FABIAN HANDBUCH: HANDBUCH DER HISTORISCHEN BUCHBESTÄNDE IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND EUROPA SUB Logo
 
Home
HomeRegionen:Stadtregister:Abkürzungen
Volltextsuche:

trunkiert

BenutzerprofilLogin
Impressum
 Home > Europa > Tschechische Republik > Schlossbibliotheken

Pobezovice [Ronsperg]

Schloßbibliothek

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Das Schloß Ronsperg erwarben im Jahre 1864 die aus Nordbrabant stammenden Grafen von Coudenhove. Franz Karl von Coudenhove (1825-1893) war österreichischer k.u.k. Kämmerer und mit Maria von Kalergi (1840-1877) verheiratet. Sie gehörte zu einer der ältesten europäischen Adelsfamilien, die ihren Ursprung von der byzantinischen Kaiserdynastie der Fókas ableitete.

1.2 Die Söhne Franz Karls erhielten 1903 die Genehmigung, den Namen Coudenhove-Kalergi zu führen. Die Verwaltung des großen Familienvermögens übernahm nach dem Tod von Franz Karl sein Sohn Heinrich von Coudenhove-Kalergi (1859-1905), Doktor der Rechte und Philosophie und österreichischer Diplomat, der im Staatsdienst die ganze Welt bereiste. 1892 heiratete er die Japanerin Mitsu Aoyama (1874-1941), die aus einer Kaufmannsfamilie in Tokio stammte. Heinrich beherrschte sechzehn europäische und asiatische Sprachen. Nach seiner Rückkehr nach Ronsperg beabsichtigte er, eine umfangreiche Studie über das Denken, die Religionen und Kulturen Europas und Asiens zu schreiben. Dies führte zu einem systematischen Ausbau der Büchersammlung in diesen Bereichen. Die Bibliothek war für seinen Sohn Nikolaus, den Begründer der Paneuropäischen Bewegung, hinsichtlich seiner politischen Überzeugungen sicherlich von entscheidender Bedeutung. Der Fami- lienbesitz ging an den Sohn Johann (1893-1965), verheiratet mit der ungarischen Zirkus- und Dressurreiterin Lilly Steinschneider (1891-1975), die Literatur über ihr Hobby, den Flug- und Fallschirmsport, in die Bibliothek einbrachte.

1.3 Ein bedeutender Bestandszuwachs war die Erbschaft Maria von Coudenhove-Kalergis von ihrem Großvater mütterlicherseits, dem Grafen Friedrich Karl von Nesselrode (1786-1868). Er stammte aus einer alten deutschen Adelsfamilie, die längere Zeit in Rußland naturalisiert war. Einige Familienmitglieder hatten wichtige Positionen in der zaristischen Regierung inne. Ein Teil der Petersburger Büchersammlung des russischen Zweiges der Grafen von Nesselrode kam so in die Schloßbibliothek Ronsperg. Auch seine Tochter Marie, die zunächst mit John Kalergi, dann mit Sergej Muchanov verheiratet war, trug zum Bestandsaufbau bei. Heute befindet sich die Bibliothek im Besitz des Nationalmuseums in Prag.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

2.1 Der Gesamtbestand beläuft sich auf 7049 Bde, davon 6 Bde aus dem 16. Jh, ca. 40 Bde aus dem 17. Jh, ca. 150 Bde aus dem 18. Jh und ca. 4500 Bde aus dem 19. Jh.

2.2 Die Studienbibliothek von Heinrich von Coudenhove-Kalergi beinhaltet in erster Linie Werke der Philosophie, der vergleichenden Religionswissenschaft und der Philosophiegeschichte aus dem 19. Jh. Besonders Ausgaben der Schriften von Arthur Schopen- hauer sind zahlreich vorhanden sowie Literatur zu ethischen Problemen. Einen großen Teil der Bibliothek machen Werke über Religionen, Mystik, Kirchen- und Religionsgeschichte, Kirchenväterausgaben, Bibelausgaben und Hagiographien aus. Darunter befinden sich sowohl katholische als auch protestantische Autoren. Neben dem Christentum interessierten Heinrich von Coudenhove-Kalergi vor allem orientalische Religionen, die er auf seinen Reisen kennengelernt hatte. Seine Bibliothek enthält ferner eine umfangreiche Sammlung über das Judentum und den Antisemitismus.

2.3 Kleinere Sammelgebiete bilden Astrologie, Spiritismus, Sexologie und die Problematik des Selbstmordes. Häufig finden sich Beiträge zur Kulturgeschichte einzelner Staaten und Nationen. Die meisten in der Bibliothek vorhandenen Werke über die antike Welt, zur Nationalitätenfrage und zur sozialen Problematik stammen ebenfalls aus Heinrich von Coudenhove-Kalergis Sammlung. Ca. 60 Prozent der Werke in der Studienbibliothek liegen in deutscher Sprache vor, ca. 25 Prozent in französischer, ca. 10 Prozent in englischer und 5 Prozent in anderen Sprachen. Heinrichs Gemahlin Mitsu bereicherte die Bibliothek durch einige Japonica. Ihr Sohn Johann sammelte heraldische Literatur, Werke deutscher Sozialdemokraten und marxistische Schriften. Dessen Ehefrau Lilly sammelte Bücher und Zeitschriften zum Flug- und Fallschirmsport.

2.4 Die Russische Bibliothek aus dem Nachlaß der Grafen von Nesselrode umfaßt ca. 500 Bde. Es handelt sich um einen für Böhmen untypischen und einzigartigen Bestand, der zum großen Teil aus der Zeit vom Ende des 18. Jhs bis zur zweiten Hälfte des 19. Jhs stammt. Unter den Druckorten der russischen Werke dominieren St. Petersburg und Moskau. Der überwiegende Teil der Sammlung tfällt auf Belletristik und Poesie; vertreten sind u. a. Tolstoi, Gogol und Lermontov. Gut vertreten sind auch die russische Geschichte, ferner Reisebeschreibungen und völkerkundliche Werke zum Russischen Reich. Besonders nennenswert erscheint hier das genealogische Werk über russische Adelsfamilien Rossijskaja rodoslovnaja kniga ..., herausgegeben von Fürst Petr von Dolgo- rukov (St. Petersburg 1854-1857). Neben den Werken in russischer Sprache sind auch französische in größerer Zahl vorhanden: Memoiren aus dem 19. Jh, gedruckte Korrespondenz bedeutender Persönlichkeiten, Wörterbücher, Enzyklopädien und Belletristik.

3. KATALOGE

3.1 Moderne Kataloge

Gesamtkatalog der Schloßbibliotheken unter der Verwaltung des Nationalmuseums in Prag [erstellt 1989-1990]

Standortkatalog [erstellt 1979-1980]

3.2 Historischer Katalog

Katalog der Bibliothek des Grafen Franz Karl von Coudenhove [zweite Hälfte des 19. Jhs]

Mašek, Petr: Príspevky k dejinám zámeckých knihoven západních Cech [Beiträge zur Geschichte der Schloßbibliothek ==== en Westböhmens]. In: Sborník archivních prací [Sammelband der Archivarbeiten] 41 (1991) Heft 2, S. 522-530

Mašek, Petr: Sberatelé na zámku Pobezovice [Die Sammler in Schloß Ronsperg]. In: Antique 2 (1994) Nr. 4, S. 10

Mašek, Petr: Die Bibliotheken Westböhmens. In: Günter Scholz (Hrsg.): Libri castellani. Europäische Bücherschätze aus Adelsbibliotheken in Böhmen. Böblingen 1992, S. 30 [Ausstellungskatalog]

Stand: September 1996

Petr Mašek


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.