FABIAN HANDBUCH: HANDBUCH DER HISTORISCHEN BUCHBESTÄNDE IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND EUROPA SUB Logo
 
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Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK)

Adresse. Haus 1: Briefadresse: 10102 Berlin; Lieferadresse: Unter den Linden 8, 10117 Berlin. [Karte]
Haus 2: Briefadresse: 10772 Berlin; Lieferadresse: Potsdamer Straße 33, 10785 Berlin [Karte]
Telefon. Haus 1: (030) 2015-0; Haus 2: (030) 266-1
Telefax. Haus 1: (030) 2015-1721; Haus 2: (030) 266-2814 Telex. Haus 2: 183160 staab d
Bibliothekssigel. <1> <1a>

Unterhaltsträger. Preußischer Kulturbesitz Bundesunmittelbare Stiftung des öffentlichen Rechts
Funktion. . Wissenschaftliche Universalbibliothek mit historisch gewachsenem Bestand von überregionaler Bedeutung. Trägerinstitution bibliothekarischer Gemeinschaftsunternehmen, z. B. Redaktion der überregionalen Zeitschriftendatenbank (ZDB); Zentralkartei der Autographen; zentrale Fachkataloge für Literatur aus Osteuropa, Asien und Afrika; Redaktion des Gesamtkataloges der Wiegendrucke; Clearingstelle zur Steuerung des Internationalen Leihverkehrs; Internationaler Tausch amtlicher Veröffentlichungen; Internationale ISBN-Agentur.
Sammelgebiete. 1. Allgemeine Sammelgebiete: Literatur aller Fachgebiete mit Schwerpunkt auf den Geisteswissenschaften; wissenschaftliche Zeitschriften (insbesondere ausländische); Nachschlagewerke und Bibliographien. 2. Besondere Sammelgebiete: Literatur aus und über Osteuropa, Asien und Afrika; amtliche Veröffentlichungen des In- und Auslandes; Veröffentlichungen internationaler Organisationen; abendländische, orientalische und Musikhandschriften; Autographe; Nachlässe; seltene Drucke und Einbände nach 1500; Musikdrucke; Weberiana; Mendelssohniana; Karten und Atlanten; Kinder- und Jugendbücher. 3. Sondersammelgebiete der Deutschen Forschungsgemeinschaft: Sammlung deutscher Drucke 1871-1912

 SSG 2 Rechtswissenschaft
 SSG 8 Geschichte Brandenburg/Preußens
 SSG 6,20 Orientalistik 
 SSG 6,25 Ost- und Südostasien  
 SSG 14,1 Veröffentlichungen zur Kartographie  
 SSG 26 Ausländische Zeitungen   
 SSG 27 Parlamentsschriften  
 SSG 28,1 Topographische Karten Benutzungsmöglichkeiten. 



Benutzung der bis 1955 erschienenen Druckschriften sowie der Spezialsammlungen in den Sonderabteilungen nur in den Lesesälen der Staatsbibliothek. Öffnungszeiten in beiden Häusern: Montag bis Freitag 9-21 Uhr, Samstag 9-17 Uhr. - Magazinbenutzung nur in Ausnahmefällen auf Antrag möglich. 1. Lesesäle. Haus 1: Bedingt durch die bauliche Situation des Gebäudes Unter den Linden wird der Hauptbuchbestand in zwei räumlich voneinander getrennten Lesesälen durch ausgewählte Literatur in den Handbibliotheken repräsentiert. (a) Allgemeiner Lesesaal I (Geistes- und Sozialwissenschaften) 75 Plätze, 20.500 Bde Handbibliothek (allgemeine Wörterbücher, fachspezifische Quellen und Texteditionen sowie allgemeine Referenzmaterialien aller entsprechenden Wissenschaftsgebiete), ca. 165 ausgelegte Zeitschriften, Lesegeräte für Mikroformen; (b) Allgemeiner Lesesaal II (Geschichte der Naturwissenschaften, Medizin und Technik) 85 Plätze, 8900 Bde Handbibliothek (Nachschlagewerke aller Art der entsprechenden Wissenschaftsdisziplinen einschließlich Land- und Forstwirtschaft), 40 ausgelegte Zeitschriften. Haus 2: Allgemeiner Lesesaal 445 Plätze, ca. 85.800 Bde Handbibliothek, ca. 2300 ausgelegte Zeitschriften, mit Sonderbereich für die Benutzung besonders schutzwürdiger Magazinbestände; 15 Arbeitskabinen (auf schriftlichen Antrag für jeweils ein bis drei Monate vergeben). 2. Sonderlesesäle. Haus 1: 118 Plätze (Handbibliotheken: insgesamt ca. 46.000 Bde und ca. 125 ausgelegte Zeitschriften und Zeitungen). Haus 2: 145 Plätze (Handbibliotheken: insgesamt ca. 73.500 Bde und ca. 450 ausgelegte Zeitschriften und Zeitungen). Handschriften-Lesesaal für abendländische Hss., Nachlässe, Autographe, Inkunabeln, seltene und künstlerisch ausgestaltete Drucke und andere Sonderbestände wie Flugschriften, Einblattdrucke, Exlibris, alte Messekataloge: Handbibliothek zur Handschriftenkunde sowie zur gesamten Druckgeschichte und speziell zur Inkunabelkunde; Sonderkataloge der Handschriftenabteilung. Öffnungszeiten: Haus 1: Montag bis Freitag 9-17 Uhr, Samstag 9-13 Uhr, Gesamtkatalog der Wiegendrucke Montag bis Freitag 9-17 Uhr, Samstag geschlossen. Haus 2: Montag bis Freitag 9-17 Uhr, Samstag 9-13 Uhr. Musik-Lesesaal für Musikhandschriften und -autographe, Nachlässe, Briefe, Musikdrucke, Textbücher und musikwissenschaftliche Literatur: Handbibliothek mit Musik-Literatur, Nachschlagewerken, Gesamtausgaben und Denkmälerausgaben; Sonderkataloge der Musikabteilung; Weberiana, Mendelssohn-Archiv. Öffnungszeiten: Haus 1: Montag bis Freitag 9-19 Uhr, Samstag geschlossen. Haus 2: Montag bis Freitag 9-17 Uhr, Samstag 9-13 Uhr. Karten-Lesesaal für Karten, Atlanten und andere kartographische Materialien: Handbibliothek mit kartographischem Schrifttum sowie topographischen Karten, Berlin-Plänen und Stadtplänen größerer Städte; Sonderkataloge der Kartenabteilung. Öffnungszeiten: Haus 1: Montag bis Freitag 9-19 Uhr, Samstag geschlossen. Haus 2: Montag bis Freitag 9-17 Uhr, Samstag 9-13 Uhr. Osteuropa-Lesesaal: Handbibliothek mit Bibliographien, Enzyklopädien, Wörterbüchern und handbuchartiger Literatur aus und über Osteuropa; Osteuropa-Sammelkatalog (enthält neben den eigenen monographischen Beständen auch Osteuropa-Bestände anderer Bibliotheken der Bundesrepublik und einiger Bibliotheken im europäischen Ausland). Öffnungszeiten: Haus 2: Montag bis Freitag 9-19 Uhr, Samstag 9-17 Uhr. Orient- und Ostasien-Lesesaal für orientalische Hss. und andere wertvolle Bestände der Orient- und der Ostasienabteilung: Handbibliothek mit bibliographischen und biographischen Auskunftsmitteln sowie Wörterbüchern und Grammatiken der Sprachen Asiens und Afrikas; Zentralkatalog der Orientalia (ab 1958 erworbene Literatur in orientalischen Sprachen von Bibliotheken der Bundesrepublik ohne Bestände von Haus 2); Sonderkataloge der Ostasienabteilung. Öffnungszeiten: Haus 2: Montag bis Freitag 9-17 Uhr, Samstag 9-13 Uhr. Zeitungslesesaal: Handbibliothek mit Wörterbüchern, allgemeinen Lexika und Nachschlagewerken zur Zeitungswissenschaft, einschließlich Bibliographien und Bestandsverzeichnissen. Öffnungszeiten: Haus 1: Montag bis Freitag 9-17 Uhr, Samstag 9-13 Uhr. Kinder- und Jugendbuch-Lesesaal mit Handbibliothek an theoretischen Werken über Kinder- und Jugendliteratur und zur Jugendbuchpädagogik. Öffnungszeiten: Haus 1: Montag bis Freitag 9-19 Uhr, Samstag geschlossen. 3. Kataloge. Haus 1: Hauptkataloge mit bibliographischer Handbibliothek (ca. 24.000 Bde). Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 9-21 Uhr, Samstag 9-17 Uhr. Standortermittlung. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 9-17 Uhr. Haus 2: Hauptkataloge mit bibliographischer Handbibliothek (ca. 62.000 Bde), bibliographische Auskunft. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 9-21 Uhr, Samstag 9-17 Uhr. Leihverkehr: DLV, internat. Leihverkehr. Verleihung bis 1955 erschienener Druckschriften nur in die Lesesäle der entleihenden Bibliothek.
Technische Einrichtungen für den Benutzer. Kopiergeräte (nicht für besonders gefährdete Bücher), Lesegeräte für Mikrofilme und Mikrofiches, Reader-Printer, Fotostelle mit Atelier und Schwarz-Weiß-Negativ- und Positivlabor, Mikrofilm- und Mikrofichierstelle, Xerokopierstelle für in der Substanz gefährdete Bestände, Vermietung von Arbeits- und Schreibkabinen.
Gedruckte Informationen. Bibliotheksführer (Neuausgabe in Vorbereitung), Informationsblätter, Merkblätter.
Hinweise für anreisende Benutzer. Haus 1: Berlin-Mitte, U- und S-Bahnhof Friedrichstraße, Busverbindung (Linien 100, 157, 348) bis Haltestelle Friedrichstraße bzw. Humboldt-Universität. Haus 2: Berlin-Tiergarten, U- und S-Bahnhof Potsdamer Platz, Busverbindung (Linien 129, 148, 248, 341, 348) bis Haltestelle Kulturforum bzw. Potsdamer Brücke. Zwischen Haus 1 und Haus 2 Busverbindung (Linie 348) oder von S-Bahnhof Unter den Linden nach S-Bahnhof Potsdamer Platz (eine Station) und umgekehrt. - Parkmöglichkeiten: vor Haus 1 mit Parkuhren; vor Haus 2 bibliothekseigene Parkplätze. Casino bzw. Cafeteria befinden sich im öffentlichen Bereich.

Inhalt

 Bestandsgeschichte ................................... [1.0]
 Die Hofbibliothek (1661-1816) ........................ [1.4] 
 Die Gelehrtenbibliothek (1817-1884) .................. [1.27] 
 Die wissenschaftliche 
 Universalbibliothek (1885-1943) ...................... [1.49] 
 Zwei Teilbibliotheken in Ost und West (1945-1991) .... [1.91] 
 Öffentliche Wissenschaftliche Bibliothek
 und Deutsche Staatsbibliothek (1945-1991) ............ [1.91] 
 Hessische Bibliothek, Westdeutsche Bibliothek und 
 Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz 
 (1946-1991) .......................................... [1.102] 
 Die Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer 
 Kulturbesitz (seit 1991) ............................. [1.121]
 SBB-PK 2
 Bestandsbeschreibung ................................. [2.0] 
 Chronologische Übersicht und 
 Übersicht nach Sprachen .............................. [2.5] 
 Systematische Übersicht .............................. [2.6] 
 Allgemeines .......................................... [2.13] 
 Theologie ............................................ [2.29] 
 Staats- und Sozialwissenschaften, 
 Politik, Wirtschaftswissenschaften ................... [2.47] 
 Recht ................................................ [2.51] 
 Kriegskunst einschließlich Seeschiffahrt ............. [2.65] 
 Medizin .............................................. [2.66] 
 Naturwissenschaften .................................. [2.75] 
 Philosophie. Pädagogik. Psychologie .................. [2.110] 
 Kunst ................................................ [2.126] 
 Technik. Mathematik .................................. [2.137] 
 Land- und Forstwirtschaft. Kalender .................. [2.143] 
 Geschichte und Landeskunde ........................... [2.145] 
 SBB-PK 3
 Sprachen und Literaturen ............................. [2.201] 
 Sonderabteilungen und Sondersammlungen ............... [2.230] 
 Sonderabteilungen .................................... [2.230] 
 Sondersammlungen kostbarer ........................... [2.245] 
 Diverse Sondersammlungen ............................. [2.262] 
 Kataloge ............................................. [3.0] 
 Vorbemerkung ......................................... [3.1] 
 Allgemeine Kataloge (Hauptkataloge) .................. [3.2] 
 Kataloge in Haus 1 ................................... [3.2] 
 Kataloge in Haus 2 ................................... [3.3] 
 Gedruckte Kataloge zum historischen Bestand .......... [3.4] 
 Kataloge der Sonderabteilungen ....................... [3.5] 
 Kartenabteilung ...................................... [3.5] 
 Kinder- und Jugendbuchabteilung ...................... [3.6] 
 Musikabteilung ....................................... [3.7] 
 Orientabteilung ...................................... [3.8] 
 Ostasienabteilung .................................... [3.9] 
 Osteuropa-Abteilung .................................. [3.10] 
 Zeitungsabteilung .................................... [3.11] 
 Kataloge von Sondersammlungen kostbarer 
 und seltener Drucke .................................. [3.12] 
 Kataloge weiterer Teilbestände und Sondersammlungen .. [3.13] 
 SBB-PK 4
 Quellen und Darstellungen zur 
 Geschichte der Bibliothek ............................ [4.0] 
 Archivalien .......................................... [4.1] 
 Bibliographien und gedruckte Quellen ................. [4.2] 
 Darstellungen zur Geschichte der Bibliothek .......... [4.3] 
 Veröffentlichungen zu den Beständen .................. [5.0] 
 Allgemeine Darstellungen ............................. [5.1] 
 Einzelne Bestandskomplexe nach Schlagwörtern ......... [5.2] 
 Einzelne, von der Staatsbibliothek 
 übernommene Sammlungen ............................... [5.3] 
 Ausstellungskataloge ................................. [5.4] 

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Während ihrer mehr als dreihundertjährigen Geschichte ist die Bibliothek vielfach umbenannt worden. Von 1659/61 bis 1701 war sie die Churfürstliche Bibliothek zu Cölln an der Spree; von 1701 bis 1918 die Königliche Bibliothek zu Berlin (KB); von 1918 bis 1945 die Preußische Staatsbibliothek (PSB). Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war die Bezeichnung der Bibliothek in Berlin (Ost) Unter den Linden, von 1946 bis 1954 Öffentliche Wissenschaftliche Bibliothek (ÖWB), von 1954 bis 1990 Deutsche Staatsbibliothek (DSB); 1990 und 1991 Deutsche Staatsbibliothek in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Der westdeutsche Teil der Bibliothek hatte von 1946 bis 1949 die Bezeichnung Hessische Bibliothek (Marburg); von 1949 bis 1962 Westdeutsche Bibliothek (Marburg); von 1962 bis 1967 Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Marburg und Berlin West); von 1968 bis 1991 Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Berlin West) (SBPK). Ab 1992 trägt die wiedervereinigte Bibliothek den Namen Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK).

1.2 Die ehemalige Preußische Staatsbibliothek kennt wie der preußische Staat, dessen zentrale Bibliothek sie wurde, zwei grundverschieden verlaufende Entwicklungslinien: Diskontinuität markiert die erste, zunehmendes Wachstum die zweite Hauptepoche. Prägten in der ersten Zeit vorwiegend kulturpolitische Erwägungen und Repräsentationsbedürfnisse das Erscheinungsbild der Kurfürstlichen, dann Königlichen Bibliothek, so bestimmten in der zweiten Epoche staatlich gelenkte Wissenschaftsförderung, zunehmend auch bibliothekarische Eigenverantwortung und Sachverstand den Entwicklungsgang der Bibliothek.

1.3 Unter bestandsgeschichtlichem Aspekt sind fünf Entwicklungsstufen erkennbar. Der frühen Aufstiegsphase (1661-1722) folgte eine fast gleich lange Phase der Stagnation (1722-1770). Die nächsten Jahrzehnte (1770-1816) mit der abrupten Anhebung des Etats und dessen erneutem Absinken lassen sich als eine von Unausgewogenheit und Krisen gezeichnete Übergangszeit verstehen. Unter den Professorenbibliothekaren des 19. Jhs (1817-1884) vollzog sich der Aufstieg zur zentralen Gelehrtenbibliothek des preußischen Staates. Diese Richtung verstärkte sich in der letzten Phase (1885-1943) durch ein forciertes äußeres Wachstum mit dem Ziel, die Preußische Staatsbibliothek zu einer der führenden wissenschaftlichen Gebrauchsbibliotheken der Welt zu entwickeln.

Die Hofbibliothek (1661-1816) Die Zeit des Großen Kurfürsten (1661-1688)

1.4 Im Jahre 1661 verfügte Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688, seit 1640 Kurfürst) nach dem Beispiel vieler Standesgenossen die wohl schon 1649 erwogene, 1658 bekräftigte und 1659 durch die Einweisung des kurfürstlichen Bibliothekars Johann Raue (1610-1679) beschlossene Freigabe seiner privaten Büchersammlung, auch Schloßbibliothek genannt, an eine begrenzte Öffentlichkeit. Gleichzeitig wurde die nunmehrige Kurfürstliche Bibliothek aus dem Dachgeschoß des hohenzollernschen Stadtschlosses in das geräumigere, leichter zugängliche Seitengebäude des Schlosses verlegt, den sogenannten Apothekenflügel am Lustgarten, in dessen Obergeschoß sie 120 Jahre untergebracht war. Zum Zeitpunkt der Eröffnung besaß die Bibliothek außer dem vermutlich geringen und mehr zufälligen Bücherbesitz der kurfürstlichen Vorfahren Reste aufgelöster Klosterbibliotheken aus der Kurmark und Bibliotheksbestände aus den 1648 zugesprochenen Gebieten (Magdeburg und Westfalen), darunter manche Kostbarkeit, unter anderem wertvolle Teile des Büchernachlasses von Martin Luther (so verschiedene Bibelausgaben) und wahrscheinlich die berühmte Gutenbergbibel insgesamt zwischen 5000 und 10.000 Bde.

1.5 Die sogleich einsetzenden großzügigen Bücheranschaffungen des Großen Kurfürsten erfolgten nur zum geringeren Teil über den einheimischen Buchhandel, der damals in Brandenburg noch wenig entwickelt war. An auswärtigen Buchhandelsorten werden Hamburg, Leipzig und Königsberg genannt. Unter den ausländischen Handlungen bevorzugte der Kurfürst die Amsterdamer Firma Waesberge, die auch französische und italienische Bücher zu liefern imstande war. Insgesamt aber dominierten Erwerbungen geschlossener Bestände. Gekauft wurden vollständige oder Teile von Privatbibliotheken, ohne daß deren Inhalt im einzelnen zu fassen ist. Besitzer solcher Sammlungen (mit Jahr der Übergabe) waren: der Kurfürstliche Bibliothekar und Gymnasialdirektor Johann Vorstius (1623-1676; 1663 und 1671, darunter einige armenische Bücher); der kurpfälzische Rat Johann Joachim Rus(s)dorf (1589-1640; 1665); die Familie Münchhausen (1665; 51 Werke, besonders historische Literatur); die Orientalisten Theodor Petraeus aus Königsberg († 1672/73; 1677/79, etwa 60 Stücke) und Christian Raue (1613-1677) aus Frankfurt/Oder (nach 1677); endlich der Kurfürstliche Leibarzt Cornelius Bontekoe (1647-1685; 1685).

1.6 Auch kirchliche Teilbibliotheken wurden übernommen, so aus Berlin (Dreifaltigkeits-, spätere Domkirche, 1663; u. a. 110 Folioausgaben zur Theologie und Geschichte) und Wittstock (1672; 39 vor 1550 gedruckte Werke). Zusätzlich waren die kurfürstlichen Geschäftsträger im Ausland als gut bezahlte - " Bibliotheksagenten" für die Anschaffung ausländischer Bücher tätig. Außerdem vermachte der Kurfürst ihm geschenkte Exemplare, insgesamt 2000 Bde, der Bibliothek und veranlaßte durch sein Beispiel Verwandte und andere hochgestellte Persönlichkeiten zu ähnlichen Vermächtnissen oder Stiftungen. Zu nennen sind die Kurfürstin Luise Henriette (1627-1667; 1668); Fürst Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604-1679), Gouverneur der Westindischen Handelskompanie und Generalstatthalter in Brasilien, später kurbrandenburgischer Statthalter von Cleve (Riesenatlas, 1666, sowie die beiden kostbaren Bildwerke Theatrum rerum naturalium Brasiliae, 1664 in 4 Bde gebunden, und die Collectio rerum naturalium Brasiliae, 2 Bde); und Herzog Ernst Bogislav von Croy (1620-1684), Statthalter in Preußen (1780 Titel, nach 1684).

1.7 Inhaltlich war der Bestandsaufbau durch fachliche Vielseitigkeit gekennzeichnet. " Alle Fakultäten" wurden gepflegt, umfassend die Geschichte, daneben Theologie (zumal Erbauungsliteratur und Kirchengeschichte), Staatsrecht, Kriegswissenschaften, die Altertumskunde " vndt sonst in allen andern Künsten, Sprachen vndt Wihsenschafften die besten authores vndt derselben beste editiones". Der Kurfürst war einer der eifrigsten Förderer der Bibliothek. Daß er wie sein Sohn auf den Erwerb wertvoller Hss., abendländischer wie orientalischer, sowie auf Kartenwerke großen Wert legte, sei vermerkt. Abgesehen von der polyhistorischen Bestandsausrichtung der Bibliothek, wie sie der ausgreifenden Art des Großen Kurfürsten entsprach, war also schon in deren Frühzeit das Auswahlprinzip des Wertvollen oder Seltenen und, bei fremdsprachigen Ausgaben, die Bevorzugung des Originals maßgebend. Beim Tode des " Gründers" war die Kurfürstliche Bibliothek hinsichtlich der Zahl ihrer Bestände älteren Fürstenbibliotheken durchaus ebenbürtig.

Die Zeit des Kurfürsten Friedrich III./Königs Friedrich I. (1688-1713)

1.8 Der königliche Nachfolger Friedrich I. (*1657), den Wissenschaften und Künsten ohnehin zugetan, hielt die unter dem Vater geltenden Erwerbungsgrundsätze unter stärkerer Betonung des rein repräsentativen Charakters seiner Büchersammlung im wesentlichen aufrecht. Sie erfuhren eine zusätzliche Rechtfertigung durch die Leibnizsche Gründung der Akademie der Wissenschaften (1700), galt es doch, jetzt auch deren Bücherwünsche zu befriedigen. Die Anschaffungsmittel wurden erhöht und die Berliner Buchhändler mehr in das Kaufgeschäft einbezogen; aber auch ausländische Bezugsquellen wurden genutzt. Weiter trug eine 1700 zum ersten Male durchgeführte Dublettenversteigerung zur Aufbesserung des Erwerbungsfonds bei. Der Bücherzuwachs nahm folglich rascher zu, wobei allem Anschein nach den aufkommenden Geisteswissenschaften und den Neuerscheinungen in westeuropäischen Sprachen größeres Gewicht beigemessen wurde. Weiter gepflegt wurden die Orientalia, darunter auch die Sinica durch Erwerb der Bibliothek des Hofarztes Christian Mentzel (1622-1701; Kauf 1702 für 200 Taler). Dieser Zuwachs konnte an frühere Erwerbungen durch den Sinologen Andreas Müller, Probst von St. Nicolai anknüpfen (um 1630-1694; von ihm stammen auch die ersten chinesischen Kataloge der Bibliothek). Neben abendländischen kamen wiederum arabische und vorderasiatische Hss. ins Haus.

1.9 Bestimmenden Einfluß auf den Bestandsaufbau der Kurfürstlichen Bibliothek hatte der vom Herrscher eingesetzte erste Kurator (Oberaufseher), Ezechiel von Spanheim (1629-1710). Der Erwerb seiner Privatbibliothek (1701; 9000 Bde für 12.000 Taler) bildete den herausragenden Einzelkauf in dieser Zeit. Sie war reich an Literatur zur Klassischen Philologie, zur älteren und mittleren Geschichte einschließlich der Hilfswissenschaften und blieb als sogenannte " Kleine Königliche Bibliothek" für fast ein Jahrhundert (bis 1790) gesondert aufgestellt. Auch der Erwerb von 600 meist theologischen Büchern aus der Schloßbibliothek zu Köpenick (1693) verdient Erwähnung. Dagegen fand die wertvolle Musikaliensammlung der kunstsinnigen Königin Sophie Charlotte (1668-1705) nur vorübergehend Unterkunft in der Hofbibliothek (etwa von 1715 bis 1750), da Friedrich der Große sie später seiner Schwester Anna Amalia (1723-1787) überließ. Erst im 20. Jh (1913) und auf Umwegen kam diese etwa 600 Nummern zählende Amalienbibliothek dank der Hartnäckigkeit Adolf Harnacks als Depositum wieder in den Besitz der Bibliothek (heute vollständig wieder in der Staatsbibliothek zu Berlin).

1.10 Programmatische Bedeutung gewann für die Hofbibliothek der erste brandenburg-preußische

Pflichtexemplarerlaß von 1699, den die Berliner Bibliothekare nach Pariser Beispiel angeregt hatten. Er wurde immer wieder in Erinnerung gerufen (schon 1701 und 1712), war vorerst also mehr ein Postulat denn Realität. Doch trug der nicht mehr aufgegebene Rechtsanspruch gegenüber den freilich noch wenig leistungsfähigen einheimischen Verlagen (oder den Druckern) dazu bei, die Königliche Bibliothek als eine Einrichtung des Hofes im öffentlichen Bewußtsein zu festigen.

1.11 Verluste erlitt die Bibliothek nach Gründung der Universität in Halle (1697), als sie dieser 1698 gegen den Willen der Bibliothekare die meisten ihrer Dubletten (1131 Titel) aus den Gebieten Recht, Theologie, Geschichte und Klassische Philologie abtreten mußte. Zeit der Stagnation (1722-1770)

1.12 Unter Friedrich Wilhelm I. blieb der Bibliotheksfonds zunächst ungeschmälert. Doch die Säumigkeit der Bibliothekare, die schon der Vater 1710 zu rügen Grund gehabt hatte und die bis 1722 einen beträchtlichen, unverbrauchten Kassenüberschuß zeitigte, veranlaßte den nüchtern und fiskalisch denkenden " Soldatenkönig" zur Streichung der Bibliothekargehälter auf Dauer. Von 1722 bis 1740 wurden für ganze 152 Taler Bücher gekauft. Sonst sind vermutlich in dieser Zeit fast nur Geschenke vereinnahmt worden.

1.13 Selbst unter Friedrich II., dem Großen, änderte sich für lange Zeit nur wenig an der finanziellen Situation der Bibliothek. Sie blieb bis 1770, folgt man den vorhandenen Quellen, das Stiefkind der königlichen Kulturpolitik. Ein gezielter Bestandsaufbau ist nicht zu erkennen. Die Bibliothek stagnierte in diesem halben Jahrhundert weithin, ja sie verlor sogar ihre sämtlichen Musikalien an einen Berliner Musikdirektor (1737) und, wenn auch nur für Jahrzehnte, ihren gesamten damaligen Besitz an mathematischen und medizinischen Büchern (mehrere tausend Bände) an die Berliner Akademie der Wissenschaften (1735). Der Bücherkauf in diesen Jahrzehnten dürfte nur zum geringsten Teil auf planmäßiger Auswahl beruht haben und im übrigen mit Dublettenveräußerungen finanziert worden sein. Ob außer Geschenken Friedrich stieß gern die ungeliebten Großformate ab auch Pflichteingänge eine größere Rolle gespielt haben, ist nicht bekannt die häufige Wiederholung der entsprechenden Erlasse spricht dagegen. Das auffallende Desinteresse Friedrichs an seiner " Grande Bibliothèque" erklärt sich läßt man andere, äußere Beweggründe beiseite fast mühelos aus der Tatsache, daß ihm, dem leidenschaftlichen und kritischen Leser, seine (bis zu sieben) Schloßbibliotheken zum ausschließlichen Gebrauch zur Verfügung standen; er bedurfte der Königlichen Bibliothek nicht.

Förderung der Bibliothek durch Friedrich den Großen (1770-1786)

1.14 Seit 1770, etwa zeitgleich mit der Auswirkung seiner Retablissement-Politik, hatte diese Zurückhaltung ein Ende. Der König setzte von nun an hohe Summen für die so lange vernachlässigte Bibliothek aus, zum selben Zeitpunkt übrigens, als die Zuwendungen für seine privaten Büchersammlungen nachzulassen begannen. Sowohl in seinem Geschäftsgebaren wie in seiner persönlichen Kontrolle der für die Bestandsvermehrung aufgebrachten Mittel blieb der " aufgeklärte" König dem absolutistischen Zeitalter verhaftet. Er bevorzugte für den Bücherkauf einseitig einen bestimmten Buchhändler, den zur französischen Kolonie gehörenden Samuel Pitra († 1790). Durch die umfangreichen, in Listen stoßweise eingereichten Bestellungen Friedrichs offensichtlich überfordert, geriet Pitra mit seinen Bücherlieferungen zeitlich oft in großen Rückstand, was den entschiedenen Unwillen der Bibliothekare hervorrief. Auch behielt sich der König bis in die letzten Lebenstage die Genegung der zu kaufenden Bücher vor. Kein Zweifel, daß diese von den Bibliothekaren als ineffektiv empfundene Überwachung aller Erwerbungsvorgänge einem aktuellen, fachlich ausgewogenen Bestandsaufbau abträglich war.

1.15 Inhaltlich war die gewiß großzügige Anschaffungspolitik Friedrichs ab 1770 gekennzeichnet durch ein Nebeneinander von objektiv einsichtigen Auswahlprinzipien und subjektiven Kriterien, welche die persönlichen Vorlieben des Königs widerspiegelten. Die von ihm angeordnete Anschaffung von " großen Wercken und Büchern, als Dictionairs und dergleichen, die rar und auch theuer sind, welche andre Leute nicht besitzen, und wegen des theuren Preises auch nicht kaufen können" (13. Januar 1784), entsprach im wesentlichen den Intentionen des Großen Kurfürsten, wobei Friedrich mehr auf antiquarisch zu beschaffende Bücher Wert gelegt zu haben scheint. Andererseits bevorzugte er gemäß seinem literarischen Gescck einseitig die persönlich geschätzten Autoren und Richtungen: unter den Franzosen die berühmten Zeitgenossen, besonders Voltaire (bis 1768) und Maupertuis, sowie die Klassiker des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jhs, daneben die Enzyklopädisten und Materialisten wie auch die Kritiker des Ancien Régime (Diderot, Rousseau, Beaumarchais). Weiter wurde die griechisch-römische Antike in großer Breite, doch meist in neueren französischen Übersetzungen angeschafft.

1.16 Stiefmütterlich wurde die deutsche Literatur behandelt. Das 18. Jh war, sieht man ab von Gottsched, Johann Elias Schlegel und Wieland, vorwiegend vertreten durch Schriftsteller zweiten Ranges, z. T. nur in Übersetzungen. Von Lessing scheint nur ein Titel angeschafft worden zu sein (Theatralische Bibliothek, 1754-1758). Noch schlechter war es um die ältere deutsche Literatur bestellt, wofür ein zufällig überliefertes Beispiel zeugt. Den Empfang der dem König gewidmeten Sammlung mittelalterlicher Epen, darunter der Erstdruck des Nibelungenliedes (herausgegeben von Christoph Heinrich Myller, 1784), quittierte Friedrich mit den Worten: " Meiner Einsicht nach sind solche [Gedichte] nicht einen Schuß Pulver wert und verdienen nicht aus dem Staube der Vergangenheit gezogen zu werden. ... Das Mir davon eingesandte Exemplar mag dahero sein Schicksal in der dortigen großen Bibliothek abwarten" (am 22. Februar 1784: Oeuvres 27,3, Berlin 1856, S. 233).

1.17 Obwohl der König auch die englische Literatur nicht besonders schätzte, war diese doch etwas besser vertreten. In den Akten werden Hobbes und Hume, Milton, Alexander Pope und Samuel Richardson genannt, teilweise gleichfalls nur in französischen Übersetzungen erworben. Auch eine Shakespeare-Ausgabe von 1768 war damals schon vorhanden. Ähnliches gilt von der Theologie, wo die Schwerpunkte bei der Kirchengeschichte, der älteren Kontroversliteratur, der Aufklärungstheologie und den religionskritischen, anti-jesuitischen Schriften lagen. Die neueren Historiker, auch die deutschen, lagen wiederum vorwiegend in französischen Ausgaben vor, wichtige Quellenwerke (Mabillon, Muratori) dagegen im Original. Über die zur selben Zeit erworbenen naturwissenschaftlichen Werke sind wir im Detail nicht unterrichtet. Doch wissen wir, daß die Bibliothek schon damals unter den periodischen Erscheinungen der Zeit die wissenschaftlichen Referateorgane Acta eruditorum, Journal des Saccavans (nicht aber die Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen), ferner die Akademieabhandlungen von Wien und St. Petersburg sowie ältere englische Wochenschriften (The Spectator; The Guardian) besaß. Allgemein überwogen unter den Erwerbungen Friedrichs ältere Erscheinungen; die der siebziger Jahre waren selten, die der achtziger Jahre noch weniger vertreten.

1.18 Diese Mängel wurden noch zu Lebzeiten des Königs durch seinen einzigen Großeinkauf gemildert, den teuren Erwerb (1780; Preis 12.000 Taler) der nachgelassenen Privatbibliothek seines Vertrauten Quintus Icilius (1724-1775). Diese reiche Sammlung mit insgesamt 5300 Bdn enthielt vornehmlich historische und belletristische Titel, darunter außer den Franzosen nun auch die barocke und neuere deutsche Literatur von Opitz über die Schweizer Bodmer und Breitinger bis zu Albrecht von Haller, Gellert und einigen Werken Lessings (als jüngste Ausgabe Emilia Galotti, 1772), ferner Wielands Shakespeare-Übersetzung; außerdem einen ersten größeren Posten slawistischer Bücher, viele sprachwissenschaftliche Nachschlagewerke sowie kameral- und kriegskundliche Bücher insgesamt (ohne die miterworbenen Dubletten) eine wertvolle Ergänzung zu den friderizianischen, meist über Pitra abgewickelten Buchhandelskäufen. Ebenso wie die achtzig Jahre zuvor erworbene Spanheimsche oder " Kleine Königliche Bibliothek" und die Erwerbungen seit 1770 (Neue Königliche Bibliothek) blieb auch die Nova Bibliotheca Quinti Icilii bis 1789 gesondert aufgestellt.

1.19 So ist der Gesamteindruck von Friedrichs Bibliothekspolitik zwiespältig, trotz des Baus der " Kommode", des Domizils der Königlichen Bibliothek für rund eineinviertel Jahrhunderte (1782-1909). Die Unterlassungssünden der Vergangenheit in puncto Bestandsergänzung waren bei seinem Tode nur teilweise getilgt, abgesehen von dem ungeordneten und ungenügend katalogisierten Zustand, in dem Friedrich die Bibliothek hinterließ. Diese hat sich unter seiner Herrschaft bei unübersichtlicher Aufstellung in vier getrennte Einzelbibliotheken nur nominell, nicht tatsächlich verdoppelt. Übergangszeit (1786-1816)

1.20 Der Einzelkauf von 1780 war der Auftakt zum Erwerb einer ganzen Reihe von Privatbibliotheken. Sie bereicherten, wenn auch unter Inkaufnahme weiterer Dubletten, vor und um 1800 den Bestand der Bibliothek nach rückwärts. Die Aktionen überbrückten eine längere Übergangszeit. Diese war umgekehrt proportional zur damals rasch ansteigenden Buchhandelsproduktion geprägt von einem stark verminderten Erwerbungsfonds. Er schränkte den Kauf von Neuerscheinungen sehr ein und reichte nicht einmal zur Komplettierung mehrbändiger Werke. Die Sammelankäufe konnten hingegen in der Regel aus Sondermitteln getätigt werden; diese stammten vielfach aus häufig wahrgenommenen Dublettenverkäufen oder veranstalteten Auktionen. Allein zwischen 1794 und 1806 erbrachten drei große Auktionen rund 11.400 Taler.

1.21 Unter den wichtigeren geschlossenen Erwerbungen in dieser Zeit ragt heraus der 1789 getätigte Kauf der Bibliothek des Berliner Theologen und Predigers Friedrich Jacob Roloff (1721-1788; ca 5100 Bde für 8000 Taler). Sie besaß vor allem Werke der Antike und Frühdrucke. Auch sie wurde vorerst gesondert aufgestellt. Es folgte 1796 der Erwerb der Teilsammlung des Mediziners Johann Karl Wilhelm Moehsen (1722-1795; 6500 Bde und, damals besonders erwünscht, 800 Landkarten, für 3000 Taler). Dank der ausgeprägten historischen Interessen dieses leidenschaftlichen Sammlers war sie reich an Werken zur Geschichte, zumal der brandenburgischen Landesgeschichte, und der Numismatik. 1799 wurde die Bibliothek des bekannten Naturforschers Johann Reinhold Forster (1729-1798) erstanden (7000 Bde für 8000 Taler). Sie bestach, kostbar ausgestattet, durch die Fülle an naturgeschichtlichen Schriften, an Reisebeschreibungen und sprachwissenschaftlicher Literatur. 1803 endlich kaufte die Königliche Bibliothek die hinterlassene Rheinsberger Schloßbibliothek des Prinzen Heinrich (1726-1802), des Bruders Friedrichs des Großen, für 6000 Taler (1750 Bde). Sie füllte Lücken in der neueren Geschichte, zumal an französischen Drucken nach Beginn der Revolution, im Kriegswesen und an Werken antiker Autoren.

1.22 In das Jahr 1798, also mitten in diese Übergangszeit, fiel die vorübergehende Unterstellung der Bibliothek unter die Aufsicht der Akademie der Wissenschaften. Bestandsgeschichtlich betrifft das die Übergabe der meisten Bücher der Akademiebibliothek an die Königliche Bibliothek (soweit sie nicht von der Akademie unmittelbar benötigt wurden). Damit kamen auch die 1735 unter Friedrich Wilhelm I. entfremdeten naturwissenschaftlichen Werke an die Bibliothek zurück. Die ein Jahrzehnt zuvor (1789) publizierte und ausführlich begründete Erinnerung an den Anspruch der Bibliothek auf das preußische Pflichtexemplar läßt auf dessen Nichteinhaltung schließen.

1.23 So ist diese Übergangsphase gekennzeichnet durch Stagnation hinsichtlich einer laufenden und aktuellen Bestandsergänzung einerseits und andererseits durch den Ankauf oder die Übernahme größerer geschlossener Sammlungen, welche die Erwerbungsversäumnisse früherer Zeiten retrospektiv teilweise wettzumachen suchten. Im übrigen erfolgte in diesen Jahren der auslaufenden Epoche der Hofbibliothek eine Art " Flurbereinigung", d. h. die Verschmelzung der bisherigen fünf getrennt gehaltenen Teilbibliotheken zu einer einheitlichen, quasi systematischen Aufstellung. Die dabei zutage tretenden Dubletten wurden sukzessive gewinnbringend ausgeschieden. Mit dem Ende des Jahres 1806 kam die Möglichkeit des Bücherkaufens vorübergehend ganz zum Erliegen. Die französische Besetzung Berlins (Oktober 1806 bis Dezember 1808) überstand die Bibliothek ohne Verluste dank der Umsicht und Entschlossenheit Johann Erich Biesters (1749-1816; Leiter der Bibliothek seit 1794). Die wesentlichen Merkmale der ersten Hauptepoche (1661-1816)

1.24 In stärkerem Maße als bei anderen Fürstenbibliotheken des absolutistischen Zeitalters hängen Wohl und Wehe der Königlichen Bibliothek zu Berlin ab von der wechselnden Einstellung des jeweiligen Souveräns zu ihr, von seinem Engagement (Großer Kurfürst), seinem Desinteresse (Friedrich Wilhelm I.), seinen Vorlieben (Friedrich der Große). Der Monarch ist bis zum Tode Friedrichs sein eigener Bibliotheksdirektor; danach tritt der Justizminister (Johann Christoph von Wöllner) an die Stelle des Königs. Der sachliche Entscheidungsspielraum der an der Königlichen Bibliothek tätigen Bibliothekare ist dementsprechend denkbar gering. Allein Johann Erich Biester, Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift und Bibliothekar von 1784 bis 1816, erkämpft sich gegen Ende des 18. Jhs einen gewissen Handlungsspielraum. Diese Umstände haben, zusammen genommen, die unstete und sachlich unbefriedigende Entwicklung der Bibliothek in ihren ersten 150 Jahren verursacht. In der Bereitstellung der Mittel ist extreme Ungleichmäßigkeit bis hin zu willkürlichen Etatansätzen zu beobachten. Der König gewährt die Gelder für den Bücherkauf, die Bibliothek hat keinen Anspruch auf sie. In der Verwendung der Mittel, namentlich in der Sachauswahl der wissenschaftlichen Literatur, überwiegen Subjektivität und Diskontinuität. In der Erfassung des einheimischen Schrifttums ist bei unbefriedigendem Eingang des Pflichtexemplars Zufälligkeit die Norm. In der laufenden Bestandspflege bestimmen Sprunghaftigkeit und Unzuverlässigkeit das Bild. Man verläßt sich hier zu sehr auf retrospektiv ergiebige, aber dublettenanfällige Auktions- und Sammelkäufe, die zudem inhaltlich oft unausgewogen sind. Eine langfristig geplante und zielstrebig verfolgte Erwerbungspolitik ist nicht zu erkennen.

1.25 Die Bilanz für die Bibliothek nach Ablauf der ersten Hälfte ihrer Geschichte? Ihr Bücherbestand ist, gemessen an ihrem wiederholt erhobenen hohen Anspruch, lückenhaft, ungeachtet der großen Zahl an Büchern (150.000 Bde). Sowohl ihren Bestandszahlen wie ihrer Bedeutung nach wird die Bibliothek zu jener Zeit übertroffen von den führenden Hofbibliotheken in den übrigen europäischen Residenzen (s. Tabellen im Anhang). Auch ist die Bibliothek wenig geordnet und nur unzulänglich durch Kataloge erschlossen. Oder mit den Worten des Memorandums, welches der Senat der Berliner Universität im Dezember 1814 dem Kultusdepartement einreichte: " Unvollständigkeit und Mangel zweckmäßiger Organisation" bestimmen das Erscheinungsbild der Königlichen Bibliothek.

1.26 Immerhin zeichnete sich gegen Ende dieser Epoche durch Vereinheitlichung der Finanzverwaltung eine Abkehr von der absolutistischen, ausschließlich persönlichkeitsbezogenen und zufallsbedingten Entscheidungsbefugnis des Souveräns ab. In der preußischen Reformzeit bahnte sich mit der Zentralisierung der Steuergesetzgebung eine Stabilisierung der preußischen Staatsfinanzen, somit auch des Bibliotheksetats, und in deren Gefolge der allmähliche Übergang zur geregelten, ressortmäßig geordneten Haushaltsführung an.

Die Gelehrtenbibliothek (1817-1884)

Grundlagen

1.27 Das knappe Jahrzehnt von 1809 bis 1817 markiert den entscheidenden Einschnitt in der Geschichte der Bibliothek. In Verwirklichung der Humboldt-Schleiermacherschen Bildungs- und Wissenschaftsreformen erwachsen auch der wichtigsten Bibliothek im Königreich Preußen neue Aufgaben und Möglichkeiten. Sie betreffen wesentlich deren Bestandsentwicklung. Die Königliche Bibliothek wird zunächst (1810) der Kultusabteilung im Innenministerium, 1817 der Dienstaufsicht des neu geschaffenen Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten (Kultusministerium) unterstellt, mit dem der Bibliothek sehr wohlwollend gesonnenen Minister Karl von Altenstein (1770-1840) an der Spitze. Sie wird in den Staatsetat eingebaut und organisatorisch verselbständigt. Zu ihrem Leiter (" Oberbibliothekar") wird, gleichfalls 1817, mit Friedrich Wilken, dem ersten Professorenbibliothekar der Königlichen Bibliothek, ein wissenschaftlich und bibliothekarisch ausgewiesener Facnn berufen. Er ist dem Minister unmittelbar verantwortlich und auch für den Bestandsaufbau der Bibliothek zuständig.

1.28 Die Bibliothek fungiert zugleich für zwei Jahrzehnte (bis 1831) als zentrale Bibliothek der soeben gegründeten und vom Staat bedeutend geförderten Universität und hat für deren rasch ansteigenden Bücherbedarf zu sorgen. Der Vermehrungsfonds wird beträchtlich aufgestockt ein Vorgang, der sich fast regelmäßig in Schüben wiederholen sollte. Ausschließlich für die Literaturversorgung standen regulär allein aus dem Ordinarium zur Verfügung: 4000 Taler seit 1819, 8000 Taler im Jahre 1828, 10.500 Taler im Jahre 1845, 15.500 Taler im Jahre 1864; 46.500 Mark im Jahre 1871, 96.000 Mark im Jahre 1875, 146.400 Mark im Jahre 1889 und 273.000 Mark im Jahre 1913. Dazu aber kommen die namentlich unter Wilken (291.000 Taler), Lepsius (1,1 Millionen Mark) und Harnack (rund 330.000 Mark) sehr reichlich gewährten extraordinären Zuwendungen, die überwiegend oder ganz für die Bestandsvermehrung verwandt wurden. Unter der Leitung von Friedrich Wilken (1817-1840)

1.29 Unter Wilken (1777-1840) setzte ein zielstrebiger und bibliothekarisch gelenkter konsequenter Bestandsaufbau ein. Das neue, überlegt auswählende und auf Aktualität bedachte Anschaffungsprogramm knüpfte in Teilen an frühere Auswahlkriterien an. Es sah, so Wilken selbst, den Erwerb " der für die Wissenschaft und Kunst wichtigen Bücher, welche jedes Jahr liefert, in möglichster Vollständigkeit" vor. Im einzelnen erschienen Wilken als anschaffenswert: die lesesaalwürdige, den allgemeinen Wissensstand widerspiegelnde Standardliteratur sowie die wissenschaftlich und künstlerisch weiterführenden Forschungs- und Spezialwerke, und zwar theoretisch für alle Fachgebiete. Die Naturwissenschaften spielten freilich entsprechend ihrer damaligen geringen Zahl der Veröffentlichungen gegenüber den Geisteswissenschaften eine untergeordnete Rolle. Dazu kamen die maßgeblichen Quellenausgaben und dies ist neu auswahlweise und gewissermaßen beispielhaft auch nicht streng wissenschaftliche, aber die Bildung der Zeit repräsentierende " populärwissenschaftliche" Literatur.

1.30 Zum Zwecke der Bestandsergänzung sollten vorrangig die bisher vernachlässigten Disziplinen und die bestehenden Sondersammlungen bedacht und sodann neben den generell bevorzugten historischen Fächern die " wahre", d. h. die anerkannte deutsche " Nationalliteratur" gepflegt werden. Im übrigen galt es, die Wünsche der Berliner Gelehrten, namentlich der Ordinarien, zu erfüllen, wie umgekehrt diese ihre wissenschaftlichen Kontakte zum Ausland, etwa auf Forschungsreisen, der Königlichen Bibliothek zugute kommen ließen. Ferner legte Wilken ab 1819 Wert auf den laufenden Bezug der bisher kaum beachteten Fachzeitschriften, auch naturwissenschaftlicher Organe, und der ausländischen Zeitungen (Einrichtung einer eigenen Zeitschriftenakzession 1820). Die Benutzung des Journal-Lesezimmers unterlag allerdings noch lange strengen Auflagen.

1.31 Von der Erwerbung ausdrücklich ausgeschlossen waren " alle unbedeutenden oder unwissenschaftlichen Schriften", worunter z. B. Kinderbücher oder kirchliche Erbauungsbücher zu verstehen waren. Soweit solche dennoch eingingen, etwa in Befolgung der Pflichtablieferung, dürften sie, was auch für die Zeit nach Wilken gilt, wenn nicht makuliert, als " Dubletten" auf Auktionen verkauft worden sein.

1.32 Insgesamt also ein fächerübergreifendes, zugleich aber auswählendes Erwerbungsprofil, das die Bibliothek zu " einem Arsenal für die gelehrte Forschung, zu einer umfassenden Gelehrtenbibliothek" machen sollte, oder mit den präziseren Worten des " Reglements für die Verwaltung der Geschäfte in der Königlichen Bibliothek zu Berlin" von 1838: " Die Beförderung und Unterstützung der wissenschaftlichen Bestrebungen der hiesigen Gelehrten ist das Hauptziel, auf welches alle Erwerbungen der Königlichen Bibliothek zu richten sind".

1.33 Wilkens Programm wurde sogleich in Angriff genommen und mit relativ guten, zweimal verdoppelten Etatmitteln und häufig gewährten besonderen Zuwendungen jedenfalls in den ersten anderthalb Jahrzehnten seiner Amtsführung großenteils in die Tat umgesetzt. Es ist außerdem bekannt, daß Wilken zu diesem Zweck die Etatansetzungen, wie keiner seiner Nachfolger, wiederholt überzog. Fast die Hälfte des Bücherzuwachses der Jahre 1828 bis 1838 (über 30.000 Bde) ist auf dem Wege des Kaufs hereingekommen.

1.34 Erwähnt sei noch, daß Wilken erstmals, in Befolgung des Schleiermacherschen Reglements von 1813, seine (drei bis fünf) wissenschaftlichen Mitarbeiter (Kustoden) mitverantwortlich zur Bestandsergänzung heranzog. Er hat so die Weichen für ein Fachreferentensystem gestellt, ein Arbeitsprinzip, welches in der Königlichen Bibliothek erst Harnack wieder aufgegriffen und ausgebaut hat.

1.35 In der konsequenten Berücksichtigung der Neuerscheinungen (" Nova") durch Wilken und seine Nachfolger zeigt sich bestandsgeschichtlich wohl am deutlichsten der Gegensatz zum vorangegangenen höfischen Zeitalter. Der neue Stil, erkennbar vom Geist der sich entfaltenden Wissenschaftsmetropole Berlin geprägt, ist aus folgenden Maßnahmen abzulesen: 1824 wurde der Rechtsanspruch auf das preußische Pflichtexemplar endgültig formuliert. Es galt, auch in der Folgezeit, im Grunde nur für den damaligen Besitzstand Preußens. Neu wurde 1867 allein die Provinz Schleswig-Holstein (bis 1928) zur kostenlosen Ablieferung herangezogen. Das Pflichtexemplar schloß, wie die gedruckten Zugangslisten aus den dreißiger Jahren des 19. Jhs zeigen, auch die Tages- und Wochenzeitungen ein. Doch scheinen diese in den zwanziger Jahren nur sporadisch und erst seit den dreißiger Jahren verstärkt eingegangen und aufbewahrt worden zu sein.

1.36 In derselben Zeitspanne wurde durch zusätzliche Ablieferungsvereinbarungen der Grund gelegt zum Aufbau von Schrifttumssammlungen speziellen Charakters, Gattungen, die in der Folge intensiv gepflegt wurden. Es sind dies die Sammlung preußischer Hochschulschriften (1819/20), die später, zunehmend vollständiger werdend, über den Akademischen Schriftentausch auch die übrigen deutschen Universitätsschriften einbezog, sowie die periodischen Veröffentlichungen (Schulprogramme) der preußischen Gymnasien (1819). Fast gleichzeitig begannen, offenbar unter Mitwirkung der vorgesetzten Behörde, auch die preußischen amtlichen Drucksachen, zunächst meist die Organe der einzelnen Regierungsbezirke (vielfach schon ab 1811/16 vorhanden), in der Bibliothek einzugehen. Deren Benutzung scheint indessen noch unter Georg Heinrich Pertz (1842-1873) kaum möglich gewesen zu sein. Der erste offizielle Ministerialerlaß speziell zur unentgeltlichen Überweisung " aller auf öffentliche Kosten hergestellten Werke" datiert von 1862 (wiederholt 1882). Die Bedeutung aller Pflichteingänge wird daraus deutlich, daß diese schon in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts rund zwei Siebentel des gesamten Zuwachses ausmachten (1828 bis 1838 19.770 zu 69.418 Bde).

1.37 Der Kauf wissenschaftlicher Novitäten aus dem Ausland war dem tätigen Historiker Wilken besonders wichtig. Da der Normaletat seinen hochgespannten Zielen natürliche Grenzen setzte, machte er, mit nachträglicher Billigung des Ministers, immer wieder Sondermittel flüssig. So schaltete auch er nach dem Beispiel des Großen Kurfürsten systematisch die preußischen Gesandtschaften in europäischen Residenzstädten genannt werden Madrid, Lissabon, Neapel, Rom, Den Haag, London und Konstantinopel und in den USA ein. Sie wurden von 1819 an zur Einsendung oder Bestellung dortiger Neuerscheinungen aufgefordert. Im allgemeinen aber erfolgte der Auslandskauf über leistungsfähige nicht-preußische Firmen, genannt sind solche vor allem in Mannheim und Wien, in London, Mailand, Florenz, Paris, Utrecht, Stockholm und St. Petersburg. Außerdem animierte Wilken mit Erfolg Berliner Professoren, sie möchten sich im Ausland für die Bereicherung " ihrer" Bibliothek verwenden. Sowohl Wilken wie Pertz ließen ihre persönlichen oder gar familiären Beziehungen zu England zugunsten der Bibliothek spielen.

1.38 Einen Hinweis verdienen die ersten gedruckten Zugangsverzeichnisse, die Wilken auf Veranlassung der vorgesetzten Behörde (Reskripte von April und Juli 1835) in seinen letzten fünf Amtsjahren jährlich herausgab. Sie sind grob systematisch angelegt, bibliographisch exakt gearbeitet und vermerken sogar die Zugangsart. So bestätigen sie den fachlich interessierten Kreisen den vielseitigen, relativ ausgewogenen Bestandsaufbau und bekräftigen deren nun erhobenen Anspruch, ihre Neuerwerbungen seien nicht mehr ein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis systematischer, maßstabsetzender Bestandspflege. Retrospektive Bestandsergänzung

1.39 Besonders das 19. Jh, zumal die Zeitspanne bis zur Reichsgründung, ist die große Zeit der notwendigen retrospektiven Bestandsergänzung. Der Schließung jener beträchtlichen Bestandslücken aus früheren Jahrhunderten diente insbesondere der geschlossene Erwerb vieler " charaktervoller" Sammlungen (Juchhoff), meist aus privater Hand. Von den im Zeitraum zwischen 1807 und 1870 teilweise oder vollständig erworbenen Einzelbibliotheken seien hier die wichtigeren mit ihren besonders ergiebigen Beständen genannt.

1.40 Es sind dies (ohne die reinen Handschriften-Sammlungen) in chronologischer Folge: 1810/11 Heinrich Julius Klaproth aus St. Petersburg (1783-1835), Orientalist: Ostasiatica, vor allem chinesische, mandjurische und mongolische Bücher; 1811 Friedrich Nicolai (1733-1811), Verleger: Keltistik, Anglistik, Literatur zum Dreißigjährigen Krieg; 1816 Johann Christoph Adelung (1732-1806), Germanist und Bibliothekar: Sprachwissenschaften; 1817 Heinrich Friedrich von Diez (1751-1817), Diplomat und Orientalist: Literärgeschichte, Theologie, Orientalistik, Antike, alte und mittlere Geschichte, ältere deutsche Literatur, Naturwissenschaften; 1818 Fürst von Salm-Kyrburg, Legationsrat: Spanische Literatur; 1819 Karl Ludwig Willdenow (1765-1812), Botaniker: Botanik; ergänzend dazu wurde 1828 eine weitere botanische Bibliothek (900 Bde) aus dem Besitz des Legationsrates Heinrich von Gaultier erworben; 1820 Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819): Philosophie, Geschichte, Belletristik; 1823 Adelbert von Chamisso (1781-1838), Schriftsteller, Botaniker: Geographie (1835 Drucke und Hss.; ergänzend dazu, 1839, aus seinem Nachlaß 22 Drucke in hawaiischer Sprache); 1824 Johann Georg Tralles (1763-1822), Physiker und Mathematiker: Mathematik, Physik, Astronomie (2200 Bde); 1833 Karl Asmund Rudolphi (1771-1832): Medizin, Naturwissenschaften, Numismatik (15.000 Bde); 1835 Karl Ferdinand Friedrich von Nagler (1770-1846), Generalpostmeister: Inkunabeln, Theologie, deutsche Literatur vom Mittelalter bis ins 17. Jh, vor allem Volksdichtung, sowie ältere französische Literatur; 1835 Wilhelm von Humboldt (1767-1835): Sprachwissenschaften, zumal Rara, aus seinem Nachlaß, soweit in der Bibliothek noch nicht vorhanden; 1847 Graf Graf Étienne Méjan (1766-1846): Inkunabeln, Frühdrucke, ältere Literaturen; 1850 Karl Hartwig Gregor von Meusebach (1781-1847): deutsche Literatur vornehmlich des 16. bis 18. Jhs, Geschichte, ferner Theologie und Rechtsgeschichte.

1.41 Die herausragenden unter diesen Sammlungen sind das bedeutende, weitgefächerte Vermächtnis von Diez (außer wertvollsten Hss. 17.000 Bde); die an älterem Bestand überaus wertvolle Bibliothek Naglers (5000 Titel), mit 92.000 Talern die teuerste dieser Einzelerwerbungen; die bibliophile, z. T. kostbar eingebundene Sammlung Méjan (14.170 Bde für 64.000 Taler) und als umfangreichste die Bibliothek Meusebach (36.000 Bde für 40.700 Taler), einmalig reich in der älteren deutschen Literatur, beginnend mit Schrifttum von und über Luther, worin die Königliche Bibliothek, diese Sammlung ständig erweiternd, nunmehr allen anderen Bibliotheken überlegen war.

1.42 Außerdem vermehrte in diesen Jahrzehnten eine Fülle meist kleinerer Spezialsammlungen den Bestand in vielen Einzeldisziplinen. Darunter nahm die Germanistik einen bevorzugten Platz ein, so durch die Übernahme von Teilbibliotheken der Berliner Gelehrten Karl Lachmann (1793-1851; erworben 1851/53), Friedrich Heinrich von der Hagen (1780-1856; 1856), Jacob Grimm (1785-1863; 1869). Weiter seien beispielhaft als Teilgebiete genannt: Spanische Geschichte (1832), Vorbesitzer der Oberst und Diplomat Andreas D. B. von Schepeler (1780-1851); Ungarische Literatur (1844), Beginn einer wissenschaftlichen Hungarica-Sammlung; Schachschrifttum (1846), aus dem Besitz des Oberlehrers Ludwig Bledow (1795-1846; 404 Bde); Spanisches Drama (1850), erworben von Ludwig Tieck (1773-1853; 1546 Originaldrucke); Deutsche Volkslieder (1854), Vorbesitzer Karl Heyse (1797-1855; 1055 Nummern); Hymnologie (1855), erworben von Fürchtegott Christian Fulda (1768-1854; 2779 Nummern), in Ergänzung älterer Literatur zum gleichen Thema; Kirchenslawische Drucke und Hss. (1856/58), von Vuk St. Karadzic (1787-1864; 46 Stücke); Weinliteratur (1859), von einem Dr. Thienemann; Römisches Recht (1852/61, 472 Werke), erworben aus dem Besitz von Friedrich Carl von Savigny (1779-1861), überwiegend Rechtsquellen der frühen Neuzeit.

1.43 Andere Erwerbungsschwerpunkte wurden kontinuierlich verstärkt oder begründet, z. B. die Reformationsgeschichte, ausgelöst durch die Zentenarfeier des Jahres 1817; weiterhin englische Parlamentaria, zu denen später US-amerikanische Kongreßschriften traten, und die englischsprachige Forschung überhaupt, befördert durch die erwähnte Vorliebe leitender Bibliothekare des Hauses für diesen Kulturkreis. Zu ihnen gehörte auch Samuel Heinrich Spiker (1786-1858), seiner Anglophilie wegen Lord Spiker genannt, langjähriger Mitarbeiter der Königlichen Bibliothek und Herausgeber der Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Eine lange Englandreise (1815/16) und andere Auslandsaufenthalte nutzte er zu größeren, der Bibliothek stets willkommenen Bücherkäufen, ohne daß sich diese im einzelnen verifizieren ließen.

1.44 Insgesamt haben auf diese Weise von der preußischen Reformzeit bis zum Ausgang der Ära Pertz (1807-1870) annähernd 50 große und kleine, private und öffentliche Sammlungen mit mindestens 120.000 Bdn die Bibliothek bereichert, das ist mehr als ein Viertel des gesamten Zuwachses in dieser Zeitspanne. Schon diese summarische Übersicht aber macht deutlich, daß vorrangig die traditionellen Erwerbungsgebiete (Geschichte, Sprach- und Literaturwissenschaften in weitestem Umfange, auch Theologie und die Rechtswissenschaften sowie die Gelehrtengeschichte) in dieser Weise gefördert wurden. Unter der Leitung von Georg Heinrich Pertz und

Richard Lepsius (1842-1884)

1.45 Die wiederholte Einbeziehung von Wilkens Nachfolgern hat deutlich werden lassen, daß hinsichtlich der Bestandsgeschichte in den folgenden Jahrzehnten keine grundsätzliche Umorientierung stattfand. Hervorzuheben aber ist die außergewöhnliche Förderung, die der Bibliothek durch König Friedrich Wilhelm IV. (1840-1861) zuteil wurde. In seiner Person besaß die Bibliothek einen hochgebildeten und wahrhaft königlichen Mäzen. Andererseits behielt Pertz, nachdem z. B. 1841 in Berlin der erste slawistische Lehrstuhl eingerichtet worden war, die hinsichtlich der Slavica eher zögerliche Einstellung von Wilken bei. So kann man die Zeitspanne von Pertz (1795-1876, Oberbibliothekar 1842-1873) bis Lepsius (1810-1884, Oberbibliothekar seit 1874) als die konsequente Weiterführung wesentlicher Erwerbungsprinzipien Wilkens ansehen. Dem widerspricht nicht, daß bei beträchtlich erhöhtem Erwerbungsetat und entsprechend größerem Bücherzuwachs neue Sammelschwerpunkte gesetzt wurden, gewissermaßen spezifische Markenzeichen für die besonderen Interessen der beiden nachfolgenden Leiter des Hauses. So bevorzugte Pertz, der Leiter der Monumenta Germaniae historica, für die Druckschriftenabteilung verständlicherweise stärker das deutsche Mittelalter und die Reformationszeit (Erwerb vieler Flugschriften). Auch nutzte er aus Kostengründen verstärkt die Möglichkeiten des antiquarischen Kaufs aus, wohingegen die Zahl der " Nova" unter ihm fast stagnierte. Lepsius seinerseits baute vor allem den Bestand an laufenden Periodika kontinuierlich aus, wobei er den naturwissenschaftlichen und medizinischen Zeitschriften einen höheren Anteil als zuvor zubilligte. Beide förderten in konsequenter Wahrnehmung günstiger Gelegenheiten mit Vorrang die großen, eng mit der Tradition des Hauses verbundenen Sondersammlungen Hss., Karten (1859 Übernahme der einzigartigen, 30.000 Karten umfassenden Sammlung aus dem Nachlaß des Generals Gerhard von Scharnhorst, 1755-1813) und Orientalia. Diese gewannen von jetzt an eine durch ihre reichen Spezialbestände und Aufgaben herausragende, nicht mehr zu übersehende Eigenbedeutung, die Musiksammlung zudem durch die Berufung eines eigenen Kustos (Siegfried Dehn, 1842) den Charakter einer Abteilung.

1.46 Im ganzen aber behielten sie beide die Wilkenschen Maximen bei, daß nämlich nur solche Bücher anzuschaffen seien, die " auf längere Zeit hinaus wissenschaftlichen Wert behalten würden" (Pertz). Damit korrespondiert die Behandlung des Pflichtexemplars durch alle drei Professorenbibliothekare. Der von Wilken durchgesetzte, aber nicht voll ausgeschöpfte Anspruch auf das regional begrenzte preußische Pflichtexemplar wurde unter seinen Nachfolgern und teilweise selbst noch unter August Wilmanns weiter durchlöchert. Bis in die achtziger Jahre des 19. Jhs hinein wurden bezeichnenderweise die in der " Romankammer" untergebrachten sogenannten " Deutschen Romane" (DR) von der Leitung des Hauses vielfach " als wertloser Ballast angesehen". Diese überwiegend gegenwartsnahe Literatur blieb weitgehend unkatalogisiert und ungebunden. Sie war z. T. verlorengegangen, als man sich in den achtziger Jahren ihrer annahm. 1873 beispielsweise wurde nur gut die Hälfte (51,4 Prozent) der eingegangenen Pflichtstücke (von 2190 nur 1126) in den Bestand der Bibliothek aufgenommen, das übrige gestapelt, verkauft oder makuliert.

1.47 Wichtig, weil Schule machend, wurde die 1873 von Kaiser Wilhelm I. gestiftete, gesondert aufzustellende " Kriegs-Sammlung". Sie verpflichtete die Bibliothek zur fortzuführenden Sammlung " aller auf den Krieg 1870/71 bezüglichen Schriften und Bilder", was sie in der Folge getreulich ausführte. Nach 1900 hatte diese wohl einmalige Spezialbibliothek einen Umfang von über 4000 Nummern (einschließlich vieler Flugblätter, Illustrationen, Plakate) erreicht. Die originale Sammlung ist heute fast vollständig verloren; nach 1945 wurden ca. 400 Nummern neu angeschafft.

1.48 Der von Lepsius ein Vierteljahr vor seinem Tode (April 1884) zu Papier gebrachte Entwurf, die Bibliothek in Berlin zu einer mit Paris und London vergleichbaren Weltbibliothek auszubauen, sah vor, alle Wissenschaften mit ihrem wichtigeren internationalen Schrifttum zu erwerben, dabei auch, neben der vor allem älteren einheimischen Literatur, besonders die nichtabendländischen, außereuropäischen Kulturkreise einzubeziehen und sich verstärkt den Zeitschriften und Flugschriften als unentbehrlichen und darum sammelwürdigen zeitgenössischen Quellen zuzuwenden. Dieser theoretisch ausformulierten Vision einer umfassenden wissenschaftlichen Universalbibliothek blieb die Probe aufs Exempel versagt. Erst Jahrzehnte später wurden diese Ideen unter Adolf Harnack wieder aufgegriffen.

Die wissenschaftliche Universalbibliothek (1885-1943)

Unter der Leitung von August Wilmanns (1886-1905)

1.49 Mit Wilmanns (1833-1917), dem ersten Generaldirektor, und mit der jetzt einsetzenden Reorganisation der Bibliothek beginnt für sie auch bestandsgeschichtlich eine neue, überaus fruchtbare Entwicklungsphase. Sie reicht nimmt man das erwerbungswidrige, von Krieg und Inflation gezeichnete Jahrzehnt von 1914 bis 1923 aus bis in die dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts und bezeichnet den Weg von der Zentralbibliothek des Staates Preußen zur weltweit wirkenden und weithin anerkannten wissenschaftlichen Universalbibliothek. Äußeres Symbol dafür ist der Einzug in den repräsentativen Neubau Unter den Linden (Architekt Ernst von Ihne, 1848-1917), ein Vierteljahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Den größeren Aufgaben entsprechend, werden erneut auch die Erwerbungsmittel wiederholt und beträchtlich angehoben.

1.50 Das 1885, während des Interregnums zwischen Lepsius und Wilmanns, erlassene und viel zitierte " Statut für die Königliche Bibliothek zu Berlin" steckte den gesetzlichen Rahmen für die künftig geltenden großzügigeren Erwerbungsrichtlinien ab. Es enthält die - allem Anschein nach unter dem bestimmenden Einfluß von Otto Hartwig (1830-1903) gefundene ebenso unbestimmte wie verschieden auslegbare Formel: " Die Bibliothek hat die Aufgabe, in möglichster Vollständigkeit die deutsche und in angemessener Auswahl auch die ausländische Literatur zu sammeln".

1.51 Wie kaum ein anderer bibliothekarischer Leiter der Bibliothek vereinigte Wilmanns die Funktionen des Erwerbungschefs in seiner Person. Nahezu autoritär lenkte er fast zwanzig Jahre lang den Bestandsaufbau. Er selbst prüfte sowohl die Antiquariatskataloge wie die internationalen Referateorgane, zeitweise wohl auch die laufenden Nationalbibliographien. Er leitete die Kaufsitzungen mit den Abteilungsvorstehern. Den zu den Besprechungen in der Regel nicht herangezogenen " Realkatalogführern" (Fachreferenten) oblag hinsichtlich der Bestandsergänzung allenfalls die Durchsicht der Neuerscheinungslisten.

1.52 Sachlich bejahte auch Wilmanns, zumal beim Antiquariatskauf, " um nicht ganz ins Wilde zu verlaufen", die Setzung von freilich weitgestreuten Schwerpunkten, und auch in anderen Punkten behielt er die Linie seiner Vorgänger bei, so wenn er sich hinsichtlich der Literaturversorgung für die bevorzugte Behandlung der sogenannten Universitätsdisziplinen und hier zumeist der Geisteswissenschaften aussprach, wenn er die Unentbehrlichkeit aller Primärquellen (" Sammeln Sie documents" war seine Devise) und den Vorrang des Originals vor Bearbeitungen und Übersetzungen betonte. Fachlich wurde weiterhin besonderes Gewicht auf die Literaturdenkmäler der Vergangenheit gelegt, soweit sie irgend erreichbar waren. Von der neueren Belletristik und besonders vom populären Schrifttum hielt auch Wilmanns nicht viel, ebenso wenig aber auch von den Musikalia und vom illustrierten Buch. Arbeiten dieser Art bezeichnete er als " Bilderbücher" und schloß sie vom Erwerb im allgemeinen aus. Gleiches gilt von der Technik, die noch nicht als vollwertiges Universitätsfach angesehen wurde. Ferner gab Wilmanns eine Anzahl topographischer Darstellungen an das Kupferstichkabinett ab.

1.53 Mehr Aufmerksamkeit als seine Vorgänger zollte Wilmanns jedoch den eingehenden Pflichtstücken. Was noch Lepsius ungebunden liegen ließ und so dem Verlust aussetzte, nämlich die " Deutschen Romane", wurde jetzt, soweit noch vorhanden, gebunden. Die entsprechenden Neuzugänge wurden, wenn auch weiterhin nicht vollzählig, in den (normalen oder einen verkürzten) Geschäftsgang gegeben. Daß Wilmanns, sobald in der " Kommode" die baulichen Voraussetzungen geschaffen waren, auf eine gute Lesesaalbibliothek, insbesondere auf einen leistungsfähigen bibliographischen Apparat, großen Wert legte und beides systematisch ausbaute, zeigt der 1889 zum ersten Mal im Druck vorgelegte Katalog der im Lesesaal aufgestellten Handbibliothek (4. Auflage 1909).

1.54 Die geschlossen für die Druckschriftenabteilung erworbenen Sammlungen spielen in diesem Zeitraum weder der Zahl noch ihrer Größe nach eine der vorigen Epoche vergleichbare Rolle. Die wichtigeren dieser en bloc-Erwerbungen seien mit ihren thematischen Schwerpunkten genannt, der Übersichtlichkeit wegen in aufzählender Form: 1880 Bibliothek des Karl August Varnhagen von Ense (1785-1858), gewissermaßen eine Zugabe zu dessen weit wichtigerer riesiger Handschriften- und Autographensammlung; 2841 Bde Belletristik der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jhs, besonders deutsche, außerdem französische und englische, nebst literarhistorischer Sekundärliteratur, ferner reiche Bestände in der Geschichte, gute in der Philosophie und in den Staatswissenschaften. 1885 Sammlung des Theologen und Romanisten Eduard Böhmer (1827-1906); vollständigste Sammlung rätoromanischer Literatur, späterhin (1906/07) aus dessen Nachlaß noch ergänzt. 1889 Fürstlich Starhembergsche Bibliothek (aus Schloß Eferding/Österreich); 6158 Bde, vor allem Inkunabeln und Frühdrucke.

1.55 Außerdem ist der Erwerb von Spezialsammlungen erwähnenswert: Geschichte der Reformationszeit, 1617 Bde, Vorbesitzer der katholische Kirchenhistoriker Heinrich Joseph Floss (1819-1881; erworben 1882); Hebraica vom Talmudisten Moses Pinner (1803-1880; 1882); US-amerikanischer Bürgerkrieg (John Pierson, 1886); Niederländisch-Indien (Kolonialbibliothek der Stadt Delft), Originalliteratur nebst vielen älteren Reisebeschreibungen. Zahlreiche Frühdrucke flossen der Bibliothek noch aus der Übernahme kleinerer Schul- und Kirchenbibliotheken zu.

1.56 Die in den Jahrzehnten um und nach 1900 fortgeführte beträchtliche Bereicherung an kartographischem Material, an Musikalien und Musikschrifttum kann hier nicht näher ausgeführt werden. Erwähnt sei wenigstens die Begründung der Deutschen Musiksammlung (April 1906). Mit ihr war die laufende und kostenlose Belieferung und Erfassung nahezu aller Musikalien aus dem deutschen Verlagsschrifttum gewährleistet, verbunden mit der retrospektiven Einsendung vieler älterer Notendrucke seitens deutscher Verleger, zurückreichend z. T. bis ins 18. Jh. Die Sammlung wurde 1914 der Musikabteilung angegliedert.

Unter der Leitung von Adolf (von) Harnack (1905-1921)

1.57 Die sich unter Wilmanns anbahnenden, unter dem Generaldirektorat Harnacks (1851-1930) zum Durchbruch kommenden organisatorischen und sachlichen Umwälzungen intra et extra muros sind hier nur in ihren Auswirkungen auf die Bestandsentwicklung der Bibliothek zu skizzieren. Der Bücherzuwachs in diesen 15 Jahren Harnacks ist sehr groß (500.000 Bde, 40 Prozent des Vorbestandes). Er spiegelt sowohl die ansteigende Buchhandelsproduktion der Vorkriegsjahre wie die konsequente Ausnutzung des erheblich angehobenen Erwerbungsetats wider. So konnte bis zum Kriegsbeginn unter den Neuerscheinungen des In- und Auslands wie auch unter dem antiquarischen Bücherangebot eine immer größer werdende Auswahl getroffen werden. Außerdem wurde von jetzt an nicht nur das wie bisher auf die altpreußischen Provinzen und Schleswig-Holstein (bis 1928) begrenzte Pflichtexemplar, sondern die deutsche Literatur überhaupt, gemäß extensiverer Auslegung des Statuts von 1885 " in möglichster Vollständigkeit" erfaßt, und zwar mit der Begründung, die Königliche Bibliothek auf diese Weise " in den Stand zu setzen, dem Wettbewerb der "Deutschen Bücherei" in Leipzig zu begegnen".

1.58 Das macht ein Wort zum Begriff Nationalbibliothek nötig, zumal sich die Bibliothek im 20. Jh in Konkurrenz zur Deutschen Bücherei (Leipzig) wiederholt als solche bezeichnet hat. Die leitenden Köpfe der Bibliothek verbanden mit diesem Begriff traditionell die Vorstellung einer international ausgerichteten, fachlich und sprachlich umfassend sammelnden wissenschaftlichen Universalbibliothek. Sie orientierten sich also am Beispiel der Bibliothèque Nationale in Paris. Die Beschränkung allein auf das Sammeln des nationalsprachigen Schrifttums im Sinne einer " modernen Nationalbibliothek" (Rudolf Blum), noch dazu mit dem Streben nach Vollständigkeit, lehnten sie hingegen entschieden ab. Harnack postulierte 1914: " Um der subalternen Vollständigkeit willen schlechthin alles zu sammeln, nur weil es in deutscher Sprache gedruckt ist, kann ... nicht die Aufgabe einer deutschen Nationalbibliothek sein. Sie kann das ihr gesteckte Ziel, die deutsche Literatur vollständig zu repräsentieren (!), nicht ohne eine Sichtung erreichen, die freilich die höchste Umsicht und Sachkunde verlangt."

1.59 Diese " Sichtung" bedeutete in praxi, soweit erkennbar, daß viel seltener als früher Pflichtstücke als überflüssig angesehen wurden am ehesten hat es sich dann um Veröffentlichungen außerhalb des Buchhandels gehandelt und daß für die Erscheinungen vor 1892, analog zu der vermutlich gleichzeitig gebildeten Sondersignatur " Acc." (sie enthält Schulbücher, Ratgeberliteratur u. ä.), für diese als " minderwichtig" eingestufte Literatur 1908 eine " Nebenreihe" der Berliner Titeldrucke (Signatur N) mit verkürztem Geschäftsgang geschaffen wurde (Berichtszeit: 1892/93-1921). Sie wurde nach dem Jahres-Numerus-currens aufgestellt und vereinfacht katalogisiert, aber nicht sachlich erschlossen und 1921 abgebrochen (von den insgesamt 37.000 Titeln der " Nebenreihe" sind heute noch ca. 23.000 Bde in der Bibliothek). Auch diese Reihe besteht hauptsächlich aus Pflichteingängen, fast ausschließlich aus Publikationen des Buchhandels, vorwiegend von Schulbuch- und religiösen Verlagen, und enthält demzufolge im wesentlichen Schul- und Erbauungsschrifttum, populäre Le se-, Haus- und Jugendbücher, eben Ratgeberliteratur, dazu Übungs- und Hilfsbücher für alle Schulfächer, außerdem sehr viel patriotische Heimat- und Geschichtsliteratur usw., aber nur ganz wenig Belletristik. Ein kleinerer Teil dieser N-Signaturen ist später in den Hauptbestand eingereiht worden.

1.60 Die sogenannte " Schöne Literatur" wurde unter Harnack, wie auch nach ihm, vollständig katalogisiert. Die durch Lässigkeit oder Versäumnisse früherer Generationen entstandenen Lücken an älterer deutschsprachiger Literatur konnten teilweise durch den Ankauf ganzer Leihbüchereien oder kleinerer Privatsammlungen, die viele fehlende Titel des ausgehenden 18. und des 19. Jhs enthielten, geschlossen werden. Es sind dies vor allem die folgenden Sammlungen oder Leihbibliotheken: Schaub-Düsseldorf (1906/07, 3081 Bde); Joseph Kürschner (1853-1902; 1906/07, 1622 Bde, vor allem Dramen und Lyrik); Behrendt-Berlin (1907/08, 1794 Bde); Klingel-Heidelberg (1920/21, ca. 1000 Bde); Golde-Göttingen (1925); ergänzt durch eine andere Göttinger Leihbücherei, enthaltend vorwiegend Romane aus der Zeit von 1780 bis 1830.

1.61 Den deutschsprachigen amtlichen Druckschriften, um die sich schon Wilken, dann Pertz mit offenbar wechselndem Erfolg bemüht hatten, wurde in der Ära Harnack besondere und erfolgreiche Aufmerksamkeit zuteil. 1907 wurden entsprechende Ablieferungserlasse in Erinnerung gerufen, 1908 wurde eine eigene Zugangsstelle speziell für die Akzessionierung von Amtsdruckschriften eingerichtet, verbunden mit einer gezielten Mahnaktion zur lückenlosen, möglichst auch rückwirkenden Ablieferung dieser Drucksachen seitens der preußischen Provinzialbehörden (rückwirkend ab 1865) und der Reichsbehörden (ab 1913). Von diesem Jahr an wurde auch der amtliche Eingang aus den übrigen deutschen Bundesstaaten über diese Dienststelle abgewickelt.

1.62 Auch einige mehr oder weniger geschlossene Einzelsammlungen wissenschaftlichen Charakters wurden erworben, doch haben sie im 20. Jh nur mehr subsidiäre Bedeutung. Zu nennen sind: 1906 Gräflich Görtz-Wrisbergsche Majoratsbibliothek (Wrisbergholtzen bei Hildesheim), 13.000 Bde aus dem Zeitraum 1550-1750, darunter viele Sammelbände, vorwiegend Kleinschrifttum; 1907 Altbestand der Gymnasialbibliothek in Heiligenstadt/Thüringen (geht auf das 1773 aufgelöste Jesuitenkolleg zurück), 3641 Drucke des 15. bis 17. Jhs; 1909 Teile der alten Erfurter Universitätsbibliothek, gut 5700 Drucke aus dem 15. und 16. Jh; 1909 Kirchenministerialbibliothek aus Celle, 4600 Bde, vor allem des 16. Jhs, deutsche Reformationsgeschichte, Volksliteratur der Zeit, niederländische Drucke; 1912 Reste der Dombibliothek zu Magdeburg, ca. 2630 Drucke, davon 900 aus dem 15. und 16. Jh.

1.63 Von den schon genannten Schwerpunkten abgesehen, machte die große Etatanhebung von 1913 nun auch den viel breiteren Bezug der neueren technischen Literatur möglich. Nicht zu vergessen die vielen Einzel- und Sammelerwerbungen verschiedener Art, die in diesen Jahren, besonders im Zusammenhang mit der Einweihung des neuen Hauses (1914), auf dem Geschenkwege die Bibliothek bereicherten. Hervorzuheben sind die wertvolle Rousseau-Sammlung, mit vielen Werken zum 18. Jh allgemein, insgesamt 1836 Bde aus dem Besitz des Rousseau-Forschers Albert Jansen (1833-1909), sowie der weitere Ausbau des ohnehin sehr reichen Luther-Bestandes aus dem Besitz von Joachim Karl Friedrich Knaake (1835-1904), dem Herausgeber der Weimarer Ausgabe (1885-1911, im ganzen ca. 1700 Luther-Drucke). Außerdem konnten auf antiquarischem Wege Lücken im älteren Technikschrifttum und in der historischen Fachliteratur (Reformationszeit, Revolution von 1848, Krieg 1870/71) geschlossen und 3300 juristische Dissertationen aus dem 17. bis frühen 19. Jh erworben werden.

1.64 In der Kriegs- und Nachkriegszeit gelangen zudem größere Erwerbungen auf den Teilgebieten Philatelie (Sammlung Julius Rommel, 1915); Koch-Schrifttum (im ganzen 3000 Bde) aus den beiden Sammlungen von Theodor Drexel und Georg August Freund (1836-1914; 1916); Buch- und Bibliothekswesen (Sammlung Schwenke, 1922) sowie die Anwartschaft auf die hinterlassene Bibliothek von Gotthold Lessing (1861-1919), eines Nachkommen des Dichters, ca. 3200 Bde zur (vor allem deutschen) Literaturgeschichte, allgemeinen Geschichte und Kunst.

1.65 Entsprechend dem unter Harnack einsetzenden allgemeinen Emporschnellen der Erwerbungszahlen wuchs auch der laufende Bezug deutscher und ausländischer Zeitschriften aus allen Fachgebieten sowie der Zeitungen stark an. Das belegen die 1892 zum ersten Mal gedruckten, jeweils von der Bibliothek bearbeiteten, in späteren Auflagen wesentlich erweiterten und verbesserten alphabetischen Einzel- und Gesamtzeitschriftenkataloge.

1.66 Als letzter großer Sonderbestand aus der monarchischen Zeit ist die nach dem Beispiel der " Kriegssammlung 1870" schon zu Beginn des Ersten Weltkrieges angelegte Sondersammlung " Krieg 1914" zu nennen. Der anfänglich gehegte Ehrgeiz, außer den Buchveröffentlichungen auch möglichst alles Kleinschrifttum zu diesem Thema erwerben zu können, erwies sich bald als Illusion. Dennoch entstand während der Kriegsjahre und in den Jahrzehnten danach eine für Deutschland einmalige Spezialbibliothek. Der Gesamtbestand belief sich schließlich auf über 45.000 Einheiten; von ihnen besitzt die Bibliothek heute ca. 35.000.

1.67 Eine zeitlich anschließende, schon im Dezember 1918 auf Weisung des neuen, republikanischen Kultusministeriums begonnene " Revolutionssammlung" mit formal ähnlich ausgedehnten Erwerbungsambitionen wurde lediglich als " Revolutionskatalog" weitergeführt. Das betreffende Material (Erscheinungen bis etwa 1920) wurde in der allgemeinen Realkatalog-Systematik, im Anschluß an die " allgemeine und Zeitgeschichte" Deutschlands, geführt (Signatur Rz 20400-29000) und zusätzlich zum normalen Geschäftsgang durch einen Kreuzkatalog erschlossen.

Die zwanziger und dreißiger Jahre

1.68 Die Niederlage Deutschlands und die Abdankung der Monarchie in Preußen führten 1918 zur Namensänderung der nunmehrigen Preußischen Staatsbibliothek. Die Möglichkeit, ausländische Literatur zu erwerben und den dringenden Nachholbedarf zu befriedigen, verschlechterte sich zunehmend. Die allgemeine finanzielle Not der frühen Nachkriegsjahre erlaubte weder den Kauf nennenswerter Einzelsammlungen noch hervorhebenswerte Anschaffungen aus dem devisenstarken Ausland. Käufe aus diesen Ländern sanken auf einen nicht gekannten Tiefstand.

1.69 Erst mit dem Erwerbungsjahr 1924 begann, gerechnet nach absoluten Zuwachszahlen, ein äußerlich allerdings eindrucksvoller Aufschwung. Man war unter Fritz Milkau (1859-1934; Generaldirektor 1921-1925) und Hugo A. Krüß (1879-1945; Generaldirektor ab 1925) bemüht, die fast zehnjährige Durststrecke wieder auszugleichen. Dank reichlicher fließenden Etatmitteln und außerordentlichen Zuwendungen konnten in dem Zeitraum von 1924 bis 1928 in größerem Stile Lücken im fremdsprachigen Schrifttum seit 1914 ergänzt werden. Einen Ausgleich für bislang unterrepräsentierte Literatur bildete der Kauf der etwa 6000 Bde zählenden Bibliothek des russischen Gelehrten Sergej R. Minclov (1870-1933; Kauf 1925), mit wertvollen, der Bibliothek bisher meistens fehlenden historischen und politischen Schriften. Überhaupt wurde in den zwanziger Jahren der Erwerb sowjetischen sowie des russischsprachigen Emigrantenschrifttums forciert betrieben, wobei Fremdmittel eine große Hilfe waren.

1.70 Der Zuwachs an Novitäten nahm auf fast allen Fachgebieten, insbesondere in dem schon immer reichhaltigen literärgeschichtlichen Bestand sehr zu, und auch die Sonderabteilungen (Musik, Karten, Orientalia) konnten in diesen Jahren ihre Sammlungen gut ausbauen. Den größten geschlossenen Zuwachs (200.000 Karten) konnte die Kartenabteilung durch die Übergabe des Kartenarchivs des Großen Generalstabes (1919) verbuchen. Außerdem gelangten während der ganzen Zwischenkriegszeit durch gezielte Bemühungen und durch Glück immer wieder bedeutende Einzelstücke auf den verschiedensten Wegen in den Besitz der Bibliothek. Sie kamen in erster Linie der deutschen Literatur zugute.

1.71 Zusätzliche, freilich nicht ausreichende Hilfe bei der Lückenergänzung für die wesentliche ausländische Forschungsliteratur des Jahrzehnts 1914/23 gewährten der Bibliothek zumal in den zwanziger und (in geringerem Maße) in den frühen dreißiger Jahren die unentbehrlichen, fachlich breit gestreuten Zuwendungen der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft (ab 1929 Deutsche Forschungsgemeinschaft). Mit ihrer Hilfe konnte besonders der Zeitschriftenbestand der Bibliothek, worin diese seit langem eine führende Position einnahm, komplettiert und erweitert werden.

1.72 Stark erhöhte sich auch, relativ und absolut, die Zahl der, soweit erkennbar, nunmehr voll akzessionierten preußischen Pflichteingänge und der amtlichen Drucksachen. Eine Absprache mit der Deutschen Bücherei fand nicht statt. Die statistischen Spitzen, die sich für das " Allgemeine Schrifttum" im Haushaltsjahr 1932/33 (vornehmlich Amtsdruckschriften und Geschenke) und bei der Theologie 1935/36 zeigen, sind in beiden Fällen zufälliger Natur, verursacht vermutlich durch das stoßweise Abarbeiten von älteren Resten in diesen Jahren.

1.73 Die Ergänzung von Sammelschwerpunkten und die Abrundung in einzelnen Teilbereichen durch den Erwerb von Einzel- und Teilsammlungen setzte die Bibliothek, im Rahmen des Möglichen, auch in den dreißiger Jahren, ja bis in die Kriegszeit hinein, wie gewohnt fort. Das geschah in mehreren Bereichen. Die Leichenpredigtensammlung, seit langem gut ausgestattet, wurde von 1933 bis 1938 aus verschiedenen Quellen durch Kauf (aus der Fürstlich-Stolberg-Wernigerodeschen Bibliothek, 6817 Stück), durch Tausch (Stadtbibliothek Breslau, 500 Stück) und durch antiquarischen Kauf (Sammlung Stargardt, akzessioniert 1938, 1383 Bde) wiederholt vermehrt. Als biographisch ergiebige Quellengattung wurde dieses Sammelgebiet im Blick auf die in jenen Jahren favorisierte Familienkunde besonders gepflegt. Ferner wurden 1925 antiquarisch rund 7000 spanische Dramen aus dem Zeitraum von 1800 bis 1920 beschafft. Seit 1930 gehört Gerhart Hauptmann mitsamt Sekundärschrifttum Übernahme eines Teilnachlasses des auch politisch engagierten Juristen Jacques Stern (1876-1930), mit vielen Erstausgaben zu den von der Bibliothek bevorzugt behandelten Autoren. Ebenfalls aus der Stolberg-Wernigerode-Sammlung wurden die Bereiche Hymnologie und deutsche Volksliteratur in den Jahren 1931/34 bereichert. In der Philatelie nahm die Bibliothek nach dem Kauf eines weiteren größeren Postens (1931) nunmehr unbestritten eine führende Stelle ein. Die 1933 teilweise erworbene Bibliothek des Bibliophilen und Journalisten Gotthilf Weisstein (1852-1907) enthielt in 907 Bdn insbesondere deutsche Literatur einschließlich Volksdichtung des 18. und 19. Jhs. Unentgeltlich gelangte 1936 in den Besitz der Bibliothek die wohl einmalig geschlossene Sammlung des früheren Esperanto-Instituts, Leipzig, mit reichlich 2000 Bdn in dieser Kunstsprache. Auch die theatergeschichtlichen Buchbestände erfuhren 1937 eine nennenswerte Abrundung. Im selben Jahr gingen 1200 größere Werke und viele kleinere Drucke aus der Sammlung Louis Schneider (1805-1878), die 1863 vom preußischen König dem Königlichen Schauspielhaus, in den achtziger Jahren der Königlichen Bibliothek als Leihgabe überlassen worden war, endgültig in den Besitz der Preußischen Staatsbibliothek über.

Politische Beeinflussung (1933-1945)

1.74 Ein literarhistorisch höchst bedeutsamer Gewinn war die 1938 erfolgte Übergabe der " Bibliothek deutscher Privat- und Manuskriptdrucke" aus dem Besitz der zwangsweise aufgelösten Gesellschaft für deutsche Literatur. Deren Vorsitzender, der jüdische Berliner Theaterwissenschaftler Max Herrmann (1865-1942), handelte dabei in Vollzug des Vertrages der Gesellschaft mit der Königlichen Bibliothek aus dem Jahre 1906. Die genannte Bibliothek umfaßte insgesamt 17.300 Nummern aus den Erscheinungsjahren 1850 bis 1914 (von denen die Bibliothek 60 bis 80 Prozent noch nicht besaß), nämlich 10.000 Theaterstücke, z. T. in vom endgültigen Druck abweichenden Bühnenfassungen, dazu 5000 Privatdrucke aus fast allen Wissensgebieten. Nur 339 Drucke dieser Sammlung (Signatur Yp 5005) sind noch in beiden Häusern der Bibliothek vorhanden (Autoren: Adam-Böhme).

1.75 Hatte schon bei dieser durch die äußeren Umstände erzwungenen Übergabe die Politik wesentlich ihre Hand im Spiel, so gilt das auch in anderen Bereichen. Der internationale Schriftentausch wurde zum Ausgleich für die erheblich reduzierten Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft intensiviert; er sollte zugleich dem Mangel an Devisen abhelfen. Verstärkt wurde " im Interesse des Vierjahresplanes" der laufende Bezug an technisch-naturwissenschaftlichen Zeitschriften, vorrangig aus dem Ausland. Nutzen zog die Bibliothek seit 1933 auch aus der Auflösung oder Schließung mißliebiger oder gegnerischer, politischer wie wissenschaftlicher Einrichtungen und aus der damit vielfach verbundenen Beschlagnahme nunmehr für Privatpersonen verbotenen Bücherbesitzes. In den Geschäftsberichten der Erwerbungsabteilung und anderen Quellen wird in diesem Zusammenhang, allerdings sehr pauschal, die Übernahme von Teilen der Bibliothek der SPD (nach 1933), von Freimaurerbibliotheken (seit 1934; in Signatur Nb enthalten) und der Bibliothek des Instituts für Sozialforschung, Frankfurt/M. (1936) mit rund 20.000 Bdn und Flugschriften erwähnt. Auch die 1934 erfolgte Übernahme zweier Behördenbibliotheken (Preußisches Abgeordnetenhaus, Preußischer Staatsrat) gehört in diesen politischen Zusammenhang.

1.76 Bücheraussonderungen fanden nach 1933 nicht statt, wohl aber unterlag spätestens seit 1935 " die beschlagnahmte und verbotene Literatur" strengen Benutzungsauflagen. Im Erwerbungsbereich der Bibliothek aber sind keine Einschränkungen, in den Hauptsammelgebieten keine nennenswerten Verschiebungen eingetreten. Die Zahl der erworbenen Titel (bibliographischen Einheiten) überstieg sogar in einem Jahr (1935/36) die Grenze von 100.000, worunter sich vermutlich viel Kleinschrifttum verbarg. Aber selbst die akzessionierte Auslandsliteratur erlitt bis zum Beginn des Krieges, legt man die in den Jahresberichten publizierten Zahlen zugrunde, keine sichtbare Einbuße. Im übrigen war die Erwerbungspolitik in den dreißiger Jahren, so hat es den Anschein, einseitig ausgerichtet auf das Erreichen der dritten Million. Jedenfalls scheint unter Krüß die Harnacksche Devise " Auswählen ... Dienen" aufgegeben zu sein. Hohe Bearbeitungsrückstände am Ende der Friedenszeit die Rede ist von 300.000 Titeln waren die kaum vermeidbare Folge dieser Ausweitung.

1.77 Bei Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde, fast schon traditionell, analog zu den Sammlungen 1870/71 und 1914/18, wieder eine Sondersignatur " Krieg 1939" für die einschlägigen Eingänge geschaffen. Man hatte anfangs (wie für die Sammlung " Krieg 1914") die Vorstellung und den Ehrgeiz, hinsichtlich der Literatur zu den Kriegshandlungen Vollständigkeit erreichen zu können. Das Ergebnis aber blieb hier wie dort weit hinter den Erwartungen zurück.

1.78 Nach 1939 sank die Zahl der erworbenen Titel, sowohl der Pflichteingänge wie des ausländischen Schrifttums, rapide, und ab 1942/43 dürfte ein gezieltes Erwerbungsprogramm nicht mehr durchführbar gewesen sein. Immerhin konnten, gewissermaßen kurz vor Toresschluß, außer mehreren Nachlässen, so von Emil Jacobs (1868-1940) und Hans Delbrück (1848-1929), noch während des Krieges zwei größere Sammlungen erworben werden, nämlich die umfangreiche und kostbar ausgestattete Bibliothek des Arztes Alois Maria Lautenschläger († 1943), reich zumal in der neueren Literatur, der Geschichte und Kunstgeschichte (insgesamt 6300 Bde); und die Theater-Sammlung Bloch (Eduard Blochs Erben) mit ca. 35.000 Dramentexten aus dem 19. Jh.

1.79 Die schon 1939 mit der Sicherstellung der wichtigsten Zimelien begonnenen, von 1941 bis 1943 dann alle als " besonders wertvoll" eingestuften Bestände einschließenden Bergungsmaßnahmen, schließlich die 1943 bis Anfang 1945 nahezu vollständig durchgeführte Gesamtverlagerung der Bücher und Hss. brachten auch den übrigen Betrieb der Bibliothek zum Erliegen. Am Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Bibliotheksbestände auf etwa 30 Auslagerungsorte im damaligen Reichsgebiet verstreut; das Bibliotheksgebäude verfügte kaum mehr über Bücher und Personal.

Grundlinien der Bestandsgeschichte in der zweiten Hauptepoche (1817-1943)

1.80 Überblickt man diese 125 Jahre als Ganzes und versucht, die für die Bestandsentwicklung wesentlichen Merkmale festzuhalten, fällt der starke Kontrast zur vorangegangenen Epoche auf. Der Gegensatz besteht in Umfang und Art der Erwerbungen, mehr noch in der dabei zutage tretenden Zielstrebigkeit. Sowohl die Höhe des verfügbaren Erwerbungsetats wie die beim Bestandsaufbau angewandten Methoden sind mit denen aus der Hofbibliotheksepoche nicht zu vergleichen. An die Stelle von sporadisch und unzulänglich gewährten Geldern tritt finanzielle, erwerbungspolitisch nutzbare Absicherung. Und inhaltlich beobachten wir in der zweiten Entwicklungsphase der Bibliothek statt vielfach inkompetenter Literaturauswahl das anspruchsvolle, insgesamt erfolgreiche Bemühen der Bibliothekare um kontinuierliche Bestandsergänzung, mit dem Ziel, die Bibliothek zu einer wissenschaftlichen Universalbibliothek auszubauen.

1.81 Grundlegende äußere Voraussetzung für diese bemerkenswerte Bestandsentwicklung und hierin zeigt sich der absolute Gegensatz zur vorangegangenen Epoche ist einmal die Festlegung eines soliden, haushaltsrechtlich abgesicherten Erwerbungsetats, zum anderen die Durchsetzung des preußischen Pflichtexemplars für Verlagserzeugnisse (seit 1824) und drittens das z. T. darauf basierende, programmatisch zu verstehende Statut für die Königliche Bibliothek aus dem Jahre 1885. Der Erwerbungsetat wird in Abständen angehoben und auch ausgeschöpft, freilich nur selten von den Bibliothekaren als ausreichend betrachtet. Das Pflichtexemplar bleibt im wesentlichen (abgesehen von Schleswig-Holstein) auf das preußische Territorium von vor 1866 beschränkt. Es wird lange Zeit hindurch nur bedingt ausgenützt und dient der Bibliotheksleitung im 19. Jh mehr als ein Mittel zur Aufbesserung des Erwerbungsetats denn als Verpflichtung zur vollständigen Aufbewahrung dieser kostenlosen Eingänge inländischen Schrifttums.

1.82 In absoluten und relativen Zahlen scheinen diese Pflichteingänge unter Wilken stärker beachtet und bearbeitet worden zu sein als unter seinen unmittelbaren Nachfolgern. In der zweiten Hälfte des 19. Jhs mit seinem immer mehr anschwellenden Kleinschrifttum scheint dann dessen Bearbeitung zu einem kaum zu lösenden Problem geworden zu sein. Bis zur Hälfte der Pflichtstücke dürfte unter Pertz und Lepsius als " Gelegenheitsschrifttum" " beiseite gelegt" worden sein. Das wurde anders unter Harnack, als für dieses Kleinschrifttum jene " Nebenreihe" eingerichtet wurde. Die Versäumnisse der Vergangenheit zu korrigieren, war es allerdings, trotz entsprechender Anstrengungen, oft schon zu spät.

1.83 Die an Zahl und Bedeutung seit dem frühen 19. Jh unentwegt zunehmenden amtlichen Druckschriften, die, da meistens nicht im Buchhandel erscheinend, zunächst nicht unter die Abgabeverpflichtung fallen, hat die Bibliothek für den Bundesstaat Preußen aufgrund spezieller Rechtsbestimmungen seit 1862 systematisch zu sammeln versucht. Doch mußte auch dieser erste Erlaß wiederholt (1882, 1907) in Erinnerung gerufen werden. Nach der Reichsgründung von 1871 kommen auf freiwilliger Basis auch die amtlichen Veröffentlichungen nichtpreußischer Bundesstaaten teilweise hinzu. Und spätestens seit 1927 (eine frühere interne Anordnung datiert aus dem Jahr 1877) gelten alle Veröffentlichungen der Reichsbehörden als ablieferungspflichtig.

1.84 Daß auch die Schul- und die Hochschulschriften seit Wilken (1824, erweitert 1890; Erneuerung für die Schulschriften 1930) prinzipiell als sammelwürdig erachtet wurden, ist erwähnt worden. 1885, im Zusammenhang mit dem gleichzeitig anlaufenden Jahresverzeichnis der deutschen Hochschulschriften, wird alles diesbezügliche Material von der Bibliothek, welche diese Jahresbibliographie bis zum Berichtsjahr 1935 herausgab, systematisch mit dem Streben nach Vollständigkeit gesammelt.

1.85 Vor dem " kostenlosen" Zuwachs an Pflicht- und Freiexemplaren macht der hauptsächlich aus einem festen Etatposten schöpfende, regelmäßig getätigte gezielte Kauf in dieser zweiten Epoche den wichtigsten Teil unter den Erwerbungen der Bibliothek aus. Er bildet die wesentliche Grundlage für die laufende Bestandsergänzung, und er kommt überwiegend der wissenschaftlichen Literatur des Auslandes zugute.

1.86 Eine große Bedeutung behält daneben noch für längere Zeit, besonders während der förderlichen Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV., der antiquarische Kauf. Zumal unter Pertz, der nicht zu Unrecht meint, auf diese Weise langfristig Geld sparen zu können, werden bis zu drei Siebentel der verfügbaren Summen für Antiquaria ausgegeben. Dabei schlagen die großen Sammelankäufe jener Jahrzehnte besonders zu Buche. Als dieses Verfahren wegen des unabweisbaren Bedarfs an aktuellem Schrifttum und besonders nach 1900 in Verbindung mit dem erweiterten Erwerbungsprofil unter Harnack nicht mehr vertretbar erscheint, dienen die vorübergehend reichlich gewährten Sondermittel vorwiegend der Schließung jener zuvor entstandenen Bestandslücken, im deutschen wie im fremdsprachigen Bereich. So steigt unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg der antiquarische Kaufanteil noch einmal auf rund 30 Prozent an (1912/13 58.000 Mark).

1.87 Verglichen mit den echten Käufen spielen schon in der ersten Hälfte des 19. Jhs, anders als noch im 18. Jh, die aus dem Verkauf oder der Versteigerung von (echten oder sogenannten) Dubletten erzielten Erlöse für die Bestandsvermehrung eine immer geringere Rolle; nach 1850 versiegt diese Quelle fast ganz. Der geschenkweise Zugang schließlich, um auch diese Erwerbungsart noch zu streifen, unterliegt, soweit erkennbar, keiner zeitlichen Begrenzung. Von ihm profitiert die Bibliothek als wichtigste, zugleich repräsentative Bibliothek des Staates zu jeder Zeit. Als Donatoren tun sich besonders die meisten preußischen Souveräne hervor allen voran der wahrhaft fürstliche Mäzen Friedrich Wilhelm IV., davon angespornt auch manche Adlige und nicht zuletzt das gebildete finanzkräftige Bürgertum.

1.88 Je entschiedener sich die Bibliothek während des 19. Jhs, auch wegen ihrer Bedeutung für die aufstrebende Universität in räumlicher Nachbarschaft, zu einer leistungsfähigen wissenschaftlichen Gebrauchsbibliothek entwickelt, desto mehr gewinnt das Problem einer umfassenden und rechtzeitigen Information über die wissenschaftlichen Neuerscheinungen in aller Welt an Gewicht, die Frage also der internationalen bibliographischen Kontrolle. Schon Wilken hat darum für das Erwerbungsgeschäft jedenfalls die französische Nationalbibliographie ausgewertet. Pertz führt folgerichtig gleich nach Dienstantritt generell das " Zirkulieren aller bibliographischen Annoncen" ein (30. Juni 1842), d. h. die Durchsicht der nationalen Bibliographien, der bibliographisch ergiebigen Referateblätter und Verlagskataloge durch die Bibliothekare. Und Lepsius veranlaßt die Zusendung von Ansichtsexemplaren seitens des Buchhandels. Die Etatüberwachung und damit die letzte Kaufentscheidung aber liegt grundsätzlich beim Oberbibliothekar bzw. beim Generaldirektor. Sie wird am konsequentesten von Wilmanns wahrgenommen. In der frühen Zeit läßt sich Wilken dabei von einem noch kleinen Fachreferentenstab " kollegialisch" beraten, ein Prinzip, das Pertz einschlafen läßt und das erst von Lepsius und namentlich von Harnack, erheblich erweitert und verselbständigt, neu belebt wird.

1.89 In der Abwicklung der Geschäfte läßt sich also eine allmähliche Verlagerung der Erwerbung vom Großeinkauf und von der Beteiligung an Auktionen hin zu modernen, kaufmännisch geregelten und vorwiegend über den Buchhandel abgewickelten Formen des Kaufs beobachten. Auch in der bibliothekarischen Geschäftsführung folgt die Akzession allgemein einer festeren, formalisierten Ordnung. Nachdem für das Pflichtexemplar schon 1789 ein eigenes Akzessionsjournal eingerichtet worden war, werden 1811 für alle Neuerwerbungen Zugangsbücher eingeführt; sie werden bis in die achtziger Jahre Akzessionskataloge genannt. 1908 endlich folgt innerhalb des Akzessionsbereichs noch die eigene " Stelle für amtliche Druckschriften". Organisation und Verwaltung der Akzession werden mithin reglementiert, diese gewinnt an Stetigkeit und Genauigkeit und somit eine sicherere Grundlage für die erst im 20. Jh zuverlässiger werdende Statistik. Unter Wilmanns verändern sich auch die Organisationsstrukturen generell, zugleich mit der Ausweitung des gesamten Erwerbungsgeschäfts. Der Bestellung eines noch unselbständigen Leiters der Erwerbung (1891) folgt noch im selben Jahrzehnt (1899) dessen Ernennung zum teilverantwortlichen Abteilungsdirektor, schließlich (1927) die Zusammenfassung aller mit dem Erwerbungsgeschäft befaßten Arbeitsstellen und -vorgänge im Rahmen einer nun selbständigen Erwerbungsabteilung.

1.90 Seit Beginn des 19. Jhs hat sich die Bibliothek in ihrer Erwerbungspolitik, auch zu Anfang dieser Epoche, nicht erkennbar zum Prinzip einer preußischen Landesbibliothek bekannt dazu wurde das preußische Pflichtexemplar insgesamt zu halbherzig wahrgenommen. Sie hat auch nicht konsequent das Ziel einer (im modernen Sinne) deutschen Nationalbibliothek, selbst nicht im 20. Jh, angesteuert, was die Befolgung des Vollständigkeitsprinzips für alle deutschsprachigen Veröffentlichungen zur Voraussetzung gehabt hätte. Dagegen ist an der Internationalität ihres Sammelauftrags im Grundsatz nicht gerüttelt worden. Parallel zur allgemeinen Wissenschaftsentfaltung vollzieht auch die Königliche Bibliothek zu Berlin in dieser Zeit die Ausweitung von der zwar primär geisteswissenschaftlich orientierten, aber doch umfassend auswählenden Forschungsbibliothek zur interdisziplinär und international sammelnden wissenschaftlichen Universalbibliothek. Der Weg zu einer der führenden wissenschaftlichen Bibliotheken der Welt bestimmt also die Bestandsgeschichte der Preußischen Staatsbibliothek und ihrer Vorgängerin bis zum Zweiten Weltkrieg.

Werner Schochow

Zwei Teilbibliotheken in Ost und West (1945-1991)

Öffentliche Wissenschaftliche Bibliothek und Deutsche Staatsbibliothek (1945-1991)

1.91 Nach dem Ende der Kampfhandlungen in Berlin war das Haus der Preußischen Staatsbibliothek Unter den Linden zu fast 50 Prozent zerstört. Die Bestände, die Hauptkataloge und große Teile der Arbeitsmittel waren ausgelagert, auf 29 Auslagerungsorte zwischen Pommern und Schlesien, Württemberg und Hohenzollern verstreut, zunächst unerreichbar und z. T. ebenfalls zerstört. Das Land Preußen existierte nicht mehr und wurde durch Gesetz des Alliierten Kontrollrats vom 25. Februar 1947 auch formell für aufgelöst erklärt. Daher war die Bibliothek zunächst dem Magistrat von Berlin unterstellt. Am 29. Mai 1945 wurde Rudolf Hoecker (1889-1976; Direktor 1945-1950) als Kommissarischer Direktor eingesetzt. Der sowjetische Stadtkommandant, Generaloberst Gorbatow, gestattete mit Befehl vom 12. Juni 1945 die Wiederaufnahme der Arbeit der Bibliothek, nachdem schon vorher die verbliebenen 150 Mitarbeiter mit der Beseitigung der Trümmermassen aus dem Gebäude begonnen hatten. Mit Befehl Nr. 203 vom 6. Juli 1946 ordnete der Oberste Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland an, daß " auf der Grundlage des Bücherfundus und in den Räumen der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek ... im Sowjetischen Sektor Berlins die Öffentliche Wissenschaftliche Bibliothek eröffnet und der Deutschen Verwaltung für Volksbildung unterstellt" werde. Er verfügte zugleich die Rückführung der Bestände aus den Auslagerungsorten in der Sowjetischen Besatzungszone.

1.92 Nachdem schon im Februar 1946 ein provisorischer Lesesaal eingerichtet und mit eingeschränktem Benutzungsbetrieb begonnen worden war, wurde die Bibliothek unter dem Namen Öffentliche Wissenschaftliche Bibliothek (ÖWB) am 1. Oktober 1946 wieder eröffnet, im Statut vom 20. November 1946 charakterisiert als Zentrale wissenschaftliche und kulturelle Institution mit der Aufgabe, " der wissenschaftlichen Forschung, ernster Berufsarbeit sowie der Hebung des Bildungsstandes aller Bevölkerungsschichten Deutschlands" zu dienen. Organisation und Struktur der Preußischen Staatsbibliothek wurden im wesentlichen weitergeführt, ebenso zumindest für das Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR deren überregionale Dienste, wie z. B. der Gesamtkatalog der Wiegendrucke, die Organisation des Leihverkehrs, die Führung eines Zentralkatalogs, die Berliner Titeldrucke (letztere wieder aufgenommen 1954).

1.93 1951 wurde die Öffentliche Wissenschaftliche Bibliothek dem neu gebildeten Staatssekretariat für Hochschulwesen, dem späteren Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, unterstellt. Unter der Leitung von Horst Kunze (*1909; Haupt- bzw. Generaldirektor 1950-1976) und Friedhilde Krause (*1928; Generaldirektorin 1977-1988) entwickelte sich die Bibliothek zur zentralen wissenschaftlichen Bibliothek der Deutschen Demokratischen Republik. Sie erhielt durch Anordnung vom 11. Dezember 1954 den Namen Deutsche Staatsbibliothek (DSB). Im Paragraph 4 der Bibliotheksverordnung der DDR vom 31. Mai 1968 wurden ihre Funktionen gesetzlich festgelegt: Sie " sammelt und erschließt ... die wissenschaftlich wichtige Literatur aller Länder und übt entsprechende Informationstätigkeit aus. Sie pflegt das wissenschaftliche und kulturelle Erbe des deutschen Volkes und nimmt zentrale Aufgaben von nationaler und internationaler Bedeutung wahr". Diese gesetzlichen Rahmenbestimmungen wurden durch eine Reihe weiterer Anordnungen konkretisiert und waren maßgebend für die Erwerbungspolitik. Dort knüpfte die Bibliothek an die Traditionen der Preußischen Staatsbibliothek an als einer Bibliothek mit universalem, alle Fachgebiete umfassenden Sammelauftrag.

1.94 Diese Grundsätze wurden jedoch in einigen Punkten abgewandelt und erhielten neben den Sammelaufgaben der Sonderabteilungen besondere Schwerpunkte: zur verstärkten Sammlung naturwissenschaftlicher, technischer, medizinischer und ökonomischer Literatur; zur verstärkten Sammlung der Literatur aus den osteuropäischen Ländern einschließlich der asiatischen Republiken der Sowjetunion und ihrer Nachbarn; zur Sammlung des Schrifttums der Vereinten Nationen, der UNESCO und anderer internationaler politischer und wissenschaftlicher Organisationen; zur Sammlung älteren Schrifttums auch über die bloße Ergänzung der im Kriege ausgelagerten und nicht wieder in das Haus Unter den Linden zurückgekehrten Bestände hinaus und mit dem Ziel - in Abstimmung mit der Deutschen Bücherei in Leipzig des Aufbaus einer " Deutschen Nationalbibliothek vor 1913"; zur Sammlung von Kinder- und Jugendbüchern. Andererseits verzichtete die Staatsbibliothek im Hinblick auf die Sammelverpflichtungen anderer Bibliotheken z. B. auf das Einstellen von Dissertationen und Schulbüchern oder deren Wiederbeschaffung auch dann, wenn sie vor dem Krieg im Bestand der Preußischen Staatsbibliothek vorhanden gewesen waren.

1.95 Die Erwerbungspolitik der Deutschen Staatsbibliothek wurde in Zusammenarbeit mit den Fachreferenten und Sonderabteilungen in Richtlinien fixiert, die erstmalig 1961 erschienen und mehrfach überarbeitet worden sind (3. Auflage 1982). Diese Richtlinien galten nicht nur für die Erwerbungen durch Kauf, sondern auch für die Entscheidungen über das Einstellen von Pflichtexemplaren, von Zugängen aus dem internationalen Schriftentausch oder von Geschenken sowie für die Erwerbung antiquarischer Literatur. Für die Bestandsvermehrung wurden wachsende Mittel zur Verfügung gestellt: 189.203 Mark im Jahr 1950; 919.987 Mark im Jahr 1955, 2.046.900 Mark im Jahr 1970, 6.061.419 Mark im Jahr 1988. Die Gesamtvermehrung betrug 1948/49 36.006 Bde und stieg im Jahr 1953 auf 96.189 Bde an. Später lag sie zwischen 70.000 und 80.000 Bdn jährlich. Der Gesamtbestand wuchs von rund 908.000 Einheiten (nach der ersten Zählung der Druckschriften im Jahre 1949) auf 5.353.252 am 31. Dezember 1990. Davon waren 3.887.517 Bücher und Zeitschriftenbände, 1052 Inkunabeln, 329.653 Musikdrucke, 389.907 Bildnisse, Stiche, Exlibris, 338.173 Kartenwerke, Globen, 118.366 Kinder- und Jugendbücher, 64.857 seltene und kostbare Drucke.

1.96 Rückführung und Ergänzung der historischen Bestände. Unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges begannen die Bemühungen um die Rückführung der ausgelagerten Bestände nach Berlin. Die Rücktransporte aus den Auslagerungsorten in der Sowjetischen Besatzungszone nahmen die Zeit bis Anfang 1947 in Anspruch. Zurück kamen auch die Bestände, die nach Tepl in Böhmen evakuiert worden waren. Die Bestände in Waldenburg/Sachsen, das zunächst von amerikanischen Truppen besetzt worden war, wurden von diesen nach dem Westen gebracht und gelangten später nach Marburg. Die amerikanische Militärregierung lehnte jedoch ein Gesuch von Direktor Rudolf Hoecker um Freigabe und Rückführung der in der Amerikanischen Zone lagernden Bestände der Preußischen Staatsbibliothek nach Berlin ab. 1946 kam auch der größte Teil des Realkataloges in das Haus Unter den Linden zurück. Nach der Wiederaufstellung der Bestände bildete dieser Katalog die Basis für eine Revision im Sommer 1949. Die Zählung ergab einen nutzbaren Bestand von 866.926 Bdn aus allen Wissensgebieten, dazu rund 80.000 Porträts sowie etwa 83.000 Karten und kartographische Bände.

1.97 Leider waren sowohl die Handbibliothek des Großen Lesesaals als auch der Bibliographische Handapparat verloren gegangen. Andererseits waren der Bibliothek nach 1945 große Bestände aus aufgelösten Bibliotheken, wie z. B. aus ehemaligen Ministerien und anderen Behörden und Institutionen des Reiches und Preußens, zugewiesen worden, deren Umfang 1949 auf mehr als 500.000 Bde geschätzt wurde. Zu deren Sichtung und Bearbeitung wurde eine besondere Arbeitsgruppe gebildet, die " Sonderaktion", durch die bis 1955 mehr als 136.000 Bde als Ersatz für die Kriegsverluste oder auch neue, früher nicht vorhanden gewesene ältere Titel eingearbeitet wurden. Zugleich wurden die Angebote der Antiquariate zur Erwerbung älterer Literatur genutzt. An größeren Sammlungen wurden erworben: 1946 Ulrich Wilcken, Rechtshistoriker, Papyrologe (7500 Bde); 1946 Alfred Vahlen, Bibliothekar (1000 Bde); 1951 Georg Baesecke, Germanist (6000 Bde); 1952 Paul Schumann, deutsche Literatur 18. bis 20. Jh (3000 Bde); 1953 Reinhard Trautmann, Slawist (1500 Bde); 1953 Andreas Jolles, Literaturwissenschaftler (2100 Bde); 1954 Johannes Luther, Bibliothekar, Teilbibliothek: Literatur der Reformationszeit; 1955 Ferdinand Joseph Schneider, Germanist (4500 Bde); 1955 Hans Bockwitz, Buch- und Bibliothekswissenschaftler (5000 Bde); 1955 H. Elias, Gartenbau und Biologie (2500 Bde); 1957 und 1960 zwei Sammlungen zur Geschichte der Befreiungskriege; 1962 Friedrich Schneider, Romanist, Dante und seine Zeit (2000 Bde); 1963 Brandenburger Schöppenstuhl (2300 Bde); 1966 Albrecht Alt, Theologe, Alter Orient, Judentum, Altes Testament (9000 Bde); 1967 und 1982 Bruno Kaiser, Literaturwissenschaftler und Bibliophiler (30.000 Bde); 1967 Heinrich Sproemberg, Historiker, Geschichte, Beneluxländer (2100 Bde).

1.98 Seit Gründung der Zentralstelle für Wissenschaftliche Altbestände in Gotha (1953) sind in großem Umfang deren Angebote für die Ergänzung des historischen Bestandes genutzt worden. 1959 wurde die Zentralstelle der Deutschen Staatsbibliothek zugeordnet. Im Jahr 1965 gab die polnische Regierung etwa 127.000 Bde aus Beständen zurück, die deutsche Bibliotheken während des Krieges in später polnisches Territorium ausgelagert hatten. Darunter befanden sich fast 92.000 Bde der Preußischen Staatsbibliothek ( u. a. 37.000 Bde Zeitungen), die dem historischen Bestand wieder einverleibt worden sind. Die Anordnung über den Antiquariatsbuchhandel in der DDR vom 8. April 1970 räumte der Deutschen Staatsbibliothek ein befristetes Vorkaufsrecht auf alle in Antiquariatskatalogen angebotenen Werke ein. 1951 wurde in der Deutschen Staatsbibliothek die Kinder- und Jugendbuchabteilung gegründet, die besonders historische Kinderbücher sammelt und erschließt (Bestand 1989 über 120.000 Bde). Die 1975 gegründete Abteilung für Seltene und Kostbare Drucke verwaltete die Sondersammlungen, die nicht zu den anderen Sonderabteilungen gehören, und hat aus dem Magazinbestand der Druckschriften die buchgeschichtlich besonders wertvollen Exemplare (Rara) herausgezogen, die nun gesondert aufgestellt sind.

1.99 Pflichtexemplare. Mit dem Kriegsende endete auch die Gültigkeit der preußischen Pflichtexemplarregelungen zugunsten der Staatsbibliothek. Die Sowjetische Militäradministration verfügte mit ihren Befehlen Nr. 262 vom 2. September 1946 und Nr. 356 vom 2. Dezember 1946 die Ablieferung von Pflichtexemplaren von allen Druckerzeugnissen in der Sowjetischen Besatzungszone. Danach hatte die Öffentliche Wissenschaftliche Bibliothek Anspruch auf ein Pflichtexemplar rückwirkend ab 9. Mai 1945 von allen Neuerscheinungen der Verlage und Veröffentlichungen außerhalb des Buchhandels. Diese Regelungen galten auch nach Gründung der DDR weiter und wurden mit einigen Präzisierungen und Änderungen in die Gesetzgebung der DDR zugunsten der Deutschen Staatsbibliothek übernommen (2. Durchführungsbestimmung vom 1. September 1955 zur Verordnung über die Entwicklung fortschrittlicher Literatur; Anordnung über die Ablieferung von Pflichtexemplaren vom 4. Juli 1960 u. a.). Für die Staatsbibliothek bestand jedoch keine gesetzliche Verpflichtung, alle eingehenden Pflichtexemplare einzustellen und zu archivieren. Vielmehr wurde nach den Richtlinien für den Bestandsaufbau eine Auswahl getroffen.

1.100 Internationaler Schriftentausch. In den ersten Jahren nach dem Krieg war die Erwerbung ausländischer Literatur durch Kauf nur in sehr geringem Umfang möglich. Um so wichtiger war dafür die Wiederaufnahme der Tauschbeziehungen zu zahlreichen National-, Staats-, Akademie- und Universitätsbibliotheken in der Welt. Vor allem Zeitschriften auch zurückliegende Jahrgänge gelangten auf diesem Wege in die Bibliothek. Besondere Bedeutung erlangten die Tauschbeziehungen zu den osteuropäischen Ländern auf der Grundlage der durch die DDR nach 1952 mit diesen Ländern abgeschlossenen zwischenstaatlichen Kulturabkommen. Dieser Tausch ist in den Folgejahren in bilateralen Arbeitsvereinbarungen profiliert worden mit dem Ziel, besonders wissenschaftlich relevantes Schrifttum zu erfassen, das vielfach nicht im Buchhandel und nur in kleiner Auflage in Form von Veröffentlichungen von Forschungsinstituten erschien. Deshalb unterhielt die Deutsche Staatsbibliothek zahlreiche zusätzliche Tauschbeziehungen, z. B. zu den Akademien und zu den Staatsbibliotheken der einzelnen Sowjetrepubliken. Die Bibliothek erhielt 1955 den Status einer Depositär-Bibliothek der UNESCO und 1957 der Vereinten Nationen mit Wirkung ab 1945.

1.101 Koordinierung. Mit der Universitätsbibliothek Berlin und der Hauptbibliothek der Akademie der Wissenschaften wurden bald nach dem Krieg Absprachen getroffen über die Sammlung von modernen, aber auch älteren Hochschulschriften einschließlich Dissertationen sowie von Akademieschriften. Daraus entwickelte sich ein Kooperationsvertrag der Berliner Wissenschaftlichen Allgemeinbibliotheken, in den auch die Berliner Stadtbibliothek einbezogen war. Darüber hinaus wurden ab 1965 mit einer größeren Anzahl von Zentralen Fachbibliotheken und fachlichen Bibliotheksnetzen (Zusammenschlüssen von Fachbibliotheken eines Wissenschaftsgebietes) Koordinierungsvereinbarungen getroffen. Auf der Grundlage dieser Vereinbarungen blieb die Deutsche Staatsbibliothek die Hauptsammelstelle für Literatur, die für die interdisziplinäre Forschung wichtig war. Andererseits gab sie sehr spezielle Literatur und Kleinschrifttum an die Fachbibliotheken ab, sicherte sich aber vertraglich, daß diese Publikationen auch allen Interessenten zur Verfügung gestellt wurden. In der Deutschen Staatsbibliothek wurde 1971 zur Abwicklung der sich aus den Vereinbarungen ergebenden Verpflichtungen eine Koordinierungsstelle gegründet. Über sie wurden jährlich bis zu 25.000 Einheiten besonders aus den Tausch- und Pflichtzugängen der Deutschen Staatsbibliothek an andere Bibliotheken abgegeben. Andererseits übernahm die Deutsche Staatsbibliothek mehrfach große Komplexe älterer Fachliteratur von diesen Partnern.

Peter Kittel

Hessische Bibliothek, Westdeutsche Bibliothek und Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (1946-1991)

1.102 Bei Ende des Krieges fand sich von der Preußischen Staatsbibliothek sowohl im Gebiet der späteren Bundesrepublik wie in der späteren DDR jeweils nur noch ein Torso vor. In der Bundesrepublik Deutschland befand sich knapp die Hälfte (1,415 Millionen Bde) des vorhanden gewesenen Bestandes an Druckschriften. Die Bestandslücken verteilen sich überaus ungleich auf alle Fachgebiete. Da detaillierte Zahlen über den auf die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz überkommenen Altbestand der Preußischen Staatsbibliothek noch nicht vorliegen (zu schweigen von den Teilen des Altbestandes, die sich außerhalb Deutschlands befinden, allein in Krakau, Lublin und Lódz ca. 200.000 Bde), weil zeitaufwendige Detailuntersuchungen noch nicht möglich gewesen sind, können hier nur ungefähre, prozentuale Teilangaben über die fachliche Aufteilung derjenigen Bestände der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek gemacht werden, die nach dem Kriege in die damalige Bundesrepublik Deutschland gelangt sind.

1.103 Im Verhältnis des Druckschriften-Altbestandes der Preußischen Staatsbibliothek zu dem der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz seien ganz grob unter Aussparung der Sondersignaturen die folgenden, relativen Zahlenwerte gegeben: A: Allgemeines, 65 Prozent des Gesamtbestandes der Preußischen Staatsbibliothek; B-E: Theologie, 25 Prozent (Eu-Ez: Rabbinica, i. e. Judaica, fast nichts); F-H: Recht und Sozialwissenschaften, 40 Prozent; J-La: Medizin, 50 Prozent; Lb-M: Naturwissenschaften, 55 Prozent; N-Nq: Philosophie, Pädagogik, 50 Prozent (Ng: Jugendliteratur, Schul- und Volksbücher, fast nichts); Nr-Ny: Künste, Archäologie, 20 Prozent; O-Of, Oh-On: Mathematik, Astronomie, 70 Prozent; Nz, Og, Oo-Oz: Technik, Landwirtschaft, Kalender, 35 Prozent (Ou-Oy: Landwirtschaft, fast nichts); P-U: Geschichte, Landeskunde, 50 Prozent; und V-Z: Philologien, 20 Prozent (Y: Deutsche Philologie, 80 Prozent).

1.104 Hinsichtlich des Bestandsaufbaus der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz sind zwei grundlegende Tendenzen zu erkennen: zum einen das Anknüpfen an die Tradition der Preußischen Staatsbibliothek durch konsequente Förderung der seit jeher vorrangig gepflegten Fächer und Regionen sowie durch den (Wieder-)Aufbau von überregionalen Diensten; zum anderen das Bemühen, ein eigenes, neues Profil zu gewinnen, vor allem beim durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft stark geförderten Auf- und Ausbau der Sondersammelgebiete und Sonderabteilungen. Zuvor mußte eine längere Phase der Ungewißheit über das weitere Schicksal der Bibliothek durchmessen werden.

1.105 Die Nachkriegsgeschichte der in die westlichen Besatzungszonen gelangten Bestände der Preußischen Staatsbibliothek beginnt Mitte 1946 mit dem Beschluß der Amerikanischen Militärregierung, diese Bestände zusammenzuführen und der Benutzung wieder zugänglich zu machen. Das Hessische Kultusministerium errichtete dazu in Marburg die Dienststelle " Hessische Bibliothek" und übernahm vorerst die Finanzierung. Bis zu Beginn der sechziger Jahre stand die Hessische, dann Westdeutsche Bibliothek mit ihren " Sammlungen der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek" (wie der Zusatz zum Namen bis 1957 lautete) unter ihrem Direktor Martin Cremer (1913-1988; Direktor 1948-1961) in Marburg unter dem Zwang, mit gänzlich unzureichenden Erwerbungsmitteln auskommen zu müssen. Weder das schon in den frühen Nachkriegsjahren von den Bibliothekaren beklagte " Fehlen des früher bestehenden Überbaus für den Aufbau des gesamten Bibliothekswesens" in der Bundesrepublik (Jahresbericht 1951/52, S. 5), noch der naheliegende und wiederholt vorgetragene " Gedanke, das allmählich wieder konsolidierte System der wissenschaftlichen Bibliotheken in Westdeutschland durch eine Zentralbibliothek mit bestimmten Aufgaben in Verbindung mit dem Ausbau der Westdeutschen Bibliothek zu ergänzen" (1955/56, S. 3) vermochten vorerst an diesem unbefriedigenden Zustand Entscheidendes zu ändern.

1.106 Nachdem bis zur Währungsreform (1948) im wesentlichen das Land Hessen für die Bibliothek finanziell aufgekommen war, bildete in der anschließenden Interimsphase der Staatsvertrag über die gemeinsame Finanzierung wissenschaftlicher Institute von überregionaler Bedeutung durch die Länder der Bundesrepublik, das sogenannte Königsteiner Abkommen, in welches die Westdeutsche Bibliothek 1949 aufgenommen wurde, die wichtigste, aber naturgemäß nur als vorübergehende Notlösung anzusehende Finanzierungsgrundlage. Dieser Vertrag wurde 1955 abgelöst durch das gleichfalls nur als Provisorium zu betrachtende Abkommen der Nachfolgeländer Preußens über die Verwaltung des ehemaligen Preußischen Kulturbesitzes. Die zur Verfügung gestellten knappen Mittel wurden aber auch jetzt nur geringfügig erhöht.

1.107 An die Ausformulierung eines praktikablen, längerfristig gültigen und fachlich spezifizierten Anschaffungsprogramms für die ins Hessische verschlagene Teilbibliothek war unter diesen Umständen nicht zu denken, sieht man ab von dem allgemeinen Bekenntnis der Beteiligten zum verpflichtenden Erbe der Preußischen Staatsbibliothek und gewissen daraus abgeleiteten überregionalen (oder auch " nationalen") Aufgaben. Beispielhaft heißt es im Jahresbericht von 1955/56 (S. 11): " Die Westdeutsche Bibliothek verdient nur mit Rücksicht auf die Altbestände der Preußischen Staatsbibliothek ... die Bezeichnung einer Universalbibliothek. In ihrer aktuellen Erwerbungspolitik, die sie aus Mangel an Mitteln im wesentlichen auf Zeitschriften, Orientalistik und Ostforschung beschränken muß, ist sie noch weit von ihren Aufgaben und Zielen entfernt".

1.108 Doch selbst dieses Teilprogramm war nur zu verwirklichen durch die seit 1950 großzügig gewährten, in jenen Jahren lebenswichtigen Sondermittel, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft zum Bestandsaufbau der Bibliothek kontinuierlich und in steigendem Maße beisteuerte. Die Mittel kamen außer den schon genannten Fächern in erster Linie dem sehr früh gebildeten Sammelschwerpunkt Wissenschaftliche Periodika des Auslandes zugute (hier ließ sich am leichtesten an den Altbestand anknüpfen), darüber hinaus generell der Ergänzung der Kriegslücken und der Ausstattung des Lesesaals mit einem leistungsfähigen bibliographischen Apparat.

1.109 Gegen Ende dieser Phase (ab 1959) konnte dank der Initiative des damaligen Erwerbungschefs die gezielte Beschaffung des sprach- und literaturwissenschaftlichen Schrifttums mit Blick auf die gerade hier (abgesehen von der Germanistik) besonders hohen Kriegsverluste in Angriff genommen werden. Auch der 1958 begonnene Aufbau einer speziellen, organisatorisch zunächst noch unselbständigen Amtsdruckschriftensammlung konnte sich auf die in großer Zahl überkommenen Altbestände und die Tradition der Preußischen Staatsbibliothek berufen. Doch erst mit dem Jahre 1962, als die Stiftung Preußischer Kulturbesitz handlungsfähig wurde und die Bibliothek unter ihre Obhut kam, gingen die Jahre der Unzulänglichkeiten und des Improvisierens zu Ende. Die Staatsbibliothek im Rahmen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz

1.110 Rechtsgrundlage für die Erwerbungspolitik der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz war seit 1962/63 das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung " Preußischer Kulturbesitz" von 1957. Dort heißt es: Die Ergänzung der überkommenen Kulturgüter, also auch der Bestände der Preußischen Staatsbibliothek, habe zwei Grundsätze zu befolgen: einmal " unter Beachtung der Tradition den sinnvollen Zusammenhang der Sammlungen zu erhalten" und zum anderen " die Interessen der Allgemeinheit in Wissenschaft und Bildung" zu berücksichtigen und so zum " Kulturaustausch zwischen den Völkern" beizutragen (Paragraph 3). Für die künftige Bibliothekspolitik ergab sich daraus die doppelte Folgerung: " Nicht die alte Staatsbibliothek unbesehen zu restaurieren", sondern " auf der Grundlage der Altbestände eine Bibliothek aufzubauen", die den " Bedürfnissen der Allgemeinheit in unserer heutigen Zeit entspricht und, den gewandelten Verhältnissen der Gegenwart angepaßt, eine Funktion ausübt, die der alten Preußischen Staatsbibliothek vergleichbar ist" (Lönn S. 122). Dies war ein sowohl bibliothekarischer als auch bildungspolitischer Auftrag, der, so war von vornherein klar, beträchtliche Etatmittel erforderte und, wenn überhaupt, nur langfristig zu verwirklichen war.

1.111 Für den eigentlichen Bestandsaufbau hieß das, mit den Worten des ersten Nachkriegsgeneraldirektors Ludwig Borngässer (1907-1994; Generaldirektor 1963-1972), " Zentrale Literaturversorgung durch Sammlung und Bereitstellung der wissenschaftlichen Literatur des In- und Auslandes in großer Breite und Tiefe, soweit nicht Teilgebiete durch Zentrale Fachbibliotheken oder Spezialbibliotheken abgedeckt sind" (Borngässer S. 41). Später, zu Anfang der siebziger Jahre, ist diese Zielsetzung dahingehend interpretiert worden, daß die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz gemeinsam mit der Bayerischen Staatsbibliothek in München und der Deutschen Bibliothek in Frankfurt Teilfunktionen einer deutschen National- oder Archivbibliothek auszuüben und laut Bibliotheksplan '73 als Bibliothek der vierten Stufe zu gelten habe. Daraus ergab sich auch, daß die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz dem " Gesamtsystem der Literaturversorgung der Bundesrepublik" angehörte (Lönn S. 123) und daß angesichts der gesamtpolitischen Situation an eine Wiederzusammenführung aller geretteten Bestände der Preußischen Staatsbibliothek zum damaligen Zeitpunkt nicht zu denken war.

1.112 Die äußeren Voraussetzungen, daß auch " in der Bundesrepublik eine wissenschaftliche Zentralbibliothek" entstehe, " die für Zwecke der Forschung, der Verwaltung und der Praxis wissenschaftliches und dokumentationswichtiges Material an einer Stelle sammelt" (Jahresbericht 1959/60-60, S. 5), mußten erst noch geschaffen werden. In der Tat wurde in den sechziger und frühen siebziger Jahren der Vermehrungsfonds der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz wiederholt stark angehoben. Er betrug einschließlich der beträchtlichen Sondermittel: 1961 711.000 DM, 1964 1.125.000 DM, 1967 1.782.000 DM, 1970 3.126.000 DM und 1973 3.739.000 DM.

1.113 Dabei trug die Deutsche Forschungsgemeinschaft durch mehrfach erhöhte jährliche Zuwendungen vor allem zum eindrucksvollen Ausbau der Sondersammelgebiete und der Osteuropasammlung erheblich bei. Nachdem 1969 die überfällige systematische Ergänzung der Kriegs- und Nachkriegslücken, finanziert im wesentlichen aus eigenen Mitteln, angelaufen war, ermöglichte eine sehr großzügige Spende der Stiftung Volkswagenwerk (im ganzen 3 Millionen DM, aufgeteilt auf die Jahre 1970-1976), hiermit in großem Stil fortzufahren sowie, im Vorgriff auf die Fertigstellung des Neubaus mit seinen zuvor nicht gekannten Dimensionen, die gleichermaßen notwendige Ausstattung der neuen Lesesäle mit beträchtlich vergrößerten Handapparaten bestandsmäßig vorzubereiten.

1.114 Doch nach 1975 stagnierten de facto die Etatansätze, und dies bei gleichzeitiger, offenbar unaufhaltsamer Produktions- und Preissteigerung auf dem internationalen Bucrkt. Es kam eine Kostenlawine in Gang, die auch durch vorsichtige Etatanhebungen in den achtziger Jahren nicht mehr aufgefangen werden konnte. Für die Erwerbungen standen insgesamt zur Verfügung: 1975 4.034.000 DM, 1980 5.379.000 DM und 1985 6.782.000 DM.

1.115 Die anfangs hochgesteckten Erwartungen der Bibliotheksleitung ließen sich auf Dauer nicht durchhalten. Wiederholt wurden Abstriche am Idealprogramm " die Staatsbibliothek als wissenschaftliche Zentralbibliothek" nötig, und es kristallisierten sich unter dem Diktat der knapper gewordenen Staatsfinanzen schließlich reduziertere Richtlinien für den weiteren Bestandsaufbau heraus. Der universale Sammelanspruch wurde prinzipiell gewahrt, einmal durch ein breit gefächertes, in den einzelnen Disziplinen abgestuft erfülltes, in den achtziger Jahren freilich eingeschränktes Zeitschriftenprogramm, und zum anderen durch den sehr groß ausgelegten Lesesaalbestand. Hier dürften alle Gebiete mit den wichtigeren Quellen und Zeitschriften sowie der grundlegenden Fachliteratur angemessen vertreten sein. Eine besondere Bedeutung kommt dem Aufbau des umfassenden bibliographischen Informationszentrums zu, nach Umfang und Aktualität durchaus vergleichbar der Handbibliothek des Auskunftsbüros der Preußischen Staatsbibliothek.

1.116 Erst 1967/68 konnte ein allgemeines, in der Bestandstiefe der einzelnen Fächer differenziertes Monographienprogramm eingeleitet werden. Neben den von der Preußischen Staatsbibliothek stets großzügig gesammelten interdisziplinären Wissensbereichen einschließlich der allgemeinen Wissenschaftsgeschichte ist auch in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz die Konzentration auf die Geisteswissenschaften erhalten geblieben. Begünstigt wurden hier die Geschichte mit den Schwerpunkten Preußen und Deutschland und dem Schrifttum zur neueren und neuesten Geschichte sowie alle Philologien, besonders die auch ihrer vielen Sondersammlungen wegen bevorzugte Germanistik. Weiter sind die Rechtswissenschaften und die gleichfalls in großer Dichte erworbene, von einer Sonderabteilung betreute Musikwissenschaft zu nennen. Jedenfalls in diesen Fächern dürfte es im Rahmen des finanziell Möglichen gelungen sein, die wichtigeren, in Krieg und Nachkrieg entstandenen beträchtlichen Bestandslücken größerenteils wieder aufzufüllen. Auch das Osteuropaschrifttum, zeitweilig mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft beschafft, bildet eine im geisteswissenschaftlichen Bereich dominierende Sondersammlung des Hauses. Umgekehrt bleibt der Erwerb neueren Schrifttums aus und über Lateinamerika seit 1977 ganz überwiegend dem im gleichen Gebäude untergebrachten Ibero-Amerikanischen Institut Preußischer Kulturbesitz überlassen. Ebenso mußte im Unterschied zur Beschaffungspraxis der Preußischen Staatsbibliothek der Erwerb des naturwissenschaftlichen und technischen Fachschrifttums, abgesehen von der historischen Behandlung dieser und anderer Fächer und von lesesaalwürdigen Titeln, zunehmend eingeschränkt werden. Das ließ sich z. T. durch die Existenz der Zentralen Fachbibliotheken in der Bundesrepublik und der relativ gut ausgestatteten Bibliothek der Technischen Universität Berlin rechtfertigen.

1.117 Im übrigen baut zumal der überregional bedeutsame Bücherzuwachs auf den entsprechenden Altbeständen der Preußischen Staatsbibliothek auf. Er besteht, wie bekannt, zunächst aus dem sehr früh, schon Ende der vierziger Jahre reaktivierten reichen Bestand an Zeitschriften und ausländischen Zeitungen. Mit rund 31.000 laufend gehaltenen Periodika (die Hälfte davon wurde gekauft) nahm die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz trotz wiederholt (1977 und vor allem 1982) notwendig gewordener Abbestellungen in Deutschland nach der Bayerischen Staatsbibliothek die zweite Position ein.

1.118 Die weiteren Sondersammelgebiete, die auch nach der Vereinigung zur Staatsbibliothek zu Berlin weitergeführt werden, sind: Rechtswissenschaften: Der Neuaufbau des Faches begann schon 1962; 1971 wurde es teilweise, 1975, nach Abgabe durch die Universitätsbibliothek Heidelberg, vollständig zum Sondersammelgebiet erhoben. Unter dem ausländischen Schrifttum, das mehr als zwei Drittel des Fachetats beansprucht, überwiegen bei weitem der angloamerikanische und der romanische Rechtskreis. Die antiquarische Bestandsergänzung kann neuerdings durch zusätzliche Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft forciert werden.

Orientalistik: allgemein seit 1953.

Ost- und Südostasien: seit 1950. Schwerpunkte der umfangreichen Erwerbungen liegen hier auf dem Schrifttum aus und über China und Japan; es folgen Korea und Indonesien. Insgesamt beläuft sich der derzeitige Bestand an Titeln in ostasiatischen Sprachen auf ca. 260.000 Bde. Parlamentsschriften: seit 1954. Der Alt- und Neubestand bildete den Ausgangspunkt für den Aufbau, besser die Fortführung einer weiteren, 1956 gegründeten, später organisatorisch verselbständigten Sondersammlung (Abteilung Amtsdruckschriften und Tausch). Der Abteilung obliegt darüber hinaus, ebenfalls in Fortführung der Tradition der Preußischen Staatsbibliothek, die akzessorische und katalogmäßige Betreuung der umfassend gesammelten deutschen und im Rahmen des Internationalen Amtlichen Schriftentausches der ausländischen amtlichen Veröffentlichungen sowie der Publikationen einer Vielzahl von internationalen Organisationen, zumal der Vereinten Nationen, der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Sonderorganisationen.

1.119 Auffallenderweise konzentrieren sich geschlossene Erwerbungen von älterem Buchschrifttum dieser Art auf die fünfziger und sechziger Jahre, obwohl doch die frühe Nachkriegszeit mit ihren äußerst beschränkten Mitteln und einer völlig ungeklärten Zukunft dem Erwerb größerer Sammlungen nicht günstig waren. Die wichtigsten sind: 1950/51 Bibliothek des Indogermanisten Eduard Hermann (1869-1950), 5930 Bde, z. T. Unica, zur allgemeinen Sprachwissenschaft, vorzugsweise zur Baltistik; 1953-1954 zwei große Spenden amerikanischer Einrichtungen (Midwest Interlibrary Center Chicago, High Commissioner of Germany Wiesbaden), vorwiegend ausländische Dissertationen (ca. 13.000) und amerikanische Zeitschriften; 1956 Bibliothek des litauischen Theologen und Politikers Vilius Gaigalaitis (1870-1945) als Depositum, 1970 Bde vorwiegend in litauischer Sprache, vor allem zu Belletristik, Sozialwissenschaften und Geschichte, Ergänzung zu Eduard Hermann; 1960/61 Bibliothek des ungarischen Historikers Imre Lukinich (1880-1950), ca. 4300 Bde, überwiegend Hungarica; 1961/67 Teilbibliothek des Sinologen Erich Haenisch (1880-1966), ca. 4500 Bde oder Hefte, vor allem in chinesischer und mandjurischer Sprache; 1965 Mendelssohn-Archiv mit einer Bibliothek von ca. 3000 Bdn, vor allem zur jüdischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte des 18. und 19. Jhs (Grundstock war die Bibliothek von Moses Mendelssohn, 1729-1786); 1968/69 Gerhart-Hauptmann-Archiv mit einem großen Teil seiner Privatbibliothek, rund 3700 bibliographischen Einheiten (Ergänzungen 1973 und 1976); 1968/69 Fridericiana-Sammlung des Bankiers und Bibliophilen Hans Fürstenberg (1890-1982), etwa 120 kostbar gebundene Werke Friedrichs und seines Berliner Kreises in französischer Sprache.

1.120 Trotz des in der Nachkriegszeit (Generaldirektoren waren Ekkehart Vesper: 1972-1987 und Richard Landwehrmeyer: 1987-1995) unter oft schweren, ja bedrückenden Verhältnissen an der Westdeutschen Bibliothek und der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz erwerbungspolitisch Geleisteten, trotz eines in manchen Bereichen (vor allem bei den wissenschaftlichen Zeitschriften) und vielen Disziplinen bemerkenswerten Neuaufbaus des Bücherbestandes und trotz einiger spektakulärer Einzelerwerbungen (Moses Mendelssohn, Gerhart Hauptmann) ist eine Neubelebung des universalen, nach Umfang und Tiefe breit gestreuten Erwerbungsprofils der Preußischen Staatsbibliothek nicht wieder erreicht worden. Das 1973, auf dem Höhepunkt der Etatanhebung, verkündete Erwerbungsprogramm war zu optimistisch und verkannte die spätere Entwicklung. Außer verschiedenen äußeren Faktoren (Ausweitung des internationalen Bucrkts, Kostensteigerung) hat an der notwendigen Einschränkung der Erwerbungsgrundsätze der Wegfall des preußischen Pflichtexemplars einen wesentlichen Anteil. Er wird auch nicht wettgemacht durch die Ausweitung des Amtlichen Schriftentausches und durch viele Sonderzuwendungen seitens öffentlicher Institutionen und Stiftungen (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Volkswagen-Stiftung, Zahlenlotto) und auch heute noch privater Mäzene. Es fehlte in den Nachkriegsjahrzehnten insbesondere an einer kontinuierlichen, der wachsenden zeitgenössischen Buchproduktion und Kostenentwicklung angepaßten und vom Unterhaltsträger garantierten Etatausstattung.

Werner Schochow

Die Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz (seit 1991)

1.121 Mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 wurde die Deutsche Staatsbibliothek Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und mit Wirkung vom 1. Januar 1992 wurden die beiden Nachfolgebibliotheken der Preußischen Staatsbibliothek zur Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz vereinigt, deren Gesamtleitung Generaldirektor Dr. Richard Landwehrmeyer übernahm. Diese Bibliothek hat einen Bestand von 8.000.000 Druckschriften, 113.000 Hss., 56.000 Autographen, 4200 Inkunabeln, 560.000 Musikdrucken, 840.000 Karten, Atlanten, Globen, 1.500.000 Mikrofilmen und Mikrofiches sowie 9.000.000 Bildern (in der Sammlung des Bildarchivs Preußischer Kulturbesitz und in den Beständen der Sonderabteilungen).

1.122 Die Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK) ist mit ihren Sammlungen, Dienstleistungen und überregionalen Funktionen ein Zentrum der Literaturversorgung in Deutschland. Sie gliedert sich in eine Präsenz- und Forschungsbibliothek (Haus 1, Unter den Linden) und eine Ausleih- und Informationsbibliothek (Haus 2, Potsdamer Straße). Die historischen Sammlungen sollen in der Zukunft im Haus Unter den Linden zusammengeführt werden, sobald die erforderlichen Erneuerungsarbeiten an dem Gebäude fortgeschritten und abgeschlossen sind. Als wissenschaftliche Universalbibliothek wird die Staatsbibliothek zu Berlin ihre Bestände konsequent ergänzen durch wissenschaftlich relevante Publikationen aus allen Ländern und Fachgebieten. Zu ihren besonderen Aufgaben gehört die Ergänzung der historischen Bestände und der herausragenden Sammlungen sowohl im Bereich der allgemeinen Druckschriften als auch in den Sonderabteilungen. Innerhalb der Sammlung deutscher Drucke 1450-1912, einem von der Volkswagen-Stiftung geförderten Gemeinschaftsunternehmen, ist die Bibliothek zuständig für den Zeitraum 1871-1912 sowie für die Sammlung von Musikliteratur, kartographischem Schrifttum und Material ab 1801. Aus der Geschichte und Tradition der Bibliothek ergibt sich als bevorzugter Sammelbereich Literatur zu Brandenburg, Preußen, Deutschland und ihrer Geschichte. Eine besondere Aufgabe der Bibliothek liegt in der organischen Wiederzusammenführung der durch Krieg und Nachkriegszeit auseinandergerissenen Bestände der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek und der Feststellung der Kriegs- und Auslagerungsverluste. Eine Voraussetzung dafür ist der Aufbau eines einheitlichen rechnergestützten Katalogsystems. Die Arbeiten zur Konversion der historischen Kataloge sind seit 1990 im Gange.

Stand: Juni 1993

Peter Kittel


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.