FABIAN HANDBUCH: HANDBUCH DER HISTORISCHEN BUCHBESTÄNDE IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND EUROPA SUB Logo
 
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 Thueringen

Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB)

Adresse. Ernst-Abbe-Platz 2, 07743 Jena; [Karte]
Postfach, 07740 Jena
Telefon. (03641) 940-000
Telefax. (03641) 940-002
e-mail. [bibmail@rz.uni-jena.de]


Bibliothekssigel. <27>. Die Teil- bzw. Zweigbibliotheken des universitären Bibliothekssystems ThULB besitzen eigene Sigel beginnend mit J. Unterhaltsträger. Freistaat Thüringen Funktionen. Universitätsbibliothek (einschichtiges integriertes Bibliothekssystem) der Friedrich-Schiller- Universität Jena (FSU). Wissenschaftliche Landesbibliothek des Freistaates Thüringen mit Pflichtexemplarrecht.
Sammelgebiete. 1. Allgemeines Sammelgebiet: Thuringica. 2. Besondere Sammelgebiete: 1960-1989: Kaukasiologie, Angewandte und spezielle Botanik, Glaschemie, Optik, Sozialpsychologie. - 3. Sammelgebiete der Deutschen Forschungsgemeinschaft (seit 1998): Rumänische Philologie und Volkskunde sowie Moldavanisch, Albanische Philologie und Volkskunde, Länderschwerpunkt Neuzeitliches Griechenland.

Benutzungsmöglichkeiten. Ausleihbibliothek. Präsenzbenutzung für die Freihandbestände in den Teilund Zweigbibliotheken. - Öffnungszeiten: Allgemeiner Lesesaal Rosensäle: Montag und Freitag 8.30-20 Uhr, Dienstag bis Donnerstag 8.30-22 Uhr, Samstag 9-16 Uhr. Zweigbibliotheken siehe dort. - Leihverkehr: DLV, internat. Leihverkehr.
Technische Einrichtungen für den Benutzer. Kopiergeräte, Reader-Printer, Mikrofiche-Lesegeräte, Fotostelle für Auftragsarbeiten. Campus-Netz JUBIS, Internet-Zugänge zur Online-Nutzung externer Datenbanken.
Gedruckte Informationen. Faltblattservice, Mitteilungen der ThULB (Hauszeitschrift).
Hinweise für anreisende Benutzer. Die ThULB besitzt seit 1945 kein zentrales Gebäude, ihre Benutzungseinrichtungen sind in verschiedenen Gebäuden im Stadtzentrum nahe der Fernverkehrsstraße B 7 (Fürstengraben), die Teil- bzw. Zweigbibliotheken mit umfangreichen Freihandbeständen befinden sich in der Regel in den Gebäuden der jeweiligen Fakultäten, Institute und Kliniken, denen sie dienen. Es empfiehlt sich, die benötigte Literatur vor Reiseantritt bereitstellen zu lassen, da die Außenmagazine längere Wartezeiten bedingen. Vom Westbahnhof (Holzlandbahn Erfurt-Göschwitz-Gera) Fußwegnähe (ca. 20 Minuten) in die Innenstadt. Vom Saalbahnhof (Saalebahn Saalfeld-Göschwitz-Naumburg) Fußwegnähe (ca. 15 Minuten) in Richtung Innenstadt. A 4 (E 40), Ausfahrt Jena-Lobeda (Schnellstraße) oder -Göschwitz (B 88). Parkmöglichkeiten Goethe-Galerie oder Eichplatz (unmittelbar am Turmhochhaus).

Inhalt

 Bestandsgeschichte ................................... [1.0] 
 Anfänge in Wittenberg. 
 Die Fürstlich Sächsische Bibliothek zu Jena .......... [1.1] 
 Von der Bibliotheca publica zur 
 Bibliotheca academica ................................ [1.11] 
 Die Bibliotheksreform von 1817 bis 1826 .............. [1.23] 
 Die Nachlaßerwerbungen im 19. Jahrhundert ............ [1.30] 
 Bestandsentwicklung um 1900 und 
 die Carl Zeiss-Stiftung .............................. [1.39]  
 Die Amtszeit von Theodor Lockemann 1926 bis 1945 ..... [1.47] 
 Die Herausbildung eines einschichtigen 
 universitären Bibliothekssystems ..................... [1.52] 
 Die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek 
 in den neunziger Jahren .............................. [1.66] 
 Bestandsbeschreibung ................................. [2.0]  
 Chronologische Übersicht und 
 Übersicht nach Sprachen .............................. [2.1] 
 Systematische Übersicht .............................. [2.4] 
 Älteste Bestände ..................................... [2.4] 
 ThuLB 2:
 Kernbestand Systematikgruppen ........................ [2.29] 
 ThuLB 3:
 Mineralogia .......................................... [2.286]
 ThuLB 4:
 Historia literaria ................................... [2.455] 
 Sondersammlungen ..................................... [2.521] 
 Spezialbestände ...................................... [2.644] 
 ThuLB 5:
 Kataloge ............................................. [3.0] 
 Moderne Kataloge ..................................... [3.1]  
 Historische Kataloge ................................. [3.2] 
 Sonderkataloge ....................................... [3.3]
 Gedruckte Kataloge ................................... [3.4] 
 Quellen und Darstellungen zur 
 Geschichte der Bibliothek ............................ [4.0] 
 Archivalien .......................................... [4.1] 
 Darstellungen (Auswahl) .............................. [4.2] 
 Veröffentlichungen zu den Beständen .................. [5.0] 

1. BESTANDSGESCHICHTE

Anfänge in Wittenberg. Die Fürstlich Sächsische Bibliothek zu Jena

1.1 Die fünfhundertjährige Bestandsgeschichte der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) wurde von ganz verschiedenartigen Einflüssen geprägt. Ihr Grundstock, die Bibliotheca Electoralis, stammt aus der kursächsischen Residenz- und Universitätsstadt Wittenberg. Dort war sie 1512 von Kurfürst Friedrich III. von Sachsen, dem Weisen (1483-1525; reg. 1486-1525), als Privatbibliothek begründet und von Georg Spalatin (1484-1545) als Bibliothekar aufgebaut und betreut worden. Die Electoralis ist ein Spiegelbild der sozialen, politischen und theologischen Auseinandersetzungen dieser Zeit. Sie verfügte über einen auserlesenen Bestand auch an Handschriften aus dem Besitz säkularisierter Klöster wie Grimma, Grünhain, Mildenfurt und Wittenberg und an Inkunabeldrucken. Im Jahre 1536 hatte Kurfürst Johann Friedrich I., der Großmütige (reg. 1532-1554), die Bibliothek den Professoren und Studierenden der 1502 gegründeten Wittenberger Universität geöffnet und damit zur Universitätsbibliothek bestimmt. Der im gleichen Jahr angefertigte Bibliothekskatalog enthält 984 Bde mit 1606 Titeln. Durch die Reformation " überholte" Schriften und besonders wertvolle Drucke und Handschriften waren im " Oberen Schloß in einem Gemach" gesondert aufgestellt. Luther und Melanchthon sind als Benutzer nachweisbar.

1.2 Der Sieg der kaiserlichen Truppen unter Herzog Alba über den protestantischen Sclkaldischen Fürstenbund in der Schlacht bei Mühlberg an der Elbe (1547) hatte für die Ernestiner katastrophale Folgen: Mit der Wittenberger Kapitulation ging ihnen die Kurwürde verloren und damit der Kurkreis mit der Residenz Wittenberg. Territorial wurden sie auf ihre thüringischen Besitzungen beschränkt. Die Bibliotheca Electoralis wurde als Privatbesitz des unterlegenen Kurfürsten Johann Friedrich angesehen und konnte nach einer kurzen Zwischenstation in der ernestinischen Residenzstadt Weimar am 22. und 24. August 1549 nach Jena gebracht werden. Hier fand sie im aufgehobenen Dominikanerkloster als Bibliothek der 1548 im gleichen Gebäudekomplex neugegründeten Hohen Schule (Gymnasium Academicum) weitere Verwendung, die als Ersatz für die Wittenberger Universität in der Saalestadt auf Anraten Melanchthons neu eingerichtet worden war. Je größer der bestimmende Einfluß der 1558 endlich kaiserlich privilegierten Jenaer Universität im Verlauf des 16. und 17. Jhs auf die Fürstl. Sächsische Bibliothek zu Jena wurde, desto mehr entledigte sie sich ihres ursprünglich höfischen Charakters.

1.3 Der Universität stand anfangs nur ein fachlich eng begrenzter Büchervorrat zur Verfügung. Die Benutzung war in den beiden klösterlichen Räumen der Bibliothek möglich, die durch Abtrennung und Ausmauern von Kreuzgängen (1557-1559) im Erdgeschoß des Südflügels gewonnen worden waren. Die Handschriften und Drucke lagen als libri catenati auf Pulten aus. Bis zum Ende des 17. Jhs waren sie sachlich ineinander geordnet. Man unterschied Gebrauchsliteratur und solche, die für besonders wertvoll angesehen wurde. Der Standortkatalog von 1597 ( s. u. 3.2) gibt eine realistische Beschreibung der Pultbibliothek, die der Bestandspräsentation im Wittenberger Schloß ähnlich war und bis 1650 bezeugt ist. 1596 war der Bestand bereits auf 2946 Titel angewachsen.

1.4 Erster Jenaer Bibliothekar war von 1549 bis 1554 der Theologe Anton Heuglin († 1578), der wie seine beiden Vorgänger Georg Spalatin und Lucas Edenberger († 1548) als Erzieher der beiden älteren Söhne des Kurfürsten noch zum Personenkreis der Bediensteten am Wittenberger kurfürstlichen Hof gehört hatte. Nach Edenbergers Tod bewerkstelligte er den Bibliothekstransport von Weimar nach Jena und sorgte für den ordnungsgemäßen Neuanfang der Bibliothek. Für einen kontinuierlichen Bestandsaufbau standen ihm ausreichende Mittel nicht zur Verfügung. Im Januar 1555 schied er aus dem Amt und wurde Pfarrer in Lobeda bei Jena.

1.5 Zu seinem Nachfolger wurde Martin Bott († 1563) bestimmt, der zwischen 1541 und 1546 nicht nur " der Jungen Herren stubenheitzer" sondern auch Vorleser gewesen war. Auch zu Botts Amtszeit flossen Gelder für den Bücherkauf nur spärlich. Zum Ausgleich bekam er seit 1557 wenigstens die Zensurexemplare der Jenaer Drucker über die Buchführer Konrad König und Thomas Rebart zugewiesen.

1.6 Bott übernahm 1557 den Nachlaß von Georg Rörer (1492-1557), den die Ernestiner für 400 Gulden für die Bibliothek erwarben. Rörer war von Luther 1525 als erster evangelischer Pfarrer Wittenbergs ordiniert worden. Er entwickelte sich zu einem der wichtigsten Mitarbeiter des Reformators, so daß er 1537 von seinen Amtspflichten entbunden wurde. Rörer schrieb Luthers Predigten, Vorlesungen und Tischreden in einer Kurzschrift mit und führte von 1539 an die Revisionsprotokolle für die lutherische Bibelübersetzung. Er war als Korrektor für die in Wittenberg hergestellten Reformationsdrucke und für die Wittenberger Gesamtausgabe der Werke Luthers von 1541 tätig. Im Jahre 1553 wurde er nach Jena berufen und beteiligte sich an der Herausgabe der seit 1555 erscheinenden Jenaer Lutherausgabe. Zusammen mit den Handexemplaren Luthers des Alten und des Neuen Testaments (Wittenberg 1538 und 1540) kamen 22 Quart- und 13 Oktavbände (" die eigentlichen Rörer-Bände") mit den authentischen, und deshalb besonders wertvollen Nachschriften sowie die Protokolle in die Bibliothek. Der Rörer-Nachlaß ist eine der bedeutendsten Erwerbungen der Ernestiner für die Bibliothek überhaupt. Für die im Weimarer Verlag Hermann Böhlaus Nachf. seit 1883 erscheinende Gesamtausgabe der Werke Luthers war er eine der wichtigsten Quellen.

1.7 Mit Johannes Weischner (um 1515-1589) und seinem ihm nachfolgenden Sohn Lucas Weischner (1555-1609) übernahmen Buchbinder das Jenaer Bibliothekariat. Beide sind denn auch weniger durch ihre bibliothekarischen als durch ihre handwerklichen Leistungen bekannt geworden, die die Einbandforschung gewürdigt hat. Weischner sen. war 1559 aus Erfurt, seiner Vaterstadt, wo er als Universitätsbuchbinder tätig gewesen war, nach Jena gekommen und 1563 zu Botts Nachfolger bestimmt worden. Weischner jun. war von 1572 bis 1575 Hofbuchbinder des Herzogs Julius von Braunschweig (1528-1589) - er betrieb im Kloster Riddagshausen seine Buchbinderwerkstatt - und war zugleich Bibliothekar der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel gewesen, bevor er an die neue Universität Helmstedt als privilegierter Universitätsbuchbinder ging. 1579 kam er auf Verlangen seines Vaters und der Universität nach Jena, um diesen im Bibliothekariat zu unterstützen, das er nach dessen Tod (1588) allein übernahm.

1.8 In die Amtszeit von Weischner sen. und jun. fällt die für einen längeren Zeitraum geltende Regelung der finanziellen Verhältnisse der Bibliothek. Erst von 1570 an erhielt sie durch die fürstlichen Erhalter der Universität (" Nutritoren") jährlich 50 Gulden, von 1574 an bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, ungeachtet der ständig zunehmenden Geldentwertung, jährlich 100 Gulden. Dieselbe Summe hatte Spalatin in Wittenberg zur Verfügung gestanden. 1570 wurde auch die Pflichtablieferung für die Jenaer Drucker erneut geregelt. Die Pflichtexemplare blieben bis in das 19. Jh ein dauerndes Streitobjekt.

1.9 Im Jahre 1574 wurde der Bibliothek die 1367 Bde umfassende Büchersammlung Herzog Johann Friedrichs II., des Mittleren, von Sachsen (1529-1595; reg. 1554-1567) überwiesen. Johann Friedrich war in die Grumbachschen Händel verwickelt gewesen und nach der Gothaer Kapitulation (1567) in kaiserliches Gewahrsam genommen worden, seine Bibliothek gelangte nach Weimar. Dessen Bruder, Herzog Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar (1530-1572; reg. seit 1567 bzw. 1572), hatte die Vormundschaft über die unmündigen Söhne Johann Casimir und Johann Ernst übernommen. Als er 1572 starb, war die Bibliothek zwar seinen Neffen zugesprochen worden, aber dann doch aus diplomatischen Gründen gegenüber den Weimarer Vettern nach Jena in die gemeinsame Bibliothek gegeben worden. Johannes Weischner besorgte ihren Transport und die Inventarisierung. 1590 machte Herzog Johann Casimir, wohl im Zusammenhang mit der geplanten Coburger Universitätsneugründung, nach mehreren vergeblichen Ansätzen seine Rechte geltend und ließ sich die Bibliothek seines Vaters nach Coburg bringen (vgl. Bayern, Eintrag Landesbibliothek Coburg).

1.10 Seit der zweiten Hälfte des 17. Jhs traten an die Stelle der Fürsten zunehmend bürgerliche Stifter. Es waren vor allem Universitätsprofessoren, deren Gelehrtenbibliotheken die Electoralis als Urbestand ergänzten und zur Universalität der Universitätsbibliothek beitrugen. Der Jenaer Professor für Griechische Sprache Lorenz Rhodomann (1546-1606) übergab 1592 vier seiner Schriften in die Bibliothek und begründete damit eine neue Tradition. Im Jahre 1639 ging der Bibliothek das auf 4000 Taler geschätzte Legat des Ordinarius der Juristischen Fakultät, Dominicus Arumaeus (1579-1637), von 576 Einzelwerken und Sammelbänden (insgesamt 1000 Bde) zu. Sein Schwager Carl Günther Pingitzer (1593-1669) war seit 1626 Bibliothekar der Universitätsbibliothek. Er bewahrte während des Dreißigjährigen Krieges die Bibliothek vor Schaden und erarbeitete von 1635 bis 1639 den nachweislich ältesten Systematischen Katalog mit 4012 Titeleinträgen. Als erster Bibliothekar der Universität erledigte er die Bibliotheksgeschäfte im Hauptamt.

Von der Bibliotheca publica zur Bibliotheca academica

1.11 Zwischen den Jahren 1650 und 1750 wird die Universitätsbibliothek häufig als " Bibliotheca publica" bezeichnet. Man setzte sie damit von den Privatbibliotheken der Jenaer Professoren ab, die in Bestandsgröße und fachlicher Qualität im Einzelfall der Universitätsbibliothek überlegen waren. Sie konnten von den Studierenden benutzt werden. Berühmt war die Gerhardina, die Bibliothek des Jenaer Theologen Johann Gerhard (1582-1637) und die seines Sohnes, des Theologen, Historikers und Orientalisten Johann Ernst Gerhard (1621-1668), die zum Schluß 6000 Bde umfaßte und sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Bibliotheca publica in der Theologischen Fakultät im Obergeschoß des Collegiengebäudes befand. Nach dem Tode Herzog Ernst des Frommen wurde sie 1678 für die Gothaer Bibliothek erworben (s. Eintrag Forschungs- und Landesbibliothek Gotha, 1.3).

1.12 Mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges war die Finanzmisere der Bibliothek keineswegs überwunden. Zwar erschlossen ein forcierter Dublettenverkauf und -tausch neue Erwerbungsquellen, aber die 1669 an der Universität vorgenommene Visitation bemängelte zu recht, daß die fürstlichen Gelder seit 1617 nicht mehr gezahlt worden waren. Künftig sollten neuankommende Professoren und alle Promovenden verpflichtet sein, der Bibliothek ein Buch zu übereignen. Der Mediziner und mehrmalige Rektor Georg Wolfgang Wedel (1645-1721) hat während seines langen Gelehrtenlebens der Bibliothek über das vorgeschriebene Maß hinaus zahlreiche Einzelschriften, Sammelbände von medizinischen Dissertationen und anderes Kleinschrifttum mit Dedikationseinträgen zukommen lassen.

1.13 Unter Johann Georg Cummer († 1696), der Pingitzer 1670 nachfolgte, wurden das mittelalterliche Pultsystem als Aufstellungsmethode aufgegeben und die Bestände nach den Fakultäten getrennt in Repositorien aufgestellt. Dementsprechend gab es vier Fakultätskataloge. Unter Cummers Nachfolger kam ein heizbares Benutzerzimmer hinzu. Cummer war als Advokat am Jenaer Hofgericht tätig und besorgte die Bibliothek aus Besoldungsgründen im Nebenamt. Unter seinem Bibliothekariat verdoppelte die Bibliotheca publica ihren Bestand: Für 2000 Taler wurde die 3000 Bde umfassende Bibliotheca Bosiana erworben. Diese Gelehrtenbibliothek des Polyhistors Johann Andreas Bose (1626-1674), der 1656 zum Professor für Geschichte an die Salana berufen worden war, enthielt wichtige philologisch-historische Werke und 47 z. T. außerordentlich kostbare Handschriften, z. B. die aus dem 12. Jh stammende Kopie der Weltchronik des Otto von Freising (Sign.: Ms.Bos.q.6), ein lateinisches Evangeliar (um 850; Sign.: Ms.Bos.q.2) und ein mitteldeutsches Martyrologium des 13. Jhs (Sign.: Ms.Bos.q.3).

1.14 Aus der ursprünglich 5000 Bde zählenden Gelehrtenbibliothek des Historikers und Pietisten Caspar Sagittarius (1643-1694) erhielt die Bibliothek einen Grundstock an Literatur zur deutschen, besonders zur sächsisch-thüringischen Geschichte (3000 Bde) und die mittelalterlichen Handschriften als Geschenk. Sagittarius hatte von 1679 an bis zu seinem Tode als akademischer Inspektor die Aufsicht über die Bibliothek. Am Ende des 17. Jhs trat die Jenaer Universitätsbibliothek mit einem Bestand von über 10.000 Bdn für kurze Zeit zahlenmäßig an die Spitze der Universitätsbibliotheken in Deutschland.

1.15 Nachfolger Cummers war 1697 nach längerer Vakanz der Jurist Burcard Gotthelf Struve (1671-1738) geworden, der als erster nicht nur um die Erschließung der Bestände durch Kataloge sondern, über das Ende seiner Amtszeit (1704) hinaus, auch um deren publizistische Auswertung bemüht war. Struve trennte die Handschriften von den Drucken und stellte sie separat auf. Später, als Professor der Geschichte, hatte er von 1711 bis 1724 als akademischer Inspektor die Oberaufsicht über die Bibliothek. Seine bekannteste bibliotheksbezogene Schrift ist die Introductio in notitiam rei litterariae et usum bibliothecarum (Jena 1703). Struves reichhaltige Gelehrtenbibliothek kam nach seinem Tod zur Auktion (4257 Bde). Unter finanzieller Beteiligung der Juristenfakultät und über die 1763 übernommene Buder-Bibliothek gelangten wertvolle Teile der Struveana in die Universitätsbibliothek.

1.16 Wie sein Freund und Lehrer Struve hatte der aus der Oberlausitz stammende Jurist Christian Gottlob Buder (1693-1763) noch als Student (1722) das Bibliothekariat angetreten, erwarb den philosophischen Magistergrad und promovierte zum Dr. jur. Zwischen 1730 und 1763 war Buder der führende Jenaer Jurist. Im Jahre 1728 kam die für 3000 Taler erworbene, an Rabbinica reiche Bibliothek des Jenaer Orientalisten und Theologen Johann Andreas Danz (1654-1727) in die Bibliothek. Mit der Danziana erhielt sie ihren ältesten Wiegendruck, ein Exemplar der 36zeiligen Bibel aus der Gutenberg-Werkstatt (Bamberg 1458-1460; GW 4202). 1738 gab Buder das Bibliotheksamt auf und widmete sich nur noch seinem Fach. Zeit seines Lebens hatte er mit bibliophilem Spürsinn eine Arbeitsbibliothek zusammengetragen, die zu den bedeutenden Gelehrtenbibliotheken des 18. Jhs zählt. Über die Nutritoren der Universität, die Buder zu seinen Erben einsetzte, kamen die 17.000 Bde mit 45.163 Einzelschriften, Flugschriften und Deduktionen 1763 an die Bibliothek mit der Maßgabe, sie dort geschlossen aufzustellen, was respektiert wurde (s. u. 2.521-2.590, Buderbibliothek).

1.17 Nachfolger Buders im Bibliothekariat wurde 1738 der habilitierte Philologe und Adjunkt an der Philosophischen Fakultät Johann Christoph Mylius (1710-1756) aus Buttstädt bei Weimar. Im Jahre 1742 erhielt die Bibliothek den größten Teil historischer und theologischer Literatur aus dem Besitz des in Jena geborenen Erfurter Fürstl. Sächsischen Obergeleitmannes Paul Christian Birkner († 1742). Wenige Jahre später veröffentlichte Mylius seine Memorabilia Bibliothecae Academicae Jenensis (Jena 1746), die eine ausführliche Darstellung zur Geschichte der Bibliothek und einen ersten gedruckten Auswahlkatalog enthält. Bald mußte Mylius erkennen, daß für ihn die Bibliotheksbestände immer unübersichtlicher wurden, der Senat aber nicht bereit war, Personal zur Katalogisierung zu bewilligen. Persönliche Schwierigkeiten, sein erfolgloses Bemühen um angemessene Vergütung und die aussichtslose Bibliothekssituation trieben Mylius schließlich in den Freitod.

1.18 Dem Nachfolger von Mylius, Johann Gottfried Müller (1729-1792), war es 1759 gelungen, den Restbestand der ehemaligen Jenaer Kirchen- und Klosterbibliotheken an die Bibliotheca publica zu überführen, die bis dahin in der " Mehlkammer" der Hauptkirche St. Michael gelegen hatten. Müller übernahm 1756 das Bibliothekariat, wurde 1767 ordentlicher Professor für Geschichte und verwaltete die Bibliothek im Nebenamt bis zu sein Tode. Er kümmerte sich besonders um die Ablieferung der Pflichtstücke, den unbefriedigenden Erschließungszustand der Bibliothek vermochte auch er nicht zu ändern.

1.19 In der zweiten Hälfte des 18. Jhs war der Bestand auf 50.000 Bde angewachsen, der sich in drei Teilen präsentierte: (1) als Bibliotheca Electoralis mit Einschluß der Neuerwerbungen bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges, (2) als Bibliotheca recens adjecta (laufende Erwerbungen seit dem Dreißigjährigen Krieg) und (3) als Sammlung der einzelnen Gelehrtenbibliotheken. Die Bücher waren jeweils " ohne genauere Sachordnung" (Güldenapfel, s. u. 4.2) nach den Fakultäten grob geordnet aufgestellt. Die Oberaufsicht lag beim akademischen Senat, die Dekane hatten das Recht, Bücher zur Anschaffung vorzuschlagen.

1.20 Den ersten Versuch einer Gesamtkatalogisierung unternahm der Advokat am sächsischen Gesamthofgericht in Jena und Bibliothekar im Nebenamt (1793-1800) Friedrich Ernst Carl Mereau (1765-1825). Doch hat er nur die Juridica der " Hauptbibliothek" und der Buderiana zusammengefaßt, so daß die Katalogisierung ein dauerndes Desiderat blieb, das zunehmend die Kritik der Professoren hervorrief und den Unwillen der Regierungen der Erhalterstaaten gegenüber dem Senat erregte.

1.21 Zwischen 1800 und 1803 versah der Bibliograph und Mitarbeiter der Jenaer Allgemeinen Literatur-Zeitung Johann Samuel Ersch (1766-1828) das Bibliothekariat. Er nahm sich der Erschließungsfrage an und befaßte sich auch mit dem frühestens seit 1785 in Weimar schon mehrfach erörterten Projekt einer virtuellen Vereinigung der Herzoglichen Bibliothek zu Weimar mit der Jenaer Bibliothek durch einen gemeinsamen Gesamtkatalog. Im Jahre 1802 wurde er zum außerordentlichen Professor für Philosophie berufen und erhielt 1803 eine Ruf als Professor der Geographie und Statistik an die Universität Halle/Saale, wo er 1808 zum Oberbibliothekar der Universitätsbibliothek berufen wurde (vgl. Sachsen-Anhalt, Eintrag Universitäts- und Landesbibliothek Halle).

1.22 Nachdem sich der aus dem sächsischen Oschatz stammende Altphilologe Heinrich Karl Abraham Eichstädt (1772-1848) bereits im Jahre 1800 vergeblich um das Bibliothekariat beworben hatte, wurde er nach Erschs Weggang zum Oberbibliothekar berufen. Er übte das Amt bis 1817 mehr formal aus, weil ihn das Lehramt und die Redaktion der neugegründeten Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung (JALZ) zu sehr beschäftigten. In der Bibliothek waren mehrere Gehilfen tätig, unter ihnen seit 1810 der in Oberndorf bei Weimar geborene, außerordentliche Professor der Philosophie Georg Gottlieb Güldenapfel (1776-1826), der 1811 zum zweiten Bibliothekar der Akademischen Bibliothek berufen wurde. Er war nach Pingitzer der zweite hauptamtliche Jenaer Universitätsbibliothekar.

Die Bibliotheksreform von 1817 bis 1826

1.23 Die Klagen über den Zustand der Bibliothek häuften sich. 1814 waren beispielsweise große Teile der Privatbibliothek des Theologieprofessors und Geheimen sachsen-weimarischen Kirchenrates Johann Jacob Griesbach (1745-1812) auf einer Auktion erworben worden, aber noch nach zwei Jahren standen die Bücher unbearbeitet in den Regalen.

1.24 Im Oktober 1817 erteilte Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757-1828) seinem Staatsminister Johann Wolfgang von Goethe den Auftrag, sich um die Jenaer Bibliotheksangelegenheiten zu kümmern. Damit wurde ein grundlegender Erneuerungsprozeß in Gang gesetzt. In nur sieben Jahren entstand eine funktionstüchtige, moderne Gebrauchsbibliothek. Organisator und Hauptträger der Arbeiten war Güldenapfel.

1.25 Auf Anraten Goethes wurde noch 1817 die Akademische Bibliothek der Verantwortung des Senats entzogen und auf unbestimmte Zeit einer 1815 in Weimar eingerichteten Behörde, der " Oberaufsicht über die unmittelbaren Anstalten für Wissenschaft und Kunst in Weimar und Jena", direkt unterstellt. Seit 1809 war Goethe gemeinsam mit seinem Ministerkollegen Christian Gottlob von Voigt (1743-1819), nach dessen Tod allein für diese Anstalten zuständig, zu denen die Universität nicht gehörte.

1.26 Güldenapfel erhielt den Auftrag, aus den neun Teilbibliotheken der Universität mit etwa 100.000 Bdn und weiteren 200.000 kleineren Schriften unter Einbeziehung der Jenaer Schloßbibliothek eine in sich durchorganisierte Universitätsbibliothek durch bauliche Veränderungen, einen Gesamtkatalog, eine einheitliche Aufstellungssystematik sowie die Anlage von Vermehrungsbüchern für künftige Erwerbungen und von Ausleihjournalen für eine liberale Benutzung zu schaffen.

1.27 Güldenapfel entwickelte mit Unterstützung von Professorenkollegen ein die Formate berücksichtigendes pragmatisches Aufstellungsystem, dessen Spiegelung durch einen Standortkatalog in Zettelform erfolgte. Das System bestimmte bis zum Jahre 1949 die Aufstellung des Bestandes und liegt deshalb der Bestandsbeschreibung ( s. u. 2.29) zugrunde. Zur Anwendung kamen erstmals Individualsignaturen. Als Register wurde ein alphabetischer Bandkatalog angelegt, dessen bibliographische Angaben sich auf das Wesentliche beschränkten. Grundlage hierfür waren die Verzeichnungsgrundsätze, die man für den ins Auge gefaßten Jena-Weimarer Gesamtkatalog formuliert hatte. Das Problem der Wiederauffindung der Einzelschriften in den zahlreichen, meist interdisziplinären Sammelbänden wurde durch die alphabetische Verzeichnung der enthaltenen Einzelschriften gelöst.

1.28 Der Anfang wurde 1818 mit den 20.000 Bdn der Schloßbibliothek gemacht. In ihr waren mehrere Bibliotheken aufgegangen: die z. T. aus Dubletten (vorwiegend Belletristik und Itineraria) der Weimarer Herzoglichen Bibliothek zusammengestellte Jenaer Kabinettsbibliothek der Weimarer Herzöge, die Büchersammlung des Göttinger Sprach- und Naturwissenschaftlers Christian Wilhelm Büttner (1716-1801), die naturhistorische Büchersammlung des Naturalienkabinetts, das Carl August 1779 aus dem Nachlaß des Jenaer Philologen und Naturwissenschaftlers Johann Ernst Immanuel Walch (1725-1778) erworben hatte, und die umfangreiche Bibliothek des 1805 in Weimar verstorbenen Bruders der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, des Herzogs August von Braunschweig-Oels. Die Schloßbibliothek, deren Bestand Goethes Schwager, der Weimarer Bibliothekar und Schriftsteller Christian August Vulpius (1762-1827), zusammengeführt und katalogisiert hatte, war gerade erst 1808 neu eröffnet worden. Jetzt übereignete sie der Großherzog der Universität. Die von Vulpius erstellten Katalogisate erleichterten die Integration der Bestände in Güldenapfels neues Katalogwerk.

1.29 Zu Beginn seiner Amtszeit stand Güldenapfel ein Erwerbungsetat von 300 Talern zur Verfügung, der Etat erhöhte sich durch Promotions- und Strafgelder, besonders aber durch die Zuweisung der Erlöse aus den Hinterlassenschaften von Personen, deren Erben sich nicht ermitteln ließen. Als Güldenapfel 1826 an den Folgen der Strapazen, die ihm sein Amt bereitet hatte, starb, war die Aufgabenstellung nahezu erfüllt. Die auf Befehl Goethes von Güldenapfel und seinen Mitarbeitern von 1817 an sorgfältig geführten und in Weimar regelmäßig geprüften Diensttagebücher berichten bis 1832 genauestens über den Fortgang der Arbeiten.

Die Nachlaß-Erwerbungen im 19. Jahrhundert

1.30 Der Nachfolger Güldenapfels, der Altphilologe und spätere Professor für griechische Sprache und auch der Beredtsamkeit Carl Wilhelm Göttling (1793-1869), Sohn des bedeutenden Jenaer Professors der Chemie, Pharmazie und Technologie, Johann Friedrich August Göttling (1755-1809), übernahm 1826 eine reorganisierte und funktionstüchtige Bibliothek. Zwar übte er das Bibliothekariat wieder im Nebenamt aus, doch gelang es ihm, das Aufbegehren einiger Hochschullehrer gegenüber der Weimarer Oberaufsicht in Bibliotheksangelegenheiten auszugleichen. Göttling befaßte sich eingehend mit den Beständen der Handschriften und Inkunabeln. Mit Geschick setzte er die Forderung des Universitätsstatuts von 1829 durch, das ordentliche Professoren bei Amtsantritt wiederum verpflichtete, der Bibliothek ein Buch zu schenken und auch sonst Pflichtexemplare ihrer eigenen Schriften abzuliefern.

1.31 Göttling hat in seiner Amtszeit 13 Nachlässe übernehmen können, darunter den Briefnachlaß des Philosophen und Physikers Jakob Friedrich Fries (1773-1843), die für 1500 Taler gekaufte Bibliothek des Medizin-Professors und großherzoglichen Leibarztes Carl Wilhelm Stark (1787-1845) mit 3039 vor allem medizinisch-praktischen Werken (1845), die Gesellschaftsbibliothek der 1733 gestifteten Societas Latina (1848; 348 Bde) die Bibliothek der 1728 gegründeten Deutschen Gesellschaft (über 800 Bde) war schon von Güldenapfel eingearbeitet worden -, die Arbeitsbibliothek des Jenaer Chemieprofessors Johann Wolfgang Döbereiner (1780-1849) mit 478 Nummern (1849), die Bibliothek der 1793 gegründeten Jenaer Naturforschenden Gesellschaft (1850; 607 Werke), 841 Nummern (1850) " der naturwissenschaftlichen und anderen Bücher" des Professors der Medizin und Direktors des Botanischen Gartens in Jena Friedrich Sigismund Voigt (1781-1850), die Privatbibliothek des Theologen und Kirchenhistorikers an der Universität Jena Traugott Leberecht Danz (1769-1851) gegen eine jährliche Leibrente von 25 Talern für dessen Witwe (1851; 2000 Bde), 8636 Werke aus dem Besitz des Professors für griechische Sprache und Literatur und Publizisten Ferdinand Gotthelf Hand (1786-1851) für einen Kaufpreis von 800 Talern (1851) und die 10.815 Bde der Privatbibliothek des Jenaer Rechtsprofessors und Mitglieds des Oberlandesgerichtes Karl Ernst Schmid (1774-1852) für den Kaufpreis von 2000 Talern und eine jährliche Rente für dessen Witwe von 60 Talern (1852).

1.32 Die 1853 gegründete Jenaer Medizinisch-Naturforschende Gesellschaft übergab der Bibliothek im Laufe der Jahre 4505 Bde. 1857 erhielt sie mit 51 Bdn den Grundstock einer Bibliotheca Hungarorum, die von den in Jena studierenden " Ungarländer" gestiftet wurde und sich als Sonderbestand erhalten hat (Endbestand: über 1500 Bde, s. u. 2.626-2.631). Der Geheime Regierungsrat Dr. Wenzel in Dresden schenkte aus Anlaß des 100. Geburtages von Großherzog Carl August 1857 seine wertvolle Sammlung zur klassischen deutschen Literatur, deren beigegebenes handschriftliches Verzeichnis den Titel trägt " Catalog einer Herder-Göthe-Schiller-Literatur, gestiftet in die Bibliothek der Universität Jena zum Dritten September 1857" (1470 Nummern). Die Schenkung ist als geschlossener Bestand unter der Bezeichnung Carl-August-Bibliothek (Sign.: C.A.B.; s. u. 2.591-2.607) überliefert.

1.33 Die Bibliothek verdankte Göttling auch das repräsentative Bibliotheksgebäude von 1858 mit einer venezianischen Fassade, das der Architekt Carl Heinrich Ferdinand Streichhan (1814-1884) durch den Umbau der ehemaligen Zinsgetreidescheune des Großherzoglichen Rentamtes schuf. Das ausführliche, mit einem praktischen Vorschlag ergänzte Gutachten zur räumlichen Situation der Bibliothek hatte der Theologe und Orientalist Andreas Gottlieb Hoffmann (1796-1864) verfaßt. Dessen Erben verkauften 1864 Hoffmanns wertvolle Privatbibliothek mit 4754 Werken und 1634 Universitäts- und Schulprogrammen und Dissertationen für 3400 Taler an die Bibliothek. Schließlich erwarb sie 1869 Göttlings Nachlaß und dessen 1674 Nummern vorwiegend aus dem Gebiet der Klassischen Philologie enthaltende Privatbibliothek für 515 Taler.

1.34 Über Göttling als Gründungsmitglied des Jenaer Lesemuseums (1816) und des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde (1852) wurden zwei wichtige Erwerbungsquellen für die Bibliothek erschlossen. Das von Jenaer Professoren getragene Lesemuseum übergab über 100 Jahre lang regelmäßig die " ausgelesenen" Tageszeitungen, Journale und Zeitschriften in das Eigentum der Bibliothek und stellte auch seine Lesezimmer zur Auslage von Zeitschriften der Universitätsbibliothek zur Verfügung, die vor 1915 einen entsprechenden Raum selbst nicht besaß. Der von Jenaer Professoren ins Leben gerufene Geschichtsverein, in dessen Vorstand seit 1877 mit zwei kurzen Unterbrechungen die Direktoren der Bibliothek als Vereinsbibliothekare mitwirkten, traf 1879 mit der Universitätsbibliothek eine Vereinbarung über die Vereinsbibliothek und den mit der Vereinszeitschrift zu führenden Schriftentausch. Die bis in die Gegenwart fortwirkende Tradition hat eine für die landesgeschichtliche Forschung wichtige Sammlung von Periodika der Geschichtsvereine entstehen lassen.

1.35 Den Vertrag mit dem Geschichtsverein unterschrieb der emeritierte Leipziger Philosophieprofessor Gustav Hartenstein (1808-1888), der 11 Jahre lang die Katalogisierungsarbeiten an der Universitätsbibliothek Leipzig geleitet hatte, bevor er sich 1859 als Privatmann nach Jena zurückzog und 1879 zum Universitätsbibliothekar berufen wurde. In seine Amtszeit fällt der Ankauf der Bibliothek des Jenaer Professors der Rechtswissenschaft und Oberappellationsgerichtsrats Theodor Muther (1826-1878) im Jahre 1879 für 1200 Mark (943 Nummern). Goethes Enkel Wolfgang Maximilian von Goethe (1820-1883) verfügte in seinem Testament vom 24. Juni 1880 die Übergabe aller seiner gedruckten Bücher (" mit Ausnahme der meinen Großvater betreffenden Literatur. Diese verbleibt meinem Bruder") an die Universität Jena. Der Buchbestand (4960 Bestandseinheiten) wurde einschließlich der Dubletten als Goethe-Bibliothek (Sign. G.B.) gesondert nach Formaten aufgestellt (s. u. 2.608-2.619). Der Oktavbestand ist bei der Zerstörung des Bibliotheksgebäudes 1945 am stärksten in Mitleidenschaft gezogen worden.

1.36 Die Übernahme des Legats von Goethes Enkel setzte den Schlußpunkt unter eine Periode von Erwerbungen wertvoller Bestände. Der für Erwerbungen im jährlichen Bibliotheksetat vorgesehene Anteil reichte nicht einmal für den Ankauf der notwendigsten Grundlagenliteratur aus. 1873 hatte z. B. der Kurator bei den Regierungen lediglich einen Jahresetat in Höhe von 8600 Mark bewirken können.

1.37 Im Zuge der Auffächerung der Naturwissenschaften und der Spezialisierung der Geisteswissenschaften hatten sich seit Anfang des 19. Jhs an der Universität Seminare und Institute herausgebildet, die auf ein mehr praxisbezogenes Studienangebot Wert legten. Die meisten von ihnen begründeten auch Bibliotheken. Es vollzog sich eine abgestimmte, auf Kooperation und Koordinierung gerichtete Entwicklung, in deren Verlauf die Universitätsbibliothek gebende und nehmende Funktionen hatte. Nicht mehr benötigte Seminarbestände gingen in die Universitätsbibliothek ein, Neuerwerbungen wurden abgesprochen, Seminardirektoren und Fakultäten stellten Mittel zum Ankauf bestimmter Werke und Zeitschriften zur Verfügung, die sie besser in der Universitätsbibliothek statt in ihren Institutsbibliotheken untergebracht sahen (vgl. im einzelnen die Bestandsgeschichten der beschriebenen Zweigbibliotheken).

1.38 Der von der Universität vorgelegte " Entwurf eines Reglements für die vom Senate einzusetzende Bibliothekskommission" wurde durch die Erhalterstaaten unter dem Eindruck der von Klette hinterlassenen Mißwirtschaft der Philologe Anton Klette (* 1834) hatte zwischen 1870 und 1878 das Bibliothekariat glücklos verwaltet am 25. März 1879 genegt. Paragraph 2 bestimmte, daß die Kommission die " Aufsicht über die gesamte Bibliotheksverwaltung, insbesondere auch über das Anschaffungs- und Katalogisierungsgeschäft" zu führen hatte. Aus den Antworten einer bei deutschen Universitätsbibliotheken vorgenommenen Befragung ergab sich, daß der Jenaer Erwerbungsetat weit unter dem Durchschnitt lag. Daraufhin wurde er für 1880 auf 9180 Mark festgesetzt. Im Durchschnitt blieb er in den folgenden Jahren bei 10.000 Mark. Um die Effektivität der Bibliothek zu erhöhen, regte Hartenstein 1888 einen Gesamtnachweis der Institutsbestände in der Universitätsbibliothek an.

Bestandsentwicklung um 1900 und die Carl Zeiss-Stiftung

1.39 Im letzten Drittel des 19. Jhs erhielt die Universität durch die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung der Stadt Jena neue Impulse. Durch die Ansiedlung der Zeiss-Werke und des Glaswerkes Otto Schott & Gen. war aus dem Handwerkerstädtchen mit 8260 Einwohnern (1871) ein weltbekannter Industriestandort geworden, der um die Jahrhundertwende 20.700 und 1914 bereits 48.700 Einwohner zählte. Die führende Position der beiden Industriebetriebe auf dem Gebiet der Feinmechanik und Optik stellte die Universität als eine für Mathematiker, Physiker und Chemiker prädestinierte Ausbildungsstätte vor neue Aufgaben. In relativ kurzer Zeit erfuhr sie einen Strukturwandel, der sie, wie schon in der Zeit der Aufklärung, in die Spitzengruppe der deutschen Universitäten aufrücken ließ.

1.40 Mit der Carl Zeiss-Stiftung, die der Mathematiker, Physiker, Honorarprofessor und Mitinhaber der Firma Carl Zeiss Jena, Ernst Abbe (1840-1905), 1896 errichtet hatte, erwuchs der Universität eine wichtige, über das engere fachwissenschaftliche Interesse hinausgehende, Forschung und Lehre auch im allgemeinen fördernde Finanzierungsquelle. Die Universitätsbibliothek wird mehrfach in den Stiftungspapieren genannt. Sie verdankt der Stiftung u. a. von 1898 bis 1921 jährlich 2500 Mark für mathematisch-naturwissenschaftliche Zeitschriftenabonnements, einmalige Zuwendungen in unterschiedlicher Höhe, wie z. B. 1903 zur Anschaffung historischer Werke (1500 Mark) oder von 1905 bis 1907 insgesamt 20.000 Mark " behufs Anschaffung notwendiger Bücher".

1.41 Ebenso engagierte sich die Stiftung in den neunziger Jahren für den Magazinbau. Das Gebäude von 1858 hatte in keiner Weise dem Raumbedarf der Bibliothek entsprochen. Erst 1896 konnte Hartensteins Nachfolger, Karl Konrad Müller (1854-1903), einen durch den " Ministerialfonds für wissenschaftliche Zwecke" und durch die Carl Zeiss-Stiftung 1894/95 mitfinanzierten Magazinanbau in Besitz nehmen. Das nach dem Vorbild des Hartwigschen Magazinbaus in Halle/Saale konstruierte sogenannte Stäbchen-Magazin (Gesamtkosten 100.000 Mark) war eine der Attraktionen für die Teilnehmer an der dritten Versammlung des Vereins Deutscher Bibliothekare (VDB) in Jena am 21. und 22. Mai 1902, auf der die Satzung des Berufsverbandes beschlossen wurde.

1.42 Müllers Bemühungen um die Schaffung eines Realkataloges, der seit langem ein dringendes Desiderat des Akademischen Senats war, blieben ohne Ergebnis. Mit drei Bibliothekaren, einem Hilfsbibliothekar und einigen befristet tätigen wissenschaftlichen Hilfsarbeitern (Stand 1894/96) war diese große Aufgabe nicht zu lösen, obwohl die Zeiss-Stiftung im Jahre 1895 die stattliche Summe von 60.000 Mark bereitgestellt hatte. Die Fördermittel wurden 1903 zurückgezogen.

1.43 Auch Müllers Nachfolger, der aus einem deutschen evangelischen Pfarrhaus in Kopenhagen stammende klassische Philologe und Historiker Karl Georg Brandis (1855-1931), brachte das Katalogprojekt nicht voran. In seine von 1903 bis 1926 währende Amtszeit fallen umfangreiche finanzielle Zuwendungen der Carl Zeiss-Stiftung, deren zweckmäßiger Einsatz seine ganze Aufmerksamkeit erforderte. 1908 war der Bibliotheksbestand auf 250.000 Bde und 280.000 kleinere Schriften (Dissertationen, Programme, Broschüren) angewachsen, so daß 1914/15 ein weiterer Anbau notwendig wurde. Die Stiftung stellte für den modernen Stahlbetonbau insgesamt 100.600 Mark bereit.

1.44 Auch die letzte große Erwerbung vor dem Ende der Monarchien wurde durch die Zeiss-Stiftung finanziert: Für den Preis von 56.200 Mark erwarb sie 1917/19 die Bibliothek des Berliner Nationalökonomen Gustav Schmoller (1838-1917) als Untersetzung zur " weiteren Ausgestaltung des Lehrfachs der Nationalökonomie, Handelswissenschaft und Sozialpolitik". Für diese Fächer war der zweckgebundene Zuschuß aus dem Universitätsfonds der Stiftung 1917 um 10.000 Mark erhöht worden. Von den 12.000 Bdn gelangten 8000 in die nationalökonomische Abteilung der Bibliothek (Sachgruppe Cam.), der Rest an das Staatswissenschaftliche Seminar.

1.45 Schließlich übernahm Brandis am 1. April 1922 für die Bibliothek das Anfang 1915 aus der Tätigkeit der Jena-Abteilung des Thüringer Verbandes zur Verbreitung wahrer Kriegsnachrichten im Ausland hervorgegangene " Kriegsarchiv" (s. u. 2.641-2.643). Dem Verband gehörten auch Jenaer Universitätsprofessoren an. Das Archiv war im Bibliotheksgebäude untergebracht, gehörte bis dahin aber nicht zur Bibliothek. Seine Finanzierung verdankte es der Zeiss-Stiftung, die zwischen 1915 und 1921 insgesamt 194.000 Mark für die Beschaffung von in- und ausländischer Literatur über den Ersten Weltkrieg (Kleinschrifttum, Propagandaliteratur, Flugblätter und Maueranschläge von allen am Krieg beteiligten Staaten eingeschlossen, nach 1918 Revolutionsliteratur) bereitstellte. Der Sonderbestand mit 12.500 Bestandseinheiten, der bis 1937 noch auf 34.378 Bestandseinheiten anstieg, wurde erst nach Beendigung der Sammeltätigkeit (Stichtag 1. August 1919) in die Verantwortung der Bibliothek übergeben. Der Bestand ist, wie seine Fortsetzung für den Zweiten Weltkrieg, bei der Zerstörung des Bibliotheksgebäudes 1945 dezimiert worden, der Katalog wurde vernichtet.

1.46 Brandis gelang es, die Bibliothek ohne Bruch aus der Unterhaltspflicht der Erhalterstaaten der Großherzoglichen und Herzoglich Sächsischen Gesamtuniversität in die Verantwortung des am 1. Mai 1920 entstandenen Freistaates Thüringen zu führen. Er war um einen Interessenausgleich im Bestandsaufbau zwischen der Universitätsbibliothek und den Seminar- und Institutsbibliotheken bemüht. Als Bibliotheksdirektor der Thüringischen Landesuniversität beteiligte er sich jetzt an der Umgestaltung des thüringischen Bibliothekswesens und übernahm Landesbibliotheksfunktionen für seine Institution. Im Mai 1923 verfaßte er im Auftrag des Volksbildungsministeriums eine Denkschrift über die künftige Gestaltung des Thüringischen Bibliothekswesens, in der er u. a. den Plan vom Ende des 18. Jhs zur virtuellen Vereinigung der Bibliotheken in Weimar und Jena gedanklich wieder aufnahm und einen Thüringer Gesamtkatalog vorschlug, dessen Leitung der Universitätsbibliothek Jena übertragen werden sollte.

Die Amtszeit von Theodor Lockemann 1926 bis 1945

1.47 Die direkte Unterstellung der Bibliothek unter das Thüringische Volksbildungsministerium erleichterte dem Amtsnachfolger von Brandis, dem Germanisten, Historiker und Berufsbibliothekar Theodor Lockemann (1885-1945), den Ausbau der Position der Universitätsbibliothek Jena als führende Bibliothek des Landes. Die Zeit spektakulärer Erwerbungen von Gelehrtenbibliotheken war vorüber. Im Vordergrund standen jetzt die innere Funktionstüchtigkeit und die interbibliothekarische Kooperation. Ein Jahrhundert nach der Reorganisation der Bibliothek reformierte Lockemann den Dienstbetrieb entscheidend und baute das bestehende universitäre Bibliotheksnetz weiter aus. Sein Versuch, wenigstens die seit 1930 erworbene Literatur in einem Schlagwortkatalog zu erschließen, schlug fehl. Die Anregung Hartensteins von 1888 aufnehmend, gelang ihm aber im April 1934 die Einrichtung eines Gesamtkataloges der Jenaer Instituts- und Klinikbibliotheken (" Jenaer Institutsgesamtkatalog"). Mit der retrospektiven Erfassung begann Lockemann in der Medizin, die 1936 einen Gesamtbestand von 32.918 Bdn auf 29.500 Karten nachwies. Zur Erleichterung der Nachträge wurden zum 1. April 1935 auf ministerielle Anweisung für den gesamten Universitätsbereich einheitliche Zugangsbücher eingeführt.

1.48 Das im Jahre 1911 von Brandis dem Senat vorgeschlagene Projekt einer Liste der an der Universität laufend gehaltenen Zeitschriften als Hilfsmittel für die Forschung war wegen des Ersten Weltkrieges in den Anfängen steckengeblieben. 1923 hatte er das Projekt wieder aufgenommen und einen Katalog der medizinisch-naturwissenschaftlichen Zeitschriften für die Zwecke der Notgemeinschaft angelegt, der von 1927 an durch Lockemann zu einem allgemeinen Institutszeitschriftenverzeichnis ausgebaut wurde. Im Jahre 1931 veröffentlichten Theodor Lockemann und Wilhelm Schmitz dann den Thüringer Zeitschriftenkatalog (Jena 1931). Er diente dem Leihverkehr und war ein über die Universität hinausgehendes erstes sichtbares Zeichen der Kooperation mit den anderen vom Freistaat unterhaltenen Landesbibliotheken in Altenburg, Eisenach, Gera, Gotha, Meiningen, Rudolstadt, Sondershausen und Weimar.

1.49 Erneut auf Brandis' Ideen von 1923 zurückgreifend, gründete Lockemann den " Gesamtkatalog der Thüringischen Bibliotheken und Landesbüchereien", der mit der Veröffentlichung einer entsprechenden Verordnung am 15. Mai 1933 mit der Arbeit beginnen konnte. Er sollte sämtliche seit dem 1. Januar 1932 erschienenen und in einer der thüringischen Landesbüchereien befindlichen Bücher nachweisen (1936 10.000 Nachweise). Das im wesentlichen auf Intensionen Lockemanns erlassene " Gesetz über die Abgabe von Freistücken der Druckwerke an die Universitätsbibliothek Jena vom 18. Oktober 1935" erschloß der Bibliothek neue (kostenlose) Erwerbungsquellen und festigte durch die Einrichtung einer " Thüringischen Pflichtexemplarstelle bei der Universitätsbibliothek Jena" ihre landesbibliothekarische Position.

1.50 Über die Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft und ihre Auswirkungen auf die Bibliothek unterrichten die Diensttagebücher ihres Direktors. Sie haben sich erhalten und spiegeln den Bibliotheksalltag authentisch wider (vgl. u. 4.2, Bohmüller 1985). Jene Jahre waren überschattet von finanziell und politisch bedingten Restriktionen in der Erwerbung, durch Aussonderungen und Kriegsvorbereitungen. 1942 hatte die Bibliothek einen Bestand von 429.648 Bdn und 347.650 (Kleine) Schriften sowie " 49 laufende m[eter] Wiegendrucke" und 2300 Hss. Unter großen Anstrengungen gelang es dem Bibliothekspersonal, die wertvollsten Bestände an durch Luftangriffe weniger gefährdete Orte zu bringen.

1.51 Die mittelalterlichen Handschriften, die Inkunabeln und andere Zimelien überstanden in Jenaer Banktresoren die Luftangriffe auf Jena im Februar und März 1945 unversehrt, über 80.000 an Orte außerhalb Jenas ausgelagerte Bände blieben erhalten. Das Bibliotheksgebäude jedoch wurde am 9. Februar 1945 total zerstört, die beiden Magazinanbauten trugen teilweise schwere Schäden davon. Sechzehn Menschenleben waren zu beklagen, darunter Lockemann und 11 seiner Mitarbeiter, die mit ihm unter den Trümmern der Bibliothek umkamen. Der Lesesaalbestand wurde fast vollständig vernichtet, die Zentralkataloge und der Handschriftenkatalog gingen unwiederbringlich verloren, 60.000 Bde waren direkt betroffen, insbesondere aus den Bestandsgruppen Bibliothekswesen, Chemie, Physik, Mathematik, Geographie und die Itineraria sowie die Goethe-Bibliothek und das Kriegsarchiv. Davon konnten später 35.000 Bde als " ziemlich erhalten" wieder eingestellt werden, 10.000 Bde wurden als irreparabel ausgeschieden.

Die Herausbildung des einschichtigen universitären Bibliothekssystems

1.52 In den ersten Maitagen des Jahres 1945 wurde mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Bibliothek begonnen. Während die Universität erst am 15. Oktober 1945 ihren Lehrbetrieb wieder aufnahm, öffnete die Bibliothek schon am 1. August 1945 unter behelfsmäßigen Bedingungen ihre Ausleihe. Wie stark die Bibliothek in Anspruch genommen wurde, zeigen die Ausleihzahlen, die von 9000 (1945/46) auf 30.000 (1947) und 32.000 (1949) anstiegen. Im Winter 1945/46 erhielt die Bibliothek ein kleines, am Fürstengraben gegenüber dem Universitätshauptgebäude gelegenes Hotel als Verwaltungssitz. Über 51 Jahre lang befand sich in diesem Provisorium die Hauptstelle der Universitätsbibliothek, die im Laufe der Jahrzehnte über weitere zwölf im Stadtgebiet untergebrachte Komplexe von Dienststellen und neun Magazine verfügte. Die Aufräumungsarbeiten nahmen lange Zeit in Anspruch, erst vier Jahre nach der Zerstörung wurden die Trümmer beseitigt.

1.53 Die Überprüfung des Bestandes auf der Grundlage der verbindlichen " Liste der auszusondernden Literatur" nahm die wenigen Arbeitskräfte zusätzlich in Anspruch. Bis zum Juli 1946 waren etwa 11.000 Bde aus den Universitätsinstituten bei der Universitätsbibliothek abgeliefert worden, weitere 12.000 Bde kamen von der Thüringischen Landesstelle für Volksbüchereiwesen hinzu. Bis zum August 1947 wurden insgesamt 58.465 Einheiten (darunter 20.605 Einheiten aus anderen Einrichtungen und 9500 Plakate) ausgeschieden und alle zwischen 1933 und 1945 erworbenen laufenden Zeitschriften jahrgangsweise durchgesehen. Trotz der Aussonderungen war der Bestand bis zum Jahre 1950 auf 635.000 Bde angewachsen.

1.54 Die ersten Pläne für einen Wiederaufbau des Bibliotheksgebäudes stammen schon aus den Jahren 1945 und 1946. Es ist das Verdienst des Nachfolgers von Lockemann und späteren Direktors der Universitätsbibliothek Bonn, Viktor Burr (1883-1956; Direktor 1945-1947), als erster dazu einen Beitrag geleistet zu haben, gefolgt von Albert Predeek (1883-1956; Direktor 1947-1951), der dem Thüringer Volksbildungsministerium bereits weitergehende Pläne vorlegte. Für das sehr weit gediehene Wiederaufbauprojekt der sechziger Jahre zeichneten Annemarie Hille (1910-1978; Direktorin 1962-1970) und ihr Stellvertreter und spätere Kustos der Friedrich-Schiller-Universität Günther Steiger (1925-1987; an der Bibliothek 1962-1970) verantwortlich. Es wurde ebenso wie die aufwendigen Planungen der achtziger Jahre unter dem Direktorat von Lothar Bohmüller (Direktor 1970 bis März 1990) von zentraler Stelle zugunsten anderer wichtigerer Vorhaben zurückgestellt. Es war dem Verfasser dieser Bestandsgeschichte vergönnt, nach den politischen Veränderungen des Jahres 1989/90 und mit Beginn seiner Amtszeit als Direktor der Universitätsbibliothek und späteren Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek ab 1. April 1990 an einem erneuten von der Universitätsleitung und dem Senat der Universität unternommenen, inzwischen erfolgreichen Ansatz für den Neu- und Wiederaufbau des Bibliotheksgebäudes mitzuwirken, in dessen Ergebnis in den Jahren 1998 bis 2000 der Neubau der Zentralbibliothek des einschichtigen, integrierten universitären Bibliothekssystems am traditionellen Platz entstehen wird.

1.55 Bereitete nach Kriegsende schon die Unterbringung der Bestände und der Arbeitsplätze ernste Sorgen, so kamen durch die von staatlicher Seite vorgenommene Zuweisung von Buchbeständen u. a. aus der Bodenreform und durch die Auflösung der Landesbibliotheken in Altenburg und Rudolstadt weitere Belastungen hinzu. Zwischen 1950 und 1955 wurden nach strenger Auswahl etwa 38.000 Bde als Bestandsergänzung eingearbeitet. Aus den Altenburger Beständen wurden neben den Inkunabeln vor allem die Altenburgica und Belletristik vom Ende des 18. und beginnenden 19. Jh übernommen, die Rudolstädter Bestände konnten Mitte der achtziger Jahre zum größten Teil wieder nach Rudolstadt zurückgeführt werden (vgl. Eintrag Historische Bibliothek der Stadt Rudolstadt).

1.56 Um die Folgeschäden der Kriegseinwirkungen auf die Bestände zu beseitigen oder einzudämmen, wurde 1960 neben der seit 1952 existierenden Hausbuchbinderei die Restaurierungswerkstatt eingerichtet. Sie entwickelte sich zu einem national und international geschätzten Zentrum der Bestandserhaltung. Hier wurde das " Jenaer Papierspaltverfahren" entwickelt, das erfolgreich für die Papierrestaurierung eingesetzt werden kann.

1.57 Der veränderten Zugangssituation nach 1945 waren die bisher praktizierte systematische Aufstellung und das Katalogsystem nicht mehr gewachsen. Beides wurde 1949 abgebrochen und der Numerus currens als Aufstellungsprinzip in Verbindung mit einem konventionellen Katalogsystem in Zettelform (Erscheinungsjahr 1950 ff.) eingeführt. Titel mit Erscheinungsjahren vor 1950, die in den Bandkatalog aus Platzgründen nicht mehr aufgenommen werden konnten, wurden grundsätzlich in einem Ergänzungskatalog (EK) verzeichnet.

1.58 In den fünfziger Jahren hat die Universitätsbibliothek noch einmal zwei größere Privatbibliotheken erwerben können: Nach dem Tode des Germanisten Albert Leitzmann (1864-1950), der von 1898 bis 1935 in Jena lehrte, kam dessen Arbeitsbibliothek zusammen mit seinem wissenschaftlichen Nachlaß in ihren Besitz. Der etwa 10.000 Bde umfassende Bestand ist nach einem eigenen System aufgestellt und durch einen Zettelkatalog erschlossen. Sie ist neben der Buder-Bibliothek der zweite größere Provenienzbestand; als Beispiel für eine Gelehrtenbibliothek des 20. Jhs wird er unverändert erhalten bleiben. Im Jahre 1955 wurden die etwa 10.000 Bde umfassende Privatbibliothek und der wissenschaftliche Nachlaß des Jenaer Historikers Alexander Cartellieri (1867-1955) mit Sondermitteln in Höhe von 45.000 Mark des Staatssekretariats für das Hochschulwesen angekauft.

1.59 Während die Universitätsbibliothek 1954 das Pflichtexemplarrecht an die Thüringische Landesbibliothek Weimar abtreten mußte, ging von ihr der Anstoß zur Gründung eines Jenaer Zentralkatalogs für die thüringischen Bibliotheken (JZK) aus. Damit wurde die 1933 begründete, durch den Krieg unterbrochene Tradition wieder aufgenommen. Die Tätigkeit am später erst zum " Thüringer Zentralkatalog (TZK)" umbenannten JZK begann 1955, bis 1989 beteiligten sich über 150 Bibliotheken der Verwaltungsbezirke Erfurt, Gera und Suhl an den Katalogarbeiten. Ende 1981 enthielt der TZK Titelnachweise von 550.217 Monographien mit 800.513 Standorten und von 24.908 Zeitschriften mit 43.796 Standorten. Mit der Führung des TZK war die staatliche Funktion einer Leitbibliothek für den Leihverkehr der Bibliotheken verbunden. Auch an die Tradition des thüringischen Zeitschriftenverzeichnisses wurde durch die Veröffentlichung eines Thüringer Zeitschriftenkataloges (2 Bde, Weimar 1960) und eines Zeitschriftenverzeichnisses Thüringer Bibliotheken (ZVTB) (Jena 1969) wieder angeknüpft. Das Pflichtexemplarrecht kehrte übrigens 1983 wieder an die Universitätsbibliothek zurück, nachdem sich die Zentralbibliothek der deutschen Klassik zu Weimar, in der die Thüringische Landesbibliothek Weimar 1969 aufgegangen war, davon getrennt hatte.

1.60 Anläßlich der 400-Jahr-Feier der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) wurde 1958 im Verlag Hermann Böhlaus Nachf. Weimar eine Geschichte der Universitätsbibliothek Jena (1549-1945) veröffentlicht, an deren Erarbeitung im Rahmen eines vom Staatssekretariat für Hochschulwesen unterstützten Forschungsprojektes fünf wissenschaftliche Mitarbeiter der Universitätsbibliothek beteiligt waren. Es handelt sich um die erste Geschichte einer Universitätsbibliothek, die in der DDR publiziert wurde und deshalb besondere Beachtung gefunden hat. Ein weiteres parallel dazu bearbeitetes Forschungsprojekt befaßte sich mit den Rezensenten der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung.

1.61 Die Förderung der funktionellen Einheit des universitären Bibliotheksnetzes hatte die im Jahre 1964 vom Rektor in Kraft gesetzte Bibliotheksordnung der Friedrich-Schiller-Universität Jena zum Ziel. Hauptforderungen waren eine optimale Arbeitsorganisation, Zentralisierung und Koordinierung. Im Rahmen der laufenden Hochschulreform waren u. a. die Institutsbibliotheken und kleineren Büchersammlungen in den neugebildeten Sektionen Chemie, Physik, Staats- und Rechtswissenschaft und Theologie zu Sektionsbibliotheken zusammengefaßt worden. Die Anzahl von ursprünglich 78 neben der Universitätsbibliothek bestehenden Bibliotheken wurde auf 58 (1972) verringert.

1.62 Förderlich für diesen Prozeß der Zusammenführung war die Übernahme von Sammelaufgaben aus dem 1966 verabschiedeten " Sammelschwerpunktplan der wissenschaftlichen Bibliotheken der DDR" durch die Universitätsbibliothek. Im Rahmen der überregionalen Literaturversorgung sollte sie Forschungsliteratur für die Fächer Allgemeine und spezielle Botanik, Allgemeine und theoretische Chemie und Optik anschaffen, ohne daß allerdings in den Folgejahren die für Literatur aus devisenpflichtigen Ländern erforderlichen Valuta bereitgestellt wurden. Der 1982 modifizierte Sammelschwerpunktplan ergänzte die übernommenen Fachgebiete um Glaschemie, Kaukasiologie und Sozialpsychologie.

1.63 Ein anderes gemeinsames Bindeglied war der Schriftentausch, den zu einem hohen Prozentsatz die Tauschstelle der Universitätsbibliothek abwickelte. Haupttauschgaben waren die Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena, das Personal- und Vorlesungsverzeichnis (solange es erscheinen durfte), Publikationen der Universitätsbibliothek ( z. B. ab 1968 die Bibliographie wissenschaftlicher Arbeiten der Friedrich-Schiller-Universität, ab 1983 die Thüringen-Bibliographie) und die Desiderata aus dem Kauftausch. Bis zum Ende der DDR stand die Universitätsbibliothek mit über 900 Tauschpartnern in aktiver Tauschverbindung.

1.64 Die Anweisung 22/1969 des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen beschleunigte den Trend an der Jenaer Universität zur sogenannten Einschichtigkeit des universitären Bibliothekssystems. Am 1. September 1970 erließ der Rektor die Ordnung über das Bibliothekswesen und die wissenschaftliche Information an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die u. a. die bisherigen Sektions-, Instituts- und Klinikbibliotheken als Zweigbibliotheken zu Struktureinheiten der Universitätsbibliothek werden ließ. Eine bibliothekarische Arbeitsgruppe entwickelte Vorschläge zur Verwirklichung der Rektorordnung in Form eines mehrstufigen Modells, das schon den Einsatz der EDV berücksichtigte. Das Modell war so flexibel ausgelegt, daß 1990 nach einigen Modifikationen die PC-gestützte Arbeit an den ursprünglich vorgesehenen Einsatzpunkten ohne Verzug begonnen werden konnte. Als allgemein gültiges Koordinierungsinstrument erwiesen sich die von den Fachreferenten der Universitätsbibliothek und Fachwissenschaftlern der Universität erarbeiteten Erwerbungsgrundsätze der Bibliothek der Friedrich-Schiller-Universität in ihrer Fassung vom 1. Juli 1975.

1.65 Das Organisationsmodell bewährte sich, als die Universität 1972 das zunächst für das Kombinat VEB Carl Zeiss JENA bestimmte 26stöckige Forschungshochhaus am Eichplatz zugesprochen bekam und 10 Zweigbibliotheken der Universitätsbibliothek als Fachlesesäle für die Sektionen der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät und für die Sektion Mathematik unterzubringen waren (Gesamtbestand: 270.000 Bde). Der Plan einer Teilbibliothek ließ sich nicht verwirklichen, außerdem erzwangen die Vorschriften über die Brandlast eine Aufteilung der Bestände.

Die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek in den neunziger Jahren

1.66 Die politische und soziale Wende im Herbst des Jahres 1989 in der DDR und die Veränderungen im Laufe des Jahres 1990 stellten die Universitätsbibliothek vor eine neue Situation. Sie begleitete den inneren Erneuerungsprozeß der Universität. Lehrfächer, die der FSU in den vergangenen Jahrzehnten durch die Hochschulreformen verlorengegangen waren, wurden wieder eingerichtet, die Bestände früherer Institutsbibliotheken konnten als Zweigbibliotheken reaktiviert werden, wie z. B. für die Romanistik, die Geographie und die Geowissenschaften. Als die Universität 1994 die Jenaer Institute für Geologie und für Mineralogie und das Weimarer Institut für Quartärpaläontologie der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) übernahm, gingen die Bestände der Institutsbibliotheken in die Zweigbibliothek Geowissenschaften ein (in Jena 18.000 Bde, in Weimar 6000 Bde).

1.67 Für die frühere Landwirtschaftliche Fakultät gab es keinen Neuanfang. Die über 40.000 Bde zählende Fakultätsbibliothek mit wertvollen historischen Beständen, zu denen die 1861 erworbene Privatbibliothek (6000 Bde) des Professors der Landwirtschaft und Begründers des " Landwirtschaftlichen Lehrinstituts auf der Universität Jena" (1826) Friedrich Gottlob Schulze (1795-1860) gehört, war durch das Engagement von Mitarbeitern der Universitätsbibliothek seit der Mitte der sechziger Jahre vor der Auflösung bewahrt worden. Sie wird jetzt zusammen mit der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft als Agrarwissenschaftliche Bibliothek in gemeinsamer Trägerschaft weitergeführt und genutzt (vgl. Eintrag dort). Die Fachbibliothek (45.000 Bde) des früheren Zentralinstituts für Mikrobiologie und experimentelle Therapie der AdW (ZIMET) mit ihrem vor allem an englischsprachigen Fachzeitschriften umfangreichen Bestand versorgt heute als Zweigbibliothek und Kooperationseinrichtung zwei Universitätsinstitute und drei weitere Institute in unterschiedlicher Trägerschaft. Dieses Modell wird auch mit der Zweigbibliothek (150.000 Bde) an der Außenstelle Erfurt des Jenaer Klinikums praktiziert. Diese Zweigbibliothek entstand aus der Zentralbibliothek der früheren Medizinischen Akademie Erfurt, sie hat die Literatur- und Informationsversorgung auch der Klinikum GmbH Erfurt mit übernommen. Mit Wirkung vom 1. Januar 1992 wurde das 1947 gegründete Universitätsarchiv der FSU als Abteilung der Bibliothek angeschlossen, dessen Bestände und Sammlungen bis in das 16. Jh zurückreichen.

1.68 Mit dem Thüringer Hochschulgesetz vom 7. Juli 1992 wurde die Universitätsbibliothek Jena zur wissenschaftlichen Landesbibliothek des Freistaates Thüringen bestimmt und trägt seitdem die Bezeichnung Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB).

1.69 Das Anfang der siebziger Jahre erarbeitete Grundmodell eines vollzentralisierten Geschäftsganges konnte jetzt mit Unterstützung der Rechentechnik umgesetzt werden, was zur Beschleunigung der Einarbeitung der zwischen 1990 und 1997 mit Hilfe von Fördermaßnahmen (Hochschulerneuerungsprogramm, Hochschulbauförderungsgesetz) und geschenkweise (Stiftungen, Private) erworbenen 750.000 Bestandseinheiten beigetragen hat. Ende des Jahres 1997 belief sich der Gesamtbestand der Bibliothek auf 3.610.913 Einheiten. Das Bestandsniveau wurde gleichmäßig angehoben, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstandene Lücken konnten weitgehend geschlossen werden.

1.70 Es wurden auch ganze oder Teile von Bibliotheken erworben, wie z. B. die Gelehrtenbibliothek (1991; 2300 Bde) des Jenaer Ordinarius für Altes Testament Rudolf Meyer (1909-1991), 1100 Titel (1995) aus der Arbeitsbibliothek des Literaturwissenschaftlers Friedrich Sengle (1909-1994) und die Bibliothek (1994; 6000 Bde) des Kunsthistorikers John Rewald (1912-1994). 1995 wurde aus dem Besitz von Rolf Sauerwein aus Moos-Weiler am Bodensee mit Landes- und Sponsor-Mitteln ein umfangreicher Sammlungsbestand Paul-Klee-Archiv (700 Titel) für die FSU angekauft, der wie die Rewald-Bibliothek seinen Platz in der Zweigbibliothek Kunstgeschichte (s. Eintrag dort) gefunden hat.

1.71 Unter den Geschenken befanden sich ein Teil der Arbeitsbibliothek (1992; 2000 Bde) des Professors für mittellateinische Philologie Karl Langosch (1903-1992), die Bibliothek des Zeitgeschichtlichen Seminars der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (1994; 9100 Bde), die Nachlaßbibliothek (1995; 2300 Bde) des Politologen Rudolf Wildenmann (1921-1993), die des Jenaer Germanisten Joachim Müller (1906-1986) mit 5000 Bdn (1995) und die Fachbibliothek des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Düsseldorf (WSI) mit 50.000 Bdn (1995).

1.72 Die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek ist an Programmen der Deutschen Forschungsgemeinschaft beteiligt. Seit 1991 werden ihre mittellateinischen Handschriften im Handschriftenzentrum an der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. beschrieben. Seit 1993 werden die Zeitschriftendaten im Rahmen des ZDB-Projektes in die Zeitschriftendatenbank eingegeben (47.000 Titel). Im Programm für die Erschließung der historischen Buchbestände bis zum Erscheinungsjahr 1850 (ABE) konvertiert die Bibliothek seit 1996 ihre Katalogdaten (402.000 Titel) über den Gemeinsamen Bibliotheksverbund (GBV), in den sie zusammen mit anderen wissenschaftlichen Bibliotheken Thüringens seit 1995 integriert ist. In Bezug auf die gemeinsame Erschließung und Benutzung der historischen Buchbestände erbringen Übereinstimmungen im Bestandsaufbau zur Zeit der Aufklärung in den Universitätsbibliotheken Jena, Halle und Göttingen sowie in den Forschungsbibliotheken Wolfenbüttel, Weimar und Gotha einen hohen Rationalisierungseffekt. Für die modernen Bestände gilt dies durch eine strukturelle Parallelität im Fächerkanon der drei genannten Universitäten in ähnlicher Weise. Technische Voraussetzung hierfür war die 1996 vorgenommene Installierung des lokalen Bibliothekssystems des Verbundes (PICA LBS3) in Jena. Bei dem hohen Vernetzungsgrad der Universität können die Serviceleistungen der Bibliothek überall in Anspruch genommen werden. Mit Wirkung vom 1. Januar 1998 hat sie im Rahmen des Programms für die überregionale Literaturversorgung die Sondersammelgebiete Rumänische Philologie und Volkskunde sowie Moldavanisch, Albanische Philologie und Volkskunde und den Länderschwerpunkt Neugriechenland übernommen.

1.73 In den Neubau der Zentralbibliothek, der im Wintersemester des Jahres 2000 eröffnet werden soll, werden 11 Zweigbibliotheken (9 der Philosophischen Fakultät, Pädagogik und Psychologie) als Teilbibliothek Geisteswissenschaften in großzügiger Freihandaufstellung integriert werden. Dieser im wesentlichen neuere Bestand wird, den stärker werdenden Anforderungen entsprechend, durch flexible Umsetzungen aus dem seit 1993 in einem modernen Außenmagazin konzentrierten historischen Bestand (1,2 Mio Bde) zu ergänzen sein. Bereits im Jahre 1995 wurde eine erste Teilbibliothek Rechtswissenschaft/Wirtschaftswissenschaften eingerichtet, die neben ihren Freihandbeständen an Ort und Stelle auch magazinierte historische Buchbestände bereitstellt. In absehbarer Zeit sollen für die Naturwissenschaften und die Medizin zwei weitere Teilbibliotheken geschaffen werden.

1.74 Die neunziger Jahre waren, ähnlich wie die Jahre der Güldenapfelschen Reorganisation im 19. Jh, eine Zeit des Umbruchs, der Neuorientierung und der Horizonterweiterung. Allerdings ermöglicht jetzt die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie den Zugriff auf historische und aktuelle Buchbestände weltweit.

Konrad Marwinski

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

Chronologische Übersicht und Übersicht nach Sprachen

2.1 Die Bibliothek umfaßt 3.622.195 Bestandseinheiten (1997), davon gehören 641.293 Titel (17,7 Prozent) zum historischen Bestand. Aus dem 16. Jh stammen 26.716 Titel (4,2 Prozent), aus dem 17. Jh 67.040 (10,4 Prozent), aus dem 18. Jh 111.467 (17,4 Prozent) und aus dem 19. Jh 431.034 (67,2 Prozent). Ohne Jahresangabe sind 5036 Titel. Die Inkunabeln (1089 Titel) sind unter 2.10-2.18 beschrieben.

2.2 Der historische Bestand setzt sich aus 5 Teilbereichen zusammen. Der durch die Aufstellungssystematik erfaßte Kernbestand (1) zählt 344.412 Titel (53,7 Prozent; 16. Jh 16.379, 17. Jh 36.130, 18. Jh 60.440, 19. Jh 228.676; o. J. 2787); der Ergänzungsbestand dazu (2) enthält 31.585 Titel (4,9 Prozent; 16. Jh 2816, 17. Jh 2819, 18. Jh 9355, 19. Jh 15.632; o. J. 963). In den Sondersammlungen (3) sind 57.543 Titel überliefert (9 Prozent; 16. Jh 6080, 17. Jh 16.248, 18. Jh 23.900, 19. Jh 10.641; o. J. 674). Die Spezialbestände (4) umfassen 138.263 Titel (21,6 Prozent; 16. Jh 1115, 17. Jh 11.500, 18. Jh 13.500, 19. Jh 112.148). In den Teil- bzw. Zweigbibliotheken (5) sind weitere 69.490 Titel enthalten (16. Jh 326, 17. Jh 343, 18. Jh 4272, 19. Jh 63.937; o. J. 612).

2.3 Nach der sprachlichen Zusammensetzung steht die deutsche Sprache mit 337.863 Titeln an erster Stelle (52,7 Prozent; Kernbestand 203.484), gefolgt von der lateinischen Sprache mit 207.671 Titeln (32,4 Prozent; Kernbestand 73.021). Französischsprachige Titel nehmen mit 44.138 Titeln den dritten Platz ein (6,9 Prozent; Kernbestand 30.982), Titel in englischer Sprache stehen mit 24.108 Titeln an vierter Stelle (3,7 Prozent; Kernbestand 15.741). In weiteren Sprachen, vor allem Griechisch, Hebräisch und Italienisch, liegen 27.513 Titel vor (4,3 Prozent; Kernbestand 21.184). Neben der originalsprachigen Literatur ist ein hoher Anteil an Übersetzungen zu verzeichnen.

Felicitas Marwinski

Systematische Übersicht

Älteste Bestände

Wittenberger Kurfürstliche Bibliothek

2.4 Die Bibliotheca Electoralis umfaßte bei ihrer Ankunft in Jena neben den 141 Handschriften, die hier außerhalb der Betrachtung bleiben, etwa 1450 Bde mit über 2000 Drucken. Zahlreiche Bände enthalten auf der Innenseite des Vorderdeckels das Exlibris Johann Friedrichs in einer für Folio-, Quart- und Oktavbände jeweils spezifischen Abmessung. Die Umfangsangabe ergibt sich aus den erhaltenen historischen Katalogen. Die bei Mylius ( s. u. 3.4) angegebene Zahl von mehr als 3000 Bdn, die fälschlicherweise in die Handbücher eingegangen ist, bezieht sich auf eine weit größere Bestandseinheit, die zu seiner Zeit traditionsbedingt als Bibliotheca Electoralis bezeichnet wurde. Diese umfaßte nicht nur den Wittenberger Grundstock, sondern auch die Jenaer Neuzugänge bis etwa zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges, soweit es sich nicht um geschlossene Nachlaßerwerbungen handelte; noch in der zweiten Hälfte des 17. Jhs wurden ihr gelegentlich Neuerwerbungen eingegliedert.

2.5 Im Auftrag der Fürsten und in Abstimmung mit den Wittenberger Universitätsprofessoren hatte Georg Spalatin als Bibliothekar Literatur beschafft, die den Bedürfnissen der für ihre Zeit modernsten und bald auch meistfrequentierten deutschen Universität entsprach. Neben den neuesten Druckausgaben der frühchristlichen, mittelalterlichen und zeitgenössischen Theologen waren die maßgebenden Ausgaben lateinischer und griechischer Texte der Antike aus allen Wissensgebieten (darunter zahlreiche Aldinen) und das zeitgenössische humanistische Schrifttum erworben worden, außerdem Grammatiken und Wörterbücher des Lateinischen, des Griechischen und des Hebräischen. Deutlich wird Spalatins starkes Interesse an der Historiographie. Neben dem römischen Recht hatte auch das deutsche Recht Beachtung gefunden und das kanonische Recht seinen Platz behauptet. Gut vertreten sind auch Medizin, Geographie, Mathematik und Astronomie. Auf die Erwerbung der Schriften Luthers und anderer Reformatoren hatte Spalatin besonderen Wert gelegt; im Vordergrund standen Bibelübersetzung und -auslegung, während die Streitschriften zurücktraten; sie kamen erst mit der Buderiana in die Universitätsbibliothek.

2.6 Außer der Benutzung durch Wittenberger Professoren, die so Luther und Melanchthon teilweise auch Randbemerkungen in den Büchern hinterließen (am bekanntesten sind die Luthers in Marcus von Weidas Spiegel hochlöblicher Bruderschafft des Rosenkrantz Marie, Leipzig 1515), ist auch die Ausleihe nach auswärts bezeugt. An einem kleinen Teil der Bände hat sich noch die Sicherungskette aus der Zeit der Pultbibliothek erhalten. Mit der Bibliotheksreform von 1817/26 verlor die Electoralis ihre Sonderstellung und ging im Gesamtbestand auf.

2.7 Zu den seltenen Drucken gehören Nikolaus Marschalks Enchiridion poetarum clarissimorum (Erfurt: Nikolaus Marschalk 1502) in einem Erfurter Einband, die von Johann von Staupitz herausgegebenen Constitutiones Fratrum Heremitarum Sancti Augustini ([Nürnberg] 1504; VD 16: A 4142) sowie Andreas Meinhardis Dialogus illustrate ac Augustissime urbis Albiorene vulgo Vittenberg dicte (Leipzig: Martin Landsberg 1508; VD 16: M 2251). Die Electoralis ist reich an Ausgaben von Bibeln und Bibelteilen, darunter die erste griechisch-lateinische Ausgabe des Neuen Testaments von Erasmus (Basel: Froben 1516; VD 16: B 4196). Von Luthers Bibelübersetzung ist nicht nur Das Newe Testament Deutzsch (Wittenberg: [Melchior Lotter d. J.] 1522; Weimarer Ausgabe (WA) Dt. Bibel 2,1), die als Septembertestament bekannte erste Ausgabe des Neuen Testaments mit den Holzschnitten Cranachs, im Bestand, sondern auch die Erstausgabe der Gesamtbibel (Wittenberg: Hans Lufft 1534; WA Dt. Bibel 2,50). Von der revidierten Ausgabe (Wittenberg: Hans Lufft 1541; WA Dt. Bibel 2,69) ist das für Johann Friedrich bestimmte, in der Cranach-Werkstatt kolorierte und von Lucas Cranach d. Ä. mit einer ganzseitigen Eingangsminiatur zum Thema " Gesetz und Gnade" ausgestattete zweibändige Pergamentexemplar vorhanden.

2.8 In Wittenberger Einbänden von 1545 und mit dem Exlibris Johann Friedrichs präsentiert sich die Complutensische Bibelpolyglotte (Alcalá de Henares [1514-1520]). Ebenso sorgfältig gestaltete Einbände mit humanistischer bzw. reformatorischer Aussage erhielten die bei Hans Lufft in Wittenberg zu Luthers Lebzeiten gedruckten Bände der Gesamtausgabe seiner Werke: Deutsche Reihe, Bd 1 (1539), mit Exlibris Johann Friedrichs, und Lateinische Reihe, Bd 1 (1545) und Bd 2 (1546). Zu den Pergamentdrucken, die mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Electoralis stammen, gehören neben der oben erwähnten Johann-Friedrich-Bibel auch die deutsche Übersetzung der römischen Geschichte des Livius von Bernhard Schöferlin und Ivo Wittig (Mainz: Johann Schöffer 1505; VD 16: L 2102) und die lateinische Übersetzung des Petrus Mosellanus von Isocrates' Oratio de bello fugiendo et pace servanda (Leipzig: Valentin Schumann 1518; VD 16: L 2102) mit eingedrucktem sächsischem Wappen und eingedruckter Widmung an Friedrich den Weisen, die mit der Georg von Sachsen gewidmeten Oratio de variarum linguarum cognitione paranda des Petrus Mosellanus (Leipzig: Valentin Schumann 1518; VD 16: S 2132) in einem Band vereinigt ist.

2.9 Unter den für Friedrich den Weisen bestimmten Widmungsexemplaren, in die das sächsische Wappen eingemalt wurde, sind mehrere Drucke von Werken des Wittenberger Universitätslehrers Petrus Ravennas: Clypeus contra doctorem Caium (Wittenberg: Nikolaus Marschalk 1503; VD 16: T 1527), Compendium Juris Canonici (Wittenberg: Wolfgang Stöckel 1504; VD 16: T 1533) und Sermones (Wittenberg: Hermann Trebelius 1505; VD 16: T 1554). Mit vier farbigen Zierseiten auf Goldgrund, die u. a. die einzelnen Schilde des Kursächsischen Wappens wiedergeben, ist der Libellus de laudibus Germaniae et Ducum Saxoniae von Christoph Scheurl (Bologna: Benedetto Faelli 1506) ausgestattet. Zwei Drucke enthalten jeweils zwei dem Kurfürsten gewidmete Werke Ulrich Pinders: Speculum intellectuale felicitatis humane und Compendium breve de bone valetudinis cura (nicht im VD 16) sowie Speculum Phlebothomye und Tractatus simplicium medicinarum (Nürnberg: Ulrich Pinder 1510; VD 16: P 2810). Jeder der beiden Drucke ist mit einem eigenen, nach Cranachschem Vorbild seitenverkehrt geschnittenen kolorierten Holzschnittporträt Friedrichs des Weisen von 1510 ausgestattet, das jeweils am Eingang des zweiten enthaltenen Werkes in anderer Ausmalung wiederkehrt. Erwähnt seien ein Exemplar der Werke Hrotsvithas von Gandersheim (Nürnberg: Sodalitas Celtica 1501; VD 16: G 4135), die der Herausgeber Konrad Celtis dem Kurfürsten gewidmet hat, mit handschriftlicher Widmung seitens der Societas Polychiana an Friedrich den Weisen, und die ebenfalls von Konrad Celtis besorgte Erstausgabe der als Ligurinus bekannten Versifikation der Gesta Friderici Ottos von Freising aus der Feder Gunthers von Pairis (Augsburg: Erhard Oeglin 1507; VD 16: H 5278) mit eingemalten Kursächsischen Wappenschilden und der handschriftlichen Widmung des Mitherausgebers Konrad Peutinger auf einem Pergament-Vorsatzblatt.

Inkunabeln

2.10 Zum Inkunabelbestand gehören 819 Bde, die 1089 Ausgaben in 1189 Exemplaren enthalten. Der Grundstock ist 1549 mit der Electoralis nach Jena gekommen und wurde in der Folgezeit durch Zugänge aus Gelehrtenbibliotheken, z. B. aus dem Besitz von Christian Gottlieb Buder (1763) und Wolfgang Maximilian von Goethe (1883), erweitert. Hinzu kam 1957 der Inkunabelbestand der aufgelösten Landesbibliothek Altenburg, in den auch die Inkunabeln des dortigen Friedrichs-Gymnasiums Eingang gefunden hatten.

2.11 Frühchristliche und mittelalterliche theologische Literatur sowie kanonisches und römisches Recht sind besonders stark vertreten. Daß antike Texte und humanistische Literatur, Grammatiken und Vokabularien verhältnismäßig breiten Raum einnehmen, ist den Zugängen aus Gelehrtenbibliotheken zu verdanken, vor allem aber Georg Spalatins Erwerbungen für die Electoralis. Neben lateinischen Texten sind auch griechische in bemerkenswertem Umfang vorhanden, darunter die von Aldus Manutius gedruckte fünfbändige Aristoteles-Gesamtausgabe (Venedig 1495-1498; GW 2334), die Editio princeps. Bei den Ausgaben in den Volkssprachen halten sich Deutsch (mit wenigen niederdeutschen Texten) und Französisch fast die Waage.

2.12 Unter 49 Druckorten steht mit 274 Drucken Venedig an der Spitze vor Straßburg (100). Es folgen Leipzig (97 Drucke), Basel (90), Nürnberg (88) und Köln (81); weiterhin Lyon (26), Paris und Rom (je 25), Mailand (22), Augsburg (21), Mainz (15), Bologna (14), Ulm (14) und Pavia (12). Aus den übrigen 34 Druckorten sind jeweils weniger als 10 Drucke vorhanden. Italien ist mit einer größeren Anzahl von Offizinen vertreten als der deutsche Sprachbereich. Bei der Zahl der Drucke liegt jedoch der deutsche Sprachbereich mit 573 Drucken an erster Stelle, gefolgt von Italien (399). Auf Frankreich entfallen 51 Drucke, auf die Niederlande 8, auf Belgien 3, auf Spanien ein Druck. Bei den restlichen Drucken ist die Herkunft ungeklärt.

2.13 Unter den Druckern ragt Anton Koberger (Nürnberg) hervor (65 Drucke). Auf Johannes Amerbach (Basel; 32) folgen neben Heinrich Quentell (Köln; 28) und Georg Husner (Straßburg; wenigstens 27) die Leipziger Drucker Konrad Kachelofen (27) und Martin Landsberg (26). Von Johannes Prüss d. Ä. (Straßburg) sind 22, von Nikolaus Kessler (Basel) 20 Drucke vorhanden. Aldus Manutius (Venedig) ist ebenso wie Peter Drach (Speyer) mit 19 Drucken vertreten, Johannes Koelhoff d. Ä. (Köln) mit 18, Bonetus Locatellus (Venedig) und Jacob Thanner (Leipzig) mit je 17, Philippus Pincius (Venedig) mit 15, Johann Zainer (Ulm), Michael Wenssler (Basel) und Johannes Grüninger (Straßburg) mit je 13, Stephan Plannck (Rom), Andreas Torresanus und Baptista de Tortis (Venedig) mit je 12, Martin Flach (Straßburg), Johannes Tacuinus (Venedig) und Jean Treperel (Paris) mit je 11, Peter Schöffer (Mainz) und Georgius de Arrivabenis (Venedig) mit je 10. Von den meisten Druckern befinden sich jeweils weniger als 10 Inkunabeln im Bestand, in zahlreichen Fällen nur ein Druck.

2.14 Neben der Einbandgestaltung geben Eintragungen Hinweise auf die Herkunft der Bände. Viele kommen aus Klöstern des wettinischen Herrschaftsgebietes. Am deutlichsten hebt sich durch einen Vermerk über die Herkunft aus dem Legat des Meißner Domherrn Thammo Loesser eine Gruppe von 18 Bdn mit 50 Drucken in 51 Exemplaren ab, die über das Franziskanerkloster Wittenberg in die Electoralis gelangt sind.

2.15 Im Jahre 1759 kamen mit den Überresten der Jenaer Klosterbibliotheken 48 Inkunabelbände mit 66 Drucken in die Akademische Bibliothek (vgl. den von Johann Gottfried Müller 1749 angelegten Katalog unter 3.3). Sie dürften größtenteils aus dem Dominikanerkloster stammen, für das ein Studienbetrieb seit der Mitte des 14. Jhs nachgewiesen ist. Für zwei Inkunabelbände ist die Herkunft aus dem Jenaer Predigerkloster durch den entsprechenden Besitzereintrag, für einen weiteren durch ein ausdrückliches Legat an dieses Kloster belegt. Bei fünf Legaten verschiedener Vorbesitzer sowie bei 9 Bdn, die Besitzereinträge von drei Vorbesitzern enthalten, ist anzunehmen, daß sie ebenfalls dem Predigerkloster vermacht worden sind.

2.16 Den höchsten Rang nimmt die illuminierte 36zeilige Bibel (GW 4202) aus der Bibliothek des Orientalisten Johann Andreas Danz ein. Als Unica zu betrachten sind: Sibyllenbuch (Bamberg: Hans Sporer 1491; Geldner, Die Buchdruckerkunst im alten Bamberg, 154), Büchlein der Titel aller Stände ([Nürnberg: Peter Wagner, um 1491]; GW 5702), die Histoire du Vaillant Chevalier Pierre de Provence et de la belle Maguelone (Lyon: Jean Du Pré, 14. März 1489/90; Claudin, Histoire de l'Imprimerie en France au XVe et au XVIe siècle, III, 480-1), L'hospital d'amours ([Paris: Jean Treperel, um 1495]; GW 6581) des Pseudo-Chartier, Jean Quentins Le cordial ([Paris: Antoine Caillaut, um 1490]; ISTC iq00017800), Le purgatoire de Saint Patrice ([Paris]: Jean Treperel, [um 1498]; ISTC ip01135930), La vie saint jehan baptiste ([Paris]: Jean Treperel, [um 1498]; ISTC ij00254840), La Vie du terrible Robert le diable (Paris: Jean Treperel, 6. März 1498/99; ISTC ir00202930), Petrarcas La patience de Griselidis (Paris: Jean Treperel [um 1499-1500]; ISTC ip00402845) und Olivier Maillards La confession ([Paris]: Pierre Le Caron, [um 1500]; ISTC im00069070). Die 8 letztgenannten, von denen 6 bis 1996 noch nirgends nachgewiesen waren, entstammen 7 Bdn (bis auf einen in Nürnberger Einbänden mit Goldpressung, von denen drei nachweislich aus dem Besitz von Anton Kobergers Schwiegersohn Wolff Haller kommen), die insgesamt 23 z. T. sehr seltene Inkunabeln in der französischen Volkssprache enthalten. In der Bibliothek befindet sich auch das einzige ohne Kolophon gedruckte Exemplar von Petrus Paulus Vergerius' De ingenuis moribus cum aliis tractatibus (hrsg. von Johannes Calphurnius; Venedig: Damianus de Mediolano de Gorgonzola, 21. Juni 1493; H 15994).

2.17 Bernhard von Breidenbachs Peregrinatio in terram sanctam liegt in der lateinischen Erstausgabe (GW 5075), der deutschen von 1486 (GW 5077, 3 Exemplare) und der französischen von 1489/90 (GW 5079) vor. Von Hartmann Schedels Weltchronik ist die lateinische Ausgabe von 1493 (HC 14508) in zwei Exemplaren vorhanden, von denen eines koloriert ist und einen reichverzierten Nürnberger Einband besitzt. Daneben ist die von Anton Koberger in Nürnberg gedruckte deutsche Ausgabe von 1493 (H 14510) vorhanden, ebenfalls koloriert; außerdem der Augsburger Raubdruck von Schönsperger von 1497 (HCR 14509) aus Buders Bibliothek.

2.18 Dem zweibändigen Pergamentexemplar von Boccaccios De casibus virorum illustrium in der französischen Übersetzung von Laurent de Premierfait (Paris: Jean Du Pré 1483; GW 4434) verleihen rotes Linienschema, Miniaturen und Zierrahmen das Aussehen einer Handschrift. Die Meditationes vitae Christi des Ludolphus de Saxonia in der französischen Übersetzung von Guillaume Lemenand (Lyon: M. Huss 1493; HC 10299) sind in einem Pergamentexemplar mit Zierleisten und übermalten Holzschnitten und einem unkolorierten Papier-Exemplar vorhanden. Die Pergamentdrucke gelangten als Geschenke der Grafen von Nassau-Breda an Johann Friedrich den Großmütigen 1538 nach Wittenberg.

Irmgard Kratzsch

Drucke des 16. Jahrhunderts

2.19 Mit 26.716 Drucken des 16. Jhs, von denen ca. 84 Prozent im deutschen Sprachgebiet erschienen, besitzt die Bibliothek etwa 2,5 Prozent der insgesamt aus diesem Jahrhundert überlieferten Drucke. Dabei entfallen auf Latein 76,9 Prozent, auf deutschsprachige Drucke 13,8 Prozent und 9,3 Prozent auf weitere Sprachen. Bei den nicht aus dem deutschen Sprachgebiet stammenden Drucken dominieren die italienischen, französischen und niederländischen. Stark vertreten ist die französische Schweiz mit Werken des Calvinismus. Vereinzelt tauchen dänische, polnische, tschechische, spanische und portugiesische Drucke auf.

2.20 Die Electoralis bildet den Kern dieses Bestandes, der in der zweiten Hälfte des 16. Jhs u. a. durch die Pflichtexemplar-Ablieferungen der Jenaer Buchdrucker beträchtliche Ergänzungen erfuhr. Die später übernommenen Gelehrtenbibliotheken von Johann Andreas Bose, Caspar Sagittarius, Johann Andreas Danz und vor allem von Christian Gottlieb Buder führten dem Bestand weitere Drucke zu, die Buderiana (s. u. 2.521-2.590) allein 5702. Aus der Bibliothek Wolfgang Maximilian von Goethes stammen 50 Drucke (s. u. 2.608-2.619). Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen 1548 Drucke hinzu, größtenteils aus der Landesbibliothek Altenburg.

2.21 Die Drucke des 16. Jhs sind in die Sachgruppen des Bestandes integriert. Eine gröbere Aufschlüsselung spiegelt die Dominanz der Theologie mit etwa 33 Prozent wider; 37 Prozent entfallen auf die Artes liberales, 19 Prozent auf die Rechtswissenschaft und 10 Prozent auf die Medizin. Vorhanden sind die meisten bedeutenden Werke des Jahrhunderts, z. T. in Erstausgaben, wie Konrad Celtis, Quatuor libri amorum (Nürnberg 1502), Erasmus, Moriae encomium (Straßburg 1511); Albrecht Dürer, Von menschlicher Proportion (Nürnberg 1528); Otto Brunfels, Herbarium (Straßburg 1530); Georg Agricola, Bermannus, sive de re metallica (Basel 1530) und De re metallica libri XII (Basel 1561); Sebastian Franck, Chronica (Straßburg 1531); Nikolaus Kopernikus, De revolutionibus orbium coelestium (Nürnberg 1543); Andreas Vesalius, De humani corporis fabrica (Basel 1543); Abraham Ortelius, Theatrum orbis terrarum (Antwerpen 1570) und Georg Braun, Beschreibung und Kontrafaktur der vornehmsten Städte der Welt (Köln 1574-1618).

2.22 Auch die zwei epochemachenden mehrsprachigen Bibelunternehmen des 16. Jhs, die Biblia polyglotta Complutensis (Alcalá de Henares [1514-1520]; s. o. 2.8) und die Biblia sacra Plantins, auch als Biblia Regia oder Plantiniana bezeichnet (8 Bde, Antwerpen 1568-1572), letztere in Einbänden von Johannes Weischner, gehören zum Bestand. Daneben stehen zahlreiche Kleinschriften wie Prognostiken und Kalender, vor allem aber die Neuen Zeitungen. Vorhanden sind neben den eigenen Werken der Humanisten ihre Texteditionen und Übersetzungen antiker Autoren, die in den führenden Offizinen der Zeit in Venedig (z. B. Galenus, Opera, Aldus Manutius und Andreas Asulanus 1525), Basel, Paris, Lyon und Antwerpen hergestellt wurden.

2.23 Breiten Raum nehmen Reformationsdrucke ein. An Lutherdrucken aus der Lebenszeit sind neben den Erstdrucken der frühen Sammelausgaben und den vor Luthers Tod erschienenen Bänden der Wittenberger Gesamtausgabe 892 Exemplare von Einzelschriften in Sammelbänden (zeitgenössische Holzdeckelbände mit Blindpressungen) vorhanden. 130 Drucke, darunter zahlreiche der Bibelauslegung dienende Vorlesungen, Predigten und Postillen stammen aus der Electoralis, 183 (vorwiegend Flugschriften) aus Buders Bibliothek und 410 aus der Landesbibliothek Altenburg. Von den 627 Ausgaben sind zwei Drittel in Wittenberg erschienen. Mehr als die Hälfte sind Erstausgaben; etwa zwei Drittel davon sind Wittenberger Drucke. Die beiden Reihen der Wittenberger und der Jenaer Lutherausgabe sind in den verschiedenen Auflagen teils mehrfach, teils mit Lücken vorhanden.

2.24 Unter seinen Mitstreitern, Epigonen und Gegnern ist z. B. der zeitweise in Jena tätige Gnesiolutheraner Matthias Flacius Illyricus d. Ä. (1520-1575) mit 70 Schriften in 194 Exemplaren vertreten. Zu den Rara zählen ein Druck in glagolitischer Schrift (Giacomo Paleari, Beneficium Christi), der 1563 in Urach bei Hans Ungnad herauskam, und eine (im VD 16 nicht erfaßte) von Paul Fagius besorgte hebräisch-lateinische Ausgabe des Buches Thisbi des Elijah ben Asher ohne Kolophon, die wahrscheinlich um 1540 in Fagius' eigener Druckerei in Isny entstand.

2.25 Mit Georg Rörers Nachlaß wurden 1557 Luthers Handexemplare seiner Übersetzungen des Alten Testaments (Wittenberg: Hans Lufft 1539) und des Neuen Testaments (Wittenberg: Hans Lufft 1540) mit zahlreichen Randbemerkungen des Reformators erworben. Neben dem September-Testament ist auch die als Dezember-Testament bekannt gewordene zweite Ausgabe des Neuen Testaments vorhanden (Wittenberg: Melchior Lotter d. J. 1522) und das für den Kurfürsten Johann Friedrich zweibändig auf Pergament gedruckte, in der Cranach-Werkstatt kolorierte Exemplar der neu bearbeiteten Luther-Bibel (Wittenberg: Hans Lufft 1541; s. o. 2.7). Unter den 7 Pergamentdrucken des 16. Jhs sind neben der erwähnten Johann-Friedrich-Bibel von 1541 eine frühe Ausgabe des Theuerdank ( o. O., o. J.) und ein seltenes Breviarium Misnense (Leipzig 1502).

2.26 Mit der Verlagerung des Schwerpunktes der lutherischen Theologie nach Jena faßte der Buchdruck hier Fuß. Bis zum Ende des 16. Jhs waren 9 Offizinen tätig, die auch für den Weimarer Hof arbeiteten. Das wichtigste Unternehmen war die Jenaer Lutherausgabe, deren deutsche und lateinische Reihe zwischen 1555 und 1615 in 6 und 4 Auflagen bei mehreren Jenaer Druckern erschien. Die Jenaer Drucke, darunter zahlreiche Gelegenheitsschriften, wie Leichenpredigten, Hochzeitscarmina und Universitätsprogramme, sind zwar nicht vollständig, jedoch in großem Umfang vertreten. Vom ersten Jenaer Drucker, Michel Buchfürer, sind zwei Drucke von 1523 im Bestand.

2.27 Drucke thüringischer Offizinen haben an den Drucken des 16. Jhs einen Anteil von etwa 8 Prozent. Neben Jena tritt vor allem Erfurt hervor. Eine Rarität ist der einzige in Eisenach von Hermann Trebelius 1506 herausgebrachte Druck, Hecatostichon Elegiacum de Peste Isenachensi.

2.28 Zugänge aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erhielten häufig Einbände von Johannes Weischner und dessen Sohn Lukas. Von dem sächsischen Hofbuchbinder Jakob Krause ist ein Einband überliefert (s. u. 5, von Rabenau, Deutsche Bucheinbände, 1994; Helwig, Bucheinband, 1930). Das Enchiridion poetarum clarissimorum (Erfurt 1502) von Nikolaus Marschalk liegt in einem Erfurter Einband vor.

Irmgard Kratzsch

Sebastian Vogler


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.