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Bibliothek der Evangelischen Kirchengemeinde St. Peter und Paul

Adresse. Bei der Peterskirche 9, 02826 Görlitz [Karte]
Telefon. (03581) 40 72 24
Telefax. (03581) 40 72 24

Unterhaltsträger. Evangelische Kirchengemeinde St. Peter und Paul in Görlitz
Funktion. Kirchenbibliothek; ruhende Traditionsbibliothek. Sammelgebiet. Theologie. Der Bestand wird nicht vermehrt. Benutzungsmöglichkeit. Präsenzbibliothek. Benutzung nach Vereinbarung. Leihverkehr: nicht angeschlossen. Technische Einrichtungen für die Benutzer. Kopiergerät.
Hinweise für anreisende Benutzer. Schriftliche oder telefonische Anmeldung erforderlich. Alle Straßenbahnlinien ab Bahnhof bis Haltestelle Demiani-Platz, von dort Fußwegnähe (10 Minuten). A 4 (E 40), Ausfahrt Bautzen, B 6; ab Cottbus B 115. Parkmöglichkeit am Platz bei der Peterskirche oder am Untermarkt.

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Die Kirche St. Peter und Paul auf dem alten Burgberg war der geistliche Mittelpunkt der um 1220 gegründeten Handels- und Tuccherstadt Görlitz. Der romanische Bau, 1225 begonnen, und der gotische Neubau, 1423 begonnen und 1497 beendet, zeugen von der Bedeutung der Stadt und ihrer Pfarrgemeinde. Neben mehreren Priestern wirkten an der Kirche theologisch gebildete Prediger. Einer von ihnen, Mag. Johann Goschwitz († 1439), hinterließ der Kirche mehr als 70 Bücher. Für diese Sammlung wurde in einem Raum unter der Sakristei ein Bibliotheksraum mit sechs Pulten geschaffen, auf denen die Bücher angekettet lagen. Einbezogen wurden Bände, die entweder vor dieser Stiftung schon vorhanden waren oder später hinzukamen. 1565 erfolgte die Auflösung der 116 Bde umfassenden Bibliothek. Die Ketten wurden gelöst, das Pergament der liturgischen Handschriften wurde zur Orgelreparatur benutzt oder an Buchbinder verkauft. Der Rest der Bücher ging in die Bibliothek des Franziskanerklosters über und gelangte mit ihr in die Milichsche Bibliothek. Nur eine Josephus-Handschrift ist damals in der Bibliothek verblieben.

1.2 Ausgeglichen wurde dieser Verlust durch die Übernahme der Bibliothek des ersten fest angestellten evangelischen Predigers von St. Peter, Mag. Wolfgang Sustelius (Sustel, Schustel, Schystel, Schiestel, * etwa 1500). Er stammte aus Griesbach bei Passau und kam mit seinen Eltern nach Kaschau. In Krakau studierte er, erlangte den Magistergrad und erwarb dort auch die maßgebende Literatur seiner Zeit. Von 1522 an war er in der Zips (Slowakei), zuerst in Kaschau, dann in Bartfeld, als Prediger tätig, wobei er schon in dieser Zeit für die Reformation wirkte. 1529 setzte er seine Studien in Wittenberg fort. Melanchthon empfahl ihn nach Görlitz. Nach seiner Heirat war er von 1536 bis 1545 an verschiedenen Orten Schlesiens tätig, kehrte dann aber nach Görlitz zurück und starb dort an der Pest. Seine mindestens 45 Bde mit 71 Titeln umfassende Büchersammlung fiel, wohl weil er ohne Erben war, der Kirche zu und wurde in einem abgeteilten Raum der Unterkirche, Museum genannt, bis zum Jahre 1601 untergebracht, danach in einer Truhe der Sakristei aufbewahrt. Die Zusammensetzung seiner Bibliothek spiegelt die Entwicklung von einem spätscholastischen zu einem reformatorischen Theologen wider.

1.3 Nach der Reformation der Stadt Görlitz im Jahre 1525 wurden die für die zahlreichen Altarstiftungen genutzten Breviere und Missale (31 Bde) nicht beseitigt, sondern in der Sakristei aufbewahrt. Heute besitzt die Bibliothek noch 15 Meissner Missale in verschiedenen Ausgaben. Später wurden für die Gottesdienstlesungen und Predigten Exemplare der Lutherbibel beschafft, dazu Werke für die Kirchenmusik und die Kirchenordnung. Erst unter dem Pastor primarius David Vechner (1594-1669, in Görlitz tätig 1662-1669) scheint ein planmäßiger Ausbau der Bibliothek durch den Erwerb wichtiger exegetischer Werke erfolgt zu sein. Dazu trugen Stiftungen der Bürger ebenso bei wie Legate von Geistlichen und Lehrern. Diese Bücher und die Bibliothek von Wolfgang Sustelius überstanden den großen Brand der Kirche 1691 und wurden danach, neu geordnet und verzeichnet, in der Sakristei hinter dem Hauptaltar aufgestellt. Der Bestand wurde 1762 mit etwa 80 Bdn angegeben.

1.4 Eine wesentliche Bereicherung erfuhr die Bibliothek durch die von dem Pastor primarius Johann Georg Neumann (1670-1734) hinterlassene Büchersammlung, die dessen Schwager, der Katechet Johann Siegmund Gierschner, 1763 der Kirche übereignete. Sie enthielt theologische, philologische und philosophische Werke auch älterer Zeit, dazu eine Sammlung von Leichenpredigten und Dissertationen. Der Diakon Gottlieb Christian Giese (1721-1788, ab 1755 in Görlitz tätig) ordnete die Bibliothek in zwei Abteilungen, die Bibliotheca antiqua und die Bibliotheca Neumannia. Er inventarisierte und katalogisierte den Bestand neu ( s. u. 3.2) und stellte ihn in der Sakristei auf. Auf der Basis seiner Arbeiten verfaßten der Görlitzer Lehrer Johannes Hortzschansky (1722-1799) und der Diakon Johann Christian Jancke (1757-1834) 1799 die Geschichte der Bibliothek.

1.5 Eine gründliche Bearbeitung der Bibliothek und eine sorgsame Darstellung ihrer Geschichte leistete zwischen 1932 und 1937 Alfred Zobel (1902-1943), Pfarrer der Görlitzer Dreifaltigkeitsgemeinde. Er nahm auch die Agenden und Gesangbücher sowie anderes kirchliches Schrifttum von Bedeutung und einige Archivalien, z. B. die Fremdenbücher des Heiligen Grabes, die im 19. Jh in der Bibliothek gefunden wurden, in den Katalog auf und versah sie mit Signaturen. Die von ihm erstellten Titelkarten wurden dem damals im Aufbau befindlichen Zentralkatalog der Evangelischen Kirchenprovinz Schlesien (Evangelische Zentralbibliothek in Breslau) zur Verfügung gestellt.

1.6 Während des Zweiten Weltkrieges wurden die 19 wertvollsten Bände der Bibliothek, die Hss., Inkunabeln und Lutherdrucke, nach Hermsdorf ausgelagert, wo sie verschollen sind. Auf der Basis des Katalogs von Alfred Zobel erfolgte von 1995 bis 1996 die EDV-gestützte Katalogisierung der Bücher. Einbezogen wurden auch weitere bisher nicht inventarisierte Zugänge aus der Zeit nach 1945, darunter vor allem Agenden, Gesangbücher, Predigt- und Erbauungsliteratur. Diese Datei steht sowohl der Kirchengemeinde als auch dem Konsistorium der Evangelischen Kirche der schlesischen Oberlausitz zur Verfügung.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

Chronologische Übersicht und Übersicht nach Sprachen

2.1 Der historische Bestand umfaßt 1313 Titel. Aus späterer Zeit kamen nur wenige Bücher hinzu. Von einer größeren Anzahl von Inkunabeln haben sich nur 3 Titel erhalten. Aus dem 16. Jh stammen 176 Titel, aus dem 17. Jh 901, aus dem 18. Jh 158 und aus dem 19. Jh 76. Die deutsche Sprache hat mit 740 Titeln gegenüber der lateinischen mit 540 das Übergewicht. 16 Titel sind in griechischer, 9 in hebräischer, 5 in französischer, 3 in niederländischer und einer in italienischer Sprache. Dazu kommt eine Polyglotte.

Systematische Übersicht

2.2 Von der umfangreichen Dissertationssammlung behandeln 269 Titel verschiedene Themen der Theologie, wobei 55 Titel aus dem 16. Jh, 199 Titel aus dem 17. Jh und 9 aus dem 18. Jh stammen. Die Bibelsammlung (19 Titel) enthält überwiegend Lutherübersetzungen (14), daneben 3 Ausgaben in den Ursprachen Hebräisch und Griechisch und 2 lateinische Übersetzungen aus dem 16. Jh. 24 Titel zur Bibelwissenschaft, darunter mehrere Konkordanzen, und 46 Titel zur Exegese enthalten wichtige Werke zur Erforschung der Bibel.

2.3 Im Bereich der Kirchengeschichte (36 Titel) haben die 27 Kirchenväter-Ausgaben als Quellenwerke (davon die meisten aus dem 16. Jh) großes Gewicht. Luthers Werke sind nur mit Bd 1 des deutschen Teils der Jenaer Ausgabe vertreten. Eine größere Zahl von zeitgenössischen Ausgaben der Schriften Luthers ging leider verloren. Als Quelle ist auch eine Koranübersetzung des 17. Jhs anzusehen; die übrigen 7 Titel enthalten Darstellungen zur Kirchengeschichte.

2.4 Unter den 99 Titeln zur Systematischen Theologie finden sich 6 Ausgaben der lutherischen Bekenntnisschriften, darunter eine Übersetzung der Augustana ins Hebräische aus dem 16. Jh. Während zur Ethik nur 4 Titel zählen, nehmen die Dogmatik mit 36 Titeln und die Polemik mit 55 Titeln einen großen Raum ein. Die lebhafte Kontroverse mit der katholischen Kirche am Anfang des 17. Jhs fand hier ihren Niederschlag.

2.5 Die Literatur zur Praktischen Theologie hat mit 971 Titeln den größten Anteil am Bestand. Doch nur 11 Titel sind als theoretische Erörterung oder Anweisung zum kirchlichen Handeln zu verstehen; davon gehören zur Pastoraltheologie 4 Titel, zur Liturgik und Homiletik je einer und zum Kirchenrecht 2. Alle übrigen Werke dienen dem konkreten kirchlichen Leben oder resultierten aus der kirchlichen Praxis: 25 Agenden, darunter 6 Exemplare des Missale Misnense vom Anfang des 16. Jhs, eine Kirchenordnung und ein Katechismus sowie 28 Gesangbücher, vor allem aus Görlitz und aus anderen Städten der Lausitz und Schlesiens. Darunter finden sich ein Gesangbuch der reformierten Franzosen, Psaumes, Hymnes et Cantiques usitéz a l'église françoise de Francfort Main, hrsg. von Barthélémy Matthieu (Frankfurt 1612) und Das große Cantional ... (Darmstadt 1687). 101 Predigtbände werden ergänzt durch 15 Sammlungen von Leichenpredigten und 442 Predigten zu bestimmten anderen Anlässen. Davon stammen 410 aus Leipzig, die übrigen aus verschiedenen Städten Deutschlands. Zwei Titel sind Hochzeitspredigten, Erbauungsliteratur findet sich mit 25 Titeln.

2.6 Aus nicht-theologischen Wissensgebieten liegen 154 Titel vor. Die philologischen Werke, meist Grammatiken und Wörterbücher (26 Titel), behandeln überwiegend die biblischen Sprachen und das Latein. Ausnahmen sind u. a. ein lateinisch-italienisches Lexikon aus dem 16. Jh und eine französische Grammatik aus dem 17. Jh. Zu 29 lateinischen und griechischen Texten der antiken Literatur kommen 9 neulateinische und 4 deutsche Titel aus der neueren Literatur. Geschichte ist mit 27 Titeln, Geographie mit 8, Philosophie mit 12, Rechtswissenschaft mit 10 Titeln vertreten. Werke zur Medizin liegen meist in Form von Dissertationen vor. Fünf Titel sind übergreifenden Inhalts.

3. KATALOGE

3.1 Moderne Kataloge

Standortkatalog

[nach PI, 1932-1937 von Alfred Zobel erstellt]

Alphabetischer Katalog

[EVD-Erfassung 1995-1996]

3.2 Historische Kataloge

Catalogus bibliothecae Saec. XV forsan M. Joann. Goschitz Gorlic

[Abschrift von Karl Gottlieb von Anton, † 1818]

Inventar vom April 1697

[vermutlich aufgestellt vom Aedituus Christian Nitsch; Abschriften von 1703 und 1730]

Inventar aufgestellt von Christian Gottlieb Giese. 1763

Katalog von Christian Gottlieb Giese. 1763

[erhalten vermutlich in einer Abschrift von 1867]

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

4.1 Archivalien

Im Archiv des Stadtsynodalverbandes Görlitz, das sich als Depositum im Archiv des Konsistoriums der Evangelischen Landeskirche der schlesischen Oberlausitz befindet:

Akten der Görlitzer Kirchengemeinde unter den Bezeichnungen: Ev. Gemeindeamt zu Görlitz und Ev. Kirchenarchiv.

4.2 Darstellungen

Knauthe, Christian: Historische Nachricht von denen Bibliotheken in Görlitz. Görlitz 1737

Giese, Gottlieb Christian: Kurtze historische Nachricht von der Kirchen-Biblothec bey der Haupt-Kirche zu S. S. Petri und Pauli in Görlitz, beym Ausgange des 1763sten Jahres aufgesetzet von Christian Daniel Brücknern. Görlitz 1763

Jancke, Johann Christian: Theilnehmender Glückwunsch dem Hochehrwürdigen Herrn Johann Gottfried Mosig, hochverdienten Pastori Primario zu Görlitz, 1799, am 9ten Februar, an welchem Tage er vor fünfzig Jahren sein erstes Lehramt antrat, nebst einem kleinen Beytrag zur Geschichte der Bibliothek in der Hauptkirche zu Görlitz, gewidmet ...

Görlitz 1799 Hortzschansky, Johann: Von den öffentlichen Bibliothen in der Oberlausitz. In: Lausitzische Monatsschrift (1799) S. 329 ff. [darin S. 396-401: Von der Bibliothek bei der Kirche Petri und Pauli]

Zobel, Alfred: Die Kirchenbibliothek in der Peterskirche zu Görlitz. In: Neues Lausitzisches Magazin 117 (1941) S. 94-129

Stand: November 1996

Konrad von Rabenau


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.