FABIAN HANDBUCH: HANDBUCH DER HISTORISCHEN BUCHBESTÄNDE IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND EUROPA SUB Logo
 
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Österreichische Nationalbibliothek: Druckschriftenbestand

Adresse. Josefsplatz 1, 1015 Wien [Karte]
Telefon. (0222) 534 10-0, Katalogauskunft der Abteilung Wissenschaftliche Information: 534 10-444
Telefax. (0222) 534 10-280 (Generaldirektion), -437 (Abteilung Wissenschaftliche Information), -445 (Erwerbung)
Telex. 11 26 24
Bibliothekssigel. <01>

Unterhaltsträger. Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung
Funktionen. Nationalbibliothek; öffentlich zugängliche wissenschaftliche Bibliothek.
Sammelgebiete. 1. Allgemeine
Sammelgebiete. : Die gesamte in Österreich erschienene oder gedruckte Literatur sowie im Ausland erschienene Publikationen mit Österreich-Bezug; in Auswahl ausländische Werke der Geisteswissenschaften, der Wissenschaftsgeschichte, des Bibliotheks-, Informations- und Dokumentationswesens, Nachschlage- und Grundlagenwerke, bis zum Ersten Weltkrieg auch medizinische und mathematisch-naturwissenschaftliche Literatur. - 2. Besondere
Sammelgebiete. : Flugblätter, Plakate, Exlibris (sowie Objekte der Spezialsammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek, s. gesonderte Einträge).

Benutzungsmöglichkeiten. . Präsenzbibliothek mit Lesesälen. Entlehnung bedingt möglich. - Öffnungszeiten: Hauptlesesaal und Kataloghalle (Eingang Heldenplatz, Mittleres Tor): Montag bis Freitag 9-19.45 Uhr, Samstag 9-13 Uhr. - Zeitschriftenlesesaal, Großformatelesesaal im Tiefspeicher, Mikroformen- und AV-Medien-Lesesaal: Montag und Donnerstag 9-19.45 Uhr, Dienstag, Mittwoch, Freitag 9-15.45 Uhr, Samstag 9-13 Uhr (Mikroformen-Saal samstags geschlossen). Eingeschränkte Öffnungszeiten vom 16. Juli bis 31. August: Montag bis Freitag 9-15.45 Uhr, Samstag 9-13 Uhr. - Augustiner-Lesesaal (Eingang Josefsplatz 1): Montag, Mittwoch bis Freitag 9-15.45 Uhr, Dienstag 9-19.45 Uhr (16. Juli bis 31. August: 9-15.45 Uhr). - Leihstelle und Fernleihestelle (Heldenplatz): Montag bis Freitag 9-15 Uhr. - Schlagwortkatalog 1501-1929 (Schlosserstiege): Montag, Mittwoch, Freitag 9-13 Uhr, Dienstag, Donnerstag 13-15.45 Uhr. - Vom 1. bis 21. September, an Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen bleibt die Bibliothek geschlossen. - Leihverkehr: ÖLV, internat. Leihverkehr.
Technische Einrichtungen für Benutzer. Kopiergeräte, Reader-Printer, Mikrofilm- und Mikrofiche-Lesegeräte, 6 AV-Medien-Plätze, CD-ROM-Station sowie EDV-Literaturrecherche in der Informationsvermittlungsstelle. - Kopier-, Foto- und Mikrofilmbestellungen brieflich (oder über Fax) möglich.
Gedruckte Informationen. Die Österreichische Nationalbibliothek. Geschichte-Bestände-Aufgaben. 5. ergänzte Aufl. Wien 1979 (Biblos-Schriften, 108)
'Hinweise für anreisende Benutzer.' Für Leser außerhalb Wiens Buchvorbestellung über die Benützungsabteilung brieflich oder per Fax möglich. Bestellte Bücher bleiben eine Woche unter dem Namen der Benutzer reserviert. - Besichtigung des Prunksaals: Mitte Mai bis 26. Oktober: Montag bis Samstag 10-16 Uhr, Sonn- und Feiertage 10-13 Uhr. 2. November bis Mitte Mai: Montag bis Samstag 11-12 Uhr (verlängerte Öffnungszeiten bei Ausstellungen im Prunksaal). - U 1, U 2, U 4 und Ringlinien bis Station Karlsplatz/Oper oder U 1, U 3 bis Station Stephansplatz, Fußwegnähe. - Keine Parkmöglichkeiten.

Inhalt

 Bestandsgeschichte ................................... [1.1]
 Die Anfänge habsburgischen Bücherbesitzes ............ [1.2]
 Die ersten kaiserlichen Bibliothekare(1575-1663) ..... [1.6]
 Die Bibliothek unter Peter Lambeck
 und seinen Nachfolgern (1663-1722) ................... [1.11]
 Die barocke Bibliothek (1722-1745) ................... [1.16]
 Ausbau zur wissenschaftlichen 
 Universalbibliothek (1745-1803) ...................... [1.20]
 Die Hofbibliothek in der ersten 
 Hälfte des 19. Jahrhunderts .......................... [1.26]
 Die Francisco-Josephinische Ära ...................... [1.31]
 Von der Hofbibliothek zur Nationalbibliothek ......... [1.36]
 Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg ............ [1.44]
 Die Österreichische Nationalbibliothek seit 1945 ..... [1.46]
 OeNat2:
 Bestandsbeschreibung ................................. [2.1]
 Chronologische Übersicht und 
 Übersicht nach Sprachen .............................. [2.2]
 Systematische Übersicht .............................. [2.5]
 Allgemeines Schrifttum, Periodika .................... [2.8]
 Bibliotheks- und Bücherkunde, Typographie ............ [2.17]
 Philosophie und Psychologie .......................... [2.23]
 Pädagogik ............................................ [2.49]
 Geschichte und historische  Hilfswissenschaften ...... [2.54]
 Geographie s. Kartensammlung Anthropologie ........... [2.79]
 Naturwissenschaften und Medizin ...................... [2.84]
 Medizin, Pharmazie, Veterinärmedizin ................. [2.85]
 Physik ............................................... [2.101]
 Chemie ............................................... [2.108]
 Biologie ............................................. [2.113]
 Mathematik ........................................... [2.125]
 OeNat3:
 Allgemeine Philologie, Philologie
 außereuropäischer Sprachen ........................... [2.129]
 Japanische Sprache und Literatur ..................... [2.135]
 Chinesische Sprache und Literatur .................... [2.138]
 Indische Philologie .................................. [2.144]
 Hebraistik, Jiddische Sprache und Literatur .......... [2.147]
 Orientalische Sprachen und Literaturen ............... [2.151]
 Klassische Philologie ................................ [2.155]
 Germanistik .......................................... [2.164]
 Romanische Philologie ................................ [2.189]
 Englische Philologie ................................. [2.218]
 Slawische Philologie ................................. [2.224]
 Ungarische Philologie ................................ [2.239]
 Kunst ................................................ [2.244]
 Musik s. Musiksammlung
 Theater s. Bibliothek des Österreichischen Theatermuseums
 OeNat4:
 Rechtswissenschaft ................................... [2.253]
 Theologie ............................................ [2.268]
 Militaria ............................................ [2.292]
 Wirtschaft, Handel, Verkehr........................... [2.301]
 Land- und Forstwirtschaft............................. [2.308]
 Spiel, Sport und Unterhaltung......................... [2.312]
 Sondersammlungen ..................................... [2.314]
 Flugblätter- und Plakatesammlung ..................... [2.314]
 Exlibris-Sammlung .................................... [2.325]
 Erotica .............................................. [2.329]
 OeNat5:
 Kataloge ............................................. [3.0]
 Moderne allgemeine Kataloge .......................... [3.1]
 Moderne Sonderkataloge ............................... [3.2]
 Historische allgemeine Kataloge ...................... [3.3]
 Historische Sonderkataloge ........................... [3.4]
 Quellen und Darstellungen
 zur Geschichte der Bibliothek ........................ [4.0]
 Archivalien .......................................... [4.1]
 Darstellungen ........................................ [4.2]
 Veröffentlichungen zu den Beständen .................. [5.0]
 Gesondert beschriebene Spezialsammlungen:
 Handschriften- und Inkunabelsammlung ................. [1]
 Kartensammlung und Globenmuseum ...................... [2]
 Musiksammlung ........................................ [3]
 Papyrussammlung ...................................... [4]
 Porträtsammlung und Bildarchiv ....................... [5]
 Bibliothek des Österreichischen
 Theatermuseums (vormals Theatersammlung) ............. [6]

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Der historische Buchbestand der Österreichischen Nationalbibliothek fällt zum größten Teil unter die der Bibliothek aus historischen Gründen oder speziellen Vereinbarungen zugewachsenen Kulturgüter (Paragraph 28 im Forschungsorganisationsgesetz 1981, letzte Änderung Bundesgesetzblatt 101, 1993). Insbesondere die bis 1920 in der Vorgängerinstitution, der k.k. Hofbibliothek, und in diversen Privatsammlungen des Hauses Habsburg-Lothringen erworbenen Bestände prägen seinen Umfang und seine Ausrichtung wesentlich.

Die Anfänge habsburgischen Bücherbesitzes

1.2 Ein Gründungsdatum der Bibliothek ist nicht nachzuweisen. Da sowohl eine Gründungsurkunde als auch Zeugnisse über eine am selben Ort kontinuierlich erweiterte ältere Bibliothek fehlen, wurden die Anfänge der Hofbibliothek auf die Büchersammlungen der Habsburger des 16. Jhs zurückgeführt. Erst in der 1968 erschienenen Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek interpretierte Ernst Trenkler Forschungen des Historikers Alphons Lhotsky über mittelalterlichen Bücherbesitz der Habsburger als Zeugnisse des sechshundertjährigen Bestehens der Wiener Palatina (in Stummvoll/Fiedler, s. u. 4.2). Demnach beginnt die Geschichte der Hofbibliothek - analog zu anderen europäischen Fürstenbibliotheken - in der zweiten Hälfte des 14. Jhs mit dem Entstehungsjahr des ersten nachweisbaren Objektes habsburgischer Sammeltätigkeit, das sich seit 1727 wieder im Besitz der Bibliothek befindet. Das illuminierte Evangeliar des Johannes von Troppau (Cod. 1182) weist sowohl ein Entstehungsjahr (1368) als auch das Wappen des Auftraggebers, Herzog Albrecht III. (reg. 1365-1395), auf. Die Hss. aus dem Schatz Albrechts ließ Friedrich III. (reg. 1439-1493) durch Käufe, Verträge und Erbschaften zur kaiserlichen Kostbarkeiten-Sammlung erweitern. Durch das Erbe des Ladislaus V. Postumus (1440-1457) gelangte er in den Besitz einiger der Hss., die für König Wenzel I. (reg. 1378-1400) in der Miniatorenwerkstatt in Prag gefertigt worden waren, darunter die Wenzelsbibel und die Goldene Bulle. Der Sammlung Friedrichs III. lassen sich, nicht zuletzt dank der Auszeichnung mit der Devise A.E.I.O.U., mit einiger Sicherheit 56 Hss. und 4 Inkunabeln zuweisen, ein Großteil ging allerdings verloren. Um diesen Bestand zu ordnen, sollen Aeneas Silvius Piccolomini (1405-1464) und Georg Peuerbach (1423-1461) an den Hof Friedrichs III. berufen worden sein. Offensichtlich gab es mehrere Aufbewahrungsorte für die frühen Habsburger Büchersammlungen: ein Teil befand sich in der Wiener Neustädter Burg, ein Teil in einem Turm im Bereich des Schweizer Tores in der Wiener Hofburg.

1.3 Friedrichs III. Sohn, Maximilian I. (reg. 1493-1519), ließ Hss. und Drucke sowohl unter ihrem materiellen Aspekt als Teile des Hofschatzes als auch nach wissenschaftlichen und künstlerischen Kriterien systematisch vermehren. Beispiele burgundischer und nordfranzösischer Buchmalerei gelangten durch die Mitgift seiner ersten Gemahlin, Maria von Burgund (1457-1482), Hss. aus der Sammlung der Mailänder Sforza durch die zweite Gattin, Bianca Maria Sforza (1472-1510), in den Besitz der Habsburger. Hinzu kamen die zahlreichen, von Maximilian verfaßten bzw. in Auftrag gegebenen Hss. und Drucke und die ihm gewidmeten Werke. Aus dem Vergleich des Innsbrucker Inventari mit später erstellten Inventaren lassen sich 176 Hss. in 185 Bdn, 33 Inkunabeln und 14 Drucke rekonstruieren, die während Maximilians Regierungszeit erworben wurden, darunter auch die Bibliothek des Ladislaus Suntheim †1513) - mit dem Erbe seines Vaters 329 Werke. Zunächst in Wien und Wiener Neustadt untergebracht, wurde mit der Verlegung der Residenz um 1500 ein Großteil der Bücher in Truhen nach Innsbruck gebracht und mit den Werken aus der Erbschaft Friedrichs III. vereinigt. Diesen wertvollen Kern der habsburgischen Büchersammlung ließ Erzherzog Ferdinand später aus der Innsbrucker Burg ins Schloß Ambras verlegen (ein Teil gelangte 1665 nach Wien, der Rest wurde 1936 aus dem Kunsthistorischen Museum übernommen). Die wissenschaftliche Ordnung, Aufstellung und Vermehrung der in Wien und Wiener Neustadt verbliebenen Bestände besorgte der Gelehrte Konrad Celtis (1459-1508), danach Johannes Cuspinian (1473-1529). Dessen Privatbibliothek gelangte zunächst in die umfangreiche Bibliothek des Wiener Bischofs Johannes Fabri (1478-1541) und mit dieser später (1756, mit der alten Wiener Universitätsbibliothek) in die Hofbibliothek.

1.4 Für die Zeit nach dem Tode Maximilians I. bis zur Bestellung des ersten kaiserlichen Bibliothekars 1575 sind nur wenige direkte Zeugnisse über die kaiserliche Büchersammlung vorhanden. Die Annahme einer Neugründung durch Ferdinand I. (Menhardt, s. u. 4.2) als Kulturinstrument der Gegenreformation unter dem Einfluß der Jesuiten ist nicht haltbar. Seit der ersten historischen Darstellung dieser Periode in Peter Lambecks Commentarii (1665, s. u. 4.2) wird auf die Beziehungen der Gelehrten Niedbruck, Lazius und Busbeck zur Hofbibliothek und das persönliche Interesse Maximilians II. (reg. 1564-1576) hingewiesen. Den für den Wiener Hof als Diplomat tätigen Kaspar Niedbruck (1525-1557) bevollmächtigte Maximilian II. zur Entlehnung von handschriftlichen Quellen aus der Hofbibliothek nach Augsburg, an den befreundeten Flacius Illyricus, der sie für die Dokumentation der Reformationsgeschichte, die Magdeburger Centurien, abschreiben ließ. Weitere von Niedbruck aus Klöstern (Melk, Wiener Schotten) entlehnte Hss. kamen mit dem größten Teil seiner Bibliothek in die Hofbibliothek. Der Arzt und Historiker Wolfgang Lazius (1514-1565) unternahm als Hofhistoriograph in den Jahren 1548, 1549 und 1551 drei Bibliotheksreisen in die Klöster Nieder- und Oberösterreichs, der Steiermark und Kärntens sowie in die vorderösterreichischen Länder, um sich Unterlagen für eine Geschichte des Herrscherhauses zu beschaffen. Ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben Maximilians II., gelangte er durch Kauf, Schenkungen oder Entlehnung in den Besitz zahlreicher wertvoller Hss. und Drucke, die er edierte und katalogisierte. Erst nach seinem Tod kamen sie in die Hofbibliothek - von der großen Privatsammlung lassen sich etwa 60 Hss. im Bestand nachweisen, darunter die altdeutsche Wiener Genesis (Cod. 2721), ein Geschenk von Lazius an Maximilian.

1.5 Über Vermittlung des kaiserlichen Gesandten in Konstantinopel, Augerius Ghislain de Busbeck (1522-1592), kaufte Maximilian II. die Dioskurides-Hs. (Cod. 7380). Busbeck, der auch als Erzieher der Söhne Maximilians wirkte, schenkte 1576 seine in Konstantinopel und Griechenland erworbenen 272 Hss. der Hofbibliothek, die er gelegentlich benützt und seit 1563 auch betreut hatte. Weiters ließ Maximilian die Bibliothek des für die Fugger tätigen Verwalters Hans Dernschwamm (†1568) ankaufen. Der erhaltene Katalog verzeichnet 369 Bde. Der Hofhistoriograph Johannes Sambucus (1531-1584) sollte in kaiserlichem Auftrag gezielt Bücher im Ausland erwerben. Diese Initiativen Maximilians II. erfolgten vorwiegend von seiner Residenz in Prag aus. Die Bücher wurden in Truhen zwischen Wien und Prag hin und her transportiert, andere an Gelehrte entlehnt. Es gab also eine Sammlung und Aktivitäten zu ihrer Vermehrung, allerdings fehlte die kontinuierlich planende und ordnende persönliche Instanz, die ihre Aktivitäten ausschließlich der Betreuung dieser Sammlung widmen konnte.

Die ersten kaiserlichen Bibliothekare (1575-1663)

1.6 Um den Bestand der Bibliothek zu überprüfen und einen Katalog in zweifacher Ausführung (ein Exemplar für den Kaiser in Prag, eines für die Bibliothek) herzustellen, wurde der Jurist und Rhetorikprofessor Hugo Blotius (1534-1608) in einem kaiserlichen Schreiben vom 15. Juni 1575 zum Bibliotecario ernannt. Das damit nachweislich geschaffene Amt des kaiserlichen Bibliothekars war nicht sehr einträglich. Blotius bekam 200 Gulden, die man ihm nicht regelmäßig ausbezahlte, und mußte davon zunächst auch Famuli und Schreiber verpflegen und entlohnen. Die kaiserliche Bibliothek, wahrscheinlich seit den fünfziger Jahren des 16. Jhs bis 1623 im Minoritenkloster untergebracht, entsprach damals nach Blotius' Berichten einem von Schimmel, Fäulnis und Spinnweben heimgesuchten Bücherlager. Die Bücher waren in 28 Kästen - z. T. jedoch in großer Unordnung - aufgestellt, die Dernschwamm-Bibliothek befand sich geordnet und katalogisiert in einem eigenen Kasten. Blotius führte in wenigen Monaten mit zwei Gehilfen eine Bestandsaufnahme (Inventarisierung und Katalogisierung) durch. Auf einen nicht mehr erhaltenen Alphabetischen Katalog mit Standortangaben zurückgreifend, beschreibt der 1576 fertiggestellte Katalog 7379 Bde. Die damals in die Bücher eingetragenen Signaturen kennzeichnen noch heute diese bis 1576 inventarisierten Bände. Die umfangreichen neueren Erwerbungen und die Adligate wurden jedoch nicht aufgearbeitet. Die 1592 von Blotius angegebene Bestandszahl von 9000 Bdn dürfte daher bei weitem überschritten worden sein.

1.7 Zu den Erwerbungen zählten neben den Hss. Busbecks (heute sind 272 nachweisbar) vor allem die Werke aus dem Besitz des Johannes Sambucus. 1578 kaufte die Hofbibliothek Sambucus' 530 Hss., nach seinem Tode aus dem Nachlaß ca. 2600 Druckschriften und Landkarten. Ob neben Teilen der Bibliothek des Dr. Johannes Allegri auch die von Blotius katalogisierten Bibliotheken von Nikolaus Gabelmann (1579), Oberstkämmerer Rumpf (1583) und Historiker Brutus in die Hofbibliothek eingingen, läßt sich nicht mehr nachweisen. Hinzu kamen Transferierungen der Bücher Maximilians II. zwischen Wiener Neustadt, Prag und Wien in den Jahren 1577 bis 1586. Die von Blotius betreute kaiserliche Bibliothek, einschließlich der nicht aufgenommenen Neuerwerbungen, muß mehr als 11.000 Bde enthalten haben. Nach Blotius' Aufzeichnungen wurde die kaiserliche Bibliothek von den Angehörigen des Hofes und der Wiener Universität benützt sowie von vielen Reisenden und Adeligen besichtigt. Wegen Beschwerden über Verluste aus den schwierig zu kontrollierenden Büchertransporten nach Deutschland und nach Prag wurde Blotius 1595 der Kurator Richard Freiherr von Strein (1537-1600) vorgesetzt, dessen Bibliothek 1623 in die kaiserliche Sammlung aufgenommen wurde.

1.8 Da keine Instruktionen über die Tätigkeit des Bibliothekars vorlagen, twarf Blotius 1579 Richtlinien (Consilium, HB 4/1579) zur Verwaltung und wissenschaftlichen Benützung der kaiserlichen Bibliothek. Zur Erweiterung der Sammlungen sollten Schenkungen und Nachlässe akquiriert und auch die konsequente Einforderung der Belegexemplare verfolgt werden, die für die Erteilung der kaiserlichen Druckprivilegien an den Hof zu liefern waren. Seit 1569 gab es einen kaiserlichen Bücherkommissär in Frankfurt zur Überwachung der Ablieferung privilegierter Werke, für Zensurangelegenheiten und Zusendung der Messkataloge, aus denen die Bücher bestellt wurden. Weiters wollte Blotius säumigen Entlehnern mit kaiserlichen Rückstellungsaufträgen begegnen können. Darüber hinaus forderte er eine Dotation für den Ankauf ausländischer Werke und für die Erhaltung der Bücher sowie geeignete und repräsentative Räumlichkeiten für ihre Aufbewahrung. Das Sammlungsziel war eine Universalbibliothek, die Bücher aller Wissenschaften und aller Religionen enthalten sollte, selbst die Verteidiger der wahren Religion sollen die Werke ihrer Gegner vorfinden (HB 4/1579). Blotius' Forderungen wurden nur teilweise erfüllt. Sie weisen bereits auf die in den nächsten Jahrzehnten dominierenden Problemfelder hin - die ungeregelte Benützung, unregelmäßige Finanzierung von Erwerbung und Personal, die daraus folgende mangelhafte Erschließung der Bestände und unzureichende Räumlichkeiten.

1.9 1608 übernahm Blotius' langjähriger Koadjutor, Sebastian Tengnagel (1573-1636), die Leitung der kaiserlichen Bibliothek. Er vollendete die bereits von Blotius begonnene Neukatalogisierung. Die dabei getrennt erfolgte Verzeichnung der Hss. und Drucke stellte den ersten Schritt für die im 19. Jh organisatorisch vollzogene Gründung der Handschriftensammlung der Hofbibliothek dar. Tengnagel bemühte sich gegen den Widerstand der Verleger und Drucker um die Neuregelung der Ablieferung des Pflichtexemplars. Im Patent Ferdinands II. vom 26. August 1624 wurde sie von den privilegierten Drucken auf alle Ausgaben gedruckter Bücher erweitert. In Tengnagels Amtszeit fällt die Übersiedelung der Bibliothek vom Minoritenkloster in ein Gebäude, das zum Komplex der Hofburg gehörte, dann 1631 in das Harrachsche Haus, in 8 Räume des Obergeschoßes, wo sie bis zur Aufstellung im Neubau am Josefsplatz blieb. Damals dürften die Hss. Tycho Brahes und Johannes Keplers in die Wiener Bibliothek gelangt sein. Den Grundstein zu den Orientalia-Beständen legte die testamentarisch der Hofbibliothek vermachte Bibliothek Tengnagels mit mehr als 4000 Hss. und Drucken, darunter zahlreiche orientalische und hebräische Hss.

1.10 Der bereits von Blotius beklagte finanzielle Notstand prägte auch die Arbeitsbedingungen seiner Nachfolger. Bis 1662 scheint das Amt des kaiserlichen Bibliothekars nicht im Finanzplan des Hofzahlamtes auf. Neben Aufzeichnungen der Bibliothekare bestimmen zahlreiche Ansuchen um die Auszahlung von zurückbehaltenen Bezügen und dringend benötigten Ausgaben die Quellenlage. Möglicherweise war auch die Ernennung Matthäus Mauchters - als Kanonikus von St. Stephan ausreichend versorgt - zum Präfekten (1650-1663) von finanziellen Überlegungen geleitet. In Mauchters Amtszeit fällt die bedeutende Erwerbung der letzten Augsburger Fugger-Bibliothek aus dem Erbe Philipp Eduard Fuggers (1546-1618). Der tief verschuldete Enkel Albert Fugger (1624-1692) sah sich 1655 zum Verkauf gezwungen. Unter Mauchters Aufsicht wurde die Bibliothek in Augsburg katalogisiert und für 15.000 Gulden gekauft. Bei der Aufstellung in Wien wurden etwa 15.000 Bde gezählt, d. h. mehr als im Katalog verzeichnet waren, darunter 300 Hss. (auch Musikalien) vorwiegend des 16. Jhs, ein für König Wenzel angefertigter Ptolemäus-Kommentar aus dem Besitz des Matthias Corvinus (Cod. 2271) und 27 Bde der Fugger-Zeitungen (Cod. 8949-8975, die Sammlung der 1568 bis 1605 an das Haus Fugger gesandten handschriftlichen Korrespondentenberichte aus den Handelsstädten Europas). Ferner verfaßte Mauchter einen Systematischen Katalog mit alphabetischem Index, der erstmals auch die seit Blotius erworbenen Druckschriften berücksichtigte (Cod. 13.555-13.557) - das erste Gesamtverzeichnis der kaiserlichen Bibliothek.

Die Bibliothek unter Peter Lambeck und seinen Nachfolgern (1663-1722)

1.11 Gegen Ende des 17. Jhs erreichte der Umfang der Bibliothek etwa 100.000 Bde. In den Räumen des Harrachschen Hauses schien eine geeignete Aufbewahrung nicht mehr möglich. In Erwägung des repräsentativen Stellenwerts einer Fürstenbibliothek zeigte sich der Hof am Neubau eines standesgemäßen Bibliotheksgebäudes interessiert. Die Verwirklichung des 1663 bereits entworfenen Modells wurde jedoch zunächst verzögert, nach den Schäden infolge der Zweiten Türkenbelagerung Wiens (1683) konnte sie dann nicht mehr finanziert werden. Es blieb bei Ausbesserungsarbeiten in den bestehenden dunklen Räumen. Der Präfekt Peter Lambeck (1663-1680) forcierte weniger einen Neubau als die systematische Nutzung und Ausgestaltung der vorhandenen Räume. Neben den ungebundenen Werken und den getrennt verwahrten Hss. und Drucken zählten damals die kaiserliche Privatbibliothek, eine Zimeliensammlung mit Luxusausgaben, Bildern und Antiken sowie eine Pinakothek (Bilder und Statuen) und eine Münzsammlung zum Bestand. Lambeck versuchte durch das Aufstellen von weiteren Bücherkästen als Trennwände neuen Stellraum zu gewinnen. Er hatte den platz, wie wol er dem ersten anschein nach für hundert tausend Bücher scheinet viel zu klein zu sein, dannoch so rathsam abgetheilet und so nützlich gebrauchet, daß die jetztgedachte Summa Bücher würklich in guter ordnung darin stehet (Lambecks Tätigkeitsberichte).

1.12 Mit Lambeck stand der kaiserlichen Bibliothek ein selbstbewußter Gelehrter vor, der sich zu seinem und dem Vorteil der Bibliothek aktiv um ein gutes Verhältnis zum Wiener Hof, insbesonders zu Leopold I., bemühte. Von etwa 10 bis 12 jährlichen Vorsprachen des Bibliothekars beim Kaiser zeugen die Memoralien, die Lambeck zur Vorbereitung seiner Kaiseraudienzen in den Jahren 1666 bis 1679 anlegte (Cod. 8011); 80 handschriftliche Briefe Leopolds an Lambeck (Cod. 7628, 9712-9716), zahlreiche Besuche des Kaisers in der Bibliothek und die Teilnahme Lambecks als gelehrter Begleiter auf Reisen des Kaisers illustrieren die ausgezeichneten Beziehungen. Wenn auch die räumlichen Verhältnisse unzureichend blieben, gelang es Lambeck immerhin, eine regelmäßige jährliche Dotation (1000 Gulden) aus den von der Stadt Wien eingehobenen jüdischen Toleranzgeldern für die Bibliothek zu erwirken (1664). Verwendet wurde sie für Schuldentilgung der Büchereinkäufe, Buchbinderarbeiten, Restaurierung und Edition alter Hss., den Austausch der offenen durch geschlossene Bücherkästen, den Ankauf seltener und ausländischer Werke (aus Italien, Spanien, Frankreich und den Niederlanden) sowie jener, die nicht durch die Buchmessen nach Wien gelangten.

1.13 Zu den wichtigsten Erwerbungen zählte die Bibliothek der Ambraser Kunst- und Wunderkammer, die Leopold I. 1665 mit dem Erlöschen der tirolischen Linie der Habsburger erbte. Die Verlagerung der habsburgischen Kunstsammlung aus Innsbruck ins Schloß Ambras hatte Erzherzog Ferdinand (1547-1595) veranlaßt. Mit seiner Gemahlin, Philippine Welser (um 1530-1580), widmete er sich ihrer Erweiterung. Nach den Aufzeichnungen Lambecks zählte auch die Büchersammlung des kaiserlichen Rates Dr. Caspar Panza zu den in Ambras vorgefundenen Beständen. Lambeck sollte die Hss. und von den gedruckten Büchern alle in der kaiserlichen Bibliothek nicht vorhandenen nach Wien bringen lassen, insgesamt 2058 Bde (583 Hss., 1489 Druckwerke). Damit wurde ein Großteil des ältesten habsburgischen Bücherbesitzes in der Hofbibliothek in Wien zusammengeführt, darunter die berühmtesten deutschen literarischen Manuskripte des Spätmittelalters, die Wenzelsbibel (Cod. 2759-2765) und der Livius-Codex (Cod. 15) des 5. Jhs. Das im Auftrag Maximilians I. entstandene Ambraser Heldenbuch (Cod. ser. nov. 2663) und weitere 180 Hss., die der Ambraser Schloßhauptmann Lambeck vorenthielt, gelangten allerdings erst 1806 nach Wien in die kunsthistorischen Sammlungen des Kaiserhauses. Es dauerte noch 120 Jahre, bis sie von der Nationalbibliothek übernommen werden konnten (1936). Lambecks Versuch, die aus einigen Humanistenbibliotheken vorhandenen Corvinen mit weiteren wertvollen Stücken aus der berühmten Bibliothek des Matthias Corvinus zu erwerben, scheiterte. Hingegen gelang es ihm, seine eigene Bibliothek aus Hamburg (ca. 3000 Bde) auf Kosten des Hofes nach Wien transportieren und 1667 für 2300 Gulden von der Hofbibliothek ankaufen zu lassen. Weitere bedeutende Erwerbungen stellten die Handschriftensammlung des venezianischen Senators Sebastiano Erizzo (1525-1585) und die Bibliothek des Marquese Cabrega (†) erste Hälfte des 17. Jhs) mit spanischen Hss. und Drucken dar (1674). Hinzu kamen an Einzelwerken u. a. die 1514 bis 1517 gedruckte Complutenser Polyglottenbibel (1675) und - 1677 als Geschenk des Herzogs Johann Georg zu Sachsen-Eisenach - die mexikanische Bilderhandschrift (Cod. mex. 1). Die Erwerbung neuerer Literatur erfolgte bereits gegen Tausch von Dubletten und durch gezielten Ankauf nach kaiserlicher Genehmigung.

1.14 Die Bibliothek diente vorwiegend repräsentativen Zwecken. Sie wurde vom Kaiser mit seinen Gästen (gelegentlich auch mit seinem Hund, der zwei Codices zerriß), von Hofangehörigen und ausländischen Standespersonen besichtigt. In den Jahren 1662 bis 1676 betreute Lambeck über tausend Haupt-Besuchungen, das ergibt etwa 70 Besucher pro Jahr. Der Kreis der Leser, die ihren Bestand benützten bzw. ausliehen, dürfte sich auf wenige bekannte Gelehrte beschränkt haben. Dem zeitgenössischen Bemühen um die Dokumentation der angelegten Sammlungen in gedruckten Verzeichnissen tsprechend plante auch Lambeck eine umfassende Publikation über die kaiserliche Bibliothek. Sie sollte sowohl die Geschichte der Hofbibliothek, Vorschläge für ihre Ausgestaltung und Systematisierung als auch eine erste Beschreibung ihrer Bestände (Hss., Drucke, Münzen, Antiquitäten) bzw. deren Einordnung in eine Literaturgeschichte darstellen. Von den in 25 Bdn konzipierten Commentariorum de Augustissima Bibliotheca Caesarea Vindobonensi erschienen 8 Bücher (1665-1679), die vorwiegend der Geschichte der Hofbibliothek und den griechischen Hss. gewidmet waren. Von wissenschaftshistorischer Bedeutung ist die Beschreibung einiger deutscher mittelalterlicher Hss. Das monumentale Projekt, der einzige gedruckte Katalog, der alle Sammlungen der kaiserlichen Bibliothek umfassen sollte, blieb jedoch ein Torso.

1.15 In die Amtszeit von Lambecks Nachfolger Daniel Nessel (1680-1700) fiel die Belagerung Wiens im Türkenkrieg (1683). Die Bestände der Bibliothek blieben davon unbehelligt. Der 1682 bereits begonnene Neubau der Reitschule, der im ersten Stock die kaiserliche Bibliothek aufnehmen sollte, konnte jedoch nicht vollendet werden. Die ca. 8000 Bde der 1701 in Prag erworbenen Bibiothek des Grafen Kinsky (wahrscheinlich Franz Ulrich, 1634-1699) machten die Raumfrage zum akuten Problem. Die Bücher mußten gegen jährliche Zinszahlungen im Kinskyschen Haus in Wien untergebracht werden. Johann Benedikt Gentilotti von Engelsbrunn (Leiter der Bibliothek 1705-1723) hatte darüber hinaus wieder mit der unregelmäßigen Auszahlung der Lohngelder und Dotationen zu kämpfen. Trotzdem konnte 1720 im Auftrag Karls VI. die in Holland aus dem Nachlaß angebotene Bibliothek des Freiherrn Georg Wilhelm von Hohendorf (um 1670-1719), Generaladjutant Eugens von Savoyen, für 60.000 Gulden erworben werden. Sie enthielt ca. 7000 Druckwerke und 250 Hss. - u. a. besonders reichhaltige Beispiele niederländischer und französischer Buchmalerei des Spätmittelalters, Gebetbücher des 15. Jhs mit italienischen und französischen Miniaturen, eine venezianische Pergamentinkunabel des Breviarium Romanum (1481) mit Miniaturen aus der Mantegna-Schule, zahlreiche Drucke griechischer und römischer Klassiker von Aldus Manutius und mehrere Bücher mit Jean-Grolier-Einbänden. Die Hohendorfsche Bibliothek, ebenso die 1725 für 8000 Dukaten gekaufte Bibliothek des in Wien verstorbenen Präsidenten des Spanischen Rates, Erzbischof Antonio Folch de Cordona (1657-1724), konnten zunächst nicht in den Räumen der Hofbibliothek aufgestellt werden.

Die barocke Bibliothek (1722-1745)

1.16 1722 nahmen die seit dem Regierungsantritt Karls VI. (1711) bestehenden Pläne für den Umbau des unvollendeten Reitschulgebäudes Gestalt an. Beschlossen wurde die Umgestaltung zur genugsamben Verwahrung für die Bibliothec (Hofkammerreferat 24. 2. 1722, Hofkammerarchiv, Fasc. Hofbibl. fol. 200). Die Finanzierung erfolgte vor allem aus den Einnahmen einer neuen Steuer auf Zeitungen und Kalender (Zeitungs-Arrha). Ein großzügiges Darlehen des Kartäuserklosters in Prag für den Bau der Hofbibliothek und der Karlskirche schuf die finanziellen Voraussetzungen für den Baubeginn im selben Jahr. Das Gebäude mit dem barocken Bibliothekssaal im ersten Stock nach dem Entwurf von Johann Bernhard Fischer von Erlach (1665-1723) entstand bis 1726 unter der Aufsicht seines Sohnes Josef Emanuel (1693-1742) zwischen der alten Hofburgkapelle und dem Augustinerkloster. Daniel Gran vollendete 1730 Fresken mit allegorisch-mythologischen Darstellungen im Kuppelraum im Sinne einer Apotheose Karls VI. und der Wissenschaften. In seiner großzügigen und künstlerisch hervorragenden Anlage und Ausführung beeinflußte der Wiener Bibliotheksbau in der Folgezeit zahlreiche Bauprojekte für Barockbibliotheken im süddeutschen und österreichischen Raum. Neben der repräsentativen Wirkung war der Saal auf die Aufnahme von etwa 190.000 Bdn ausgerichtet - mehr als das Doppelte des damaligen Umfangs der Sammlungen.

1.17 Während der Bauperiode wurde das Amt des Präfekten zunächst zwei Jahre gemeinsam vom kaiserlichen Arzt Pius Nikolaus Garelli (1670-1739) und von Allesandro Riccardi (†1725), Fiskaladvokat des Spanischen Rates, ausgeübt. Sie legten dem Kaiser einen Reformentwurf vor, der bereits die Finanzierung der Bibliothek aus Abgaben der Länder und die Zeitungs- und Kalendersteuer auch nach Bauabschluß als permanente Einkünfte vorsah. Um die Instandhaltung der Bibliothek und die bibliothekseigene Forschung garantieren zu können, sahen Garelli und Riccardi einen Personalplan vor, der neben 2 Präfekten 2 Kustoden, 4 Schreiber, einen ihnen übergeordneten Korrektor und 3 Bibliotheksdiener einschloß. Sie sollten täglich, außer an Sonn- und Feiertagen, von 8 bis 12 Uhr ihren Arbeiten nachgehen. Ein Licht auf die praktischen Arbeitsbedingungen wirft der Vorbehalt, diese Bestimmungen in der Bibliothek nicht durchführen zu können, solange man nicht auch zur Winterszeit hineingehen, und fremde Leuhte hineinlassen könne (Referat 24. 4. 1723, Beilage S. 214, in Stummvoll, s. u. 4.2).

1.18 Nach Riccardis Tod (seine Büchersammlung kaufte die Hofbibliothek für 4028 Gulden) wirkte Garelli allein bis 1739. Ihm oblag die Transferierung der Bestände in den neuen Saal, wo sie zunächst, dem bereits von Lambeck entworfenen Ordnungssystem folgend, systematisch aufgestellt wurden. Materienkataloge zu den medizinischen, theologischen, juridischen, mathematischen, philosophischen, historischen und kirchenpolemischen Werken mit Indizes und eingetragenen Kastensignaturen entsprachen dieser Aufstellung und dienten lange Zeit als Ersatz für einen Realkatalog. In teilweiser Neukatalogisierung wurden nach 1727 auch die bis dahin getrennten Erwerbungsgruppen, die altkaiserliche Bibliothek, die Bibliotheken Hohendorfs, Riccardis und Folch de Cordonas, in einem alphabetischen Index zusammengefaßt. Trotz der lateinischen Bibliotheksordnung Karls VI. (1726) zur allgemeinen Nutzung seiner Bibliothek (usum communem facit) kann von einem geordneten und für die Allgemeinheit offenstehenden Bibliotheksbetrieb wohl noch längere Zeit nicht die Rede sein. Die Freskenmalerei im Kuppelraum wurde erst 1730 abgeschlossen. Wenige Jahre später folgte die umfangreichste Erwerbung in der Geschichte der Bibliothek.

1.19 1738 verkaufte Viktoria von Sachsen-Hildburghausen, Nichte und Erbin des kaiserlichen Generalfeldmarschalls Eugen von Savoyen (1663-1736), dem Kaiser die Bücher- und Kupferstichsammlung des Prinzen. Der Preis der auf etwa 150.000 Gulden geschätzten Bibliothek sollte in einer jährlich auszubezahlenden Rente von 10.000 Gulden bestehen. Die Erbin verstarb noch im selben Jahr. Die Bibliotheca Eugeniana war in wenigen Jahren durch gezielte Ankäufe im Auftrag Eugens entstanden und im Wiener Winterpalais in der Himmelpfortgasse untergebracht. Neben den persönlichen Interessen und Beziehungen des Prinzen zu zeitgenössischen Gelehrten (nach Leibniz' Wissenschaftssystem wurde die Bibliothek geordnet) spiegelt sie das von der Geschichte über die Naturwissenschaften bis zu den Dichtern der Antike reichende universale Spektrum der Wissensgebiete einer Fürstenbibliothek wider, die sich durch zahllose bibliophile Ausgaben besonders auszeichnet. Die einheitlich in Maroquin-Leder gebundenen Bücher tragen das Wappen ihres Besitzers in Goldpressung auf der Vorder- und Rückseite. Drei Einbandfarben unterscheiden die Wissensgebiete voneinander (Geschichte und Literatur rot, Theologie und Recht blau, Naturwissenschaften gelb). Die ca. 15.000 Druckschriftenbände wurden nahezu geschlossen im Mitteloval des Prunksaals aufgestellt. Ferner kamen 287 Hss., 290 Kassetten Kupferstiche und 215 klassische Porträts aus dem Besitz des Prinzen an die Hofbibliothek. Zu den wertvollsten Objekten der Eugeniana zählte die als Tabula Peutingeriana bekannte römische Straßenkarte, der Atlas Blaeu mit den von Laurens van der Hem in Auftrag gegebenen Illustrationen des 17. Jhs und künstlerische Prachthandschriften, wie Le Livre du coeur d'amours esprit du Roi René (Cod. 2597), Le roman de la rose von Guillaume de Lorris und Jean de Meung (Cod. 2568) und die Bible moralisée (Cod. 1179) mit 2000 Bildmedaillons.

Ausbau zur wissenschaftlichen Universalbibliothek (1745-1803)

1.20 1739 starb Garelli - er vermachte der Hofbibliothek alle ihr noch fehlenden Bücher seiner ca. 13.000 Bde umfassenden Sammlung, ca. 2000 Werke in 3600 Bdn. Den Rest wies Maria Theresia der Theresianischen Ritterakademie zu. 1745 bestellte Maria Theresia den niederländischen Mediziner Gerard van Swieten (1700-1772) zu ihrem Leibarzt und zugleich zum Präfekten der Bibliothek. In dieser Funktion folgte ihm 1777 sein Sohn Gottfried nach. Die in der italienisch-katholischen Tradition des Wiener Hofes stehende Bibliothek wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jhs unter dem Einfluß von Vater und Sohn van Swieten nachhaltig vom aufklärerischen Ideen- und Gedankengut westeuropäischer Ausrichtung geprägt. Gerard van Swieten verschob bei den Ankäufen das Schwergewicht auf naturwissenschaftliche Publikationen. Buchhändler aus Leiden, Paris und Venedig lieferten die neueste wissenschaftliche Literatur. Mit gezielten Käufen auf internationalen Auktionen sollten Bestandslücken aufgefüllt werden. Der Catalogus librorum novorum (Cod. Ser. nov. 2143) und ein Kassabuch aus der Amtszeit van Swietens dokumentieren sein Bemühen, über die Sammlung von Raritäten hinaus kontinuierlich aktuelle Werke aus allen Wissensgebieten zu kaufen und so die materiellen Grundlagen für eine modernere Bibliothek zu schaffen.

1.21 Gerard van Swieten übte ab 1759 auch das Amt des Vorsitzenden der Zensurkommission aus, wodurch er in die Entscheidung über das Verbot von Büchern eingebunden war und diese im Sinne der aufklärerischen Ideen (gegen die Jesuiten der Wiener Universität) zu beeinflussen suchte. Die von Zeitgenossen behauptete Verbrennung von Büchern der Geheimwissenschaften an der Hofbibliothek wurde bereits 1781 vom Sohn mit Hinweis auf die nach wie vor vorhandene große Menge dieser Schriften zurückgewiesen. Van Swieten selbst und Beamte der Hofbibliothek arbeiteten als Zensoren, wie der Codex 11.934 (Supplementband zum Verzeichnis verbotener Bücher) mit Kommentaren über die begutachteten Werke zeigt - einige davon wurden für die Bibliothek gekauft. Bedeutenden Zuwachs brachten mehrere unter van Swieten in die Hofbibliothek inkorporierte Bibliotheken. Neben der Büchersammlung aus der Grazer Familie der Grafen Starhemberg mit zahlreichen Werken zur Reformationsgeschichte (1749) kamen aus Graz auch 800 Bde (einschließlich 61 Hss., 9 Inkunabeln) der 1758 aufgelösten Schloßbibliothek aus der steirischen Linie der Habsburger. Den Rest der in Wien bereits vorhandenen Bücher erhielt das Kloster Rein. 1756 folgten auf Beschluß des Universitätskonsistoriums die Bestände der alten Wiener Universitätsbibliothek, die aus Platz- und Personalmangel nicht mehr fachgerecht aufbewahrt und benützt werden konnten. Van Swieten übernahm 2787 Bde, darunter 1037 Hss. und 364 Inkunabeln und Frühdrucke, zu denen die berühmte Bibliothek des Johannes Fabri (s. o. 1.3), Hss. des Alexander Brassicanus und einige Corvinen zählten. Auf Veranlassung Maria Theresias gelangten in den nächsten Jahren auch die Privatbibliothek Karls VI. (reg. 1711-1740) und 1765 rund 1500 Bde aus dem Besitz Franz' I. Stephan (reg. 1745-1765) in die Hofbibliothek. 1769 wurden in Hamburg 76 Bde des Atlas Stosch mit 10.000 Ansichten und Landkarten gekauft.

1.22 Die mehrere tausend Bände umfassende Privatbibliothek des älteren van Swieten - vor allem medizinische, chirurgische und physikalische Werke - ließ der Nachfolger Adam Franz Kollár (Präfekt 1772-1777) 1773 um 16.000 Gulden kaufen. Bei der Aufhebung des Jesuitenordens im selben Jahr konnte er anhand der Kataloge Bestände aus den ehemaligen Prager und Innsbrucker Jesuitenbibliotheken übernehmen, die der kaiserlichen Sammlung fehlten. Dafür wurden Dubletten an die neue Wiener Universitätsbibliothek abgegeben. Der Zuwachs von 70 Hss. aus den Kollegien in Wien und Wiener Neustadt sowie die Finanzierung des Ankaufs von 300 orientalischen Hss. aus dem Nachlaß von Josef Freiherr von Schwachheim erfolgten im Zusammenhang mit diesen Bestandsverschiebungen.

1.23 In die Amtszeit Gottfried van Swietens (1777-1803) fielen die wertvollen Erwerbungen im Zuge der josephinischen Klosteraufhebungen, die sich bis 1787 insgesamt auf etwa 300 Hss., 3000 Drucke (vorwiegend des 15. Jhs) und mehr als 5000 Diplomata beliefen. Die Auswahl traf van Swieten anhand der ihm von der Hofkanzlei zugesandten Verzeichnisse. Aufgrund dieses Vorwahlrechts aus den Beständen von mehr als 700 aufgehobenen Klöstern konnten besonders die theologischen und historischen Sammlungen unentgeltlich vervollständigt werden. Besondere Erwähnung verdient das Ältere Gebetbuch Kaiser Maximilians I. (Cod. 1907) aus dem Frauenkloster Hall in Tirol; andere wertvolle Stücke stammen u. a. aus dem Kloster Mondsee, den Kartausen Aggsbach, Gaming und Mauerbach sowie dem Wiener Chorherrenstift St. Dorothea. Die 1779 erworbene Sammlung Fernberg thielt 591 Bde, vorwiegend seltene Austriaca und Reformschriften des 16. und 17. Jhs. Sie wurde mit den im nächsten Jahr gekauften 800 Bdn juristischer Dissertationen aus dem Besitz des Rechtsgelehrten Heinrich Christian Freiherr von Senkenberg (1704-1768) zunächst im Mezzanin des Bibliotheksgebäudes verwahrt und erst um 1840 bearbeitet. Bedeutenden Zuwachs brachte die alte Wiener Stadtbibliothek, die 1780 auf Empfehlung der Hofkanzlei um 6000 Gulden gekauft wurde. Sie enthielt 76 Hss. und 3905 Druckschriften (351 Inkunabeln) in 5037 Bdn, die der eingeklebte gedruckte Provenienzvermerk Stadt Wienerische ehemalige Bibliothek kennzeichnet. In Brüssel ließ van Swieten 160 Werke, vorwiegend zur niederländischen Geschichte, um 2123 Gulden aus niederländischen Jesuitenklöstern sowie 70 Drucke aus der Bibliothek des Herzogs Karl von Lothringen (1712-1780) ersteigern. Aus dem Nachlaß von Xystus Schier (1728-1772), Historiker und Bibliothekar des Wiener Augustinerklosters, wurden Hss. und einige Inkunabeln aus Lemberg erworben (1781).

1.24 1783 erstand die Hofbibliothek mit einem von van Swieten organisierten Sonderetat etwa 600 Werke der in Paris zur Versteigerung ausgeschriebenen Bibliothek des Louis-César La Baume, Duc de la Vallière (1708-1780), für 5060 Dukaten, darunter die Erstausgabe des Catholicon (Mainz 1460) und zahlreiche andere Inkunabeln. Graf Samuel Teleki schenkte Josef II. 1786 das nur in zwei Exemplaren erhaltene Werk Michael Servets, Christianismi Restitutio (1553). Naturgeschichtliche Publikationen und Reisebeschreibungen wurden 1786 aus der Sammlung des Grafen Camus de Limare ersteigert, 26 Hss. kamen aus der bei den Dominikanern eingestellten Bibliothek des Grafen Johann Joachim von Windhag (1600-1678), die damals der Universitätsbibliothek einverleibt wurde. Laut dem Bericht van Swietens über den für die Hofbibliothek so besonders ertragreichen Zeitraum von 1765 bis 1787 betrafen die außerordentlichen Erwerbungen sowie die durch ihren ordentlichen Fonds erhaltenen Zuwächse 21.000 gedruckte Bücher, 780 Hss., 9000 Kupferstiche bzw. Handzeichnungen und 5089 Diplomata. Nach dem Tod Josefs II. (1790) - im letzten Jahrzehnt der Amtszeit des jüngeren van Swieten - kamen die Privatbibliothek des Kaisers hinzu, 6 Inkunabeldrucke auf Pergament aus der Bibliotheca Marciana in Venedig, arabische und türkische Hss., die Josef Freiherr von Hammer-Purgstall in Ägypten erworben hatte, sowie die sogenannte Foscarinische Sammlung (handschriftliche Chroniken, genealogische Werke und Gesandtschaftsberichte) des Dogen Marco Foscarini (1696-1763) aus der italienischen Hofkanzlei.

1.25 Als Folge der umfangreichen Neuzugänge stellte sich die Aufgabe ihrer Bearbeitung und Katalogisierung. In Ermangelung eines aktualisierten Gesamtverzeichnisses aller Druckwerke waren in den letzten Jahren der Amtszeit Gerard van Swietens (1766 bis 1772) die vorhandenen Teilverzeichnisse in ein Universalrepertorium umgeschrieben worden. Es tstand ein als Provisorium gedachter Alphabetischer Katalog in 17 Bdn (Cod. ser. nov. 2117-2133 ff.), der jedoch bis ins 19. Jh ergänzt und benützt wurde. Als Grundlage für einen umfassenden Systematischen Katalog veranlaßte Gottfried van Swieten 1780 die Beschreibung der Bücher auf Zetteln. Bereits 1781 waren 300.000 Zettel im Großformat in 205 Kapseln erstellt - ihre systematische Verarbeitung wurde nicht weiterverfolgt. Das josefinische Katalogprojekt ist jedoch von bibliothekshistorischer Bedeutung, weil es den wahrscheinlich ältesten Zettelkatalog der Welt tstehen ließ. Neben der Erweiterung und Erschließung der Bestände traten im letzten Drittel des 18. Jhs Organisation und Dotation der Bibliothek in den Vordergrund. Die später eingerichteten Spezialsammlungen um einzelne Bestandsgruppen sind in van Swietens Plänen bereits in ihren Konturen zu erkennen. Die aus den aufgehobenen Klosterbibliotheken beträchtlich vermehrten Inkunabeln (ca. 6000) sollten in einem Typographischen Kabinett zusammengefaßt werden. Etwa 250.000 Stiche der Kupferstichsammlung wurden nach Porträts und historischen Schulen geordnet und dem Beamten Adam Bartsch 1791 zur besonderen Betreuung zugeteilt. Ein Beamter widmete sich der Verzeichnung der Karten und Atlanten, der Musiker Carl Leopold Röllig bearbeitete die Musikalien. Den Personalstand und die Gehälter regelte seit 1774 ein amtlicher Status, der 1787 für einen Präfekten, einen Direktor, 2 Kustoden, 5 Scriptoren und 4 Bibliotheksdiener 17.400 Gulden vorsah. Darüber hinaus wurde 1791 die jährliche Dotation auf 6000 Gulden erhöht. Gottfried van Swieten vollendete mit dem Ausbau und der Festigung der inneren Organisationsstruktur der Bibliothek, mit der Thematisierung von Erschließung und Zugänglichkeit der Bestände das von seinem Vater begonnene Reformprojekt: den Wandel der kaiserlichen Büchersammlung zu einer staatlich geführten wissenschaftlichen Bibliothek im Dienste der Allgemeinheit (Petschar, s. u. 4.2).

Die Hofbibliothek in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

1.26 Während der Koalitionskriege ordnete Kaiser Franz 1805 die Verlagerung möglichst vieler Kunstschätze aus der Reichshauptstadt an, um sie vor Beschlagnahme und der drohenden Deportation nach Paris zu schützen. Die wertvollsten Stücke der Hofbibliothek brachte man nach Ungarn. 1809 und 1813 folgten weitere Bergungsaktionen. Die Bestände blieben vor Plünderungen nicht verschont; nach dem Sieg über Napoleon kamen die 1809 abtransportierten Hss., Drucke und Kupferstiche aber aus Paris zurück. Zu Beginn des 19. Jhs erfolgte endlich die Neuordnung des kaiserlichen Patentes von 1624 zur Ablieferung von Freiexemplaren an die Hofbibliothek, das zum Leidwesen vieler Präfekten kaum eingehalten worden war. Zum Nachteil der Finanzlage - bezeugt sind u. a. außerordentliche Zuschüsse für den Ankauf der im Wiener Verlag Degen erschienenen Prachtausgaben - mußten Prachtausgaben gekauft werden. Die nach französischem Vorbild 1808 tworfene Verordnung verpflichtete die Verleger zur Abgabe eines kostenlosen Exemplars aller in den k.k. Staaten neu aufgelegten oder nachgedruckten Werke, Kupferstiche und Landkarten zum Gebrauch der k.k. Hofbibliothek als einer gemeinnützlichen Anstalt (Verordnung vom 9. Juni 1808). Ab 1811 sollten sie an Bücher-Revisionsämter abgeliefert werden, die sie dann an die Palatina weiterleiteten.

1.27 Die Bestimmung der Hofbibliothek als allgemein-öffentlicher Institution und die ihr daraus erwachsenden Aufgaben traten den kaiserlichen Beamten und Behörden nun deutlicher vor Augen. Im Zuge der Verhandlungen über eine Erhöhung der Dotation 1807 begründete der stellvertretende Präfekt Strattmann die Sammlungsschwerpunkte mit drei


Funktionen. der Hofbibliothek: Sie ist die Bibliothek für die gebildetere Classe der Hauptstadt. Diese fordert von ihr die merkwürdigsten Werke des Unterrichts. Sie ist die Nazionalbibliothek des österreichischen Kaiserthums. Der Einheimische wie der Fremde erwartet bey ihr die gesuchtesten literarischen Seltenheiten anzutreffen. Sie ist endlich die Bibliothek des Kaiserhofes, von denen sie ihre Benennung hier hat. Damit ist typographische Pracht wesentlich verbunden. (HB 898/1807, s. u. 4.1). Die detaillierten Ausführungen für die Finanzierung von 6 Sachgruppen (Unterrichtswerke, Seltenheiten, Prachtwerke, Kupferstiche, Buchbinderarbeiten, Hand- und Hausausgaben) fanden bei der übergeordneten Behörde Verständnis - 1808 setzte sie die Dotation der kaiserlichen Bibliothek in der vorgeschlagenen Höhe (15.000 Gulden jährlich) neu fest.

1.28 Unter den zahlreichen Erwerbungen der ersten Hälfte des 19. Jhs befanden sich ein aus dem Nachlaß ausgewählter Teil der Bibliothek des Gelehrten und Kustos der Hofbibliothek, Michael Denis (1729-1800); der Großteil der Salzburger Dom- und Hofbibliothek (1806) sowie Hss., Inkunabeln und Drucke aus den letzten aufgehobenen Klöstern (1807 Franziskanerkloster Feldsberg, 1813-1815 Wiener Augustinerkloster Sebastian und Rochus); eine von Marquis Rangone geschenkte Handschriftensammlung zur Geschichte des 16. und 17. Jhs (1810); zwei Kisten mit wertvollen, auf Kosten der französischen Regierung gedruckten naturwissenschaftlichen Werken (1814); seltene Drucke aus der 1814 versteigerten Büchersammlung des k.k. Geheimen Rats und Staatsreferendars Freiherr Anton von Spielmann (1738-1813). Zwischen 1816 und 1820 schenkte der k.k. privilegierte Buchdrucker Anton Schmidt (1765-1855) 247 in seiner Offizin gedruckte orientalische Bücher. 1815 und 1827 spendete die Britische und Ausländische Bibelgesellschaft Bibelausgaben in verschiedenen Sprachen. 1827 trafen 38 Bodoni-Drucke aus dem Besitz Marie Louises von Parma (1791-1847) ein. Neben einem Konvolut von Drucken und Hss. in cyrillischer Schrift aus Zara (1827) erhielt die Hofbibliothek 1829 die über den griechischen Aufstand berichtenden Journale und Zeitungen durch die Internuntiatur in Konstantinopel zugesandt. Diese vermittelte zwischen 1827 und 1845 auch den Zugang einer bedeutenden Anzahl von griechischen, türkischen und slawischen Drucken und unter Mitwirkung Hammer-Purgstalls die Erwerbung zahlreicher orientalischer Hss. Durch den in Raten erfolgten Ankauf von Josef von Hammer-Purgstalls (1774-1856) eigener Sammlung von 243 türkischen, arabischen und persischen Hss. und zusätzlichen Erwerbungen aus Ägypten und Ragusa wurde die Orientalia-Sammlung unschätzbar bereichert. 1834 bis 1860 kamen Werke der ostasiatischen Literatur hinzu, vor allem chinesische und japanische Hss. und Drucke, die über Vermittlung des Würzburger Mediziners Philipp Franz von Siebold (1796-1866) angekauft und in einem von Stephan Ladislaus Endlicher angelegten Verzeichnis erfaßt wurden (s. u. 2.135 ff.). Weiters sind eine 1830 erworbene Sammlung medizinischer Dissertationen aus dem Besitz des Grafen Carl von Harrach (1761-1829) zu erwähnen; vorwiegend historische, theologische Schriften und Werke der nordischen Literatur (390 Bde) aus der in Kopenhagen 1831 versteigerten größten Privatbibliothek Dänemarks, jener des dänischen Bischofs Friedrich Münter (1761-1830); mehrere Schenkungen von Parlamentsschriften, Katalogen und kostbaren Drucken durch die Society of Antiquity of London (1833-1835); 1014 Bde des Legats von Ignaz von Reinhart (1782-1843), das sich durch seltene Ausgaben spanischer Cancioneros auszeichnete; sowie 1846 der die Schweiz betreffende Teil der Bibliothek des Historikers Friedrich Hurter (1787-1865).

1.29 Probleme bereiteten weiterhin die Katalogisierung und Unterbringung der ständig anwachsenden Bestände. Neben der Verzeichnung von diversen Teilbeständen (u. a. Viennensia, Hebraica, s. u. 3.4) war unter dem Präfekten Josef Maximilian Graf von Tenczyn-Ossolínsky 1816 mit dem Umschreiben und Ergänzen des Josefinischen Druckschriften-Repertoriums begonnen worden. Der Alphabetische Katalog umfaßte bis 1820 28 Bde. In den folgenden Jahren veranlaßte Präfekt Moriz von Dietrichstein- Proskau-Leslie (1826-1845) eine neuerliche Umschreibung und die Revision des zu klein konzipierten Supplementkataloges, der bis 1906 mit Neuzugängen ergänzt wurde. Die Raumverhältnisse in der Hofburg wurden bereits seit dem Ende des 18. Jhs als nicht mehr ausreichend beklagt. Ossolínsky berichtete 1818, daß das Lesezimmer täglich etwa 80 bis 100 Leser besuchten, von denen jedoch nur 40 Sitzplätze vorfänden, die anderen mußten im Stehen lesen. Hss. und Inkunabeln hatte man auf drei voneinander weit tfernte Räume verteilen müssen, die bereits so dicht angestopft waren, daß keine weiteren Manuskripte Platz fänden (HB 1750/1818). Die bereits um 1820 ins Auge gefaßte Ausdehnung auf Räumlichkeiten des Augustinerklosters und die Aussiedlung des Naturalienkabinetts aus dem linken Gebäudeflügel am Josefsplatz konnte auch Dietrichstein nach jahrzehntelangem Ringen nicht erreichen. Zur Unterbringung einiger vom Zerfall bedrohten Hss., Musikalien und anderen Zimelien mußte er sich zunächst mit dem Aufstellen von 64 Bücherkästen, paarweise mit dem Rücken zueinander, im Prunksaal behelfen (1828). 1829 genehmigte das Obersthofmeisteramt die Vermietung des Augustinersaals an die Hofbibliothek gegen eine jährliche Miete an den Konvent. Die Raumnot war dadurch aber nur wenig gelindert, wie Dietrichsteins zahlreiche und drastisch formulierte Eingaben an die vorgesetzte Behörde in den nächsten Jahren dokumentieren. Selbst die in Aussicht gestellte Reduzierung der Öffnungszeiten und die Androhung, wegen Raummangels den Ankauf neuer Werke gänzlich einstellen zu müssen, brachten nur teilweisen Erfolg. Die Behörde war eher bereit, der befristeten Einschränkung des Bibliotheksbetriebs zuzustimmen als der geforderten Aussiedlung des Naturalienkabinetts. Ein Raum wurde der Bibliothek schließlich abgetreten.

1.30 1841 umfaßte die Hofbibliothek mit allen ihren Sammlungen, wie eine Zählung infolge der Revision ergab, einen Bestand von 234.960 Bdn, der nach Trennung der Adligate auf etwa 302.960 Bde geschätzt wurde. Der Gesamtbestand gliederte sich in die 3 Hauptgruppen Hss., Drucke und Kupferstiche, die bereits in der 1809 erlassenen Instruktion für das sämmtliche Hofbibliotheks-Personale (s. u. 4.1) erwähnt sind. Dietrichstein faßte in Ergänzung dazu die Aufgaben der Bibliothek und ihrer Beamten in einer Neuformulierung der Instruktion (1. 1. 1830) zusammen, die auch die Kompetenzen der 4 Kustoden für diese 3 Hauptgruppen festlegte. Hss. und Inkunabeln fielen dabei gemeinsam in die Verantwortung des zweiten Kustos, Bartholomäus Kopitar (s. u. Handschriften- und Inkunabelsammlung). Ab 1844 stand für die Benützung der Hss. auch ein eigenes Lesezimmer zur Verfügung. Neben der später an die Albertina abgetretenen Kupferstichsammlung sind aber auch die Musikalien als eigener Arbeitsbereich genannt, sie zählten zu den Agenden des ersten Kustos (Ignaz von Mosel). Dietrichstein, der vor seinem Amtsantritt in der Hofbibliothek für die Hofmusik verantwortlich war, ließ die Bestände des Hofmusikarchivs in die Bibliothek überstellen, wo sie der Beamte Anton Schmid mit den vorhandenen Musikalien zusammenfaßte, katalogisierte und so den Grundstock einer selbständigen musikwissenschaftlichen Sammlung der Bibliothek schuf (s. u. Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek). Unter den vielen bedeutenden Musikalien-Erwerbungen der folgenden Jahre sei hier nur die Reinschrift der Partitur von Mozarts Requiem (1838) genannt. Auch die Begründung der Autographensammlung der Palatina gilt als Dietrichsteins Werk. Er bemühte sich bei zahlreichen bekannten Persönlichkeiten - und mit Unterstützung Metternichs bei Reichs- und Provinzialbehörden der Monarchie - um die Abtretung entbehrlicher Autographen. Nach 1833 umfaßte die Sammlung bereits etwa 8000 Stück und wurde fortan laufend vermehrt und katalogisiert.

Die Francisco-Josephinische Ära

1.31 Das Revolutionsjahr 1848 überstand die Hofbibliothek dank des Einsatzes des Bibliothekspersonals unter dem damaligen Skriptor Ernst Birk ohne großen Schaden für die Bestände, obwohl das Dach des Prunksaals und des Augustinersaals während der Beschießung der Innenstadt durch die kaiserlichen Truppen in Flammen aufging (31. Oktober 1848). Eine Auswirkung der Revolution bestand in der Verlängerung der Öffnungszeiten von 2 Uhr nachmittags auf 16 Uhr, im Sommer auf 18 Uhr. Eine weitere betraf die Einforderung der Freiexemplare: nachdem die Revisionsämter aufgelassen worden waren, hatte sich die Bibliothek selbst an säumige Verleger zu wenden. 1856 fand die immer noch akute Raumnot eine zeitweilige Behebung. Die bis dahin als Wagenremise genützten Räume im Erdgeschoß des Bibliotheksgebäudes boten ausreichend Stellfläche zur Bücheraufbewahrung und ermöglichten die Entfernung der in der Mitte des Prunksaales aufgestellten Schränke. Die bereits konkreten Pläne für einen Neubau im Zuge der Verbauung des Glacis-Geländes nach der Schleifung der Stadtmauern (1857) wurden allerdings nicht verwirklicht.

1.32 Auch der Nachfolger Dietrichsteins, Eligius Franz Josef Freiherr Münch von Bellinghausen (1845-1871), widmete sich der seit van Swieten angestrebten und noch immer ausstehenden systematischen Erschließung der Druckschriften. In Hinblick auf eine geplante systematische Aufstellung wurde mit den Vorarbeiten für einen Realkatalog durch Umordnen, Ergänzen und Korrigieren des vorhandenen Zettelkataloges in Verbindung mit dem Bandkatalog begonnen, der dann nach Materien zerteilt werden sollte. Ausgestattet mit einer Sonderdotation, umfaßte das Projekt unter der Leitung des Skriptors Ernst Birk die Revision jedes Katalogzettels, die Bestimmung des wissenschaftlichen Faches für den Realkatalog, die Trennung der Adligate und das Ausscheiden der Dubletten. Es zog sich durch die gesamte Jahrhunderthälfte: 1869 beendete man die Bearbeitung der Adligate, 1871 das Ausscheiden der Dubletten, ab 1875 erfolgte die Neukatalogisierung der Druckwerke vom Erscheinungsjahr 1501 an, wofür Ernst Birk eine Instruktion erstellt hatte (Beschreibvorschrift, HB 44/1847). Die weitere Klassifizierung des bereits nach den 12 Systemklassen der Münchener Hof- und Staatsbibliothek markierten Zettelbestandes wurde schließlich aufgegeben (s. u. 2.5), weil man den einzigen verläßlichen Katalog nicht mehr zerstören wollte. Aus dem von Münch als Realkatalog geplanten Projekt tstand der als Kapselkatalog bezeichnete handschriftliche Nominalkatalog für den Druckschriftenbestand 1501-1929 (s. u. 3.1). Auch der 1886 begonnene Versuch, den Realkatalog völlig neu zu schreiben, mußte als zu zeitraubend wieder aufgegeben werden. Der bis zum Ende des Jahrhunderts verfolgte Plan der systematischen Aufstellung fand mit dem Beschluß, ab November 1899 den Numerus currens einzuführen, sein definitives Ende.

1.33 Zu den Erwerbungen der zweiten Hälfte des 19. Jhs zählen indische und chinesische Werke aus der Orientalia-Sammlung des Forschungsreisenden Eduard Glaser (†1907), eine Sammlung von Flugschriften und Plakaten aus dem Jahre 1848 des Güterdirektors J. W. Dunder (1850), die Autographensammlung Lacroix (1855), ferner einige wertvolle Hss. (1868), Originalskizzen zum Triumphzug Maximilians aus dem Kloster St. Florian (1874), Haydn-, Mozart- und Beethoven-Hss. (1871-1877), zwei Mercator-Globen (1875), die vorwiegend handschriftlichen Nachlässe Ignaz Franz Castellis (1781-1862) und Hammer-Purgstalls aus dem Besitz des Dichters Johann Gabriel Seidl, die Autographensammlung des 1871 verstorbenen Präfekten Münch, 143 Drucke und 9 Hss. aus dem Nachlaß des Romanisten Ferdinand Wolf (1796-1866), die Sinica und Japonica enthaltende Sammlung des österreichischen Konsuls in Shanghai, Josef von Haas (1847- 1896), mehr als 1000 Werke, vorwiegend zur klassischen Philologie, als Geschenk des Präfekten Wilhelm von Hartel (1891-1896) und mehrere tausend Werke mit dem Sammlungsschwerpunkt Geschichte aus dem Nachlaß seines Nachfolgers im Amt, Heinrich von Zeißberg (1839-1899). Ab 1888 wurden auch alle amtlich verbotenen Drucke zur Aufbewahrung abgeliefert. Sie durften aber nicht katalogisiert und der Benützung zugänglich gemacht werden. 1896 folgte ein Konvolut von Flugblättern und Literatur aus den Jahren 1848/1849 aus der aufgelösten Bibliothek des Ministerratspräsidiums.

1.34 Am Ende des 19. Jhs schätzte man den Bestand der Druckschriften auf 600.000, der Hss. auf 23.000 Bde. Ankäufe und Pflichtexemplare hielten einander ungefähr die Waage. Etwa 800 bis 1000 Leser besuchten monatlich den kleinen Lesesaal und konnten dort seit 1892 drei Bücher gleichzeitig bestellen. Der Kreis der entlehnberechtigten Personen und Institutionen wurde zwar erweitert, jedoch nicht auf die Allgemeinheit (z. B. Studenten) ausgedehnt. Die Entlehnung betreffend blieb die ehemals kleine Gruppe der Benützungsprivilegierten aus Hofangehörigen, Beamten und Gelehrten am längsten erhalten. Die zunächst abschlägig beschiedene Teilnahme an einem internationalen Leihverkehr wurde von Präfekt Wilhelm von Hartel revidiert. 1897 konnte der zweite Stock des linken Seitentrakts am Josefsplatz besiedelt werden.

1.35 Rückblickend scheint die Geschichte der Hofbibliothek im 19. Jh jedoch geprägt durch den Kampf um ausreichende Dotationen und Räumlichkeiten mit der vorgesetzten Behörde (Obersthofmeisteramt, Hofärar). Mangelhafte Ausstattung zwang sie mehrmals zur Reduzierung systematischer Einkaufspolitik, zur Ablehnung angebotener Rarissima (zuletzt 1883 am Beispiel der Papyrussammlung Erzherzog Rainer), ja sogar zur Einschränkung der Öffnungszeiten. Wertvollste Bestände mußten durch unzureichende Aufbewahrung gefährdet werden. Langfristige Katalogisierungsprojekte (mit Ausnahme der auf Kosten der Akademie der Wissenschaften publizierten Handschriften-Kataloge) scheiterten immer wieder am Personalmangel. Diese permanente Verstrickung in die Sicherung von finanziell und räumlich ausreichenden Grundbedingungen für den Bibliotheksbetrieb wirkte sich nachteilig auf die nationale und internationale Position der Hofbibliothek aus. Die zeitgenössischen Impulse zu Bibliotheksreformen, die Entwicklung von Modellen zur konsequenten wissenschaftlichen Erschließung von Beständen und damit verbundener Katalogisierungssysteme gingen von anderen Bibliotheken aus - z. B. von der kgl. Bibliothek in Berlin (Titeldrucke und die dafür entwickelten Preußischen Instruktionen, 1898 ff.), von dem mit vorbildlichen gedruckten Katalogen hervortretenden British Museum oder der Wiener Universitätsbibliothek, deren Direktor Ferdinand Grassauer den Plan einer zentralen Katalogisierung und eines Generalkataloges der an österreichischen Bibliotheken vorhandenen Druckschriften entwarf. Er konnte nicht verwirklicht werden, die Kapazitäten der Hofbibliothek waren gebunden. An Grassauers 1898 ediertem Generalkatalog der laufenden periodischen Druckschriften beteiligte sich die Hofbibliothek verspätet durch die Auflistung ihrer Periodika im Anhang. Die von Karl Junker 1899 bis 1903 erstellte nationalbibliographische Verzeichnung des österreichischen Schrifttums erschien ebenfalls nicht in Zusammenarbeit mit der Hofbibliothek, sondern wurde vom Verein der österreichisch-ungarischen Buchhändler herausgegeben.

Von der Hofbibliothek zur Nationalbibliothek

1.36 Neben der Neuordnung der Eigentumsverhältnisse bestimmten die Organisation ihrer Sammlungen und weiterhin die Raumfrage die Periode des Umbaus der Hofbibliothek zur Nationalbibliothek im ersten Viertel des 20. Jhs. Erleichterung brachte die 1905 abgeschlossene Adaptierung des Augustinersaals zum neuen Lesesaal mit 100 Plätzen. Der technisch aufwendige Ausbau der Kellerräume unter dem Prunksaal zu Büchermagazinen stellte jedoch nicht die erwartete langfristige Beseitigung des Magazinraummangels dar. Bereits nach 3 Jahren mußten neue Lösungen gesucht werden. Die 1899 endlich gelungene Eingliederung der Papyrussammlung Erzherzog Rainer (s. u. Papyrussammlung) regte eine grundsätzliche Regelung der während des 19. Jhs um die unterschiedlichen Bestandsgruppen erwachsenen Sammlungen an. Sie sollten nach und nach in eigenen Raumgruppen untergebracht und als administrative Einheiten, als Abtheilungen der Bibliothek, geführt werden. Die von Präfekt Josef von Karabacek (1899-1917) überarbeitete Allgemeine Diensteintheilung der k.k. Hofbibliothek bezog sich 1905 bereits auf die Handschriftensammlung, die Incunabelsammlung, die Papyrussammlung, die Impressensammlung, die geographische Kartensammlung, die Kupferstich- und Portraitsammlung, die Musikaliensammlung sowie die Buchbinderei (HB 1454 und 1486/1905). In Ergänzung zu diesem organisatorischen System der Sammlungen, das erstmals auch eine einheitliche Druckschriftensammlung berücksichtigte, erfolgte die bibliothekswissenschaftliche Betreuung der Bestände durch Beamte, die nach fachwissenschaftlichen Referatsgruppen in ein Referentenschema eingebunden wurden. In modifizierter Form, als Vorschlagsrecht für Ankäufe und Pflicht zur Beschlagwortung, blieb das 1906 eingeführte Referatssystem bis zur Gegenwart bestehen.

1.37 In Zusammenhang mit der Diskussion um die Funktion einer Reichsbibliothek, die sich über den Problemen der Einhebung von Pflichtexemplaren und der Erstellung einer staatlichen Bibliographie tspann, trat der außerordentliche Rechtsstatus der Hofbibliothek in den Vordergrund. Als hofärarische Institution unterstand sie nicht dem Ministerium für Kultus und Unterricht, sondern dem Oberstkämmereramt bzw. dem für Finanzen zuständigen Obersthofmeister und war somit der Staatsgewalt entzogen. Seit 1862 erfolgte die Entschädigung für die abgelieferten Pflichtexemplare aus der kaiserlichen Zivilliste, an der die Kronländer mit aliquoten Anteilen beteiligt waren. Die sich daraus ergebenden Auseinandersetzungen über das Eigentumsrecht an den Sammlungen nach dem Tod Kaiser Franz Josephs (1916) bezogen sich nicht nur auf die habsburgische Privatbibliothek, die Fideikommiß-Bibliothek, sondern auch auf die Hofbibliothek, über die eine Verlassenschaftsabhandlung eingeleitet werden sollte. Das Ende der Monarchie machte diese Auseinandersetzungen gegenstandslos.

1.38 Die Hofbibliothek wurde - provisorisch am 20. Februar 1919, definitiv durch den Beschluß des Kabinettsrates am 18. Juni 1920 - in die Hoheitsverwaltung der Republik Österreich übernommen und dem Unterrichtsamt untergeordnet. Den Rechtsansprüchen der Nachfolgestaaten auf Rückerstattung von Teilbeständen und aus diesen Ländern abgelieferten Pflichtexemplaren wurde durch Hinweis auf den Charakter der Hofbibliothek als Privateigentum und die gesetzliche Regelung zur Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen (3. April 1919) begegnet. Mit Ausnahme der Ablieferung einiger neapolitanischer Hss. an Italien (in Auslegung des Friedens von 1866) konnten die Forderungen abgewiesen werden. Am 6. August 1920 beschloß der Kabinettsrat die Neubenennung der Bibliothek als Nationalbibliothek. Zur möglichst ökonomischen Verwendung der staatlichen Mittel regelte ein Erlaß des Unterrichtsamtes (3. 1. 1920) die Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek Wien, im besonderen bei der Beschaffung ausländischer Literatur. Daraus leiteten sich die über ihre nationalen Aufgaben hinausreichenden Sammelrichtlinien der zentralen staatlichen Bibliothek ab: die Pflege der Literaturgebiete geisteswissenschaftlicher Art sollte fortgeführt, von der medizinischen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Literatur hingegen vorwiegend Werke zur Geschichte dieser Wissenschaften berücksichtigt werden. Die damals vorgesehene Vereinigung der Zeitungsbestände beider Wiener Bibliotheken an der Nationalbibliothek wurde nicht durchgeführt.

1.39 Kupferstichsammlung und Musiksammlung erhielten neue Räume im Palais Friedrich an der Albrechtsrampe (Albertinaplatz), wohin auch die Papyrussammlung übersiedelte. Noch im selben Jahr erfolgte jedoch die Abtrennung der Kupferstichsammlung von der Bibliothek und ihre Vereinigung mit der ebenfalls in staatliche Verwaltung übergegangenen Kunstsammlung Albertina zu einem selbständigen Institut (Staatliche graphische Sammlung Albertina), das in Zusammenarbeit mit der Nationalbibliothek auch über die weiter in deren Besitz verbleibende Handbibliothek der Kupferstichsammlung verfügte. Es verblieb die Klärung des Schicksals der am 18. Juni 1920 in Staatsbesitz übernommenen k.k. Familien-Fideikommiß-Bibliothek. 1921 wurde ihre Eingliederung in die neu gegründete Porträtsammlung" beschlossen, eine relativ selbständige Abteilung der Nationalbibliothek, der auch das Referat für genealogisch-biographische Literatur der Bibliothek zugedacht war. Hss., Inkunabeln, Papyri und Geographica der Fideikommiß-Bibliothek wurden in die zuständigen Sammlungen der Bibliothek eingegliedert, die Gesamtheit des als Corpus mortuum betrachteten Druckschriftenbestandes blieb jedoch erhalten. Hinzu kam die bisher an der Albertina verwahrte Bildnissammlung Prinz Eugens. Die seit 1908 von der Fideikommiß-Bibliothek eingenommenen Räume im zweiten Stock des Corps de Logis der Neuen Burg blieben Sitz der neuen Abteilung (s. u. Porträtsammlung und Bildarchiv).

1.40 Die Neuordnung der Bestände der Hofbibliothek und der verwandten kaiserlichen Sammlungen schloß die Einrichtung einer Theatersammlung 1922 ab. Sie entstand aus neuerworbenen Theatralica (1905 Bibliothek des Burgtheaters), den Theaterzetteln der Druckschriftensammlung sowie ihrem eigentlichen Grundstock, der 1922 angekauften Theaterbibliothek Hugo Thimigs (1854-1944), und wurde in den ehemaligen Räumen der Kupferstichsammlung am Josefsplatz untergebracht. (Zu den Erwerbungen und der Geschichte der einzelnen Spezialsammlungen für die Zeit nach dem Ende der Monarchie siehe die ihnen im Anschluß an die Darstellung der Druckschriftenbestände gewidmeten Abschnitte.) Die befürchteten Plünderungen bzw. Zwangsverkäufe der Kulturgüter zur Versorgung der hungernden Bevölkerung, dann die drohende Aufteilung des Bestandes auf die Nachfolgestaaten der Monarchie konnten abgewendet werden. Nach der z. T. mit Übersiedelungen von großen Sammlungsbeständen verbundenen organisatorisch-administrativen Umgestaltung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs konnte sich die neue Nationalbibliothek ihren eigentlichen Aufgaben widmen.

1.41 Das Recht auf Pflichtexemplare regelten das am 7. April 1922 beschlossene Bundesgesetz über die Presse und seine Durchführungsbestimmungen. Für den Tausch bestimmte Stücke sollten dazu beitragen, die in den Nachfolgestaaten erschienene deutschsprachige Literatur weitersammeln zu können, da die Dotation für den lückenlosen Ankauf nicht ausreichte. Unter den größeren Erwerbungen dieser Jahre befand sich die Estensische Bibliothek, die Erzherzog Franz Ferdinand (1863-1914) - durch Adoption Erbe des Hauses Modena - zugefallen war. Sie wurde 1915 bei der Fideikommiß-Bibliothek aufgestellt, jedoch bis 1918 nicht ihr zugeordnet. Für die Druckschriftensammlung brachte das Legat Franz Steindachners (1834-1919, Direktor des Naturhistorischen Museums) wertvolle spanische Bestände. Die angespannte finanzielle Situation nach dem Krieg führte zur Abtretung einiger Vereinsbibliotheken an die Nationalbibliothek: dem größten Teil der Bibliothek des Wiener Goethevereins folgten die Büchersammlungen der Numismatischen Gesellschaft und des Vereins für die Geschichte der Stadt Wien. Durch die 1918 vom damaligen Kustos Josef Bick begonnene Verzeichnung der Exlibris in den Beständen der Palatina wurden die Voraussetzungen der Exlibrissammlung im Bereich der Druckschriftensammlung geschaffen. Einige besonders wertvolle Holzschnitt- und Kupferstich-Exlibris mußten zwar 1920 an die Albertina abgegeben werden. Der Ankauf der international bekannten Sammlung Rudolf Benkard 1930 mit 6250 Blättern trug aber zum weiteren Ausbau bei (s. u. 2.325 ff.). Die 1915 zur Dokumentation des Kriegsgeschehens begonnene Kriegssammlung wurde nach Kriegsende aufgelöst und daraus ein Konvolut von mehr als 30.000 Publikationen den Druckschriftenbeständen einverleibt. Die Plakate, Flugblätter und amtlichen Verlautbarungen (ca. 60.000 Stück) stellten eine beträchtliche Erweiterung der seit 1912 in der Druckschriftenabteilung der Benützung zugänglichen Flugblättersammlung dar (s. u. 2.314 ff.).

1.42 Die finanzielle und räumliche Ausstattung der Bibliothek in der Zwischenkriegszeit unter der Leitung Josef Bicks (1923-1938, 1945-1948) war von Sparmaßnahmen geprägt und ließ sogar den Plan entstehen, die Universitätsbibliothek mit der Nationalbibliothek zusammenzulegen. Das Projekt einer Zentralbibliothek in einem Zu- oder Neubau blieb bis zum Ende der dreißiger Jahre mit konkreten Standortvorstellungen lebendig. Verwirklicht wurde jedoch nur ein Umbau der ehemaligen Wagenburg zum Speicher unter dem Prunksaal (1927-1930). 1928 stellte eine englische Gesellschaft der Nationalbibliothek die sogenannte Englische Bibliothek zur Verfügung. Die Sammlung vorwiegend belletristischer Literatur sollte zu einer eigenen Anglo-amerikanischen Abteilung ausgebaut werden, ging jedoch 1938 in den ordentlichen Bestand über. 1929 wurde das von Hugo Steiner gegründete Internationale Esperanto-Museum mit dem Nachlaß von Emil Soffé (1851/1858-1922) der Nationalbibliothek angegliedert. Unter den in den dreißiger Jahren eingegangenen Sammlungen befanden sich der Nachlaß des Germanisten Theodor von Karajan (1810-1873) und die Bibliothek Anton Wesselskys (1867-1944) mit etwa 7000 Werken zur Geschichte, Philosophie und Belletristik. Der 1937 von Josef Bick veranlaßte und 1940 abgeschlossene Kauf des Archivs für deutsche Politik und Kultur aus dem Besitz von Ottomar Schuchardt in Dresden brachte etwa 25.000 Schriften aus dem Zeitraum von 1845 bis 1885 - literarische Dokumente der oppositionellen Kreise Bismarck-Deutschlands zu den Themen Kulturkampf, Soziale Frage, Entwicklung der Parteien, österreichische Nationalitätenprobleme u. a.

1.43 Aus Anlaß des 200. Jahrestages der Vollendung des Bibliotheksgebäudes am Josefsplatz fand 1926 die Tagung des Vereines Deutscher Bibliothekare in Wien statt. Die dabei vorbereitete Mitarbeit am Gesamtkatalog der Preußischen Bibliotheken hatte eine weitgehende Umstellung des Bibliotheksbetriebes zur Folge. Zur Katalogisierung nach dem neuen Regelwerk, den Preußischen Instruktionen, nahm eine neue Unterabteilung (die Titelaufnahme) am 2. Jänner 1931 ihren Dienst auf. Die alphabetische Verzeichnung der Druckschriften ab 1501 nach den Beschreibvorschriften der Hofbibliothek wurde mit dem Stichjahr 1929 abgebrochen und für die ab 1930 erschienenen Druckwerke ein neuer Nominalkatalog nach PI angelegt. Daneben führte man die seit 1904 verfolgte und mehrmals unterbrochene maschinenschriftliche Abschrift des handschriftlichen Nominalkataloges zur Erstellung eines Publikumskataloges weiter. Sein Fehlen sollte durch die ab 1931 erscheinenden Bände des Gesamtkataloges kompensiert werden (die Signaturen der Nationalbibliothek wurden in den Druckfahnen der ersten 8 Bde ergänzt; in den bis zur Einstellung des Projektes 1944 gedruckten Bänden zum Buchstaben B sind jeweils sämtliche Werke berücksichtigt). In Ergänzung dazu erschienen die Zuwachsverzeichnisse der an diesem Verbund teilnehmenden Bibliotheken (1923-1927, darunter das Zuwachsverzeichnis der Druckschriften der Nationalbibliothek in Wien). Ein 1931 ediertes österreichisches Gesamtzuwachsverzeichnis faßte die seit 1923 begonnenen, jedoch durch die Mitarbeit am Preußischen Gesamtkatalog überholten Vorarbeiten für einen österreichischen Gesamtkatalog zusammen. Die zentrale Verzeichnung ausländischer Monographien in der dafür an der Nationalbibliothek eingerichteten Büchernachweisstelle blieb erhalten.

Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg

1.44 1938 wurde Josef Bick aufgrund seiner Tätigkeit im Bundeskulturrat (1934-1938) während der Dollfuß-Regierung seines Amtes als Leiter der Nationalbibliothek enthoben, als politischer Gefangener kurzzeitig in das Konzentrationslager Dachau bzw. Sachsenhausen eingewiesen und dann zu Hausarrest verurteilt. 1938 bis 1945 stand der Nationalsozialist Paul Heigl der Bibliothek vor. Neben der Bestandsvermehrung durch unterschiedliche Sammlungen, wie die 1941/1942 angekaufte Bibliothek des Politikers Viktor Mataja (1857-1934), das Legat orientalischer Literatur durch Johann Nittmann und die Zuweisung einer großen Menge juristischer Schriften aus der Bibliothek des 1940 aufgelösten österreichischen Justizministeriums, sind vor allem die Konfiskationen von Büchern aus jüdischem oder parteifeindlichem Besitz zu erwähnen. Für die meisten dieser Enteignungen gibt es heute keine Unterlagen mehr, da sie tweder überhaupt nicht aktenkundig wurden oder die Aufzeichnungen in die später verlorene Aktenablage Heigls gerieten. Größtenteils konnten die Bücher jedoch nach dem Krieg wieder zurückgestellt werden. Die Enteignungsaktionen begannen im Frühjahr 1939 und betrafen u. a. die Bibliotheken Kuffner, Valentin Rosenfeld, Rudolf Gutmann und die theatergeschichtliche Sammlung Fritz Brukner. Darüber hinaus wurde die gesamte Bibliothek des Missionshauses St. Gabriel bei Mödling beschlagnahmt. Die Bibliothek des Stiftes Klosterneuburg wurde ebenfalls usurpiert, entging allerdings der Überstellung in die Nationalbibliothek. Es folgten die Sammlungen der tschechischen kulturhistorischen Kommission in der Wiener Komensky-Schule, die Bibliothek von Alfons Rothschild, Stephan Auspitz, Viktor Ephrussi, Heinrich Schnitzler u. a. Die Beamten der Druckschriftensammlung versuchten, die meisten dieser Bibliotheken mit der Begründung Bearbeitung aus Zeitmangel unmöglich vor Zersplitterung und Transferierung an neugegründete Museen zu bewahren. Bei den von Heigl selbst bearbeiteten Beständen gestaltete sich die spätere Rückführung an ihre rechtmäßigen Besitzer schwierig bis undurchführbar.

1.45 Während des Zweiten Weltkrieges lagerten die Prunksaalbestände in sicheren Kellermagazinen. Die Kriegseinwirkungen im Jahre 1945 zerstörten Teile der benachbarten Albertina, ließen jedoch den Gebäudekomplex der Nationalbibliothek unbeschadet. Auch vor den erwarteten Übergriffen seitens der Besatzungsmächte konnten die Bestände - nicht zuletzt dank der Umsicht des interimistischen Leiters Hugo Häusle - bewahrt werden. Weder die Bücher noch das Gebäude erlitten nennenswerten Schaden. 1945 bis 1948 kehrte Josef Bick an die Spitze des Hauses zurück.

Die Österreichische Nationalbibliothek seit 1945

1.46 Am 30. Oktober 1945 wurde die Bibliothek in Österreichische Nationalbibliothek umbenannt. Die Rückstellungen der beschlagnahmten Bibliotheken begannen 1948. Einige der nicht bearbeiteten Sammlungen - darunter jene des Komensky-Vereines mit rund 124.000 Bdn und die des Missionshauses St. Gabriel mit etwa 80.000 Bdn - konnten sofort retourniert werden. 1955 war die Organisation der Rückführungen im wesentlichen abgeschlossen. Nach einer von Josef Stummvoll (Generaldirektor 1949-1967) eingeleiteten Zählung belief sich der Druckschriftenbestand 1948 auf 1,344.199 Bde. In Ergänzung zum normalen Büchereinlauf brachten durch Schenkung oder Kauf gewonnene Sammlungen wertvollen Zuwachs. Aus dem Jahre 1949 ist der etwa 3000 Orientalia und Sinica enthaltende Nachlaß des ehemaligen österreichischen Botschafters in Peking, Arthur von Rosthorn (1862-1945), zu nennen. Zum Legat Bruno Böttchers 1955/1956 zählten 27 Erst- und Frühausgaben von Werken Nestroys, Perinets und Hasenhuts. Umfangreichere Schenkungen kamen von Elisabeth Nicolis-Reska (1955, ca. 1000 Bde Belletristik und Theatergeschichte), Eugen Perugia (1957, etwa 1500 Werke der Romanistik) und der Regierung Mexikos (1961, 3000 in Mexiko erschienene neuere Schriften). Die Universitätsbibliothek Wien überließ zahlreiche Dubletten italienischer Werke des frühen 19. Jhs aus der angekauften Bibliothek Erzherzog Rainers (1827-1913). Die 1963 erworbene Veneziana-Sammlung Kurt Richard Donins (1881-1963) enthielt 1447 Titel aus vier Jahrhunderten, die im Sinne des Schenkers als geschlossene Reihe aufgenommen wurden. Zahlreiche Rara brachte 1964/1965 der Viennensia-Teil (1227 Werke) der Bibliothek Wilhelm Klasterskys (1880-1961). Karl Keck (1895-1992) schenkte der Bibliothek während vieler Jahre mehrere hundert Drucke vorwiegend des 17. und 18. Jhs aus kleinen, z. T. unbekannten österreichischen Offizinen, die er in österreichischen Pfarreien sammelte. Unter den zahllosen Druckschriften-Erwerbungen der letzten Jahrzehnte befanden sich z. B. 2000 Werke aus dem Nachlaß Edwin Rolletts (1888-1964), ca. 6000 Bde - darunter viele bereits nach 1940 konfiszierte und zurückerstattete Bücher - der Theaterbibliothek Heinrich Schnitzlers (1902-1982) und eine in den Jahren 1920 bis 1938 vom Journalisten Paul Frankenstein angelegte Sammlung (Bücher, Zeitungen und Flugschriften) von und über Tomás Garrigue Masaryk aus dem Besitz der Familie Frankenstein (1983).

1.47 Im Bereich der Katalogisierung stellte das für die Benützung des historischen Bestandes besonders schwerwiegende Fehlen eines Publikumskataloges weiterhin eine der dringendsten Aufgaben dar. Der Einsatz von elektrischen Mehrfachschreibmaschinen führte die 1958 wieder aufgenommene Abschreibung des handschriftlichen Kapselkataloges auf Karteikarten 1967 endlich zum Abschluß. Aus den insgesamt 5 Kopien jedes Zettels entstanden der Publikumskatalog für die bis 1929 erschienenen Druckschriften und ein Beamtennominalkatalog. Die restlichen Karten bildeten die Grundlage für die damals begonnene Beschlagwortung dieses Bestandes, den mittlerweile beinahe fertiggestellten Alten Schlagwortkatalog. Kopien der Titelaufnahmen von den Druckschriften ab 1930 waren seit 1935 für den Schlagwortkatalog bearbeitet worden. Ab 1950 wurden die Referenten zur Schlagwortgebung herangezogen. In Verbindung mit der Nominalkatalogisierung erfolgte die Bearbeitung der Pflichtexemplare für die seit 1946 erscheinende Österreichische Bibliographie. Die 1938 sistierte Österreichische Büchernachweisstelle für ausländische Monographien nahm 1950 ihre Tätigkeit wieder auf. Das 1951 beschlossene Projekt eines österreichischen Zentralkataloges für Periodika ab 1945 führte 1961/1962 zur Publikation von Bestandsnachweisen für 30.000 ausländische Periodika in ca. 450 Österreichischen Bibliotheken. Unter dem Titel Zentralkatalog neuerer ausländischer Zeitschriften und Serien in österreichischen Bibliotheken erschienen laufend Nachträge. Eine 1978 erstellte aktualisierte Liste ausländischer Periodika bildete den Grundstock für den 1980 begonnenen Aufbau der an der Bibliothek geführten Österreichischen Zeitschriftendatenbank (ÖZDB, s. u. 3.1). Seit 1992 arbeitet die Österreichische Nationalbibliothek am Österreichischen Bibliothekenverbund mit: im Bereich der Druckschriftensammlung wurde die Katalogisierung auf RAK-WB und RSWK umgestellt und gleichzeitig im gesamten Geschäftsgang das EDV-Bibliothekensystem BIBOS eingeführt.

1.48 Der 1962 bis 1966 durchgeführte Umbau der Räumlichkeiten in der Neuen Burg auf dem Heldenplatz schuf einen großen Lesesaal mit 200 Plätzen, einen Zeitschriftenlesesaal mit 65 Plätzen, Beamtenräume, die Kataloghalle für die Publikumskataloge im Foyer des Haupteinganges am Heldenplatz und ein zweigeschoßiges unterirdisches Bücherdepot. 1979 wurde der Augustiner-Lesesaal, der seit der Eröffnung des Hauptlesesaals den Bibliothekaren als Arbeitsraum gedient hatte, wieder dem Publikum zugänglich gemacht und der Benützung wertvoller Druckschriftenbestände gewidmet. Die das Theater betreffenden Druckschriften der Nationalbibliothek sind nach der Ausgliederung der Theatersammlung 1991 im Lesesaal des Österreichischen Theatermuseums, Palais Lobkowitz, einzusehen. Neben zahlreichen kleineren Sonderlesezimmern und den Lesesälen der Spezialsammlungen bestehen seit dem Frühjahr 1992 weitere Leseplätze für die Benützung von großformatigen Werken und AV-Medien im neugebauten Tiefspeicher unter der Burggartenstraße. Das auf 4 Ebenen unterirdisch angelegte Büchermagazin für über 4 Mio. Bde stellt die größte bauliche Erweiterung der Bibliothek seit dem 18. Jh dar.

1.49 Nach der Gründung des Österreichischen Literaturarchivs (1989) als neuer Sondersammlung für Nachlässe österreichischer Autoren zählt zu den jüngsten Projekten zur Umgestaltung und Erweiterung der Österreichischen Nationalbibliothek auch das den historischen Buchbestand im besonderen betreffende Konzept, eine Sammlung alter und wertvoller Drucke einzurichten. Sie wird sich der Betreuung und wissenschaftlichen Erschließung von Druckschriften aus dem Zeitraum von 1501 bis 1850, Exlibris, Flugblättern, Quodlibetica und bibliophilen Ausgaben widmen


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.