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Kirchenbibliothek St. Nikolai

Adresse. Holzmarkt 17, 39638 Gardelegen [Karte]
Telefon. (03907) 3548
Bibliothekssigel. Kirchlicher Zentralkatalog Berlin: <Sa 5>

Unterhaltsträger. Evangelische Kirchengemeinde St. Nikolai Gardelegen
Funktion. Kirchenbibliothek. Sammelgebiet. Abgeschlossener historischer Bestand.

Benutzungsmöglichkeiten. Präsenzbestand. Leihverkehr: nicht angeschlossen.
Hinweise für anreisende Benutzer. Schriftliche oder telefonische Anmeldung erforderlich. Vom Bahnhof (Bahnstrecke Stendal-Wolfsburg) 20 Minuten Fußweg. E 30 (A 2), Ausfahrt Magdeburg-Olvenstedt, B 71.

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Trotz ihrer relativ geringen Größe ist die Bibliothek ein Musterbeispiel für die planmäßige und geschlossene Anlage einer protestantischen Kirchenbibliothek, für deren Aufbau die 1584 erworbene Bibliotheca Konrad Gesners als methodisches Hilfsmittel benutzt wurde. Abgesehen von geringen mittelalterlichen Resten und wenigen nachreformatorischen Anschaffungen wurde die Bibliothek 1580 (nicht 1581, wie in der älteren Literatur angegeben) gegründet. Die Initiative ging von dem Gelehrten Arnold Bierstedt (1542-1597) aus, der als Schulrektor, Ratsherr und späterer Bürgermeister vielfachen Einfluß in der Stadt besaß. Er hatte in Wittenberg studiert und war durch einen christlichen Humanismus im Sinne Melanchthons geprägt. Die Bibliothek wurde durch Geldstiftungen, später auch durch Kollekten vermehrt, die vor allem bei Trauungen stattfanden. Daher finden sich die Supralibros " oblationes nuptiales" oder die Namen beider Eheleute auf den Büchern. Die meisten Einbände wurden in Wittenberg, später auch in Magdeburg gefertigt. Aus dem vom Gründer 1581 angelegten, jedoch nicht erhaltenen Bücherverzeichnis ist eine Benutzungsordnung in lateinischen Versen überliefert.

1.2 Nachdem man auch in der Marienkirche eine Büchersammlung begonnen hatte, wurden beide Bibliotheken wohl kurz nach der Visitation im Jahre 1600 in St. Nikolai vereinigt. Als energische Förderer fehlten, hörte die kontinuierliche Vermehrung schon um 1634 auf. 1679 wurde auch eine eigene Schulbibliothek gegründet, doch waren die Stadt und die Schule weiterhin an der Betreuung der Kirchenbibliothek beteiligt. Wie die alten Kataloge zeigen, waren die Rektoren der Lateinschule mit der Verwaltung betraut. Es fanden auch regelmäßige Revisionen statt, von denen die letzten für 1715, 1718 und 1721 bezeugt sind. Die Sammlung blieb die " bibliotheca publica" der Stadt, eine Konstellation, die deutlich Luthers Vorstellungen entsprach.

1.3 Im Jahre 1859 wurden die 58 Werke umfassenden Musikalien an die Königliche Bibliothek Berlin verkauft. Der übrige Bestand wurde weiter in der Kirche aufbewahrt, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges aber in ein Grabgewölbe der Kirche gebracht, so daß er der Zerstörung der Kirche und des Pfarrarchivs entging. Heute ist die Bibliothek im Erdgeschoß des Pfarrhauses neben der Ruine der Nikolaikirche untergebracht. Dort befindet sich z. Z. auch die wertvolle Sammlung zu einer altmärkischen Pfarrerkunde. Um 1970 wurde von Pfarrer Reiner Berndt eine kleine Sammlung älterer Bücher zusammengetragen ( s. u. 2.1).

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

2.1 Der Bestand enthält 227 Titel mit folgender zeitlicher Verteilung: 15. Jh 6 Titel, davon 2 Hss. und 4 Inkunabeln, 16. Jh 123 Titel (54 Prozent), 17. Jh 83 (37 Prozent), 18. Jh 7 (3 Prozent) und 19. Jh ein Titel. Ferner existiert eine kleine, noch nicht katalogisierte Sammlung von Bibeln, Gesangbüchern und ähnlichem vorwiegend des 19. und 20. Jhs, die z. T. aus der ehemaligen Schulbibliothek und aus den umliegenden Dörfern stammen. Von den 227 Titeln sind 132 lateinisch (58 Prozent) und 92 deutsch (40 Prozent); je ein Titel ist hebräisch, griechisch oder polyglott.

2.2 Der Bestand ist in 7 Hauptgruppen mit weiteren römisch numerierten Untergruppen systematisch aufgestellt. Neben den Werkausgaben von Luther, Melanchthon, Brenz und Rhegius fallen zahlreiche Ausgaben der Kirchenväter auf, meist Baseler und Pariser Drucke. Die reiche Ausstattung mit historischen Werken geht ebenfalls auf die Interessen des Gründers und zugleich auch eifrigsten Benutzers der Bibliothek zurück. Es folgen wie üblich Kommentare, Dogmatik, Predigten und Erbauungsliteratur.

2.3 Zwei Sammelbände enthalten insgesamt 28 deutsche, z. T. pseudonyme Flugschriften der Jahre 1614 bis 1618, die durch den Konfessionswechsel des brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund 1613 und den anschließenden Streit zwischen Lutheranern und Reformierten veranlaßt wurden. Ein weiterer Sammelband enthält u. a. 7 Gießener theologische Dissertationen von 1618 und 1619. Der Gründer Arnold Bierstedt hat der Bibliothek auch einige selbst verfaßte Handschriften vermacht, darunter einen Psalmenkommentar von erheblichem Umfang. Nach dem Verlust der Kirchenbücher haben die Supralibros genealogischen Wert erlangt. So ist die Bibliothek nicht durch rare Einzelstücke, sondern als Ganzes ein Denkmal der Geisteskultur in einer altmärkischen Stadt der Jahrzehnte vor und nach 1600.

2.4 Das Stadtmuseum Gradelegen verwahrt neben einem Missale Magdeburgense von 1480 auch einige Reste der ehemaligen Ratsbibliothek, darunter zwei in Venedig 1502 gedruckte Bände der Digesten aus dem justinianischen Corpus iuris civilis.

3. KATALOGE

3.1 Moderne Kataloge

Franz, [Friedrich]; Rabenau, [Konrad] von: Katalog der Kirchenbibliothek der St. Nikolaikirche in Gardelegen. o. O. 1970 [mschr., Standortkatalog nach PI mit Angabe der Provenienzen; vorhanden im Kirchlichen Zentralkatalog]

Die Bestände sind imKirchlichen Zentralkatalog Berlin (Mikroficheausgabe 1997) nachgewiesen.

3.2 Historische Kataloge

Catalogus librorum ... 1686

[Alphabetischer Katalog; Staatsbibliothek Berlin, Ms.Cat.B.fol. 71, Bl. 17-23]

Catalogus librorum ... 1707

[nach Formaten, innerhalb dieser alphabetisch; erfaßt auch enthaltene und angebundene Werke; ebda, Ms.Cat.B.fol. 71, Bl. 1-16]

Katalog der St. Nicolai-Bibliothek. 1897

[ebda, Ms.Cat.B.qu. 19]

Die drei Kataloge (die zwei alten 1893 lt. Schwenke noch im Besitz der Gemeinde) sind seit 1932 Besitz der Staatsbibliothek, offenbar Geschenke des Direktors Hermann Degering. Sie entgingen auf diese Weise wohl der Zerstörung des Gardelegener Pfarrarchivs 1945.

Systematischer Standortkatalog

[mit alphabetischem Register, 1882 von Adolf Parisius begonnen, später ergänzt; vorhanden in Gardelegen]

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

4.1 Archivalien

Bierstedt, Arnold: Nosse Deum et bene posse mori, sapientia summa est [Rede zur Einweihung der Bibliothek am 1. November 1580; hschr. Anhang zu Bd E 10 der Bibliothek]

[Bestimmungen über die Kirchenbibliothek im Visitationsabschied von 1600]: Landeshauptarchiv Potsdam, Pr.Br.Rep. 40 A Kurmärkisches Konsistorium Nr. 372, Bl. 16-17

[Bericht über die Besichtigung der Bibliothek durch Dr. Eduard Jacobs, 1890]: Archiv des Evangelischen Konsistoriums Magdeburg, in Bd IX/171 Staatsbibliothek Berlin, Acta III H 14 [betr. die Musikalien] Staatsbibliothek Berlin, Musikabt., Akzessionsjournal 1861, Nr. 7945-8003

4.2 Darstellungen

Schultze, Christoph: Auff- und Abnehmen der löblichen Stadt Gardelegen, ... Stendal 1668, S. 28-29 [Bibliotheksordnung von 1581; Wiederabdruck auch bei Franz 1940 ( s. u.), S. 39-40]

Pertz, [Georg Heinrich]: Die Königliche Bibliothek zu Berlin in den Jahren 1842 bis 1867. Berlin 1867, S. 12

Parisius, Adolf; Brinkmann, Adolf: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Gardelegen. Halle/S. 1897, S. 59-60 Müller, J[ulius];

Parisius, A[dolf]: Die Abschiede der in den Jahren 1540-1542 in der Altmark gehaltenen ersten General-Kirchen-Visitation ... Bd 2, Heft 2. Magdeburg 1912, S. 218

Franz, Fr[iedrich]: Beiträge zur Erforschung alter Gardelegener Familien. In: Heimatbuch. Beiträge zur altmärkischen Heimat-Kunde. Gardelegen 1 (1937) S. 155-172 [S. 162-163 zur Kirchenbibliothek]

Franz, Friedrich: St. Nikolai zu Gardelegen. In: Lob der Heimat. Propsteibuch der Altmark. 2. Aufl. Berlin 1966, S. 84-92

Czubatynski, Uwe: Armaria ecclesiae. Studien zur Geschichte des kirchlichen Bibliothekswesens. Neustadt a. d. Aisch 1998 (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche 24; Veröffentlichungen des Evangelischen Zentralarchivs in Berlin 6) [zu Gardelegen s. Register] Czubatynski, Uwe: Zur Bibliotheksgeschichte Gardelegens im 16. und 17. Jahrhundert. In: Mitteilungsblatt der Bibliotheken in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt [in Vorbereitung; betr. vor allem die Schulbibliothek]

5. VERÖFFENTLICHUNGEN ZU DEN BESTÄNDEN

Franz, Friedrich: Magister Arnold Bierstedt, ein theologischer Schriftsteller aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Halle und Stendal 1940 (Diss. theol., Halle 1940)

Rabenau, Konrad von: Die Einbände der Kirchenbibliotheken in Gardelegen. In: Studien zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Hans Lülfing zum 70. Geburtstag. Berlin 1976, S. 150-173

Stand: November 1998

Uwe Czubatynski


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.