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Kirchenbibliothek St. Marien

Adresse. Kirchplatz 13, 01796 Pirna [Karte]
Telefon. (03501) 52 79 73

Unterhaltsträger. Evangelisch-lutherische Kirchgemeinde St. Marien, Pirna
Funktion. Pfarrbibliothek.

Benutzungsmöglichkeiten. Präsenzbibliothek. Benutzung nach schriftlicher oder telefonischer Anmeldung beim Pfarramt. Leihverkehr: nicht angeschlossen.
Technische Einrichtungen für den Benutzer. Kopiergerät.
Hinweise für anreisende Benutzer. S-Bahn-Verbindung ab Dresden, Richtung Bad Schandau. Fußwegnähe ab Bahnhof und Busbahnhof (ca. 20 Minuten). B 172. Begrenzte Parkmöglichkeiten an der Kirche und im Stadtzentrum.

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Die älteste Nachricht über die Kirchenbibliothek in Pirna findet sich in einer lateinischen Bibel vom Jahre 1544. Philipp Melanchthon hat sie 1559 an den Ersten Pirnaer Superintendenten Anton Lauterbach (1502-1569) gesandt und mit einer Widmung versehen. Sie beinhaltet, daß die in der Kirche zu Pirna befindlichen Bücher auf Veranlassung des Stadtrates und frommer Personen gekauft worden seien, damit sie besonders den Geistlichen, die größere Werke nicht selbst erwerben könnten, zu Gebote stünden. Die General-Artikel von 1557 hatten die Kirchen verpflichtet, aus Mitteln der Kirchgemeinde den Pfarrern einige wichtige Schriften zur Verfügung zu stellen. Aus dem Jahre 1714 ist ein Bestand von 68 Bdn bekannt. Darunter befanden sich Luthers Schriften, z. T. von Lufft in Wittenberg gedruckt, sowie Werke von Melanchthon, wertvolle theologische Traktate, aber auch Frühdrucke aus katholischer Zeit.

1.2 Aus dem Aufenthalt böscher Exulanten in Pirna, die zwischen 1628 und 1639 ihr " exercitium religionis" mit eigenem Prediger in der heute abgerissenen St. Nicolai-Kirche abhielten, resultiert ein gegenwärtig nur noch bescheidener Besitz an tschechischen Büchern.

1.3 Der Stadtphysikus und Bürgermeister Dr. med. Johann Heinrich Großmann († 1715) schenkte der Kirche durch testamentarische Verfügung im Jahre 1714 seine und seines verstorbenen Sohnes " durch Fleiß wohlerworbene und in besonderer Sorgfalt zusammengekauften guten, raren und zum Theil kostbaren" Bücher. Mit diesem Zugang von insgesamt 1154 Werken der Medizin, Theologie, Rechtswissenschaften, Philosophie, Geschichte und schöngeistigen Literatur wuchs die Bibliothek auf 1217 Bde an. Der nach Inhalten und Format der Bücher geordnete Großmannsche Katalog ist im Original erhalten ( s. u. 3.2).

1.4 Im Jahre 1806 erhielt der junge Bibliothekar Friedrich Adolf Ebert (1791-1834) den Auftrag zur Neuordnung. Er brach mit dem vorhandenen Aufstellungsprinzip und numerierte die Bücher in der Reihenfolge von vier Formatgruppen durch. Diese Ordnung wurde bis heute beibehalten, wenn auch mit Eingriffen in die Zählung, die auf Verluste und Verkäufe zurückzuführen sind. Der 1110 Titeleintragungen umfassende Katalog Eberts berücksichtigt zumeist jedoch nicht die in Miscellenbänden angebundenen Titel.

1.5 Nachlässigkeit führte in der Vergangenheit zu zahlreichen Verlusten, die etwa 20 Prozent des ehemaligen Gesamtbestandes ausmachen. Die alten Musikhandschriften sowie Musikdrucke des 16. und 17. Jhs gingen im Jahre 1899 als Depositum an die Königlich Öffentliche Bibliothek (heute Sächsische Landesbibliothek) über. Mehrere tschechische Werke aus der Exulantenbibliothek sind 1923 an die Universitätsbibliothek Prag verkauft worden.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

Chronologische Übersicht und Übersicht nach Sprachen

2.1 Der noch vorhandene Bestand umfaßt ca. 1100 Titel, darunter einige Hss. Nach Angaben Schmertosch von Riesenthals (1903, s. u. 5) existierten in der Marienkirche insgesamt 31 datierte und 3 nicht datierte Inkunabeln, sämtlich durch Hain und Copinger dokumentiert. Sie entstammen den ältesten Druckereien von Basel, Köln, Mailand, Leipzig, Nürnberg, Straßburg und Venedig. Einige der 12 festgestellten Inkunabeln theologischen Inhalts könnten von Anfang an zur Kirchenbibliothek gehört haben. Insbesondere aus der Reformationszeit stammen etwa 56 theologische Werke des 16. Jhs. Die den Hauptbestand bildende Großmannsche Bibliothek reicht bis zum Beginn des 18. Jhs zurück. Als Reste der böschen Exulantenbibliothek existieren noch 29 Titel, zumeist des 17. Jhs. Der größte Teil der Bücher ist in lateinischer und deutscher Sprache. In geringer Zahl liegen Werke in Griechisch und Tschechisch vor.

2.2 Der ehemalige Besitz an musikalischen Hss. geht auf das 16. Jh zurück. Die Musikdrucke stammen aus dem 16. Jh (8), 17. Jh (61) und 18. Jh (einer); 3 Titel sind nicht datiert. Systematische Übersicht

2.3 Nach Lauterbachs Aufzeichnungen ( s. u. 3.2) besaß die Bibliothek mehrere lateinische Bibeln sowie Luthers deutsche, in Wittenberg gedruckte Übersetzung. Besonderen Wert besitzt die Byblia universa (Leipzig 1544) wegen der von Melanchthon im Jahre 1559 eigenhändig eingeschriebenen " Praefatië über den Büchererwerb für die Pirnaer Kirche. Hinzu kamen mehrere Kirchenpostillen, u. a. Kirchenpostille und Hauspostille von Martin Luther, die theologischen Schriften bekannter Theologen: Philipp Melanchthon mit mindestens 9 Titeln, Johannis Brentius (1499-1570), Fürst Georg Anhalt (1507-1553) u. a. sowie 5 Bücher der Opera (Basel 1506) des Augustinus. Im ersten Band der lateinischen Schriften von Luthers Werken (Wittenberg 1539-1557) findet sich eine handschriftliche Liste von Geldbeträgen und Spenden für die Kirchenbibliothek. Der älteste datierte Druck ist ein Kommentar des Henricus de Segusio Hostiensis zu Dekretalien Bonifatius VIII. (Straßburg 1478). Der Bestand enthält ferner lateinische, deutsche und bösche Gebet- und Gesangbücher, Predigttexte, 2 Meßbücher, kirchliche und weltliche Chroniken. Zu dem gemäß Generalartikeln obligatorischen Bestand gehörten u. a. Melanchthons Loci Communes, deutsch und in lateinischer Sprach (Wittenberg 1521).

2.4 Mit der Bibliothek des Bürgermeisters und Arztes Dr. Johann Heinrich Großmann besitzt die Kirchenbibliothek die fast vollständig erhaltene Büchersammlung eines Akademikers aus der zweiten Hälfte des 17. Jhs und dem Anfang des 18. Jhs. Nach seinen eigenen Angaben befinden sich seltene und wertvolle Exemplare darunter. Zu den juristischen Werken gehören u. a. Kaiser Karls V. peinliche Gerichtsordnung ( o. O. 1535), Entscheidungen des Kurfürstlich Sächsischen Hofgerichts und Urteile verschiedener Schöppengerichte.

2.5 Zeitgenössische Ausgaben philosophischer Werke liegen vor von Christian Thomasius sowie die Werkausgabe in Latein (Frankfurt 1692) von René Descartes. Reichhaltig ist der Bestand an medizinischen Druckschriften, darunter wenigstens 7 Inkunabeln. Dazu zählen Arzneibücher, medizinische Lehrbücher und auch 10 Bde Miscellanea Curiosa sive Ephemerides medico-physicae Germanicae academiae naturae curiosorum (Nürnberg 1673-1682).

2.6 Umfangreiche Weltchroniken und Einzeldarstellungen belegen den Erkenntnisstand des 17. Jhs über die geographischen und historischen Zusammenhänge der Welt. Vorhanden ist Sebastian Münsters Cosmographia. Beschreibung aller Länder (Basel 1545), die 1531 erstmals publizierte Chronica, Zeitbuch und Geschichtbibel von anbegyn bis in diß gegen wärtig Jar (Wittenberg 1551) des als Spiritisten öffentlich verdammten Sebastian Franck. Zeitkolorit vermitteln auch die zahlreichen Sammelbände von lateinischen und deutschen Hochzeits- und Gelegenheitsgedichten sowie Leichenpredigten regionaler Provenienz.

2.7 Eine Besonderheit stellt der durch Verkäufe reduzierte Bestand an tschechischen Büchern dar, die teils von der Exulantengemeinde, teils von einzelnen Mitgliedern derselben hinterlassen wurden. Dazu mögen auch einige Bücher aus der wertvollen Bibliothek und aus der Feder des letzten utraquistischen Rektors der Universität Prag, Nikolaus Troilus Hagiochoranus (1571-1631), zählen, die dieser mit nach Pirna gerettet hatte.

2.8 Zur Bibliothek gehörten ferner beachtenswerte musikalische Bestände. Hervorgegangen aus den kirchlichen Bedürfnissen der Gemeinde, vermitteln sie einen Eindruck von der Chorliteratur und der musikalischen Gestaltung der Gottesdienste. Acht Foliobände vereinigen die musikalischen Manuskripte, die fast alle aus der Mitte des 16. Jhs stammen, z. T. datiert sind und in sogenannter " Partitura al librë geschrieben wurden, d. h. der blattweisen Gesamtschau der einzelnen Stimmen. Enthalten sind u. a. Kompositionen des in Pirna geborenen Hermann Fink (1527-1558), später Musikprofessor an der Universität Wittenberg. Kantor Albert Weisenberger (1536-1576) hat die Musikstücke seinerzeit zusammengetragen. Wegen ihres schlechten Erhaltungszustandes wurden sie 1899 der Königlich Öffentlichen Bibliothek (heute Sächsische Landesbibliothek) " zur Aufbewahrung daselbst" übergeben. Die Sammlung der Druckwerke aus dem 16. bis 18. Jh (als Depositum ebenfalls in der Sächsischen Landesbibliothek) umfaßt nach Kaden (1857, s. u. 5) insgesamt 70 Stücke.

2.9 Unter den Komponisten mit ihren zeitgenössischen Ausgaben finden sich Mattheus Le Maistre († 1577), Hans Leo Haßler (1564-1612), Michael Praetorius (1571-1621), Heinrich Schütz (1585-1672), Johann Hermann Schein (1585-1630), Samuel Scheidt (1587-1654), Melchior Frank (um 1573-1639), Johann Rosenmüller (1620-1684), Johann Rudolf Ahle (1625-1673), Christoph Bernhart (1627-1692) u. a. Zumeist sind die Druckwerke nicht vollständig mit allen Teilen und Stimmen vorhanden, zumal im 16. und 17. Jh jeweils nur einzelne Stimmen aufgelegt wurden. Ein in Latein abgefaßtes Traktat zur Erlernung des Gregorianischen Kirchengesangs, das Opus Aureum von Nicolaus Wollick de Serouilla, wurde 1501 von Heinrich Quentell in Köln gedruckt. Aus dieser Offizin stammen auch die angebundene Grammatik (Aerarium aureum poetarum omnibus latinae linguae ..., 18. Juni 1501) und Senecas De quattuor virtutibus cardinalibus (1500), die sich beide durch einen gestochen scharfen Druck auszeichnen.

3. KATALOGE

3.1 Moderner Katalog

Standortkartei

[in Zettelform, entsprechend der gegenwärtigen Numerierung der Bestände]

[Ein Alphabetischer Katalog wurde bisher nicht erarbeitet.]

3.2 Historische Kataloge

Inuentarium der bucher yn der Sacristia (Codex Lauterbach 24) [Mitte 16. Jh]

Catalogus Librorum a Dn. Johanne Henrico Grossmanno Medicinae Doctore Bibliothekcae, quae in Templo Pirnensi conspicua, ex singulari libertate donatorum. Ao 1714

[Verzeichnis der 1714 aus dem Besitz von Dr. Großmann übergebenen Bücher, ergänzt um die Titel der vorhandenen Kirchenbibliothek; Ordnung nach Sachgebieten und Größe]

Ebert, Adolf: Katalog der Kirchenbibliothek in Pirna, gefertigt im Herbst 1806

[enthält 1110 Eintragungen von Drucken und Hss.; angebundene Titel in Sammelbänden sind z. T. nicht erfaßt; Ordnung numerisch, Gliederung nach Formaten; Titelangaben ab Nr. 927 ohne Impressum; Sächsische Landesbibliothek: Mscr. Dresd. 1207, V, Bl. 4-60]

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

Hoffmann, Reinhold: Reformationsgeschichte der Stadt Pirna. In: Beiträge zur Sächsischen Kirchengeschichte (1893) Heft 8, S. 267-269

Schmertosch von Riesenthal, Richard: Die Pirnaer Kirchenbibliothek. In: Wochenblatt zum Pirnaer Anzeiger (1903) Heft 5

5. VERÖFFENTLICHUNGEN ZU DEN BESTÄNDEN

Bednarik, Karel; Beránek, Karel: Z osudu takzvané knihovny ceskych exulantu v Pirne [Vom Schicksal der sogenannten Böschen Exulantenbibliothek in Pirna]. In: Krestanská revue 52 (1985) Heft 2 [in deutscher Übersetzung vorhanden]

Hoffmann-Erbrecht, Lothar: Die Chorbücher der Stadtkirche zu Pirna. In: Acta Musicologica 27 (1955) Heft 3/4, S. 121-137

Kaden, L. Otto: Die Musikalien der Stadtkirche zu Pirna. In: Serapeum 18 (1857) Heft 20, S. 312-328, 351

Schmertosch von Riesenthal, Richard: Die Pirnaer Kirchenbibliothek mit ihren Handschriften und Inkunabeln. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 20 (1903) S. 265-273

Schubert, Friedrich Ludwig: Eine Kirchenbibliothek. In: Sächsisches Kirchen- und Schulblatt (1856) Heft 3, Sp. 31-32 [über die Autographen Melanchthons und Abschrift des Luther-Autographen in Luthers Schriften von 1550]

Staude, Wolfram: Untersuchungen zur Herkunft, Verbreitung und speziellem Inhalt mitteldeutscher Musikhandschriften des 16. Jahrhunderts. Die Musiksammelschriften des 16. und 17. Jahrhunderts in der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden. Diss. Rostock 1972 [nebst 2 Bdn Katalog]

Zänsler, Anneliese: Die Geschichte der Stadtmusik in Pirna. Pirna 1983 (Geschichte und heimatkundliche Beiträge aus Pirna und Umgebung 4)

Stand: September 1995

Gottfried Körner


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.