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Mikulov [Nikolsburg]

Schloßbibliothek

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Die heutige Schloßbibliothek in Nikolsburg ist ein Bruchstück einer der größten und bedeutendsten Adelsbibliotheken des ehemaligen Cisleithanien. Bereits während des Dreißigjährigen Krieges sammelte der mährische Statthalter Kardinal Franz Fürst von Dietrichstein (1570-1636) eine umfangreiche Bibliothek, die 1648 vom schwedischen Heer erbeutet wurde. Diese Bestände befinden sich heute in der Königlichen Bibliothek [Kungliga Biblioteket] in Stockholm. Erst vierzig Jahre später wurde erneut eine Bibliothek im Schloß Nikolsburg eingestellt, die von den letzten weiblichen Angehörigen der Familie Hoffman von Grünpichl (auch Grünbüchel oder Grünpühl genannt) an ihren Vormund Ferdinand von Dietrichstein vermacht worden war. Den Grundstock bildete die Bibliothek des deutschen Humanisten und Nürnberger Arztes Hieronymus Müntzer (1440-1508) und seines Schwiegersohnes und Erben Hieronymus Holzschuher (1540-1607), der mit Albrecht Dürer und Ferdinand Hoffman von Grünpichl (1540-1607) befreundet war. Hoffmans Bibliothek, die 1688 in das Eigentum der Dietrichsteins überging, bot mit ihren ca. 5000 Bdn einen umfassenden Überblick der Bildung im 16. Jh. Sie ist allerdings nicht mehr in vollem Umfang erhalten. Eine Reihe ihrer wertvollen Drucke findet sich heute in der Bibliothek des Nationalmuseums in Prag.

1.2 Im Jahre 1769 erbten die Dietrichsteins die wertvolle Bibliothek des Hauses Proskowsky von Proskau, eines alten Grafengeschlechts aus Schlesien. Ihren ältesten Teil mit Werken aus dem 17. Jh sammelte Georg Christoph von Proskowsky (†1701). Nach dem Aussterben der Familie ging die Bibliothek an Karl Maximilian Fürst Dietrichstein-Proskau (1702-1784). Ein Großteil ihrer mehr als 6000 Bde bilden Werke zu zeitgenössischen politischen Ereignissen. Auch Werke der böhmischen Historiographie aus Renaissance und Barock fehlen nicht. Sie finden sich u. a. in der Bibliothek des ehemaligen herrschaftlichen Beamten der Dietrichsteinschen Domänen, Jan Josef Trnka von Krovice (1738), ein prominenter Ökonom der Aufklärungszeit, neben einer Reihe von volkswirtschaftlichen Schriften. Die Bibliothek gelangte in den Dietrichsteiner Besitz, nachdem Trnka nach Rußland emigrierte.

1.3 In der ersten Hälfte des 19. Jhs gelangten weitere Bibliotheken in die Nikolsburger Schloßbibliothek, darunter die des Nikolsburger Propstes V. Weintridt (1778-1849) und die von Ignaz Cassian Hallaschka (1780-1847), Professor der Mathematik am piaristischen Gymnasium in Nikolsburg. Hallaschkas Bibliothek umfaßte wertvolle astronomische Werke. Weitere Werke kamen direkt aus dem piaristischen Gymnasium und aus dem Nikolsburger Kloster.

1.4 In der ersten Hälfte des 19. Jhs war die Bibliothek ein Studienort bedeutender böhmischer und mährischer Geschichtsschreiber, u. a. des Begründers der modernen böhmischen Historiographie, František Palacký, und des mährischen Archivars Beda Dudík. Zu dieser Zeit zählte die Bibliothek mit ihren ca. 150 Inkunabeln zu den bedeutendsten historischen Bibliotheken Österreichs. Der größte Teil wurde allerdings in den dreißiger Jahren des 19. Jhs auf Bücherauktionen in Luzern und Wien verkauft. Die 10.000 Bde Restbestand entgingen im April 1945 bei einem großen Feuer auf Schloß Nikolsburg der Vernichtung. Obwohl die heutige Schloßbibliothek nur ein Bruchstück der ursprünglichen Dietrichsteinschen Bibliothek ist, gehört sie durch die Zahl ihrer Alten Drucke zu den bedeutendsten Schloßbibliothek ==== en Südmährens.

1.5 In der heutigen Nikolsburger Bibliothek sind die verschiedensten Provenienzvermerke erhalten, die z. T. auf Büchersammlungen aus der ursprünglichen Proskauer Bibliothek hinweisen. Es handelt sich meist um medizinische Sammlungen, z. B. die der Ärzte Antonín Marian (Exlibris von 1726), Johann Ferdinand Schweinitz (Exlibris 1720-1730), J. Baumann (1676-1682), Philipp Kaspar Schaff und Johann Matthias Schaff. Unter den Werken des 16. Jhs finden sich Drucke mit einem heraldischen gestochenen Exlibris Elias von und zu Wiesenberg Ao 1649 sowie Drucke mit einem heraldischen vergoldeten Supralibros Iohann Anton Cajetan Freyherr von Wunschwitz. Neuzugänge der Nikolsburger Piaristen tragen den Stempel Bibl. Gymn. Nicolsb.. Nicolaus Adauct Voigt (1733-1787), Professor des Gymnasiums, war Begründer der böhmischen Numismatik; seine Bücher tragen den handschriftlichen Vermerk Ad usum Adaucti Voigt. Vereinzelt finden sich Bücher mit handschriftlichen Vermerken wie z. B. Ferd. Joannis Schweinitz und Julius Comes a Salmi ....

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

2.1 Die Bibliothek umfaßt insgesamt 11.666 Bde, darunter 9 Inkunabeln, 501 Drucke des 16. Jhs sowie 5159 Drucke des 17. und 18. Jhs. Nahezu die Hälfte der Werke sind deutschsprachig oder lateinische Drucke aus dem deutschen Sprachgebiet. Den Rest bilden französische und lateinische Literatur. Vertreten sind ferner tschechische Alte Drucke, besonders zur Geschichte, sowie einzelne italienische, spanische, hebräische, griechische und russische Werke.

2.2 Die Schloßbibliothek verfügt über den Grundstock einer zyklopädischen Bibliothek. Neben zahlreichen juristischen Werken in lateinischer Sprache findet sich ein umfangreicher Bestand an religiöser Literatur. Aus der sogenannten Hoffmanschen Bibliothek, die von den Erbinnen an den Fürsten Dietrichstein vermacht wurde (s. o. 1.1), stammen vorwiegend Werke zur Reformation, von denen ca. 800 Bde von den Olmützer Jesuiten als ketzerisch eingestuft und ausgesondert worden waren. Trotzdem liegen neben zahlreichen katholischen Bibeln, Missalen, Katechismen, Predigten und Werken zur Hagiographie auch Werke zur Reformation aus dem 16. Jh vor.

2.3 Die Mehrzahl der Drucke des 16. Jhs stammt aus Basel, weitere Druckorte sind Frankfurt a. M., Hamburg, Helmstedt, Köln, Leipzig, Schweinfurt, Straßburg, Wien und Zürich. Es überwiegen Grammatiken und Wörterbücher, Werke der klassischen Philologie, antike Autoren und Kirchenväterliteratur. Werke zu Geschichte und Geographie einzelner europäischer Staaten oder zu historischer Landeskunde sind ebenfalls vorhanden. Neben wertvoller Literatur zur Astronomie ist eine Edition der Werke von Ptolemäus (Basel 1541) vorhanden. Die Alchemie ist vertreten durch Werke von Paracelsus und Agrippa von Nettesheim.

2.4 Den Kern des historischen Bestandes bilden Drucke des 17. und 18. Jhs. Der fachliche Schwerpunkt liegt auf den Rechtswissenschaften: allgemeine Rechtsgeschichte, germanisches und älteres deutsches Recht, Gerichtsverfassungen, Staatsrecht, Staatsverfassungen, Provinzial- und Länderrecht, Erbrecht und Polizeiverordnungen. Zahlreiche Werke sind zur barocken Historiographie Böhmens und Mährens vorhanden, meist in lateinischer oder deutscher Sprache und außerhalb Böhmens gedruckt. Den Bestand ergänzen Werke zu Kirchengeschichte, Genealogie, Militärwesen, Medizin, Kunst und Kunstsammlungen.

2.5 Durch Johann Karl Fürst Dietrichstein-Proskau, der das Amt des österreichischen Gesandten in Kopenhagen innehatte und ein bedeutender Repräsentant der österreichischen Freimaurerei war, kamen dänische Werke in die Bibliothek. Die Philosophie ist vor allem durch die Schriften von Leibniz vertreten. Vereinzelt finden sich Universitätsdissertationen, einige mit allegorischen Stichen zu Ehren der Angehörigen des Hauses Dietrichstein. Neben der Universitätsdruckerei Trnava [Tyrnau] mit jesuitischen Drucken ist von den Kirchendruckereien die erzbischöfliche Druckerei in Kromeriz [Kremsier] mit ihren Werken vertreten. Zahlreich sind Drucke des piaristischen Ordens. Eine Reihe von deutschen Drucken stammt aus Druckereien in Brno [Brünn], Znojmo [Znaim] und Nikolsburg.

2.6 Unter der Literatur des 19. Jhs finden sich zahlreiche historische Kompendien, Atlanten und kunstgeschichtliche Werke. Einen bedeutenden Anteil haben Militaria, darunter Dienstreglements, Generalreglements, Werke zur Geschichte der k.u.k. Regimenter, Beschreibungen einzelner Militärfeldzüge und militärische Karten. Literatur zur Genealogie, Jagd und Pferdezucht ist ebenfalls vorhanden. Die Literatur zur Landwirtschaft beschäftigt sich in erster Linie mit der Bewirtschaftung von großen Besitzungen; die ökonomische Literatur ist inhaltlich breiter gefächert. Bedeutend sind Werke zur böhmischen und mährischen historischen Topographie sowie regionale südmährische Literatur mit heimatkundlicher Thematik in deutscher Sprache. Neben dem wertvollen Bestand astronomischer Werke aus der Bibliothek von Ignaz Cassian Hallaschka besitzt die Schloßbibliothek auch dessen Schriften zur Geographie. Weiterhin sind Werke über Magnetismus und Elektrizität vorhanden, aber auch Memoiren und politische Literatur. Der Bestand, der die breitgefächerten Interessen seiner früheren Eigentümer verdeutlicht, wird ergänzt durch Lexika, Wörterbücher, Reisebeschreibungen und -führer, Verlags- und Auktionskataloge.

3. KATALOGE

3.1 Moderne allgemeine Kataloge

Standort- und Inventarkatalog [erstellt 1976]

3.2 Moderne Sonderkataloge

Dokoupil, Vladimír: Bývalá knihovna Dietrichstein v Mikulove [Die ehemalige Bibliothek der Dietrichsteiner in Nikolsburg]. In: Soupisy prvotisk spravovaných Univerzitní knihovnou v Brne [Verzeichnisse der durch die Universitätsbibliothek Brünn verwalteten Inkunabeln]. Brno 1961 (Univerzitní knihovna, 8)

Dokoupil, Vladimír: Soupis rukopis mikulovské Dietrichsteinské knihovne [Verzeichnis der Handschriften der Nikolsburger Dietrichsteinschen Bibliothek]. Praha 1958

3.3 Historische Kataloge

Katalog der fürstlichen dietrichstein'schen Bibliothek

Katalog Weintridtovy knihovny, dochovaný v ní dodnes [Katalog der Weintridtschen Bibliothek, bis heute in der Bibliothek erhalten]: Katalog über die im Vorsaale der fürstl. Dietrichsteinschen Bibliothek zu Nikolsburg ausgestellten Werke. 1872

Katalog der Bibliothek von Alexander von Dietrichstein

Katalog zur Bibliothek Sr. Durchlaucht des hochgeb. Herrn Alexander Fürsten Dietrichstein Grafen Mensdorff-Pouilly

Katalog der fürstlich Dietrichstein'schen Privat Bibliothek im Schlosse Nikolsburg

Verzeichniss der in der fürstlich Dietrichsteinschen Schloßbibliothek ==== zu Nikolsburg befindlichen Handschriften ... das alte vom fürstlichen Sekretär Alef 1809 verfaßte Verzeichniss gänzlich umgearbeitet durch Archivar Anton Brun 1881-1882

Zámecká knihovna Mikulov [Die Schloßbibliothek Nikolsburg]. [hschr.]

Catalogus Liberalis Classicum sive thecarum huius Bibliotheque Nikols-Burgensis

[170 hschr. Blätter in Folioformat; Verzeichnis der Schriften zu den Artes Liberales; in der Königlichen Bibliothek Stockholm, Signatur: Cod. Holm. U377]

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

Dudík, Beda: Forschungen in Schweden für Mährens Geschichte. Brünn 1852

Elvert, Christian d': Die Bibliotheken und andere wissenschaftliche Kunst- und Alterthums-Sammlungen in Mähren und österreichisch Schlesien. In: Schriften der historisch-statistischen Sektion der k.u.k. mähr. schles. Gesellschaft zur Beförderung des Ackerbaues, der Natur- und Landeskunde. Heft 3. Brünn 1852, S. 84-87

Flajšhans, Václav: Zpráva o ceste do Švédska a Ruska [Nachricht über die Reise nach Schweden und Rußland]. In: Vestník ceské akademie [Nachrichtenblatt der böhmischen Akademie] 6 (1897) Nr. 5, S. 309

Hrubý, František: Knihovny na moravských zámcích ve století 16. a 17. [Bibliotheken in mährischen Schlössern im 16. und 17. Jh]. In: Bibliofil [Der Bibliophile] 9 (1932) S. 107-116, 141-146

Trantírek, Miroslav: Dejiny mikulovské zámecké knihovny [Die Geschichte der Nikolsburger Schloßbibliothek]. Mikulov 1963

Antonín, Luboš: Zámecké knihovny v Cechách, na Morave a ve Slezsku. Mikulov [Schloßbibliotheken in Böhmen, Mähren und Schlesien. Nikolsburg]. In: Ctenár [Der Leser] 46 (1994) Heft 5, S. 180-181

Antonín, Luboš: Dietrichsteinská knihovna na zámku Mikulov [Die Dietrichsteinsche Bibliothek auf Schloß Nikolsburg]. In: Sborník Národního muzea, rada C [Sammelband des Nationalmuseums, Reihe C] 39 (1994) Nr. 1-2 [im Druck]

5. VERÖFFENTLICHUNGEN ZU DEN BESTÄNDEN

Lifka, Bohumír: Prodeje zámeckých knihoven [Verkäufe der Schloßbibliotheken]. In: Vitrinka [Die Vitrine] 10 (1933) S. 129-132

Patera, Adolf: Bohemika knízecí Dietrichsteinské knihovny v Mikulove [Bohemica der Fürstlich Dietrichsteinschen Bibliothek in Nikolsburg]. Praha 1915

Petr, Stanislav: Soupis rukopis zámecké knihovny v Mikulove [Verzeichnis der Handschriften der Schloßbibliothek in Nikolsburg]. In: Sborník Národního muzea, rada C [Sammelband des Nationalmuseums, Reihe C] 39 (1994) Nr. 1-2 [im Druck]

Pindtner, Rudolf: Die Inkunabeln in der Fideicomiss-Bibliothek des Fürsten Dietrichstein auf Schloß Nikolsburg. Brünn 1905, S. 130

Wiendlová, Zdena; Mašek, Petr: Prvotisky ze zá- mecké knihovny Mikulov [Inkunabeln aus der Schloßbibliothek in Nikolsburg]. In: Sborník Národního muzea, rada C [Sammelband des Nationalmuseums, Reihe C] 39 (1994) Nr. 1-2 [im Druck]

Wiendlová, Zdena; Mašek, Petr: Soupis knih z kni- hovny Ferdinanda Hoffmana z Grünpichlu ve fondu zámecké knihovny Mikulov [Verzeichnis der Bücher aus der Bibliothek von Ferdinand Hoffman von Grünpichl]. In: Sborník Národního muzea, rada C [Sammelband des Nationalmuseums, Reihe C] 39 (1994) Nr. 1-2 [im Druck]

Stand: November 1996

Luboš Antonín


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.