). Erst von 1856 an verpflichteten die Kirchenleitungen ihre nachgeordneten Behörden, vorhandene Kirchen- oder Pfarrbibliotheken für die Weiterbildung auszubauen und zugänglich zu machen sowie neue Synodalbibliotheken anzulegen. Für breitere Einzugsgebiete entstanden Synodal- oder Kapitelsbibliotheken, z. B. in Bernburg (Konsistorial- und Kirchenbibliothek für die Kreise Bernburg und Ballenstedt), in Köthen (Pastoralbibliothek) sowie die Ephoralbibliotheken für die Kreise Osterburg/Altmark, Querfurt, Weißenfels und Bitterfeld. Auf der Ebene der Gemeinden entsprachen Kirchenvorstände und Pfarrer dem gewachsenen Lesebedürfnis weiter Kreise mit der Bereitstellung von Jugend- und Volksschriften in Lese- oder Unterhaltungsbibliotheken, die zumeist durch die Kirchengemeinden unterhalten wurden. 500 Bände gemeinnützigen und erbaulichen Inhalts enthielt z. B. eine Volksbibliothek an der Marienkirche Dessau (1861); in Naumburg gab es um 1881 drei solcher Einrichtungen mit durchschnittlich je 200 Bänden.

Die Bibliotheken im 20. Jahrhundert

Die Kriegszerstörungen und die mehrfachen Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse in der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts haben nahezu alle Bibliothekskategorien in Mitleidenschaft gezogen. Nach Preußen war auch Anhalt mit dem Thronverzicht für den minderjährigen Herzog Joachim Ernst (1901-1947) am 12. November 1918 zum parlamentarisch-demokratischen Freistaat erklärt worden. In Dessau wurde 1922 die Anhaltische Landesbücherei gegründet. Schon 1876 war die ehemalige Haupt- und Landesbibliothek Bernburg nach Dessau überführt worden, ergänzt durch mehrere Dessauer und Bernburger Amtsbibliotheken sowie private Spezialsammlungen und fortgeführt als Behördenbibliothek Dessau. Die neue Landesbibliothek übernahm 1924 die ehemalige Herzogliche Hofbibliothek Dessau (Eigentum der Joachim-Ernst-Stiftung) und 1927 - als Besitz des Staates Anhalt - die Fürst-Georg-Bibliothek Dessau. Die Hofbibliothek der jüngeren Anhalt-Bernburger Linie war nach deren Erlöschen 1903 in den Besitz der Stadt Ballenstedt übergegangen.

Der Bestand der Herzoglichen Schloßbibliothek Köthen, Privatbesitz des Herzoglichen Hauses Anhalt-Köthen, wurde nach dem Tode des letzten Fürsten Heinrich von Anhalt-Köthen (1778-1847) - unter Oberaufsicht des Seniorats von Anhalt-Dessau - weiterhin ergänzt, wissenschaftlich erschlossen und bibliothekarisch betreut. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war die Bibliothek allen wissenschaftlich Interessierten zur Benutzung zugänglich. Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Zahlungsfähigkeit des Fürstenhauses Stolberg zwangen Christian Ernst zu Stolberg-Wernigerode, im Jahre 1929 die Fürstliche Bibliothek (1926: 130.276 Bände einschließlich der Harzbücherei mit 5492 Bänden; 1184 Handschriften) zu schließen und ca. 10.000 Bände, wertvolle Handschriften, Inkunabeln, Noten und andere Rara zu veräußern.

Reformversuche seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts strebten an, durch Einführung eines neuen Bibliothekssystems, nämlich der Bücherhalle oder Einheitsbibliothek, die Dürftigkeit der vorhandenen Volksbibliotheken wie auch die Stagnation der wissenschaftlichen, oftmals vernachlässigten Stadtbibliotheken zu überwinden. Die Magistrate waren aufgefordert, in allen Städten Bibliotheken anzulegen und großzügig auszustatten. Als Träger neu entstehender Stadtbibliotheken in Sachsen-Anhalt traten zunehmend die Stadtverwaltungen auf. Städtische Bibliotheken entstanden z. B. in Thale (1902), Ballenstedt (1903), Roßlau (1904; erste Gründung 1844), Gernrode (1905), Zeitz (1906), Gommern (1907), Wernigerode, Blankenburg und Zerbst (alle 1910), Calbe/Saale (1911), Ilsenburg (1912), Coswig (1913; erste Gründung 1862-1875) und Oschersleben (1914).

In einigen kleineren, zunehmend industrialisierten Städten kamen nach dem Ersten Weltkrieg öffentliche Bibliotheken hinzu, so in Haldensleben (um 1920), Wolfen (1923), Wolmirstedt (1924), Gerbstedt (1925) und Havelberg (1927). Einige wenige wurden als Einheitsbibliotheken eingerichtet, z. B. die Stadtbücherei und Lesehalle in Halberstadt (1914), sowie die Stadtbibliotheken in Quedlinburg, Magdeburg, Naumburg und in Halle (zwischen 1905 und 1923). Die Erwerbungsetats blieben - auch in den wirtschaftlich relativ günstigen Jahren vor dem Ersten Weltkrieg - gering, die Verwaltung weiterhin nebenamtlich. Die Stadtverwaltungen mußten auch ehemals durch Vereine getragene Bibliotheken übernehmen (z. B. 1929 in Halle), nachdem Inflation und Wirtschaftskrisen deren Vermögen aufgezehrt hatten. In der Obhut ihrer Gründer verblieben als Ausnahmen bis in die dreißiger Jahre noch z. B. die Stadt- und Zentralbibliothek Calbe/Saale, die Volksbücherei Salzwedel und die Bücherei in Stendal.

Bis in die dreißiger Jahre traten Vereine dagegen noch als Initiatoren, Stifter und Betreuer von Sammlungen und Bibliotheken neuer Museumsgründungen mit zumeist regionalgeschichtlichem Charakter auf. Ihnen sind die Anfangsbestände von Bibliotheken zu verdanken, z. B. am Prignitz-Museum Havelberg (1904), am Museum Schloß Neu-Augustusburg Weißenfels (1905), in den 1910 gegründeten Museen Haldensleben, Wittenberg (im Melanchthonhaus) und Querfurt (Schloßmuseum) sowie in dem seit 1911 bestehenden Heimatmuseum (später Historisches Museum) Köthen. Den umfassendsten Bestand für die 1913 errichtete Museumsbibliothek Merseburg (jetzt Kulturhistorisches Museum Schloß Merseburg) stellte der Verein für Heimatkunde Merseburg zur Verfügung. Museums- und Bibliotheksgründungen durch Vereine erfolgten auch nach dem Ersten Weltkrieg und der Inflation, z. B. 1924 mit dem Heimatmuseum Burg Ummendorf (jetzt Bördemuseum) und dem sogenannten Salzland-Museum in Schönebeck-Salzelmen. Dort förderten neben der Gründungs-Gesellschaft Schönebecker Bürger, insbesondere der Schiffsreeder Wolfgang Wanckel (1879-1964), die rasche Entwicklung einer Fachbibliothek. Der in den Jahren 1929 bis 1945 vom Heimatverein Gardelegen angelegte heimatgeschichtliche Literaturbestand wurde bei der Museumsauflösung 1972 erheblich reduziert und wird seit 1990 schrittweise rekonstruiert.

Die historische Forschungsbibliothek an dem 1932 gegründeten Johann-Friedrich-Danneil-Museum in Salzwedel geht zurück auf die bereits 1836 angelegte Sammlung des Altmärkischen Vereins für Vaterländische Geschichte und Industrie. Zu ihren Beständen gehören die Bücher und Handschriften aus dem Besitz des Prähistorikers und Heimatforschers Johann Friedrich Danneil (1783-1868). An den von Stadtverwaltungen eingerichteten Museen wurden nach 1900 Bibliotheken angelegt, z. B. am Städtischen Museum Halberstadt unter Verwendung von Buchbeständen des Rates der Stadt, des Halberstädtischen Kunstvereins (1828) und des Naturkundlichen Vereins, die sich bis 1945 jedoch nur zögernd vermehrten, außerdem im Städtischen Museum Aschersleben (1906) und im heutigen Museum Kleines Schloß der seit 1945 zur Provinz Sachsen gehörenden Stadt Blankenburg.

Das Wirtschaftsprofil der Provinz Sachsen prägte sich seit der Jahrhundertwende weiter aus, zunehmend verflochten mit der industriellen Entwicklung in Anhalt. Insbesondere im Süden Sachsen-Anhalts konzentrierte sich die zur Großindustrie ausgeweitete Chemieproduktion, ergänzt durch Betriebe der Elektroenergieerzeugung. Es entstanden zumeist gut ausgestattete wissenschaftlich-technische Firmenbibliotheken, z. B. 1910 bei Buckau-Wolf in Magdeburg, 1916 in dem von der BASF AG in Leuna errichteten Ammoniakwerk (später Leuna AG), wo 1918 auch eine arbeitsmedizinische Fachbibliothek an der Betriebspoliklinik angeschlossen wurde, außerdem in den Deutschen Hydrierwerken Rodleben (Sitz Roßla 1916) und Zeitz (1937). Weitere Bibliotheksgründungen folgten 1920 in der Farbenfabrik Wolfen, 1923 im Chemiewerk Bitterfeld, 1924 im Reichsstickstoffwerk Piesteritz, 1925 in der Pharmaziefabrik Yvasat Wernigerode, 1926 im Kupfer- und Messingwerk (später Walzwerk) Hettstedt sowie 1928 in den Buna-Werken Schkopau. Im modernsten Industriezweig, den Junkers-Flugzeugwerken Dessau, umfaßte die Spezialbibliothek 1928 11.000 Bände. Für die allgemeine und berufliche Weiterbildung der Beschäftigten gab es außer der Kruppschen Bücherhalle in Magdeburg Werksbüchereien u. a. im Chemiewerk Bitterfeld (ab 1920), in den Leuna-Werken (1921), im Waggonbau Ammendorf (1927) und in den Stickstoffwerken Piesteritz (1930).

Für die Verbreitung faschistischen Gedankengutes durch alle Bibliothekssysteme suchte das NS-Regime über zentralisierte Leitungsorgane eine einheitliche Entwicklung durchzusetzen, für die staatlichen wissenschaftlichen Bibliotheken z. B. mit dem Amt für Wissenschaft (1934) und dem Reichsbeirat für Bibliotheksangelegenheiten (1936). Ein relativ enges Netz von Volksbüchereien entstand unter Anleitung der staatlichen Beratungsstellen für volkstümliches Büchereiwesen, so daß Sachsen-Anhalt vor Kriegsende über 2382 Volks- und Schülerbibliotheken mit mehr als einer halben Million Bänden verfügte. 50 bis 80 Prozent des Bestandes der Volksbüchereien wurden als schädliche und unerwünschte Schriften ausgesondert und durch Literatur nationalsozialistischen Inhalts ersetzt. Buchbestände zahlreicher Vereine und Gesellschaften, die nach 1933 aufgelöst werden mußten, gingen in den wissenschaftlichen Bestand von Stadtbibliotheken, in die Universitätsbibliothek Halle und andere staatliche Bibliotheken ein.

Nach den ersten Bibliotheksverlusten bei angloamerikanischen Bombenangriffen auf westdeutsche Städte begannen ab 1942 in Sachsen-Anhalt Sicherheitsverlagerungen wertvoller Teilbestände nach Standorten außerhalb der Industriestädte, z. B. in Schlösser, Burgen, Landgüter sowie insbesondere in stillgelegte Stollen ehemaliger Kali- und Salzbergwerke, die auch von einer Reihe Berliner und norddeutscher Bibliotheken als Zufluchtsort genutzt wurden. Den 1944 einsetzenden Luftangriffen auf Industrie- und Zivilobjekte Sachsen-Anhalts fielen in den schwer zerstörten Städten zahlreiche Bibliotheken zum Opfer: z. B. in Dessau die Anhaltische Landesbücherei (Zerstörung zu 75 Prozent), in Magdeburg das Gebäude der Stadtbibliothek mit mehr als 140.000 Bänden (Totalschaden) sowie die vorzugsweise aus dem Domgymnasium stammende Lehrerbibliothek des seit 1928 Vereinigten Dom- und Klostergymnasiums mit 25.000 Bänden. Zerstört wurden außerdem in Halberstadt das Stadtarchiv und die stadtgeschichtliche Bibliothek oder im Zerbster Schloß das Anhaltische Staatsarchiv nebst Amtsbibliothek. Infolge von Diebstahl aus unzureichend gesicherten Gebäuden oder Auslagerungsorten, durch Witterungseinflüsse, Schimmelbildung und Zerfall an feuchten Interimsstandorten sowie Ungeziefer und Mißbrauch erlitten die nach dort verbrachten Bestände empfindliche Einbußen. Beschlagnahmungen durch amerikanische Besatzungstruppen, vor allem aber die Konfiszierung durch die Rote Armee und der spätere Abtransport von ausgelagertem Bibliotheksgut großen Umfangs in die damalige Sowjetunion fügten den Bibliotheken unwiederbringliche Verluste zu.

Betroffen waren vor allem das Stadtarchiv und die Bibliothek der AG Kali Bernburg, die Anhaltische Landesbücherei Dessau, Buch- und Archivbestände des Stadtarchivs und des Gleimhauses Halberstadt, die Bibliothek der Deutschen Naturforschenden Gesellschaft Leopoldina Halle, Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Bibliothek des Kulturhistorischen Museums Magdeburg, Buchbestände von Schloßmuseen in Oranienbaum und Zerbst. In Verlust gerieten ebenso die umfangreichen Bestände (190.000 Bände) der Fürstlich Stolbergischen Bibliotheken sowie die Privatbibliotheken von Adelshäusern und Landgütern, z. B. in der Region Merseburg. Ausgelagerte, verschonte Teile der Amtsbücherei Zerbst sowie Archivalien und Deposita am Staatsarchiv Zerbst wurden von westlichen Besatzungstruppen mitgeführt und gelangten später in das staatliche Archivlager Göttingen. Weitaus weniger in Mitleidenschaft gezogen waren die Bestände und die fast vollständig erhaltenen Kataloge an der Universitätsbibliothek Halle, so daß diese bereits im Laufe des Jahres 1946 wieder geöffnet werden konnte.

Als vordringliche Aufgabe in der ersten Wiederaufbauphase stand für alle Bibliotheken in öffentlicher und privater Hand die Aussonderung nazistischer und militaristischer Literatur und deren Ablieferung an die Bezirkskommandanturen, eine Arbeit, die sich wegen ihrer Komplexität bis 1948/49 hinzog. Neben Monographien gingen dabei z. T. geschlossene Bestände der lokalen Presse, von Zeitschriften und anderen Periodika der Jahrgänge 1933 bis 1945 verloren.

Mit der Durchführung der Bodenreform (ab 1945) war aus dem sequestrierten Kulturgut ein umfangreiches Aufkommen an Büchern und Bibliotheken in Schlössern und Landgütern sicherzustellen und zu verwerten. Weitere Bestände fielen als Folge der Schulreform (ab 1946), durch Enteignung nationalsozialistischer Betriebe und Einrichtungen (1946) sowie wegen Umstellungen in Stadtverwaltungen und Provinzialbehörden (ab 1945) an. Da infolge der schweren Zerstörungen andere leistungsfähige Bibliotheken in Sachsen-Anhalt nicht zur Verfügung standen, konnte die Sicherung und Erfassung des Bibliotheksgutes nur an der größten, am besten erhaltenen Bibliothek im Territorium, der Universitätsbibliothek Halle, in Angriff genommen werden. Im Mai 1948 bestätigte die Landesregierung ihre Doppelfunktion mit der Umbenennung in Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt. Bis 1949 bewältigte die Bibliothek Bergung, Abtransport, Aufnahme, Sicherung und Bearbeitung von mehr als 240.000 Druckwerken, 1500 Handschriften und 2300 Karten aus aufgelösten und übernommenen Bibliotheken. Gezielt wurden insbesondere Dubletten für den Wiederaufbau an die Bibliotheken in Dessau, Magdeburg und einigen anderen Orten, an Museen, Archive und Universitätseinrichtungen vergeben.

Mit der Schaffung des ersten Zentralkataloges auf dem Boden der damaligen Sowjetischen Besatzungszone im Jahre 1948 nahm die Universitäts- und Landesbibliothek die Verbindung zu allen öffentlichen Bibliotheken des Landes Sachsen-Anhalt, zu Instituts- und wissenschaftlichen Betriebsbibliotheken auf, um deren wichtigste, z. T. schwer beschaffbare Buchbestände für den Leihverkehr zu aktivieren. Als Folge umfangreichen Zuganges von Altbeständen (1.078.000 Bände in den Jahren 1948 bis 1961) sowie des zeitweiligen Anschlusses der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen und der Anhaltischen Landesbücherei Dessau entwickelte sich die Universitäts- und Landesbibliothek zu einer der führenden wissenschaftlichen Großbibliotheken der DDR.

Von 1953 an erweiterte sich das Potential wissenschaftlicher Bibliotheken in Sachsen-Anhalt durch eine Reihe von Hochschulbibliotheken: So waren unmittelbar an den Indurstriestandorten Fachhochschulen errichtet worden, z. B. in Magdeburg (Hochschule für Schwermaschinenbau, 1953), in Leuna-Merseburg (Technische Hochschule für Chemie 1954) sowie in Bernburg (Hochschule für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft, 1958); Pädagogische Hochschulen entstanden in Halle (1954), Köthen (1963) und Magdeburg (1961), eine Medizinische Akademie in Magdeburg (1954). Weitere Bibliotheken wurden an zunächst 16, bis 1979 an 40 Ingenieur- und Fachschulen eingerichtet. Die anfangs für die jungen Hochschulen geltenden Regelungen zur funktionalen Einheit von Instituts- oder Fakultätsbibliotheken (ab 1969 Sektionsbibliotheken) und den zentralen Hochschulbibliotheken wurden 1969 u. a. auch für die Universität Halle gültig, wo alle Sektionsbibliotheken in einem einschichtigen Bibliothekssystem zusammengefaßt wurden.

In den Betrieben der volkseigenen Industrie entstand seit den fünfziger Jahren eine große Zahl leistungsfähiger wissenschaftlich-technischer Fachbibliotheken, die zumeist mit Einrichtungen der Information und Dokumentation verbunden wurden. Als erste Gründungen seien genannt die Fachbibliothek im Kalibetrieb Werra, Merkers (1953; 30.502 Bände), die Technische Bücherei des VEB Wissenschaftlich-technisches Zentrum Getriebe und Kupplungen Magdeburg (1955; 25.100 Bände) sowie die Fachbibliothek des Zentralinstituts für Schweißtechnik Halle (jetzt Schweißtechnische Lehr- und Versuchsanstalt, 1952; 17.356 Bände). Im kulturellen Bereich ergänzten Bibliotheksgründungen an einigen neu eingerichteten Forschungs- und Gedenkstätten den vielseitigen Bestand an Museumsbibliotheken, z. B. am Museum für Natur- und Völkerkunde Julius Riemer Wittenberg (1949, 3194 Bände), im Händelhaus Halle (1948), am Zentrum für Telemannpflege und -forschung Magdeburg (1969), und im Gottfried August Bürger-Literaturmuseum Molmerswende (1969). Ab 1971 wurde das Bauhaus Dessau (jetzt Stiftung Bauhaus Dessau) als Forschungs-, Gestaltungs- und Beratungszentrum wieder errichtet. In dem von Walter Gropius (1883-1969) vorgesehenen Bibliotheksraum begann 1987 die Wiederanlage der 1932 gänzlich aufgelösten Bibliothek (gegenwärtig 22.000 Bände, 16.000 Mikrofilme).

Im Jahr 1948 gab es in 65 Prozent der Gemeinden Sachsen-Anhalts Volksbüchereien, 135 kamen im Gründungsjahr der DDR 1949 hinzu. Besondere Aufmerksamkeit der 1948 gebildeten Landesstelle für Bibliothekswesen galt dem bibliothekarisch weniger entwickelten nördlichen Teil des Landes, so daß Ende 1954 ein flächendeckendes Netz von 1970 allgemein öffentlichen Bibliotheken verfügbar war. Die großzügige Aufnahme von Fachliteratur in die Volksbüchereien und deren Entwicklung zu Einheitsbüchereien (Allgemein öffentlichen Bibliotheken) mit bibliothekarisch-pädagogischem Charakter stellten die Existenzberechtigung wissenschaftlicher Stadtbibliotheken und kleinerer Landesbibliotheken zunehmend in Frage. Noch vor der Gebietsreform von 1952 kam es ab 1950 - insbesondere auf Betreiben der Landesstellen - zur Liquidierung kleiner Landesbibliotheken, danach auch wissenschaftlicher Stadtbibliotheken, wovon u. a. die Stadtbibliotheken in Halle (1952), in Naumburg (1961) und in Bernburg betroffen wurden. Territorial gebundene, historisch gewachsene Literaturquellen wurden auseinandergerissen und gingen für kultur- und regionalgeschichtliche Forschung unrettbar verloren. Lediglich die Landesbibliothek Dessau konnte - nach wiederholter Änderung ihrer Unterstellungsverhältnisse - ihre durch Kriegseinwirkung ohnehin geschmälerten Bestände zusammenhalten. Sie fusionierte 1969 als eigenständige wissenschaftliche Abteilung mit der Dessauer Stadtbibliothek, der 1991 auch der historische Name Anhaltische Landesbücherei verliehen wurde.

Den Stadtbibliotheken der neuen Bezirksstädte Magdeburg und Halle fielen als Bezirksbibliotheken vor allem fachlich-methodische Anleitungsaufgaben gegenüber den Allgemein öffentlichen Bibliotheken zu. Die Wahrnehmung der Regionalfunktionen erster Ordnung (Sammeln von Regionalliteratur und Pflichtexemplaren, Veröffentlichung der landeskundlichen Regionalbibliographie, Führung des regionalen Zentralkataloges, Leitbibliothek für den überbezirklichen Leihverkehr) verblieb weiterhin an der Universitäts- und Landesbibliothek Halle.

Die Nutzung, Weiterführung und Finanzierung ehemaliger Werks- oder Betriebsbüchereien in den verstaatlichten Industriebetrieben und die Errichtung neuer Bibliotheken in allen Produktionsbetrieben, später auch an staatlichen Verwaltungen und Einrichtungen, wurden ab 1953 den Gewerkschaftsorganen des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes übertragen. Um 1977 gab es in Sachsen-Anhalt ca. 100 hauptamtlich geleitete Gewerkschaftsbibliotheken.

Die vorhandenen Gymnasial- oder Oberschulbibliotheken waren im Zuge der Schulreform (1946) sowie der Einführung des einheitlichen Schulsystems (1950) aufgelöst oder weitgehend dezimiert worden. Eine erhebliche Anzahl wurde der Universitäts- und Landesbibliothek Halle überwiesen. In den späteren Jahren als entbehrlich erachtete historische Bestände sind - z. T. mit Devisenerlös - an Antiquariate verkauft worden. So übernahm das Zentralantiquariat der DDR in den sechziger Jahren wertvolle Werke, z. B. aus der Gymnasialbibliothek Genthin (gegr. 1922), dem Viktoria-Gymnasium Burg bei Magdeburg (1846) und dem Gymnasium und Städtischen Realgymnasium Haldensleben. Die mit über 10.000 Bänden zu den reichsten Gymnasialbibliotheken Deutschlands zählende Bibliothek des Gymnasiums Stephaneum in Aschersleben (gegr. 1325) wurde aufgelöst und 1964 verkauft. Für eine Mehrzahl von Gymnasialbibliotheken ist der Verbleib unbekannt.

Die Anordnung des Ministeriums für Kultur und seines Beirats für Bibliotheken bezüglich Pflege, Schutz und Sicherung des Kulturellen Erbes von 1975 aktivierte außer den Wissenschaftlichen Allgemeinbibliotheken auch die Fachbibliotheken in Museen, Archiven, Hochschulen, einzelnen Großbetrieben und Kombinaten sowie die staatlichen allgemeinbildenden Bibliotheken. Ergriffen wurden vielfältige Maßnahmen der Sichtung, verbesserten Erschließung und Bekanntmachung verbliebener Bestände zumeist kulturhistorischen, wissenschafts-, betriebsgeschichtlichen oder territorialkundlichen Inhalts aus der Zeit vor 1945. So erbrachten z. B. Ermittlungen in Allgemein öffentlichen Bibliotheken über die bekannten Standorte hinaus ältere Bestände mit zumeist territorialem Bezug u. a. in ca. 25 Stadt- und Kreisbibliotheken der Bezirke Halle und Magdeburg.

Die Kirchenbibliotheken der evangelischen Landeskirchen und der römisch-katholischen Kirche konnten in der DDR ihre Eigenständigkeit bewahren. In einzelnen Gemeinden wurden Büchersammlungen weitergeführt, z. B. in der umfangreichen Marienbibliothek Halle als Traditions- und Depositalbibliothek sowie in einigen Synodal- oder Pastoralbibliotheken der Propsteien Altmark, Anhalt, Naumburg-Zeitz, Quedlinburg-Halberstadt, Südharz und Wittenberg. Daneben verfügte der Bund der Evangelischen Kirchen in Sachsen-Anhalt 1987 über teilweise umfangreiche Bibliotheken an Aus- und Weiterbildungsstätten, z. B. dem Katechetischen Oberseminar und dem Kirchlichen Proseminar Naumburg, an den Evangelischen Predigerseminaren Wittenberg und Gnadau, der Evangelischen Hochschule für Musik Halle sowie an den Kirchlichen Behörden Konsistorium Magdeburg und dem Landeskirchenamt Dessau. Der 1967 in Naumburg gegründete, von 1973 bis 1996 in Berlin geführte und nunmehr in Form von Mikrofiches vorliegende Kirchliche Zentralkatalog weist Bestände in kirchlichen Einrichtungen an 117 Orten in Sachsen-Anhalt aus.

Die politische Wende im Herbst 1989 brachte auch für das Bibliothekswesen in Sachsen-Anhalt eine Reihe von Veränderungen mit sich, deren Konsolidierung einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt. Die Anzahl der 213 hauptamtlich geleiteten ehemals staatlichen Allgemeinbibliotheken ging nach dem Übergang in die Trägerschaft der Kommunen um etwa 15 Prozent zurück, wobei alle wichtigen Bibliotheken in den Städten und in größeren Gemeinden weitgehend erhalten blieben. Zum Ausgleich für den Ausfall von etwa zwei Drittel der bisher neben- oder ehrenamtlich betreuten Bibliotheken insbesondere in ländlichen Gebieten wurden in einigen Landkreisen Fahrbibliotheken eingerichtet. Das Literaturangebot wurde um bis zu 45 Prozent, u. a. durch Spenden von Verlagen oder anderen Sponsoren, erneuert, so daß die öffentlichen Bibliotheken ihre frühere Benutzungsfrequenz schrittweise wieder erreicht haben. Seit 1991 unterstützt das Land Sachsen-Anhalt finanziell und organisatorisch den Aufbau von Schulbibliotheken für die verschiedenen Arten von Lehranstalten. Neue Möglichkeiten intensiverer Bestandsnutzung eröffneten Kombinationen wie die Errichtung der Stadt- und Gymnasial-Bibliothek in Landsberg oder die Angliederung der Behördenbibliothek (Landratsamt Saalekreis) an die Saalkreisbibliothek in Halle (1992).

Die zuletzt 111 hauptamtlich geleiteten und mindestens in gleicher Anzahl nebenamtlich betreuten Gewerkschaftsbibliotheken mußten fast vollzählig geschlossen werden. Viel zu oft wurden ihre Bestände zu Schleuderpreisen verkauft, verschenkt oder vernichtet. Ausnahmen bildeten die in anderer Trägerschaft weitergeführten Betriebsbibliotheken der Leuna-Werke GmbH (seit 1921) und der Buna-Werke AG Schkopau (seit 1947) oder auch die Einbeziehung einer Gewerkschaftsbibliothek (VEB Gärungschemie) bei der Errichtung einer neuen städtischen Zweigbibliothek in Dessau-West.

Zum Netz der Universitäts- und Hochschulbibliotheken des Landes gehören seit 1992 die Universitäts- und Landesbibliothek Halle und die Universitätsbibliothek der Technischen Universität Otto von Guericke Magdeburg. Dazu zählen auch die Bibliotheken der vier überregionalen Fachhochschulen Anhalt mit den Standorten Köthen, Bernburg und Dessau, der Fachhochschule Harz in Wernigerode, der Fachhochschule Magdeburg mit Standorten in Magdeburg und Stendal sowie in Merseburg. Die Bibliotheken der ehemaligen Technischen Hochschule für Chemie Leuna-Merseburg und der Pädagogischen Hochschulen Halle und Köthen gingen 1993 als Zweigbibliotheken an die Universitätsbibliothek Halle über. Die Bibliothek der früheren Pädagogischen Hochschule Magdeburg setzt ihre Arbeit als Fakultätsbibliothek für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg fort.

Die Universitäts- und Landesbibliothek vertritt die Landesinteressen in allen Fragen der überregionalen Zusammenarbeit, z. B. im Gemeinsamen Bibliotheksverbund der Bundesländer Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sowie in weiteren Gremien. Von den Bibliotheken der wenigen in Sachsen-Anhalt vertretenen Akademieinstitute blieben die umfangreichen Bestände zur Pflanzenzuchtforschung in Gatersleben (Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung) und Halle (Institut für Pflanzenbiochemie) erhalten. Einige gingen in andere Trägerschaften über, z. B. die Bibliothek der Bundesanstalt für Züchtungs- und Kulturforschung Quedlinburg. Andere schrieben nach Umprofilierungen ihre Bestände zur Abgabe aus.

Eine größere Anzahl Firmenbibliotheken konnte nach 1990 zunächst erhalten werden, sofern die Trägerbetriebe weiter existierten, wie z. B. die Technische Bibliothek SKET Schwermaschinenbau GmbH Magdeburg, die Mansfeld-Bibliothek der Mansfeld AG Eisleben, die Wissenschaftliche Bibliothek Stickstoffwerke Piesteritz in Wittenberg-Piesteritz, die Technische Bücherei und Informationsstelle im Walzwerk Hettstedt, doch unterliegen ihre Finanzierungsmöglichkeiten der oftmals wechselnden wirtschaftlichen Situation der Firmen.

Als Neugründung im kulturellen Bereich besteht seit 1992 die Forschungsstelle für Frühromantik mit einem kleinen Literaturmuseum im Renaissanceschloß Oberwiederstedt, dem Geburtshaus Friedrich von Hardenbergs (Novalis, 1772-1801). In ihre Bibliothek gingen Handschriften und zeitgenössische Ausgaben des Dichters sowie weiterer Frühromantiker ein. In Quedlinburg wurde die Historische Bibliothek 1994 als wissenschaftliche Museumsbibliothek und Teil des künftigen regionalen Forschungszentrums übernommen und gehört nunmehr zum Schloßmuseum.

Erhebliche Bestandseinbußen brachten in einzelnen Fällen Restitutionsansprüche auf jahrelang gepflegte und erschlossene Büchersammlungen mit sich, z. B. für die Bibliothek des Kulturhistorischen Museums Magdeburg und für einige an der Universitäts- und Landesbibliothek Halle bewahrte Sammlungen. Dies galt auch für Einzeltitel, z. B. in der Bibliothek des Stadtarchivs Halberstadt. Die veränderten politischen Bedingungen ermöglichten andererseits, daß in den Jahren 1991 bis 1997 ein kleinerer Anteil der 1946 als Beutegut von der Roten Armee abtransportierten Bestände zurückgeführt wurde, u. a. für die Stadtbibliothek Magdeburg, die Bibliotheken des Gleimhauses und des Stadtarchivs Halberstadt. Erhaltene historische Bestände in Sachsen-Anhalt nach Bibliothekstypen

[Fortsetzung]