FABIAN HANDBUCH: HANDBUCH DER HISTORISCHEN BUCHBESTÄNDE IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND EUROPA SUB Logo
 
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Budíškovice [Budischkowitz]

Schloßbibliothek

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Graf Felix Erdmann Sobeck von Kornitz (1709-1768), Landespräsident von Österreichisch-Schlesien, verkaufte im Jahre 1760 das Barockschloß Budischkowitz an Graf Franz Wenzel von Wallis (1696-1774), Großgrundbesitzer von Moravské Budejovice [Mährisch Budwitz]. Ein schottischer Stamm der Familie Wallis hielt die Herrschaft bis in das erste Drittel des 20. Jhs. Die Familienbibliothek der Wallis wurde über Generationen aufgebaut und bezeugt das große wissenschaftliche Interesse der Angehörigen. Die Familie Wallis gründete Bibliotheken auf allen ihren böhmischen und mährischen Schlössern, die umfangreichsten in Kolešovice [Koleschowitz] und Moravské Budejovice. Budíškovice [Budischkowitz] Schloßbibliothek

1.2 In Budischkowitz machten sich zunächst Franz Wenzel von Wallis, sein Sohn Franz Ernst (1729-1784) und sein Enkel Joseph (1767-1818) um die Bibliothek verdient. Der k.u.k. Kämmerer und Oberst des Regiments Alt-Wallis Franz Wenzel wurde 1724 zum Reichsgrafen und Ritter des Goldenen Vlieses erhoben und hinterließ vorwiegend Militaria. Der k.u.k. Kämmerer und wirkliche Geheimrat Franz Ernst sammelte zudem juristische Werke. Der Enkel Joseph war in verschiedenen höheren Ämtern tätig: er war mährisch-schlesischer Statthalter, wurde 1808 Oberstburggraf des Königreichs Böhmen, 1810 Vorsitzender der Hofkammer und später Staats- und Conferenzminister. Ebenfalls trug er den Orden des Goldenen Vlieses und wurde 1817 zum Präsidenten des Obersten Gerichtes ernannt. Seine Sammeltätigkeit war breit gefächert, so daß Werke zu Ökonomie, Politik, Archäologie, Geschichte, Geographie, Naturwissenschaften und Enzyklopädien zusammengetragen wurden.

1.3 Die Erziehung von Joseph von Wallis betreute der gelehrte Geistliche Augustin Zippe (*1747), der in ihm das Interesse an einheimischen Werken - Moravica, Silesiaca und Hungarica - weckte. Josephs Provenienzvermerke finden sich in der Budischkowitzer Bibliothek am häufigsten. Im Jahre 1788 heiratete er Marie Louise (1768-1826), geborene Gräfin von Waldstein, die in Duchcov [Dux] über eine eigene Privatbibliothek verfügte. Werke aus dieser Bibliothek wurden in die Bibliothek ihres Gemahls eingegliedert und tragen ihr Monogramm MLW. Marie Louises bibliophiles Interesse bezeugen schön gestaltete Einbände der Werke deutscher und französischer Belletristik. Joseph soziales Engagement war bemerkenswert, besonders in der Armenpflege und der Versorgung von Kriegsinvaliden. Dies führte zu Buchankäufen von Werken zu sozialen Fragen. Zudem gründete er eine Anstalt für Blinde. Weitere Generationen der Familie Wallis ergänzten die Bibliothek tsprechend der persönlichen Lesevorlieben, so Maximilian (1789-1864), Joseph Anton (1822-1883) und Joseph Maria (1863-1928). Auf diese Weise wurden die Bestände hauptsächlich um belletristische und historische Werke erweitert.

1.4 Bis 1928 blieb Schloß Budischkowitz im Besitz der Familie Wallis. Dann vererbte Joseph Maria von Wallis das Vermögen seiner Adoptivtochter Anna Maria Gräfin Schaffgotsch (1901-1945), geborene Altgräfin zu Salm-Reifferscheidt-Wallis. 1945 wurde die Schloßbibliothek verstaatlicht und 1954 unter die Verwaltung des Nationalmuseums gestellt, in dessen Besitz sie sich heute befindet.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

2.1 Insgesamt umfaßt die Bibliothek 15.210 Bde, davon 84 Hss., eine lateinische Inkunabel aus dem Jahre 1491, 19 Bde aus dem 16. Jh, 10.139 Alte Drucke (davon etwas weniger als ein Drittel aus dem 17. Jh) sowie ca. 5000 Bde aus dem 19. Jh und vom Beginn des 20. Jhs. Der Anteil deutschsprachiger Werke am Gesamtbestand liegt bei ca. 60 Prozent.

2.2 Die Handschriften aus dem 18. und 19. Jh sind befaßt mit Rechtswissenschaft und Verwaltung. Statistische Auszüge, Militaria und Personalia wie Briefe, Exzerpte, Vorträge, Schulhefte, Rechenbücher u. a. liegen ebenfalls vor. 7 Hss. aus der ersten Hälfte des 18. Jhs sind Abschriften der Werke des Juristen Karl Josef Kittlitz (1689-1753), zwei weitere sind die deutsche Übersetzung des tschechischen Werkes Koldíns Stadtrechte und die Instruction des Kaisers Ferdinand III. (Linz, den 26. November 1644).

2.3 Alte Drucke machen ungefähr zwei Drittel des Bestandes aus. Im 18. Jh wurde die Bibliothek systematisch geordnet nach den Richtlinien von Nicolaus Hieronymus Gundling in seinem Werk Vollständige Historie der Gelahrheit (Frankfurt und Leipzig 1734-1736). Vertreten sind enzyklopädische, historische, philosophische, politische und diplomatische, militärwissenschaftliche, juristische, ökonomische und naturwissenschaftliche Werke, zudem zahlreiche Titel zu Jagd, Landwirtschaft, Pflanzen- und Gemüseanbau. Moravica, Silesiaca und Hungarica finden sich zahlreich. In der Philosophie sind französische Enzyklopädisten und Gelehrte vertreten. Daher fehlt die erste Ausgabe von Diderots und d'Alemberts Encyclopédie (Paris 1751-1780) im Bestand nicht. Vorhanden sind ferner die Lexika von Johann Georg Meusel, u. a. Das gelehrte Teutschland (Lemgo 1776-1778, 1783-1795, 1796, 1812), Neueste Litteratur der Geschichtskunde (Erfurt 1778-1780), Teutsches Künstlerlexicon (Lemgo 1778-1789), Archiv für Künstler und Kunstliebhaber (Dresden 1803-1805) und das Lexicon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen Teutschen Schriftsteller (Leipzig 1802-1813). 1.3

2.4 Alle Mitglieder der Familie Wallis durchdachten ihre Bücherakquisitionen sorgfältig und bezogen zu diesem Zweck Kataloge und bibliographische Handbücher. Besonders Joseph von Wallis und seine Gemahlin Marie Louise verglichen den Bestand ihrer Bibliothek mit gedruckten Katalogen anderer Bibliotheken. Es liegen z. B. vor Catalogus bibliothecae Bruhlianae (Dresden 1750-1756), Catalogus bibliothecae Bunavianae (Leipzig 1751-1753) von Johann Michael Francke, Bibliotheca Windhagiana Viennae Austr. (Wien 1733), Bibliothecae Samuelis S. R. I. Com. Teleki de Szék (Wien 1796-1811), Index rariorum librorum Bibliothecae universitatis regiae Budensis (Buda 1780-1781), Johann Albert Fabricius' Bibliographia antiquaria (Hamburg 1760), Joseph Maria Helmschrotts Verzeichnis alter Druckdenkmale der Bibliothek des uralten Benediktiner-Stiftes zum H. Mang in Füssen (Ulm 1790) und Verzeichniss einiger Büchermerkwürdigkeiten aus den 16. und 17. Jahrhunderten, welche sich in der Bibliothek des regulirten Korherrenstiftes des heil. Augustin zu Neustift in Tyrol befinden (Brixen 1790) von Franz Grass.

2.5 Im Werk von Ignaz de Luca Das gelehrte Österreich (Bd 1, Wien 1778) sind zahlreiche handschriftliche Vermerke eingetragen, in das Verzeichnis österreichischer Schriftsteller wurden weitere Namen handschriftlich nachgetragen, die nicht angeführt waren. Bei anonym erschienenen Ausgaben wurden Verfasser ergänzt; beispielsweise wurde in den Betrachtungen über das Fundament der Kräfte und die Methoden, welche die Vernunft anwenden kann, darüber zu urtheilen (Königsberg 1784) auf dem Vorsatzblatt vermerkt Kant soll Verfasser dieser Schrift seyn. Die Werke Kants sind in der Bibliothek zahlreich vertreten. Die Mitglieder der Familie Wallis interessierten sich auch für die Geschichte des Buchdrucks; u. a. liegen vor Georg Wilhelm Zapfs Älteste Buchdruckergeschichte von Mainz (Ulm 1790), in der eine Bibliographie der Mainzer Wiegendrucke bis zum Jahr 1499 enthalten ist, sowie Heinrich Wilhelm Lawätz' Handbuch für Bücherfreunde und Bibliothekare (Halle 1788-1791). Einige Bücher liegen in schön gestalteten Barock- und Rokokoeinbänden vor.

2.6 Ein kleiner Bestand an Landkarten (ca. 90 Stück) thält neben der Landkarte Böhmens in 25 Sektionen von Johann Christoph Müller (Prag 1720) und dem Atlas Silesiae (Nürnberg 1750) weitere Landkarten von verschiedenen europäischen Staaten. Die Musikalien aus dem 18. Jh (ca. 40 Stück) umfassen Kompositionen für Klavier und für Tanz, z. B. Musikalisches Allerley von verschiedenen Tonkünstlern (Berlin 1761-1763), sowie einige Lieder und Oden. Bei den Musikalien aus dem 19. Jh (ca. 35 Stück) dominieren Sonaten und Symphonien. Die am häufigsten vertretenen Komponisten sind Beethoven, Haydn, Mendelssohn-Bartholdy, Liszt, Schubert und Schumann.

2.7 Im Bestand aus dem 19. Jh und vom Anfang des 20. Jhs machen deutschsprachige Werke etwa 70 Prozent aus. Der überwiegende Teil der Werke stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jhs, wobei die Fächer, die auch schon bei den Alten Drucken vertreten sind, weiterhin als Sammelgebiete fortbestanden. Einige Werke vom Beginn des 19. Jhs tragen Widmungen der Verfasser an Joseph von Wallis; bei anderen blieben die Seiten unaufgeschnitten. Am Ende des 19. Jhs wurde die Bibliothek vor allem um zeitgenössische Belletristik ergänzt, die vorwiegend in broschierten Ausgaben vorliegt. Anhand von Verlagsverzeichnissen, z. B. des Verlags Teubner in Leipzig und Berlin (1811-1911), wurde die laufende Buchproduktion von den Familienmitgliedern verfolgt und akquiriert.

3. KATALOGE

3.1 Moderne Kataloge

Gesamtkatalog der Schloßbibliotheken unter der Verwaltung des Nationalmuseums in Prag

[erstellt 1977-1985]

Standortkatalog

[2 Bde; erstellt 1975-1976]

Standortkatalog

[9 Bde; Kopien der Zettel im Gesamtkatalog]

3.2 Historische Kataloge

Verzeichnis meiner Bücher

[hschr.; vom Beginn des 19. Jhs; Signatur R 32]

Zum näheren Verständnis der Bücherkataloge in der Budischkowitzer Bibliothek

[hschr.; aus der zweiten Hälfte des 19. Jhs; die beschriebene Gliederung in 14 Abteilungen wurde nicht verwirklicht; Signatur R 68]

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

Lifka, Bohumír: Zámecké a palácové knihovny v Cechách. Prehled historicko-topografický [Schloß- und Palaisbibliotheken in Böhmen. Eine historisch-topographische Übersicht]. In: Ceský bibliofil [Der tschechische Bibliophile] 6 (1934) S. 47

Lifka, Bohumír: Knihovny státních hrad a zámk [Bibliotheken der staatlichen Burgen und Schlösser]. Praha 1954, S. 12

Lifka, Bohumír: Zámecké knihovny v Dacicích [Die Schloßbibliotheken in Dacice]. In: Dacice. Státní zámek, mesto a památky v okolí [Dacice. Staatsschloß, Stadt und Denkmäler in der Umgebung]. Praha 1960, S. 17-19

5. VERÖFFENTLICHUNGEN ZU DEN BESTÄNDEN

Kneidl, Pravoslav: Zámecké knihovny [Schloßbibliotheken]. In: Knihovna Národního musea v Praze [Die Bibliothek des Nationalmuseums in Prag]. Praha 1959, S. 147

Petr, Stanislav: Rukopisné fondy zámeckých a hradních knihoven na Morave a ve Slezsku [Handschriftenbestände in Schloß- und Burgbibliotheken in Mähren und Schlesien]. In: Problematika historických a vzácných knizních fond Cech, Moravy a Slezska [Die Problematik historischer und wertvoller Buchbestände in Böhmen, Mähren und Schlesien]. Brno 1995, S. 20-21, 49 [Sammelband zur 4. Fachkonferenz in Olmütz am 11.-12. Oktober 1994]

Stand: Oktober 1996

Helga Turková


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.