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Bibliothek der St. Nikolai-Kirche in Berlin-Spandau

Adresse. Museum " Spandovia sacra", Reformationsplatz 12, 13597 Berlin [Fabian:action=gmap&address=Museum_"_Spandovia_sacra"_Reformationsplatz_12_13597_Berlin Karte]
Telefon. (030) 3 33 80 54

Unterhaltsträger. Evangelische Kirchengemeinde St. Nikolai
Funktion. Evangelisch-theologische Fachbibliothek.
Sammelgebiete. Alle Gebiete der Theologie; Philosophie und Klassische Altertumswissenschaft.

Benutzungsmöglichkeiten. Präsenzbibliothek. Benutzung nach Vereinbarung. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag 10-14 Uhr und nach Absprache.
Hinweise für anreisende Benutzer. Schriftliche oder telefonische Anmeldung erforderlich. U-Bahnver- bindung (Linie U 2) bis Bismarckstraße, von dort (Linie U 7) bis Altstadt Spandau, 2 Minuten Fußweg. Parkplätze vor dem Haus.

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Die Entstehungsgeschichte der Bibliothek läßt sich nicht genau rekonstruieren. Sie reicht mit Sicherheit in das frühe 16. Jh zurück. In der Spandauer Chronik von Daniel Friedrich Schulze wird berichtet, daß 1532 in der Bibliothek Reinigungs- und Fenstersicherungsarbeiten durchgeführt wurden. Auch im weiteren Verlauf des 16. Jhs bleiben die Angaben über die Bibliothek spärlich. Zwar wurden 1541 ein Neues Testament, eine " Rhetorica" und eine " Musica" angeschafft, 30 Jahre später einige Evangelienbände. Diese Angaben beziehen sich jedoch nicht auf die Kirchenbibliothek, sondern auf das Inventar der Kirche (für den Kultus).

1.2 Über den frühen Bestand informierte ein Gesamtverzeichnis aus dem Jahre 1600, das anläßlich der dritten Kurmärkischen Generalvisitation angefertigt wurde (im Original nicht mehr erhalten). Die darin aufgeführten 38 Bücher können jedoch erst spät im 16. Jh in die Bibliothek gelangt sein. Mehrere Indizien deuten darauf hin, daß die alte Bibliothek einem vom Blitzschlag verursachten Brand im Jahre 1576 zum Opfer fiel. Der ursprüngliche Bestand läßt sich deshalb nur noch indirekt erschließen, indem man annimmt, daß die im Verzeichnis von 1600 aufgeführten Titel wenigstens teilweise im Rahmen der Wiederbeschaffung in die Bibliothek gelangten. Der Bestand spiegelte die streng lutherische Gesinnung des Kurfürsten Johann Georg (1525-1598) wider: Bibelausgaben sowie Werke von Luther, Melanchthon und Johannes Brenz. Ferner enthielt er auch kirchengeschichtliche Darstellungen von Nicephorus und Eusebius sowie dogmatische Werke von Gregor von Nazianz. Der Bestand entsprach weitgehend den Vorschriften der Kirchenordnungen und stellte somit eine durchschnittliche, von der lutherischen Reformation geprägte Büchersammlung dar. Daß man sich gegen Ende des 16. Jhs intensiver um den Aufbau von Kirchenbibliotheken bemühte, läßt sich an zahlreichen Neugründungen in der Mark Brandenburg erkennen.

1.3 Im Laufe des 17. Jhs gingen 15 Hss. und 8 Inkunabeln in den Besitz der Bibliothek über, deren Herkunft sich teilweise genau verfolgen läßt. Während die Inkunabeln aus verschiedenen Nachlässen und Schenkungen stammten, gelangten die Autographen geschlossen aus dem Restbestand des 1598 aufgelösten Spandauer Benediktinernonnenklosters in die Bibliothek. Die Hss. gehören sämtlich zum Kriegsverlust; von den Inkunabeln ist lediglich eine erhalten (Nikolaus von Lyra, Biblia cum postillis, Nürnberg 1497). In den ersten 20 Jahren des 17. Jhs kamen weiterhin zahlreiche exegetische Arbeiten sowie Werke der lutherischen Reformatoren hinzu. Unter dem Superintendenten Joachim Grunow († 1626) fanden hingegen auch Werke eines gemäßigten Calvinismus in die Bibliothek Ausdruck einer neuen Politik, die sich längerfristig nicht durchsetzen konnte. Während des Dreißigjährigen Krieges (der in der Mark besonders heftig wütete) und bis gegen Ende des 17. Jhs stagnierte der Zuwachs der Bibliothek. Erst durch Käufe, die der Kirchenvorsteher Rautenberg 1679 und 1680 tätigte theologische Fachliteratur aus den Nachlässen des Spandauer Bürgers Dietrich Deus (* ca. 1633) und des Superintendenten Daniel von der Linde (1607-1679) -, stieg der Bestand auf 130 Bde.

1.4 In der Folgezeit wuchs die Kirchenbibliothek weiter von 201 Bdn im Jahre 1700 auf ca. 400 Bde im Jahr 1760. Allerdings läßt sich deren Herkunft nur ungenau bestimmen. Manches stammte aus Nachlässen und Schenkungen. Häufig wurden auch solche Bücher der Bibliothek vermacht, die von ihren ehemaligen Eigentümern für wertlos erachtet wurden. Zufällig fielen 107 Bde im Jahre 1722 der Bibliothek zu, als man ein dort abgestelltes Faß öffnete, das jemand während des Schwedischen Krieges bei der Kirche verwahren ließ und später abzuholen vergaß.

1.5 Drei größere Legate kamen in der zweiten Hälfte des 18. Jhs in die Bibliothek: Der unverkäuflich gebliebene Rest der Bibliothek des verstorbenen Archidiakons von St. Nikolai, Friedrich Mendius (1726-1772), gelangte 1722 in die Bibliothek (ca. 500 Bde). Da Mendius keines seiner Bücher mit einem Besitzvermerk versehen hatte, kann der Bestand nicht weiter beschrieben werden. Etwas genauer läßt sich der Nachlaß des nur kurzzeitig in Spandau tätigen späteren Pankower Pfarrers Friedrich Christoph Corthym (1726-1766) charakterisieren (ebenfalls etwa 500 Bde). Die wenigen Bücher, die er mit seinem Namen gekennzeichnet hat, sind erbauliche Traktate, Klassikerausgaben, Predigten und vom Rationalismus geprägte theologische Literatur. Daneben finden sich philosophische und theologische Erörterungen niederländisch-französischer Provenienz. Den bedeutendsten Zuwachs erhielt die Bibliothek 1765 durch die testamentarische Übernahme von fast 1400 Bdn aus dem Besitz des Germendorfer Pfarrers Georg Wilhelm Wegner (1692-1765). Da Wegner seinen Namen in jedes Buch eingetragen hat, läßt sich seine Sammlung leicht rekonstruieren. Sie enthält Literatur aus allen Gebieten. Bemerkenswert ist der außergewöhnlich hohe Anteil naturwissenschaftlicher und geographischer Arbeiten (Reisebeschreibungen etc.). Auch der philosophische Bereich ist stark vertreten. Heute sind noch 705 Bde aus Wegners Nachlaß erhalten.

1.6 Allein durch die drei letztgenannten Legate erhöhte sich der Bestand der Bibliothek auf etwa 2700 Bde, für eine Kirchenbibliothek überdurchschnittlich viel. Gegen Ende des 19. Jhs war man sich des Wertes dieser Bibliothek kaum bewußt. Sie mußte einige Verluste hinnehmen und verfiel mehr und mehr. Die schwersten Schäden erfuhr sie durch die Kriegswirren des 20. Jhs. In sichere Verwahrung mit bibliothekarischer Betreuung gelangte der Bestand erst 1965, als die Kirchliche Hochschule Berlin die Verwaltung der Bücher für 39 Jahre übernahm. Nur ein kleiner Teil der Titel wurde weiterhin bei der Kirche aufbewahrt. Im September 1993 wurde die Bibliothek wieder an ihren ursprünglichen Ort zurückgebracht, wo sie ab 1994 in den Räumen des kirchlichen Museums " Spandovia sacra", das auch ein Archiv enthält, dem Publikum zugänglich ist.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

Chronologische Übersicht und Übersicht nach Sprachen

2.1 Der Bestand umfaßt 3775 Titel in 2651 Bdn. Ein maschinenschriftlich erstellter Standortkatalog, der die Grundlage für die Auszählung bildete, wird demnächst vervollständigt sein ( s. u. 3.2). Es ist eine Inkunabel vorhanden ( s. o. 1.3). Das 16. Jh ist mit 270 Titeln vertreten. Den Schwerpunkt bilden das 17. Jh mit 1400 Titeln (37 Prozent) und das 18. Jh mit 1770 Titeln (47 Prozent). Die erste Hälfte des 19. Jhs ist mit 76 Titeln repräsentiert; für die Zeit von 1850 bis 1900 sind 174 Titel nachgewiesen. 84 Titel sind nicht zu datieren.

2.2 Die Literatur verteilt sich im wesentlichen auf die lateinische und die deutsche Sprache. In mehreren Fachgebieten überwiegen lateinische Werke gegenüber deutschsprachigen deutlich. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Philosophie (155 lateinische Titel, ein deutscher); Systematische Theologie (409 lateinische, 17 deutsche); Exegese (141 lateinische, 17 deutsche); Jura (23 lateinische, ein deutscher). Es gilt auch für die naturwissenschaftlichen Fächer (63 lateinische, 20 deutsche) sowie für die Grammatik, Rhetorik, Philologie (94 lateinische, 15 deutsche) und zwar vornehmlich für das 17. Jh. In den Rechtswissenschaften sowie der Philologie und Rhetorik setzt sich dieses Verhältnis in abgeschwächter Form auch im 18. Jh fort. Daneben existieren einige französische Titel, die vor allem der Philosophie, der Schönen Literatur und Kultur, der Geschichte und Politik sowie der reformierten Dogmatik zuzuordnen sind. Vereinzelt finden sich auch englische Titel, sehr selten niederländische oder hebräische. Die wenigen griechischen Werke beschränken sich auf die biblischen Fächer, Lexika und Textausgaben antiker Autoren.

Systematische Übersicht

2.3 Der Schwerpunkt des Bestandes liegt erwartungsgemäß im theologischen Bereich (2001 Titel). Dabei bildet die Systematische Theologie mit dogmatischen Arbeiten (darunter zahlreiche Dissertationen und Disputationen), Streitschriften und Erörterungen zu ethischen Fragen sowie mit einigen apologetischen Werken die größte Gruppe (884 Titel). Darunter fallen Publikationen von Spener, Osiander, Praetorius oder Johann Gerhard, Calov und Quenstedt. Neben der protestantischen Orthodoxie ist auch die unter dem Einfluß des Rationalismus entstandene Literatur vertreten.

2.4 Den zweitgrößten Komplex bildet die Praktische Theologie mit 582 Titeln. Davon gehören 304 Titel zur Erbauungs- und Traktatliteratur einschließlich der Katechismen, Gesang- und Gebetbücher, während die übrigen 278 auf Missionsberichte (hauptsächlich aus dem 19. Jh), Kirchenordnungen, Diakonie und Seelsorge entfallen. Den umfangreichsten Anteil bilden hier die Predigtsammlungen und homiletische Arbeiten. Die exegetischen Fächer umfassen 410 Titel. Neben einigen Bibelausgaben und Synopsen sind hier vor allem Kommentare, Einzeluntersuchungen zu Bibelstellen, zu hermeneutischen Fragen und sprachliche Hilfsmittel wie Konkordanzen zu nennen. Vereinzelt lassen sich auch Untersuchungen zur biblischen Archäologie finden.

2.5 Zu den historischen Fächern innerhalb der Theologie zählen Textausgaben antiker christlicher und mittelalterlicher Autoren, aber auch Editionen reformatorischer Texte (32 Titel). Die historischen Darstellungen von kirchengeschichtlichen Ereignissen und dogmengeschichtlichen Entwicklungen belaufen sich auf 93 Titel. Außerdem sind hier auch einige religionsgeschichtliche Arbeiten (Judentum, Islam, Antike) mit aufgenommen.

2.6 Die philosophischen Fächer bilden nach den theologischen Disziplinen mit 367 Titeln einen weiteren Schwerpunkt. Dazu gehören die Metaphysik, Religionsphilosophie, Ethik, Neologie und Logik. Eine Reihe von Untersuchungen stammen von Descartes, Leibniz oder Wolff. Aufklärung und Rationalismus prägen die philosophischen Titel. Erwähnt seien Johann Friedrich Burg, Einleitung zur natürlich vernünftigen und christlichen Sitten-Lehre (Breslau 1740) und James Foster, Betrachtungen über die vornehmsten Stücke der natürlichen Religion und der gesellschaftlichen Tugend (Leipzig 1751-1752).

2.7 Insgesamt 551 Titel gehören zum literarischen Bereich, davon 313 zur Philologie mit Grammatik, Poetik und Rhetorik einschließlich Lehrbüchern und Lexika. Die wenigen pädagogischen Anleitungen sind ebenfalls in diese Rubrik eingeordnet, z. B. Hermann von der Hardt, Studiosus Graecus (Helmstedt 1705). Aufgrund der pfarramtlichen Herkunft vieler Bücher ist auch die Schöne Literatur mit 238 Titeln vertreten. Dabei sind Gelegenheitsschriften, Arbeiten aus der Heraldik und Numismatik wie auch Lebensbeschreibungen mitgezählt.

2.8 285 Titel betreffen Naturwissenschaft und Technik. Hierzu gehören mathematische, physikalische, astronomische, biologische und chemische Werke sowie Titel aus der Mineralogie, der Landwirtschaft, aus dem Bergbau und der Wirtschaft. Wenige Werke sind archäologischen Forschungen und Problemen der Ballistik gewidmet. Die Mehrzahl der naturwissenschaftlichen Titel fällt jedoch in die Medizin, z. B. Ernst Anton Nicolai, Versuch eines Lehrgebäudes von den Fiebern überhaupt (Halle 1752) oder Philippe Verheyen, Anatomie oder Zerlegung des menschlichen Leibes (Leipzig 1714). Einige Werke sind der Psychologie zuzuordnen.

2.9 An Werken zur Geschichte liegen 219 Titel vor, in beträchtlichem Umfang auch Untersuchungen zur Politik (einschließlich Kirchenpolitik), darunter Arbeiten von Pufendorf. Zur Bibliothek gehören außerdem 102 Titel aus dem Bereich der Alchemie, Magie und Astrologie, darunter Schriften über den Magnetismus, über den Umgang mit der Wünschelrute oder über die Existenz oder Nicht-Existenz von Vampiren. Auch sogenannte " Merkwürdigkeiten" Berichte über außergewöhnliche Vorkommnisse (z. B. meteorologische Phänomene) oder Menschen - rechnen hierzu. Genannt seien Michael Ranft, Tractat von dem Kauen und Schmitzen der Todten in Gräbern, worin die wahre Beschaffenheit derer Hungarischen Vampyrs und Blut-Sauger gezeiget (Leipzig 1734) und Georg Wilhelm Wegner, Philosophische Abhandlung von Gespenstern (Berlin 1747).

2.10 86 Titel verteilen sich auf Texte, Übersetzungen oder Kommentare zu antiken (nicht-kirchlichen) Schriftstellern. Die Juristen sind mit 76 Titeln vertreten, darunter auch einigen kirchenrechtlichen Abhandlungen. 50 Titel entfallen auf geographische Forschungen oder Reisebeschreibungen, z. B. Martin Zeiller, Hungaria, oder Neu-Vollständige Beschreibung des gantzen Königreichs Ungarn (Frankfurt und Leipzig 1690). Schließlich sind die Periodika, Zeitschriften oder Jahrbücher anzuführen, vor allem Missionspublikationen (38 Titel). Nicht ganz vollständig ist u. a. Hengstenbergs Evangelische Kirchenzeitung vorhanden.

3. KATALOGE

3.1 Moderne Kataloge

Alphabetischer Katalog

[in Zettelform; nach PI; im Aufbau]

Systematischer Katalog

[in Zettelform; im Aufbau]

Standortkatalog der Bibliothek der St. Nikolai-Kirche [mschr.; im Aufbau]

3.2 Historische Kataloge

Schulze, Daniel Friedrich: Catalogus der ganzen Spandowischen Kirchen-Bibliothek gemacht im Jahre 1772 [hschr.; in Bandform]

Rosenfeld, Hellmut: Verzeichnis der Handschriften und Inkunabeln der Spandauer Kirchenbibliothek [1938; mschr.; in der Kirchengemeinde St. Nikolai vorhanden]

Die Bestände sind sowohl im Berliner Gesamtkatalog (bis 1990) als auch in der Zeitschriftendatenbank (ZDB) nachgewiesen.

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

Kuntzemüller, Otto: Urkundliche Geschichte der Stadt und Festung Spandau von Entstehung der Stadt bis zur Gegenwart. 2. Aufl. mit einem Geleitwort und Nachtrag von Friedrich Koeltze. Berlin-Spandau 1928-29 [zur Bibliothek Bd 1, S. 185 ff., bes. S. 235]

Plümacher, Eckhard: Die Bibliothek der St. Nikolai-Kirche in Spandau. Ein Beitrag zur Geschichte des kirchlichen Bibliothekswesens in Brandenburg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. In: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 46 (1971) S. 35-101

Schulze, Daniel Friedrich: Zur Beschreibung und Geschichte von Spandow. Gesammelte Materialien. Im Auftrag der Kirche und der Stadt hrsg. von Otto Recke. Spandau 1913 [zur Bibliothek Bd 1, S. 77 ff., bes. S. 99-100]

Stand: März 1995

Andreas Reich


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.