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Bibliotheken in Rheinland-Pfalz

Eine Darstellung der Entwicklung der rheinland-pfälzischen Bibliothekslandschaft vom 16. bis zum 20. Jahrhundert stellt sich als außerordentlich schwierig dar.[1]  Anders als in Hessen weisen die politischen und kulturhistorischen Zusammenhänge beinahe in jeder Blickrichtung über die Grenzen des heutigen Bundeslandes hinaus.[2]  Diese Besonderheit ist heute noch daran zu erkennen, daß die rheinland-pfälzischen Bibliotheken auf drei Leihverkehrsregionen und Regionalverbünde verteilt sind.

Als geschlossenes Territorium entstand Rheinland-Pfalz erst 1946 durch die Vereinigung der bayerischen Pfalz, Rheinhessens sowie von Teilen der preußischen Rheinprovinz und der preußischen Provinz Hessen-Nassau. Nur wenige andere Bundesländer mußten wie Rheinland-Pfalz die unterschiedlichsten geographischen und politischen Räume integrieren. Wie sehr die territoriale Zersplitterung im Ablauf der Zeit durch wechselnde Besetzungen und Besitzverhältnisse geprägt sein konnte, zeigt sich am Beispiel Landaus. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Stadt achtmal von kaiserlichen, schwedischen und französischen Truppen besetzt. Mit dem Westfälischen Frieden fiel Landau an Frankreich. Während des Spanischen Erbfolgekrieges wurde es mehrmals von deutschen und französischen Generälen erobert. In den Revolutionskriegen konnte die Stadt von den Franzosen verteidigt werden, bevor sie dann nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft an Bayern fiel.[3] 

Seit dem Mittelalter ist das Gebiet des heutigen Landes Rheinland-Pfalz durch eine komplizierte Territorialgeschichte gekennzeichnet. Ansehnliche Herrschaftsbildungen wie die geistlichen Kurfürstentümer von Mainz und Trier sind zuerst zu nennen; mitentscheidend war ebenfalls das linksrheinische Gebiet der Kurpfalz. Neben den großen gab es zahlreiche mittlere und kleinere Herrschaften, deren politische Existenz sich innerhalb des Kräftespiels der Großen recht und schlecht realisierte.[4]  Seit dem Dreißigjährigen Krieg, vor allem im Pfälzischen Erbfolgekrieg und in den Revolutionskriegen, wurde die Lage am Rande Deutschlands und in der Nachbarschaft Frankreichs für die politische, militärische und die kulturelle Entwicklung bestimmend. Die Auswirkungen dieser deutsch-französischen Grenzsituation auf die Bibliothekslandschaft zeigen sich etwa am Beispiel der Bibliotheken des Gymnasiums am Kaiserdom in Speyer und - stärker noch - bei der Bibliotheca Bipontina in Zweibrücken. Letztere war ebenfalls von den Revolutionskriegen betroffen, wie etwa auch die Trierer Stadtbibliothek, die Bibliothek des Görres-Gymnasiums in Koblenz und - in besonderem Ausmaß - die Stadtbibliothek Mainz.

Die Kleinstaatlichkeit wirkte sich auf die Kultur- und damit auch auf die Bibliothekslandschaft nachhaltig aus. Anders als in größeren Flächenstaaten konnte sich keine vereinheitlichte Verwaltung im größeren Rahmen ausbilden. Die fehlende Finanzkraft, die auch durch Erbstreitigkeiten hervorgerufene politische Lähmung der kleinen Territorien und die mangelnde Widerstandskraft gegen äußere Bedrohung (vor allem durch Frankreich) führten dazu, daß es nur in den städtischen Zentren und in der Kurpfalz zur Herausbildung bedeutenderer Bibliotheken kam. An eine landesweite Einführung bestimmter Bibliothekstypen und an die Angleichung bestehender Bibliotheken an einheitliche Verwaltungsstrukturen konnte erst seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts mit der neueren preußischen und bayerischen Herrschaft über weite Teile des zuvor französisch besetzten Gebietes gedacht werden.

Von der Reformation bis zum Ende der napoleonischen Herrschaft

Anders als im kurpfälzischen Territorium setzte sich die Reformation in den erzbischöflichen Herrschaftsmittelpunkten Trier und Mainz und ihrem Umland nicht durch. Zwar gab es auch hier reformatorische Bestrebungen, doch wurden diese wie etwa in Trier dadurch erstickt, daß der Erzbischof die Protestanten 1559 aus der Stadt vertreiben ließ. Anders verlief die Entwicklung in den Städten Speyer und Worms. Wie eine Reihe benachbarter Kleinterritorien schlossen sie sich dem neuen Bekenntnis an. Die Bischöfe von Speyer und Worms hingegen, die mehr oder weniger erfolgreich versuchten, ihre Herrschaft über die Stadt durchzusetzen, repräsentierten die gegenreformatorischen Kräfte. Der konfessionelle Gegensatz wurde durch die Einführung der Reformation in der Kurpfalz verschärft. So setzte Kurfürst Ottheinrich (1556-1559) für die Kurpfalz und Pfalzgraf Wolfgang (1532-1569) für das seit 1410 bestehende Fürstentum Zweibrücken das neue Bekenntnis verbindlich durch. Während in der Kurpfalz dieses Bekenntnis mit dem jeweiligen Thronfolger generationenlang zwischen lutherischer und calvinistischer Observanz wechselte, blieb es in Zweibrücken relativ konstant.

Um den reformatorischen Glauben weiter auszubreiten und zugleich den seiner Regierung gestellten administrativen Erfordernissen gerecht zu werden, löste Pfalzgraf Wolfgang die Benediktinerabtei Hornbach auf. An ihrer Stelle errichtete er eine fürstliche Landesschule.[5]  Wie in anderen protestantischen Reichsteilen verdrängte auch in der Pfalzgrafschaft Zweibrücken mit der Etablierung einer Lehrinstitution ein Bibliothekstyp einen anderen. Die Säkularisierung von Klosterbibliotheken im pfälzischen Raum durch Landesherren, die sich zum neuen Glauben bekannten, zwang dazu, Schulen und Bibliotheken auf eine andere Grundlage zu stellen. Die Bestände der aufgelösten Klosterbibliotheken wurden in der Regel an Bibliotheken der Schulen oder anderer Ausbildungsinstitutionen überwiesen. So diente beispielsweise die fürstliche Landesschule in Hornbach der Heranbildung der Zöglinge zu einer Elite des frühabsolutistischen Verwaltungsstaates.

Die Gründung protestantischer Schul- und Ausbildungsinstitutionen rief in katholischen Zentren Gegenbewegungen hervor. So entstanden 1560 in Trier das Jesuitenkolleg (heute Bischöfliches Priesterseminar) und 1561 ein Jesuitenkolleg in Mainz (heute Rabanus-Maurus-Schule), deren Funktion sich nicht wesentlich von ihren protestantischen Gegenstücken unterschied und deren Bibliotheken nicht minder der Unterstützung der Lehrtätigkeit dienten. Gleiches galt für das Jesuitenkolleg in Koblenz, das den Grundstock der heutigen Bibliothek des Staatlichen Görres-Gymnasiums bildet. Der Dreißigjährige Krieg führte zu tiefgreifenden territorialen und politischen Veränderungen in den rheinischen und pfälzischen Gebieten, wenn sie auch nicht immer von Dauer waren. Weite Teile der linksrheinischen Pfalz wurden von Spanien besetzt; die rechtsrheinische Pfalz überantwortete der Kaiser dem Herzog von Bayern. Im Jahre 1632 öffnete Trier den französischen Truppen die trierische Hauptfestung Ehrenbreitstein. Wenige Jahre später wurde diese von Truppen der katholischen Liga erobert, während Trier selbst von den Spaniern besetzt wurde.

Der Westfälische Friede, der die Wiederherstellung der Pfalz und anderer Territorien mit sich brachte, wirkte sich auf die Bibliothekslandschaft unterschiedlich aus. Das beste Beispiel sind die Bibliotheken der beiden pfalzgräflichen Linien von Birkenfeld und von Zweibrücken unter Karl und Johann. Während die Bibliothek in Zweibrücken im Dreißigjährigen Krieg zum größten Teil zerstört und ihr Restbestand 1677 nach Frankreich abtransportiert wurde, blieb die Birkenfelder Bibliothek erhalten und bildete einen Grundstock der heutigen Bibliotheca Bipontina. Ebenso wurde die Bibliothek der fürstlichen Landesschule in Hornbach zerstört. Ihr Wiederaufbau durch Pfalzgraf Christian IV. (1735-1775) im Jahre 1768 leitete eine neue Entwicklung ein. Christian, der zur zweiten Generation der wiedervereinigten Pfalzgrafenlinie von Zweibrücken gehörte, legte mit der Neuausstattung der Schulbibliothek und der Gründung einer Gebrauchsbibliothek für die fürstliche Kammer nicht nur eine weitere Grundlage für die Bibliotheca Bipontina, sondern schuf zugleich auch für seinen Herrschaftsbereich jenen Bibliothekstyp, dessen der auf eine effektive Administration bedachte aufgeklärte Absolutismus bedurfte.[6] 

Während der französischen Revolutionskriege wurden die linksrheinischen Gebiete durch Frankreich besetzt. Sie wurden in die französische Republik eingegliedert und nach französischem Muster in Departements eingeteilt. So wurde Koblenz zum Sitz der Präfektur des Departements Rhein-Mosel, Trier zum Zentrum des Departements Saar, daneben entstand das Departement Donnersberg (1798). Die ehemaligen Regenten der betroffenen Territorien wurden rechtsrheinisch entschädigt. Diese auf dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 beruhende Entscheidung führte zur Säkularisierung der geistlichen Territorien und zur Auflösung erheblicher Klostergüter. Dies wirkte sich vor allem auf die rheinischen Kurländer aus. Nassau-Usingen erhielt als Entschädigung rechtsrheinische Ämter von Kurmainz und Kurköln. An Nassau-Weilburg fiel der rechtsrheinische Teil des Trierer Kurstaates. Die Hochstifte Speyer und Worms wurden ebenso aufgelöst wie das Augustinerkloster in Mainz, dessen Bibliothek dem dortigen bischöflichen Priesterseminar unterstellt wurde. Damit konnten größere Verluste ausgeglichen werden, die in der Besatzungszeit nach 1793 entstanden waren.

Viele Bibliotheksbestände wurden ein Opfer der Kriegswirren oder der französischen Besatzungspolitik. Aber es gab auch Beispiele für die sorgfältige Erhaltung von Traditionen und Beständen, auch wenn, wie die Geschichte der alten Universitäten Mainz und Trier zeigt, beides nicht unbedingt zusammenfallen mußte. Im Jahre 1798 wurden die Universitäten in Mainz und Trier geschlossen. Ihre theologisch-philosophischen Fakultäten bestanden in veränderter Form weiter. In Trier wurde 1805 das Priesterseminar mitsamt seiner Bibliothek neuerrichtet. In Mainz wurde zur gleichen Zeit eine Theologenschule gegründet, deren Nachfolgerin dann 1946 in die neue Universität Mainz einging. In Trier wurde das Priesterseminar im 20. Jahrhundert eine von der Universität unabhängige, aber mit ihr kooperierende eigenständige Theologische Fakultät. Die Bibliotheken der alten Universität aber wurden nach deren Schließung in beiden Fällen Anfang des 19. Jahrhunderts zu Stadtbibliotheken. Erhalten blieben auch die drei Bibliotheken der Pfalzgrafschaft Zweibrücken. Die fürstliche Büchersammlung, die Bibliothek des fürstlichen Gymnasiums und die Gebrauchsbibliothek für Verwaltung und Regierung wurden 1806 zusammengelegt und von dem umsichtigen Gymnasialdirektor Johann Georg Faber kurzerhand zur Schulbibliothek erklärt. Auf diese Weise konnten die Bibliotheken vor der Auflösung durch die berüchtigten Ausleerungskommissäre geschützt werden. Nach dem Erwerb der Pfalzgrafschaft Zweibrücken durch das Königreich Bayern wurde 1816 diese Zusammenlegung zur Bibliotheca Bipontina bestätigt.

Das neunzehnte Jahrhundert

Die auf dem Wiener Kongreß (1815) getroffenen Entscheidungen griffen abermals tief in die Gebietsstruktur des linksrheinischen Deutschland ein. Preußen erhielt die Rheinlande von Kleve bis Kreuznach und Saarbrücken. Gebiete, die seit Jahrhunderten verschiedenen historischen Räumen, dem niederrheinisch-kölnischen, mittelrheinisch-trierischen und saarländisch-pfälzischen, angehört hatten, wurden nunmehr in der Rheinprovinz mit der Hauptstadt Koblenz (endgültig 1822) zusammengefaßt und damit einem großen Staat einverleibt.[7]  Preußen war nicht der einzige Gewinner. Als Teil des Königreichs Bayern entstand der Rheinkreis (seit 1836 Rheinpfalz). Die Stadt Mainz und das sie umgebende Gebiet wurden unter dem Namen Rheinhessen zu einer Provinz des Großherzogtums Hessen. Mit Beginn der Zugehörigkeit eines großen Teils des heutigen Rheinland-Pfalz zu Preußen kann erstmals von einer administrativ einheitlichen Politik modernen Stils gesprochen werden. Neuer Grundsatz war die intensive Förderung des Schul- und Ausbildungsbereichs; dadurch sollte der stetig wachsende Bedarf an qualifizierten Beamten für die neugeschaffenen Gemeinde-, Kreis- und Provinzverwaltungen gedeckt werden. Eine ähnliche Politik verfolgte die bayerische Regierung in ihren linksrheinischen Gebieten.

Schul- und Verwaltungsreformen führten zu einer Reorganisation des gesamten Bildungswesens. Die preußische und die bayerische Regierung gründeten Staatsarchive, so das heutige Landeshauptarchiv Koblenz (Preußen) und das heutige Landesarchiv Speyer (Bayern). Schulen wie das Speyerer Gymnasium am Kaiserdom, die Schulen in Bad Dürkheim (heute Werner-Heisenberg-Gymnasium) und die Landauer Königliche Landwirtschafts- und Gewerbeschule (heute Otto-Hahn-Gymnasium) wurden neugeschaffen oder wiederbegründet. Das Gymnasium in Speyer erhielt sogar das Pflichtexemplarrecht. Die Bibliotheksbestände säkularisierter Klöster und anderer geistlicher Einrichtungen wurden unter anderem den reorganisierten Stadtbibliotheken zugewiesen. So kamen Bestände der Benediktinerabtei St. Matthias und des Bischöflichen Priesterseminars Trier in die Trierer Stadtbibliothek.

Die intensive Veränderung der Bibliothekslandschaft im 19. Jahrhundert läßt sich nicht nur durch den Hinweis auf die freigewordenen Ressourcen ehemaliger Klöster oder durch ein pragmatisches Vorgehen im Hinblick auf Konzentration und Zentralisierung von Bibliotheksbeständen in städtischer Hand erklären. Wichtiger noch war der Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das Aufkommen des Bildungsbürgertums in den Städten und die sich allmählich einstellende wirtschaftliche Prosperität waren zwei Faktoren, die die Entfaltung von Stadtbibliotheken begünstigten. Es kam zu zahlreichen Vereinsgründungen, die vor allem auf ein verändertes Verständnis von Geschichte und Naturwissenschaft im regionalen Bereich zurückzuführen sind. So hatte schon Goethe nach seiner Rheinreise von 1814 und 1815 in seiner Schrift Kunst und Altertum am Rhein und Main empfohlen, ein Kölnisches Museum durch Zusammenfassung der vorhandenen umfangreichen Privatsammlungen zu errichten. Ferner plädierte er für die Ausbildung von Konservatoren, um die Baudenkmäler der Domstadt zu erhalten.[8] 

Dem Zeitgeist entsprechend wurde 1852 in Mainz das Römisch-Germanische Zentralmuseum gegründet, dessen Zweck neben der systematischen Sammlung und Ausstellung von Altertümern ... die Erforschung der Vor- und Frühgeschichte war.[9]  Wie die Initiatoren der Stadtbibliotheken entstammten die Begründer der Heimat- und Geschichtsvereine einer neuen Schicht aus Lehrern, Pfarrern, Beamten u. a. Die Wormser Stadtbibliothek hat ihre Wurzel in der Zusammenfassung mehrerer Vereinigungen zur Bewahrung und Pflege der Wormser Altertümer. Diese Vereinigungen sahen sich bald Kritik aus der Wormser Bürgerschaft ausgesetzt, da man die Beschränkung auf altertumswissenschaftliche Fragestellungen als zu einseitig ablehnte und die Erweiterung der Bibliotheksbestände forderte. Ziel war die Schaffung einer wissenschaftlichen Stadtbibliothek, die neben anderem auch naturwissenschaftliche und nationalökonomische Literatur umfassen sollte. Mit einer Vereinsgründung ist auch die Bibliothek des 1856 gegründeten Antiquarisch-historischen Vereins für Nahe und Hunsrück verbunden. Anders als die Wormser Vereinsbestände gingen diese Bestände nicht in einer umfassenderen Institution auf, sondern leben heute in der Heimatwissenschaftlichen Zentralbibliothek in Bad Kreuznach weiter; gleiches gilt für die Bibliothek des Frankenthaler Altertumsvereins.

Das Zwanzigste Jahrhundert

Eine für den Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert typische Entwicklung ist das Aufkommen der Bücherhallenbewegung in Deutschland. Sie erhielt entscheidende Impulse aus den Vergleichen, die deutsche Bibliothekare bei ihren Auslandsaufenthalten zu den Bibliothekssystemen der angelsächsischen Länder ziehen konnten. Dabei stellte sich heraus, daß die deutschsprachigen Länder zwar für Wissenschaftler und Hochschulangehörige in den Staats- und Universitätsbibliotheken ein gut funktionierendes Bibliothekswesen besaßen, für die Befriedigung aller übrigen Leserschichten jedoch nur die ebenfalls wissenschaftlich orientierten Stadtbibliotheken und die unwirksameren, veralteten Volksbüchereien auf Vereinsbasis vorhanden waren."[10]  Der in Teilen der Vereinigten Staaten verwirklichte Gedanke, daß auch die unteren Schichten Zugang zu den Bildungsgütern haben sollten, wirkte sich in Deutschland aus und führte zur Entwicklung von Volksbüchereien.

So begann man in der Stadtbibliothek Mainz im Jahre 1911, einen kleinen Bestand an populärer Literatur aufzubauen, der 1947 als Volksbücherei ausgegliedert wurde. In Worms, wo 1877 der Volksbildungsverein eine Bücher- und Lesehalle gründete, wurde diese 1901 mit der Bibliothek des Wormser Altertumsvereins zur Stadtbibliothek Worms vereinigt. Auf ähnliche Weise konstituierte sich die Koblenzer Stadtbibliothek, deren Grundbestand ebenfalls dem bürgerlichen Bildungsinteresse des 19. Jahrhunderts entstammte und der 1918 mit den Beständen einer Lesehalle vereinigt wurde. Im Jahre 1907 hatte die in Koblenz ansässige Firma Deinhard eine Volksbücherei mit Lesehalle eröffnet. Obwohl nur als Werksbücherei gedacht, waren die Bestände auch für die Koblenzer Bevölkerung zugänglich. Wenn auch auf diese Weise angelsächsische und speziell amerikanische Einflüsse am Beginn des 20. Jahrhunderts auf die Bibliotheksstrukturen der Rheinlande und der Pfalz nachhaltig gewirkt haben, so ist doch das Verhältnis zum westlichen Nachbarn für die Bibliotheksentwicklung prägend gewesen. Dieser Umstand spiegelt sich deutlich in der Situation wider, in der sich Frankreich und die ihm nahegelegenen deutschen Grenzgebiete gegenüberstanden. Frankreich pflegte den alten Gedanken einer Abtrennung der linksrheinischen Gebiete von Deutschland. In diesem Zusammenhang förderte es separatistische Bestrebungen im Rheinland und in der Pfalz. So verlief zum Beispiel die Proklamation autonomer rheinischer respektive pfälzischer Republiken in Aachen und Speyer im Jahre 1923 ganz im Sinne der französischen (und belgischen) Grenzpolitik.[11]  Politischen Gebilden dieser Art war freilich keine lange Lebensdauer beschieden.

Auf der anderen Seite gab es vielfältige politische, wirtschaftliche und im engeren Sinne kulturpolitische Anstrengungen, den Entfremdungstendenzen entgegenzuwirken. In diesem Zusammenhang ist die Förderung der Gründung einer Pfälzischen Landesbibliothek in Speyer (1921) durch die bayerische Landesregierung (große Teile der Pfalz gehörten von 1816 bis 1946 zu Bayern) zu sehen. Mit ihrer Gründung sollte den Versuchen der Französischen Besatzungsmacht, das linke Rheinufer von Deutschland zu lösen, auch auf kulturellem Gebiet entgegengewirkt werden."[12]  Reichten die Pläne, eine solche Bibliothek aufzubauen, auch bereits in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück, so ist es doch erst der Förderung durch die Bayerische Staatsbibliothek zu verdanken, daß die Pfälzische Landesbibliothek in Speyer 1923 ihre Pforten öffnen konnte.[13]  Nennenswerte Bibliotheksgründungen blieben jedoch in dieser Zeit die Ausnahme. Mit der Wirtschaftskrise der zwanziger und dreißiger Jahre stagnierte die bibliothekarische Entwicklung im Rheinland und in der Pfalz. Größere Bücherverluste entstanden durch die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. So fielen z. B. in Worms große Teile der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek den Luftangriffen zum Opfer.

Am 30. August 1946 wurde das Bundesland Rheinland-Pfalz gegründet; es umfaßte das westliche Gebiet der französischen Zone. Die Franzosen verfolgten hinsichtlich der Grenzgebiete anfänglich eine ähnliche Politik wie nach dem Ersten Weltkrieg. Dies hatte neben französischen Sicherheitsinteressen auch wirtschaftliche Gründe. Frankreich war nächst der Sowjetunion und Polen schwer geschädigt worden; seine Besatzungspolitik zielte auf eine möglichst schnelle Kompensation der Schäden. Hierzu gehörte auch die Absicht, das wegen seiner Kohlegruben attraktive Saargebiet dauerhaft in das französische Wirtschaftsgebiet einzugliedern. Während dies von amerikanischer und britischer Seite geduldet wurde, stießen französische Separations- und Annektionswünsche an Rhein und Ruhr bei den anderen Alliierten auf Ablehnung; schon deshalb, weil diese Gebiete nicht zur französischen Besatzungszone gehörten.

Das Klima zwischen Deutschen und Franzosen war jedoch nicht allein von Gegensätzen geprägt. Stärker als noch in der Zwischenkriegszeit gab es in Rheinland-Pfalz auch Bemühungen um die deutsch-französische Verständigung, die im Bibliotheksbereich auch institutionellen Niederschlag fanden. So nahm die Bibliothek der evangelischen Kirche der Pfalz in Speyer 1961 eine Sondersammlung Französischer Protestantismus in ihren Bestand auf. Sie verdankt ihr Entstehen dem Engagement französischer und deutscher Protestanten, deren Anliegen Annäherung und Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland war. Einem ähnlichen Motiv ist die Gründung des Instituts für europäische Geschichte in Mainz (1950) zuzuordnen. Man wollte über die Erforschung von Gemeinsamkeiten und Wechselbeziehungen in den nationalen und konfessionellen Entwicklungen zum besseren Verständnis zwischen den europäischen Völkern beitragen.[14] 

Bei der Reorganisation des Bibliotheks- und Bildungswesens im neugegründeten Rheinland-Pfalz wurden im wesentlichen zwei Wege beschritten. Zum einen suchte man, genauso wie beispielsweise in Hessen auch, Tendenzen aufzunehmen, die bereits vor dem Krieg wirksam gewesen waren. So entstanden in Kaiserslautern mit der Wiederbegründung des Instituts für Pfälzische Geschichte und Volkskunde im Jahre 1953 und mit der 1977 in Pfalzbibliothek umbenannten Fachbibliothek des ehemaligen Pfälzischen Gewerbemuseums zugleich Einrichtungen, die die regional- und heimatkundlichen Traditionen des 19. Jahrhunderts neu belebten und weiterführen. Hinsichtlich der Hochschulbibliotheken jedoch entschied man sich in Hessen anders als in Rheinland-Pfalz. Während in Hessen bei der Neugründung oder beim Wiederaufbau von Bibliotheken stets an vorhandene Bibliotheksschwerpunkte angeknüpft wurde, ist in Rheinland-Pfalz zwischen den Altbestandsbibliotheken und den neuen Universitätsbibliotheken deutlich getrennt worden. Weder in Trier noch in Mainz sind die großen Stadtbibliotheken heute auch Universitätsbibliotheken."[15]  Zwar reicht die Geschichte der Trierer und Mainzer Universitäten bis in das 15. Jahrhundert zurück, doch wurden beide infolge der Revolutionskriege aufgelöst, ihre Bestände den Stadtbibliotheken zugewiesen. Während des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es zwar Wiederherstellungsbestrebungen, die in Mainz 1927 sogar zur publizistischen 450-Jahrfeier führten, doch erst 1946 wurde die Johannes-Gutenberg-Universität gegründet. Die Trierer Universität wurde zunächst als Gemeinschaftsuniversität mit der Kaiserslauterner Hochschule im Jahre 1970 errichtet; 1975 wurden beide selbständig.

In allerjüngster Zeit erhielt das Land Rheinland-Pfalz schließlich auch eine zweite Landesbibliothek: Im Jahre 1987 wurde als Pendant zur Pfälzischen Landesbibliothek in Speyer die Rheinische Landesbibliothek in Koblenz eröffnet. Damit werden auch auf diesem Sektor die unterschiedlichen Bestandteile, aus denen das Bundesland Rheinland-Pfalz zusammengefügt wurde, ausgewogen gepflegt.

Joachim Meißner

Anmerkungen
[1]  Für die Durchsicht des Textes und für Korrekturen und zahlreiche Anregungen danke ich Herrn Professor Dr. Peter Moraw (Justus-Liebig-Universität Gießen) und den Herren Dr. Hartmut Harthausen und Dr. Jürgen Vorderstemann von der Pfälzischen Landesbibliothek Speyer.
[2]  Sabine Wefers: Ein Reiseführer für die Forschung. In: ABI-Technik 11 (1991) S. 39-46, besonders S. 45
[3]  Vgl. hierzu die Beiträge Fred Raithel: Stadtarchiv Landau und Harald Ehrgott: Senioratsbibliothek Landau
[4]  Peter Moraw: Hessen und das deutsche Königtum. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 26 (1976) S. 43-95, besonders S. 62-74; vgl. auch Alois Gerlich: Rheinische Kurfürsten im Gefüge der Reichspolitik des 14. Jahrhunderts. In: Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert, hrsg. von Hans Patze. Sigmaringen und München 1970-1971, Bd. 2, S. 149-169, besonders S. 169 zur Rolle der Grafenhäuser
[5]  Vgl. die Bibliothek des Gymnasium illustre in Zweibrücken, Beitrag Dieter Blinn: Bibliotheca Bipontina
[6]  Vgl. Dieter Blinn: Bibliotheca Bipontina. Herr Dr. Vorderstemann von der Pfälzischen Landesbibliothek Speyer machte mich auf die von Carl II. August gegründete Bibliothek des Schlosses Carlsberg aufmerksam. Wenn auch das Schloß 1793 zerstört wurde, so findet sich doch ein großer Teil der Büchersammlung heute in der Staatsbibliothek Bamberg.
[7]  Vgl. Geschichte der deutschen Länder. Territorien-Ploetz. Bd. 1: Die Territorien bis zum Ende des alten Reiches, hrsg. von Georg Wilhelm Sante und dem A. G. Ploetz-Verlag. Würzburg 1964, S. 178
[8]  Vgl. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, hrsg. von Ernst Bentler. Zürich 1949, Bd. 12, S. 511-524
[9]  Gabriele Krombach: Beitrag Mainz, Römisch-Germanisches Zentralmuseum
[10]  Ladislaus Buzas: Deutsche Bibliotheksgeschichte der neuesten Zeit (1800-1945). Wiesbaden 1978, S. 57
[11]  Karl Dietrich Erdmann: Die Weimarer Republik. In: Bruno Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 4/1, hrsg. von Herbert Grundmann. 9. Aufl. Repr. Stuttgart 1973, S. 244
[12]  Vgl. Beitrag Jürgen Vorderstemann: Speyer, Pfälzische Landesbibliothek
[13]  Vgl. Rudolf Jung: Die Gründung der Pfälzischen Landesbibliothek und ihre Entwicklung bis zum Jahre 1945. In: Die Pfälzische Landesbibliothek 1921-1971, hrsg. von Wolfgang Metz. Speyer 1971, S. 9-80, besonders S. 24 ff.
[14]  Gabriele Krombach: Beitrag Mainz, Institut für Europäische Geschichte
[15]  Wefers, a.a.O., S. 45


'Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner. '
'Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003. '