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Bibliothek des Leers'schen Waisenhauses

Adresse. Universitätsbibliothek Bayreuth (siehe Eintrag dort)

Unterhaltsträger. Leers'sche Stiftung für arme Waisenkinder
Funktion. Abgeschlossene historische Spezialbibliothek. Der Bestand wird nicht vermehrt.

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Im Jahre 1821 errichtete der Bayreuther Magistratsrat Christoph Friedrich Leers (1769-1825), Eigentümer der Fayence- und Steingutfabrik im Stadtteil St. Georgen, zusammen mit seiner Frau eine großzügig fundierte Stiftung zugunsten armer Waisenkinder. Zum Stiftungsvermögen zählte auch eine kleine Büchersammlung. Nach Paragraph 23 der Stiftungsurkunde vom 12. Juni 1821 sollte sie " unter der Leitung des Ordenspredigers von den PflegEltern für die Kinder benutzt werden, welche in freien Stunden in diesen Büchern lesen sollen".

1.2 In einem auf den 16. Oktober 1833 datierten Verzeichnis hielten Leers' Testamentsvollstrecker Schreider und Dr. Johann Christian Schmidt (1786-1857, Leers' Neffe) den Buchbestand fest. Er wurde am 15. Januar 1834 von Magistratsrat Dolhopf, dem Waisenhausverwalter, übernommen. Unter Hinweis auf einen heute nicht mehr nachweisbaren, " in einem gebundenen Buch befindlichen Catalog des testierten Büchernachlaßes für die Leers'sche Waisenhaus Stiftung" merkte Dolhopf jedoch an, daß das Verzeichnis der Testamentsvollstrecker nicht alle vermachten Bücher umfaßte. Es fehlten 13 Titel mit insgesamt 22 Bdn.

1.3 Das geplante Waisenhaus richtete man erst mehrere Jahre nach dem Tode der beiden Stifter in deren Privathaus ein, das in unmittelbarer Nähe des St. Georgener Schlosses (heute Justizvollzugsanstalt) lag. Eröffnet wurde es am 12. Juni 1836. Der 1900 begonnene, 1902 eingeweihte Nachfolgebau steht noch heute (Bernecker Straße 11). Ein Inventarverzeichnis vom 24. April 1909 berichtet, daß sich in der Krankenstube ein " Schrank enthaltend die Bibliothek" befand. Aus dieser Zeit hat sich auch ein 259 Nummern umfassendes " Verzeichnis über die im Magistratsrat Leers'schen Waisenhause vorhandenen Bücher" erhalten.

1.4 Nach dem Ersten Weltkrieg sah sich die Stiftungsverwaltung finanziell nicht mehr imstande, das Waisenhaus weiter zu betreiben. Deshalb überließ sie 1919 die Nutzung des Gebäudes der Stadt Bayreuth, die es 1958 vollends erwarb. Die Räumlichkeiten beherbergten zunächst eine Säuglingskrippe (1919-1932), wurden dann ganz oder teilweise als Wohnungen vermietet (1932-1958) und schließlich als Hort und Kinderheim (1951-1967) sowie als Heilpädagogische Tagesstätte und Sonderschule (1967-1975) genutzt. Wie man in diesen Jahren mit der Bibliothek des Leers'schen Waisenhauses verfuhr, ist aus den erhaltenen Akten nicht ersichtlich. Nach mündlicher Überlieferung kam sie zwischen 1950 und 1975 als geschlossener Bestand in die Obhut der Stadtbibliothek Bayreuth.

1.5 Eigentümer dieser ältesten bekannten und zugleich ältesten noch existierenden Kinder- und Jugendbibliothek Bayreuths ist nach wie vor die Leers'sche Stiftung für arme Waisenkinder, die vom Stiftungsamt der Stadt Bayreuth verwaltet wird. Im Frühjahr 1995 schlug die Bayreuther Universitätsbibliothek der Stadt vor, ihr die Sammlung zur besseren wissenschaftlichen Nutzung und Erschließung als Dauerleihgabe zu überlassen. Die Stadt stimmte dem Vorschlag Ende 1995 zu, und inzwischen befindet sich die Sammlung als Dauerleihgabe in der Universitätsbibliothek.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

2.1 Der augenblickliche Umfang der Bibliothek konnte angesichts ungünstiger räumlicher Unterbringung und fehlender aktueller Kataloge nur geschätzt werden. Er dürfte bei etwas über 200 offenbar noch gut erhaltenen Bänden liegen. Genaue Aussagen über die chronologische, sprachliche und fachliche Gliederung sind erst nach einer Neukatalogisierung möglich. Mangels aktueller Angaben schien es zweckmäßig, das Bestandsverzeichnis der Leers'schen Testamentsvollstrecker von 1833 auszuwerten. Dabei handelt es sich jedoch um eine bloße Inventarliste ohne alphabetische, chronologische oder sachliche Ordnung und ohne Nennung von Erscheinungsorten und -jahren.

2.2 Im Jahre 1833 zählte die Sammlung 187 Titel mit insgesamt 322 Bdn. Die Titel stammen durchweg aus dem späten 18. Jh oder dem ersten Viertel des 19. Jhs. Mit Ausnahme zweier Lehrbücher des Französischen und einer möglicherweise originalsprachigen Ausgabe von Rousseaus Emile ou de l'éducation enthielt die Bibliothek nur deutschsprachige Werke.

2.3 Mit 35 Titeln ist religiöse Literatur im weitesten Sinn (Biblische Geschichten, Predigtsammlungen, Andachts- und Erbauungsbücher) am stärksten vertreten. Der relativ hohe Anteil ausgesprochener Kinder- und Jugendliteratur (28 Titel), z. B. Friedrich Eberhard von Rochows Kinderfreund und Christian Felix Weißes gleichnamige Zeitschrift, entspricht dem speziellen Zweck der Büchersammlung. Rechnet man dazu noch jene 14 literarischen Titel, die man, wie etwa Christian Fürchtegott Gellerts Schriften und Aufgefundene Familienbriefe (Freiberg 1819), nicht als reine Jugendlektüre bezeichnen kann, so ergibt sich insgesamt ein überraschend hoher Anteil an Schöner Literatur.

2.4 Unverkennbar atmet die Bibliothek den Geist des Philanthropismus. So finden sich neben Rousseaus Emile denn auch Werke namhafter deutscher Reformpädagogen des 18. und frühen 19. Jhs. Dazu gehören außer Rochow und Weiße auch Joachim Heinrich Campe, Christian Gotthilf Salzmann und Johann Christoph Friedrich GutsMuths. Zu den 22 Titeln aus den Fächern Pädagogik, Philosophie und Psychologie zählen ferner Johann Ludwig Ewalds Geist der Pestalozzischen Bildungsmethode und Die Elementarschule fürs Leben Johann Baptist Grasers, der in Bayreuth als Kreisschulrat wirkte.

2.5 Mit 22 Titeln ist das historische Schrifttum vertreten. Dem traditionellen Deutschunterricht können 17 Werke zugerechnet werden. Gleichauf liegen die Fachgruppen Geographie und Naturkunde (einschließlich Medizin, Physik und Astronomie) mit je 13 Titeln, die man in einer Waisenhausbibliothek nicht unbedingt vermuten würde. Selbst George Cadogan Morgans Vorlesungen über die Elektrizität (Leipzig 1798) waren vorhanden. Der mathematischen Unterweisung dienten 8 Titel.

2.6 Der Philanthropismus strebte eine Menschenbildung an, die Lebens- und Berufstüchtigkeit auch im Erwerbsleben gewährleistete. Diesem Ziel dienten 13 Titel, die praktische Fertigkeiten in unterschiedlichen Wissensgebieten, vor allem aber in Obstbau und Landwirtschaft vermittelten. Georg Friedrich Jacobis Schrift Über die Kartoffeln, Erdäpfel, Erd- oder Grundbirnen (Nürnberg 1818) sei als Beispiel aus dieser Gruppe genannt. Daß spezielle Kenntnisse auf einem breiten Allgemeinwissen basieren sollten, belegen 2 Enzyklopädien: Peter Heinrich Brodhagens Gemeinnützige Encyclopädie für Handwerker, Künstler und Fabrikanten sowie ein zehnbändiges Werk mit mehreren Supplementbänden, bei dem es sich wohl um das Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für alle Stände handelt.

3. KATALOGE

3.1 Moderne Kataloge

Moderne Kataloge sind nicht vorhanden. Die Universitätsbibliothek Bayreuth wird die Titel im Rahmen des Bayerischen Bibliotheksverbundes baldmöglichst nachweisen und erschließen.

3.2 Historische Kataloge

Catalog über die geerbte Büchersamlung des Leers'schen Waisenhauß

[hschr. Verzeichnis der Testamentsvollstrecker vom 16. Oktober 1833 mit Übernahmevermerk des Waisenhausverwalters vom 15. Januar 1834, Stadtarchiv Bayreuth, BZ 7835]

Verzeichnis über die im Magistratsrat Leers'schen Waisenhause vorhandenen Bücher

[wohl 1909 entstandenes hschr. Verzeichnis, Stadtarchiv Bayreuth, BZ 156]

Stadtarchiv Bayreuth:

Testament Leers' und seiner Frau nebst Beilagen zur Stiftung, darunter auch die Stiftungsurkunde vom 12. Juni 1821 [BZ 93 und 18681]

Büchersammlung des Leers'schen Waisenhauses zu St. Georgen 1833-1835 [enthält auch das unter 3.2 aufgeführte Verzeichnis von 1833; BZ 7835]

Konvolut zum Inventar der Magistrat Leers'schen Waisenhausstiftung [enthält auch das unter 3.2 aufgeführte Verzeichnis von 1909; BZ 156]

Stiftungsamt der Stadt Bayreuth:

Laufende Akten der Leers'schen Stiftung für arme Waisenkinder und Vereinigten Beihilfenstiftung so die heutige offizielle Bezeichnung seit 1919 [jedoch ohne Erwähnung der Bibliothek]

Stand: Januar 1997

Rainer-Maria Kiel


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.