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Bücher und Bibliotheken in Prag

Mittelalter

Für die Geschichte und kulturelle Entwicklung von Prag sowie der böhmischen Länder sind zwei historische Epochen im Mittelalter bedeutend: das Großmährische Reich im 9. Jahrhundert und die Regierung der Fürsten und Könige aus der Premysliden-Dynastie vom 9. bis 13. Jahrhundert. Mähren wurde bereits seit dem 6. Jahrhundert von Slawen besiedelt. Nach dem Tod des Fürsten Svatopluk (894) zerfiel das Großmährische Reich, und erst im Jahre 1029 wurde Mähren wieder mit Böhmen vereinigt. Die großmährische Kirche stand unter dem Einfluß der kirchenslawischen Liturgie, was große Bedeutung für die Entwicklung der Sprache und Schrift hatte. Die Brüder Kyrill (827-869) und Method (885), auch Slawenapostel genannt, brachten als Missionare die von ihnen geschaffene alt-slawische Schrift der Glagoliza in den Jahren 863/64 mit nach Mähren. Fortan durfte nach lateinischer Lesung in den Gottesdiensten in slawischer Sprache gepredigt werden.

In Böhmen herrschten seit Gründung der Burg und Stadt Prag im 9. Jahrhundert die Fürsten der Premysliden-Dynastie. Als Herzog von Böhmen herrschte Borivoj I. (bis 889/90), der sich vom Slawenapostel Method christlich taufen ließ. Unter Landesfürst Vratislav I. (Regierungszeit 915-921) und seinem Sohn Václav I. (924-935) wurde die Christianisierung des Landes fortgeführt und die Position der katholischen Kirche gefestigt. So wurden bei der Prager Burg die St.-Georgs-Basilika (um 920) und die vorromanische St.-Veits-Kirche (um 925) erbaut. Die älteste schriftliche Nachricht über Prag stammt aus dem Jahre 929 von dem sächsischen Chronisten Widukind, einem Mönch aus der Benediktinerabtei Corvey an der Weser, in seiner Chronik Rerum gestarum Saxonicarum libri tres.

Um 970 wurde neben der Basilika mit dem St.-Georgs-Kloster der älteste Konvent in Böhmen für Benediktinerinnen errichtet. Die Äbtissinnen hatten zudem das Privileg, die böhmischen Königinnen zu krönen. Prag wurde 973 durch Papst Johannes XIII. Bischofssitz und infolgedessen in den folgenden Jahrhunderten Zentrum des kirchlichen, ökonomischen und kulturellen Lebens für Böhmen. Als Schriftsprache setzte sich das Lateinische durch. So ist die Geschichte Böhmens im 11. Jahrhundert in der Chronica Boemorum von Kosmas (1045?-1125), Dechant des Prager Domkapitels, in lateinischer Sprache dokumentiert (in deutscher Sprache gedruckt als Die Chronik der Böhmen des Cosmas von Prag, Berlin 1923).

Die ältesten mittelalterlichen Bücher sind nicht nur in einer kirchlichen und literarischen Tradition zu sehen, sondern auch in einer künstlerischen. Als Schreibmaterial benutzte man Pergament oder ab dem 14. Jahrhundert aus Gewebefetzen erzeugtes Papier. Der Text wurde mit schönen Illustrationen versehen, die Anfänge einzelner Kapitel oder Absätze mit großen ausgemalten Initialen verziert. Die Schriftmaler genossen verdientermaßen ihr Ansehen als Künstler. So verwundert es nicht, daß Bücher und Bibliotheken seit Beginn des Mittelalters zu den wertvollsten Besitztümern der Klöster, der Adligen sowie der Herrscher gehörten. Reiche Adlige bestellten in den Skriptorien aufwendig illustrierte und künstlerisch gestaltete Bücher als Geschenke, um gesellschaftliche und politisch wichtige Kontakte zu pflegen.

Die Anfänge einer literarischen Kultur in Böhmen gehen auf den Beginn des 10. Jahrhunderts zurück, als das Lateinische und das Kirchenslawische Schriftsprachen waren. Die kirchenslawischen Texte aus dieser Zeit sind heute jedoch nur fragmentarisch erhalten. Das bedeutendste Zentrum der kirchenslawischen Sprache und Kultur war für etwa zwei Jahrhunderte das Sázava-Kloster südlich von Prag (gegründet um 1032). Aus dieser Zeit stammen die Prazské zlomky hlaholské [Prager Fragmente der kirchenslawischen Handschriften], die wichtige Quellen für das Studium der tschechischen Sprachgeschichte darstellen. Trotz des zunächst zunehmenden Einflusses des Slawischen, konnte sich die katholische Kirche mit ihrer kirchlichen Literatur und Liturgie in lateinischer Sprache zu Beginn des 11. Jahrhunderts durchsetzen. Später erlebte die altslawische Liturgie im 1347 begründeten Emmaus-Kloster eine zweite Blütezeit, in dem auch ein Schreiber- und Maler-Kabinett an der Produktion altslawischer und tschechischer Bücher arbeitete.

Die älteste in lateinischer Sprache erhaltene Handschrift böhmischen Ursprungs ist die Gumpold-Legende vom Heiligen Wenzeslaus (aus den Jahren 1000 bis 1006). Als die wertvolle romanische Handschrift ist der Kodex vyšehradský [Codex aus Wyschehrad] erhalten, der für die Krönung des ersten böhmischen Königs aus der Premysliden-Dynastie, Vratislav II. (1092), im Jahre 1085 angefertigt wurde. Die umfangreichste Handschrift des Mittelalters ist Gigas librorum, auch Liber aureus genannt, aus dem 13. Jahrhundert. Dieses Buch wurde seinerzeit den sieben Weltwundern zugerechnet; seinem Autor, einem anonym gebliebenen Mönch aus dem Kloster Podlazice [Podlaschitz], wurden diabolische Kräfte nachgesagt. Zu den geschätzten mittelalterlichen Handschriften aus Prager Produktion zählen das gotische Brevier aus dem Prager Zisterzienserkloster für die Königin Alzbeta (Elisabeth) Rejcka (1286-1335), Witwe von König (1278-1305); das um 1312 im Skriptorium des St.-Georgs-Klosters entstandene illuminierte Passional für die Äbtissin Kunhuta (1265-1321), Tochter des Königs Otakar II. Premysl (Regierungszeit 1253-1278), und die gotische illustrierte Velislav-Bibel, bestellt von Hofschreiber Velislav (1367) für die königliche Kanzlei der Luxemburger-Dynastie in Prag. Der Großteil der mittelalterlichen Codices wird heute in der Nationalbibliothek der Tschechischen Republik in Prag aufbewahrt.

Die mittelalterliche Geschichte zeigt immer wieder das enge Zusammenspiel von katholischer Kirche und weltlicher Macht in der historischen Entwicklung der Hauptstadt Prag und seiner Buchkultur. Eines der bedeutendsten Klöster in Böhmen und ganz Europa entstand 1143 am Strahov in der Nähe der Prager Burg. Es wurde von Fürst Vladislav II. (Regierungszeit 1140-1172, König seit 1158) aus der Premysliden-Dynastie in Trägerschaft des Prämonstratenserordens gegründet und verfügte von Beginn an über eine wertvolle historische Bibliothek, die Weltruhm erlangte und bis heute erhalten ist. Sie besitzt eine Reihe alter Handschriften, darunter das berühmte Strahover Evangeliar aus dem 9. Jahrhundert, zudem umfangreiche Literatur aus allen Jahrhunderten zu Theologie und anderen Wissenschaftsgebieten. Große Verdienste um die Entwicklung der Buchkunst hatte zudem der Prager Erzbischof Arnošt z Pardubic (Ernst von Pardubitz, 1297-1364), Diplomat und Berater am Hofe Karls IV. (Regierungszeit 1346-1378). Er sorgte unter anderem für die Inneneinrichtung von Kirchen und Klöstern und war besonders um ihre Bibliotheken und Bücher bemüht.

Im Jahre 1310 kam Jan Lucemburský (Johann von Luxemburg, 1310-1346) als neuer böhmischer König aus Luxemburg nach Prag, vermählt mit der 1310 zur böhmischen Königin gekrönten Eliška Premyslovna (1292-1330). Am 18. September 1338 erteilte der neue König das Privileg für den Bau eines Rathauses am Altstädter Ring. In dieser Zeit entstand in Prag ein lebendiger Buchmarkt: Die Venditores librorum boten nicht nur Bücher aus dem In- und Ausland an, sondern verbreiteten auch Bücher aus der Prager Produktion über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus.

König Karl IV. begann seine Regierungszeit im Jahre 1346, nachdem sein Vater Jan Lucemburský in der Schlacht bei Crécy-en-Ponthieu gefallen war. Nach seiner Krönung wurde Prag nicht nur Hauptstadt des Böhmischen Königreichs, sondern auch des Römisch-deutschen Reiches. Es entwickelte sich zum Zentrum für Kultur und Wissenschaften in Mitteleuropa. Der König beauftragte den französischen Architekten Matthias d'Arras mit dem Bau einer großen gotischen Kathedrale im Zentrum der Prager Burg, dem St.-Veits-Dom. Bald darauf wurde das Prager Bistum zum Erzbistum erhoben. Im Jahre 1348 gründete Karl IV. die Prager Neustadt und ließ dort mehrere Klöster und gotische Kirchen errichten, so daß sich die Zahl der Klöster, die selbstverständlich auch mit Bibliotheken ausgestattet waren, damals auf 26 belief. Insgesamt wurden in der Regierungszeit Karls IV. in Prag annähernd 100 Kirchen und Kapellen erbaut.

Zukunftsweisend und von großer Bedeutung war die erste Universitätsgründung in Mitteleuropa durch Karl IV. am 7. April 1348 in Prag nach den Vorbildern von Paris und Bologna. Die Universität sollte internationalen Charakter haben und relativ große Freiheit der Lehre genießen. Als Sprache für Lehre und Studium diente das Lateinische. Für die Universität wurde eine Bibliothek im Karolinum gegründet, deren Grundstock die Schenkung von 48 Handschriften durch Karl IV. im Jahre 1366 bildete (heute in der Nationalbibliothek im Klementinum). Das Registrum librorum aus dem Jahre 1370 ist als ältester Katalog dieser Bibliothek erhalten geblieben.

Die pädagogische und wissenschaftliche Arbeit der Prager Karls-Universität genoß sehr bald Weltruhm, nicht zuletzt durch die zur Lehre verpflichteten bedeutenden Persönlichkeiten. Auch der Kirchenreformer Jan Hus (1370?-1415) lehrte hier, wurde 1401 Dekan und 1409 Rektor der Karls-Universität. Um Hus und Jeroným Prazský (Hieronymus von Prag, 1416), der auch an den Universitäten in Paris, Oxford, Heidelberg und Köln tätig war, entstand ein bedeutendes europäisches Bildungszentrum sowie eine Ideenquelle theologischer und gesellschaftlicher Reformen. Die Prager Universität war nach dem Pariser Vorbild in vier Fakultäten gegliedert: die theologische, die juristische, die medizinische und die der Künste. In Prag sowie in ganz Böhmen entstanden um 1380 viele neue Schulen mit Unterricht in tschechischer Sprache. Die Bildung erhielt eine neue Orientierung: Zusätzlich zu Theologie und den Humaniora etablierten sich Disziplinen wie Mathematik, Medizin, Astronomie, Botanik und andere Naturwissenschaften im Lehrplan. Mit Wissenschaft, Bildung und Fortschritt waren stets Buch, Lektüre und Studium der entsprechenden Fachliteratur verknüpft.

Prag zählte in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts etwa 40.000 Einwohner und gehörte damit zu den größten europäischen Städten. In der schnell wachsenden Prager Neustadt lebten zumeist tschechische Handwerker und Geschäftsleute. In der Altstadt wohnten auch deutsche Siedler, die seit König Otakar II. Premysl in Prag willkommen waren. Ein eigenständiges Viertel war die Jüdische Stadt mit einer der ältesten Synagogen in Europa (erbaut um 1270).

Die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts war geprägt durch religiöse Auseinandersetzungen zwischen der traditionellen katholischen Kirche und reformatorischen Bewegungen, die in den Hussitenkriegen (1419-1437) kulminierten. Bücher und Traktate wurden erstmals zum Medium der Auseinandersetzung. So kam es zum Beispiel am 16. Juli 1410 auf Befehl des Prager Erzbischofs Zbynek Zajíc z Hazenburka (1376-1411) zu einer Bücherverbrennung der Werke des englischen Reformers John Wiclif (etwa 200 Bände). Der tschechische Reformator Jan Hus, der seine Forderungen in tschechischer Sprache und Schrift formulierte, wurde 1411 exkommuniziert, 1414 vor das Konstanzer Konzil zitiert und am 6. Juli 1415 verbrannt. Auch Jeroným Prazský wurde am 30. Mai 1416 verbrannt. Die Konflikte verschärften sich in den Folgejahren, bis im Sommer 1419 die hussitische Revolution in Prag ausbrach.

Die Stadt Prag und die Prager Bevölkerung nahmen großen Schaden in den Hussitenkriegen. Die Kleinseite lag in Ruinen und war fast menschenleer; viele Kirchen und Klöster waren beschädigt oder zerstört, und die meisten Handwerker hatten Prag verlassen, so daß das Geschäftsleben zum Erliegen kam. Erst Mitte der dreißiger Jahre des 15. Jahrhunderts trat eine Zeit der Beruhigung und Konsolidierung ein. Die Hussitenkriege endeten mit der Niederlage der Hussiten in der Schlacht bei Lipany [Lipan] am 30. Mai 1436 und der Anerkennung der Utraquisten in den Basler Kompaktakten von 1435. Der wirtschaftliche und kulturelle Schaden war jedoch unermeßlich und in der Entwicklung von Kultur, Kunst und Wissenschaften noch nachhaltig spürbar. Renaissance und Humanismus hielten im Vergleich zu anderen Ländern verspätet Einzug in Prag.

Erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kam es zu grundlegenden Verbesserungen in Prag und Böhmen. Am 2. März 1458 wurde Jirí z Podebrad (Georg von Podiebrad, Regierungszeit 1458-1471) zum König gewählt. Er machte sich besonders um den Wiederaufbau Prags sowie um die Wiederbelebung des Handwerks und des Handels - auch auf internationaler Ebene - verdient. Unter seinem Nachfolger König Vladislav II. (Regierungszeit 1471-1516) aus der polnisch-litauischen Jagellonen-Dynastie blieb der Prager Stadtverwaltung ebenfalls ausreichend Freiraum, um neben dem Wiederaufbau der Stadt auch das Schul- und Bildungswesen sowie die Künste zu fördern.

Professoren, Magister, Bakkalaurei und Studenten kehrten für Studium und Lehre an die Karls-Universität zurück, und es entstand ein Bedarf an neuen humanistischen Büchern, insbesondere an spezialisierter Fachliteratur. Bedeutende internationale Vertreter der Renaissance aus Wissenschaft, Kunst, Malerei und Architektur wurden nach Prag eingeladen. Nicht nur religiöse Werke, sondern auch neue weltliche Literatur und unterhaltendes Schrifttum verbreiteten sich. Katholiken wie Utraquisten studierten Traktate, lasen Postillen, Predigten, die Bibel, Heiligenviten, Chroniken, historische Romane bis hin zu Herbarien und pomologischen Nachschlagewerken. Einige Prager Bürger verfügten über private Hausbibliotheken, Librarium genannt, mit etwa 20 bis 60 Büchern, die von Generation zu Generation weitervererbt wurden. Neu eingerichtete Schulen trugen Sorge für die Volksbildung.

Der Beginn des Buchdrucks

Aus Nürnberg kam in den sechziger Jahren die Buchdruckerkunst nach Böhmen, zuerst in die Stadt Plzen [Pilsen]. Als erste böhmische Inkunabel wird die tschechische Übersetzung der Chronik von Troja, Kronika trojánská (datiert 1468), aus der anonym gebliebenen ersten Pilsner Werkstatt angesehen. Strittig ist, ob 1468 das Vollendungsjahr der Handschrift oder das Druckjahr ist. Zahlreiche Inkunabeln in tschechischer und lateinischer Sprache und fast ausschließlich theologischen Inhalts wurden jedoch nachweislich in den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts in Pilsen gedruckt.

In den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts verbreitete sich die Buchdruckerkunst auch in anderen Städten Böhmens. In Prag wirkten seit 1487 wahrscheinlich drei Drucker: Jonata z Vysokého Mýta, Jan Severýn Kramár mit Jan Kamp und Beneda. Da die Namen nicht konkret durch Quellen belegt sind, werden die Drucker zumeist nach ihren charakteristischen Werken benannt, wie es in der Geschichte des Buchdrucks bei anonymen Druckern üblich ist. Der Drucker des Prager Psalters (früher als Jonata z Vysokého Mýta bezeichnet) hat im Jahre 1487 in Prag seinen Psalter und die zweite Ausgabe der Trojanischen Chronik in tschechischer Sprache gedruckt. Der Drucker der Prager Bibel (früher Jan Severýn Kramár mit Jan Kamp) produzierte seit 1488 bis ins 16. Jahrhundert hinein; sein Hauptwerk war zweifellos die Prazská bible, gefördert von den Mäzenen Jan Pytlík, Severýn Kramár und Matej od Bílého Lva. Der dritte war der Drucker des Koranda (früher Beneda), der in den Jahren 1493, 1496 und 1497 fünf Werke ohne Angabe des Orts druckte, sehr wahrscheinlich aber in Prag. Sein Hauptwerk in tschechischer Sprache (datiert 15. März 1493) war das Traktat über das Altarsakrament des Prager Hussitenpriesters Václav Koranda (1425-1519). Aus dieser Zeit stammt auch die älteste Darstellung Prags in einem Holzschnitt aus der Werkstatt von Michael Wohlgemuth (1433-1519), zu dessen Schülern unter anderem Albrecht Dürer gehörte. Er ist abgedruckt in Hartmann Schedels Liber chronicarum (Nürnberg: Anton Koberger 1493).

Auch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts herrschten gesellschaftliche Unruhen im Land zwischen König, Adel, Bürgertum und Landbevölkerung, die um die Jahrhundertwende noch durch ein neues Landesrecht verschärft wurden. Die politischen, religiösen und moralischen Konflikte waren Themen der damaligen Literatur in lateinischer und in tschechischer Sprache. Die Zensur und Kontrolle des Buchdrucks oblag ursprünglich der Karls-Universität, ab 1524 jedoch dem katholischen Konsistorium und nach 1567 dem katholischen Erzbischof. Zu den berühmtesten Prager Druckern des frühen 16. Jahrhunderts gehörte Mikuláš Konác z Hodiškova (genannt Finitor, 1546), der für seine große Sorgfalt bekannt war und dafür, daß er seine Bücher mit Vorworten in Versen oder Prosa versah. Er druckte unter anderem die tschechische Übersetzung der Chronica Bohemica (Prag 1510) von Aeneas Silvius Piccolomini, dem späteren Papst Pius II., und eines der ältesten tschechischen Flugblätter.

Die Bibliotheken im 16. und frühen 17. Jahrhundert

Das 16. Jahrhundert bedeutete eine erste große Blütezeit für Adelsbibliotheken. Bei einem verheerenden Brand im Jahre 1541 wurde nicht nur die Prager Burg schwer betroffen, sondern auch die Kleinseite und das Hradschin-Viertel. Die wertvolle Bibliothek des tschechischen Adligen Jan Hodejovský z Hodejova d. Ä. (1496-1566) wurde vernichtet, der als Mäzen humanistische Dichter unterstützte. In seiner Bibliothek hatte er mehr als eintausend Inkunabeln und schätzungsweise 50.000 Bände aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu allen Fachgebieten zusammengetragen. Glücklicherweise überstand die bedeutende Adelsbibliothek des Humanisten Bohuslav Hasištejnský z Lobkowicz (1461-1510), seit 1481 Sekretär des Königs Vladislav II. und zugleich Dichter, Schriftsteller und Forscher, den Brand unbeschadet. Die antiken Klassiker waren die von ihm bevorzugten Autoren. Es heißt, daß er für seine Bibliothek stets die besten alten sowie zeitgenössischen Bücher erwarb. Die Lobkowicz'sche Bibliothek gehörte ihrerzeit zu den ältesten und größten privaten Adelsbibliotheken in Mitteleuropa, von der ein Teil seit 1491 auf der Burg Hassenstein nördlich von Prag aufgestellt war. Insgesamt soll diese Bibliothek, von der sich ein anderer Teil im Schloß Roudnice nad Labem [Raudnitz] befand, mehr als 1200 Inkunabeln und etwa 60.000 weitere Bände umfaßt haben. Heute ist der Hauptteil im Schloß in Nelahozeves [Mühlhausen a. d. Moldau] in Böhmen aufgestellt.

Eine weitere bedeutende Privatbibliothek mit mehr als 500 wertvollen Büchern war die des Ritters Václav Vresovec z Vresovic (1532-1583), Kämmerer des Erzherzogs Ferdinand von Tirol (1529-1595) und seit 1547 Statthalter in Böhmen. In seiner Büchersammlung befanden sich unter anderem religiöse und historische Werke, griechische und römische Klassiker sowie Reformationswerke aus Deutschland. Vor seinem Tode vermachte Vresovec testamentarisch einen Teil seiner Sammlung der Karls-Universität. Andere Bücher schenkte er dem Kleinseitner Rathaus, in dem 1575 die Böhmische Konfession beschlossen wurde. Er spendete zusätzlich eine größere Geldsumme, um damit für die Rathausbibliothek in den darauffolgenden Jahren den Ankauf neuer Literatur zu sichern. Dies waren erste Bemühungen, auf der Kleinseite eine Bibliothek zu gründen, die für die Öffentlichkeit zugänglich sein sollte. Doch die Bücher im Rathaus hatten ein ungewöhnliches Schicksal: Erst zweihundert Jahre später fand man sie beim Umbau des Rathauses 1780 in einem zugemauerten Zimmer wieder. So überstanden sie unbeschadet den Dreißigjährigen Krieg und die schwedische Plünderung von 1648 sowie die strengen jesuitischen Konfiskationen. Karel Rafael Ungar (1744-1807), Bibliothekar der Prager Universitätsbibliothek, übernahm später die Sammlung für die Bibliothek im Klementinum, wo sie bis heute verblieben ist.

Im 16. Jahrhundert verfügte die Karls-Universität noch nicht über eine zentrale Universitätsbibliothek. Jedes Kollegium besaß seine eigene Bibliothek; die berühmteste und größte war die Bibliothek im Karolinum, die sogenannte Alte karolinische Bibliothek, die bald nach der Gründung der Universität im Jahre 1366 von Kaiser Karl IV. die Sammlung wertvoller Bücher zum Studium und Unterricht als Schenkung erhalten hatte. Am Ende des 16. Jahrhunderts umfaßten die Kollegiumsbibliotheken zusammen mehr als 4500 Bücher, überwiegend Handschriften.

Viele Prager Bürger verfügten im 16. Jahrhundert über Privatbibliotheken im eigenen Hause, die sie nicht nur zum intensiven Studium nutzten, sondern die auch als Familienvermögen angesehen wurden. Kaufleute, Apotheker und Ärzte besaßen in der Regel verhältnismäßig viele Bücher, darunter auch spezialisierte Fachliteratur. Aber auch Juristen, Lehrer und Geistliche sowie einige Handwerker sammelten Literatur. Fast alle Beamten hatten ihren Homer, heißt es in einer zeitgenössischen Chronik. Die Büchersammler bevorzugten gebundene und schön gestaltete Werke, die zumeist zu Hause in einem besonderen Schrank verschlossen aufbewahrt wurden. Gebetbüchlein, gebunden in Samt oder Seide, kauften in erster Linie Frauen sowohl für ihre Gebete als auch als modische Accessoires, die in der Hand oder am Gürtel getragen wurden. Eine der größten bürgerlichen Büchersammlungen der Zeit gehörte dem Ratsherrn Severýn Rudner z Rudenperku, der in seinem Haus mehr als 550 Bücher zusammentrug. Der Alchemist Ludvík Korálek z Tešína verfügte in seiner Bibliothek über mehr als 250 Bände, überwiegend philosophische, medizinische, physikalische, chemische, alchemistische, mathematische und militärische Titel, ergänzt durch verschiedene Traktate, Polemiken, Psalter, Kanzionale und ein Kochbuch. Sie darf als charakteristisch in der Zusammensetzung für eine bürgerliche Bibliothek dieser Zeit angesehen werden.

Prag besaß damals bereits eine Bibliothek beim Stadtrat der Altstadt, die für die Bediensteten und Ratsherren, aber auch für die Geistlichen, Lehrer und Ärzte der Stadt bestimmt war. Lateinische Quellen belegen, daß sie bereits von den Hussiten vor 1431 gegründet worden sein muß. Im Werk von Aegidius Columnus, De regimine principum libri tres, sowie in einigen anderen lateinischen Büchern aus der Bibliothek des Simon vom Weißen Löwen (Šimon od Bílého Lva) findet sich die Widmung an die städtische Bibliothek pro communitatis liberaria. Sie verstand sich zwar nicht als öffentliche Bibliothek im heutigen Sinne; trotzdem waren ihre Bücher im In- und Ausland bekannt und gefragt. So schickte sie im Jahre 1559 die Handschrift von Plinius Liber de natura rerum seu naturalis historia an Melanchthon. Der dankte der Bibliothek bei der Rückgabe in einem Brief und drückte der tschechischen Nation seine Hochachtung aus.

Um die Intensivierung bibliophiler Interessen machten sich besonders die Schreiber, Drucker, Buchbinder und Händler, aber auch die Autoren selbst verdient. Oftmals mußten sie in dieser Zeit die Ausgaben der Buchproduktion vorfinanzieren, weshalb sie ihre Bücher auch persönlich bewarben und anboten. Manchmal ersuchten Autoren Adlige oder wohlhabende Bürger um finanzielle Unterstützung für die Veröffentlichung ihres Werkes. Den Mäzenen wurde dann in den Dedikationen des Werkes entsprechend gedankt oder das Wappen des Mäzens wurde eingedruckt. Handschriften und gedruckte Bücher waren damals sehr teuer. Zum Beispiel kostete die Postilla von Jan Hus in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts zwischen vier und sechs Schock böhmische Groschen, was dem halben Jahreslohn eines Handwerkers entsprach. Buchdiebstähle kamen dementsprechend gelegentlich vor, wurden jedoch hart bestraft. 1536 wurden zwei Studenten des Kollegiums der böhmischen Nation der Prager Universität - namentlich Jan und Martin aus Litomyšl [Leitomischl] - des Diebstahls und Verkaufs von gestohlenen Büchern aus der Kollegiumsbibliothek überführt. Einer wurde zum Tode verurteilt, der zweite zu einer langen Haftstrafe.

Üblicher Handelsplatz für Bücher waren seit jeher die Märkte und Jahrmärkte. Die Stadt Prag bot sowohl für Käufer als auch für Produzenten und Verkäufer sehr gute Bedingungen auf dem Buchmarkt. Von Prag aus gelangten wiederum Bücher in die böhmische und mährische Provinz oder ins Ausland. Auch wurden viele ausländische Bücher importiert. Mit der Krönung des neuen Habsburgerkönigs Ferdinand I. (Regierungszeit 1526-1564) im Februar 1527 kam es zu grundlegenden politischen, rechtlichen, gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen in Prag und Böhmen. Als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches regierte Ferdinand I. von Wien aus, doch auch in Prag entstanden viele neue Renaissance-Bauten. Den Katholiken wurden besondere Rechte eingeräumt. Nach einem mißlungenen Aufstand im Jahre 1547 berief der König viele Privilegien wieder ab, ordnete die Stadtverwaltung seiner Kontrolle unter und erließ strengere Zensurbestimmungen.

Seine Nachfolger als böhmische Könige und römisch-deutsche Kaiser waren Maximilian II. (Regierungszeit 1527-1575) und Rudolf II. (1576-1611). 1583 siedelte Rudolf II. mit dem gesamten königlich-kaiserlichen Hof nach Prag über, um aus der Stadt ein Zentrum europäischer Politik, Kultur, Kunst und Wissenschaften zu machen. Die Kunstsammlungen Rudolfs II. gehörten seinerzeit zu den bedeutendsten weltweit. Er lud berühmte Maler, Bildhauer und Wissenschaftler aus Europa nach Prag; zudem sammelte er Bücher zu allen Wissensgebieten. Seine Hofbibliothek umfaßte mittelalterliche Handschriften, Werke über Kunst, Geschichte, Mathematik, Physik, Chemie, Astronomie und andere Wissenschaften. Seine Regierungszeit war eine günstige Periode für Bücher, Buchdrucker und Buchhändler, sowohl für inländische als auch für ausländische.

In Prag, das damals ungefähr 60.000 Einwohner zählte, kamen fast täglich Postkuriere aus verschiedenen Ländern an, zudem Handwerker, Geschäftsleute und Künstler. Alle importierten Bücher mußten in der Zollstation im Teynhof hinter der Teynkirche vorgelegt und verzollt werden, weshalb der Hof auch Ungelt genannt wurde. Viele Geschäfte wurden über die Frankfurter oder Leipziger Messe abgewickelt. Neue Schulen wurden gegründet, sowohl in katholischer Trägerschaft als auch in protestantischer. Obwohl die Karls-Universität in der Mitte des Jahrhunderts in ihrem Ansehen und Ausbildungsniveau eher stagnierte, arbeiteten in Prag im 16. Jahrhundert mehr als achtzig Buchdruckereien. Die berühmtesten waren in der Stadtmitte angesiedelt, darunter die von Jirí Melantrich z Aventýna (1511-1580), in der mehr als 200 Titel in verschiedenen Sprachen erschienen. Bei der Gestaltung seiner Bücher benutzte er mehr als dreißig verschiedene Drucktypen, druckte Illustrationen in hoher Qualität und sogar im Mehrfarbendruck; zudem entwickelte er seine eigene Schrift, die sogenannte Melantrich-Fraktur. Seine Druckerei übernahm sein Schwiegersohn, der Humanist und Wissenschaftler Daniel Adam z Veleslavína (1546-1599). Er war seit 1572 als Professor an der Karls-Universität tätig und Autor dreier Wörterbücher, darunter Silva Quadrilinguis (Prag 1598) für Tschechisch, Latein, Griechisch und Deutsch. Als erster tschechischer Buchdrucker und Verleger gab er Musikalien heraus und arbeitete zusätzlich als Übersetzer von historischen und geographischen Werken.

Der Aufschwung des Prager Buchmarktes resultierte zwar in der ersten Buchhändlergilde mit 115 Mitgliedern, währte aber nicht allzu lang. Gesellschaftliche, politische und religiöse Auseinandersetzungen zwischen den Protestanten und Katholiken, den Habsburger-Anhängern und -Gegnern, bürgerlichen Emanzipationsbestrebungen und königlicher Macht prägten den Alltag. Kaiser Rudolf II. mußte seinem Bruder Matthias (Regierungszeit 1611-1619) schließlich die sogenannten Nebenländer der böhmischen Krone (Mähren, Schlesien und die Lausitz) abtreten. Dieser verlegte nach Rudolfs Tod seinen Regierungssitz zurück nach Wien. Während der Auseinandersetzungen überfielen im Dezember 1611 bayerische Truppen Prag, wo sie hauptsächlich auf der Kleinseite mehrere Häuser einschließlich Interieur und kleinerer Bibliotheken plünderten. Am 23. Mai 1618 kam es mit dem Prager Fenstersturz zum Beginn des zweiten böhmischen Ständeaufstandes gegen die Habsburger und die katholische Macht.

Nach dem Fenstersturz wurde zunächst Ferdinand II., 1617 zum König von Böhmen gekrönt, durch die böhmischen Stände abgesetzt und der protestantische Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz (1619-1620) zum Gegenkönig gekrönt. Der Kampf zwischen katholischer Liga und protestantischer Union weitete sich zum Dreißigjährigen Krieg aus. Am 8. November 1620 kam es zur berühmten Schlacht auf dem Weißen Berg, in der die Armee der böhmischen Stände und ihrer Alliierten von dem Heer des Kaisers und der katholischen Liga geschlagen wurden. König Friedrich floh in die Niederlande, und die Stadt Prag mußte bedingungslos kapitulieren. Die siegreiche Liga plünderte die gesamte Stadt einschließlich kleiner privater sowie großer berühmter Bibliotheken und ließ die protestantischen Führer vor dem Altstädter Rathaus hinrichten. Zeitgleich wurden auch andere Städte in Böhmen geplündert. Für den gesamten Kulturbereich - Bildungswesen, Kunst, Wissenschaft, Buchmarkt und Bibliotheken - begann eine schwierige Periode der Rekatholisierung, die entsprechend Zeit der Dunkelheit genannt wird.

Die Barockzeit

In den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts wurde gegen alle führenden Teilnehmer am Aufstand gegen die Habsburger ermittelt; es wurden hohe Geldstrafen verhängt oder das Gesamtvermögen konfisziert. Auch zu Hinrichtungen kam es. Protestantische Theologen wurden des Landes verwiesen, und die katholische Konfession war ab Mai 1627 als einzige Religion zugelassen, was eine große Emigrationswelle ins benachbarte Ausland nach sich zog. Aus Böhmen emigrierten in den Folgejahren mehr als 36.000 Familien, darunter auch bedeutende Persönlichkeiten aus Literatur, Kunst und Wissenschaften. Zu den bekanntesten Emigranten gehört der Pädagoge und Philosoph Jan Amos Komenský (Comenius, 1592-1670), der von 1618 bis 1621 als Prediger und Leiter der deutschen Brüdergemeine in der mährischen Stadt Fulnek und ab 1648 als Bischof in Leszno [Lissa] tätig war. Seit 1656 arbeitete Komenský im Amsterdamer Exil, wo einige seiner wichtigsten Werke gedruckt wurden, so zum Beispiel Didactica magna (1657) und De rerum humanarum emendatione consulatio catholica (1657). In Nürnberg erschien 1658 sein Orbis pictus (1658).

Die Schlachten zwischen katholischer Liga und protestantischer Union wurden fortgeführt, in denen Graf Albrecht von Waldstein (Wallenstein, 1583-1634) als Feldherr in die Geschichte einging. Durch die Konfiszierung von Gütern des protestantischen Adels war er zu großem Reichtum gelangt und ließ sich in Prag ein großes barockes Palais mit Park errichten. Seine Bibliothek umfaßte angeblich etwa 40.000 Bände, doch hinterließ er nach seiner Ermordung am 25. Februar 1634 in Cheb [Eger] wider Erwarten keine bedeutenden Bestände. Innen- und Außenhandel stagnierten in dieser Kriegszeit; Handwerk, Kultur, Schulwesen und Wissenschaft konnten nur sehr beschränkt betrieben werden und wurden polizeilich streng kontrolliert. Prag wurde der Regierung in Wien untergeordnet, wo Ferdinand II. (1620-1637) aus der Habsburger-Dynastie regierte.

Bis zur Mitte des Jahrhunderts wurde Prag noch zweimal von ausländischen Armeen erobert und geplündert. Im Jahre 1631 waren es beispielsweise die Sachsen und 1648 die Schweden, die unter anderem Schätze aus den Sammlungen Rudolfs II. raubten und aus dem Strahover Prämonstratenserstift alte Handschriften nach Schweden abtransportierten. Die schwedische Armee blieb noch monatelang in Böhmen, auch nach Unterzeichnung des Westfälischen Friedens am 24. Oktober 1648. Insgesamt wurden 279 Schlösser, mehr als 100 Städte und 1150 Dörfer in Böhmen geplündert und niedergebrannt. Überall im Land herrschten Zerstörung, Armut und Hungersnot, zudem wüteten Epidemien. In diesen katastrophalen Umständen herrschte der Habsburger Ferdinand III. (Regierungszeit 1637-1657), seit 1637 König von Böhmen und Ungarn und gleichzeitig römisch-deutscher Kaiser, mit dem eine Epoche der Rekatholisierung und des Barock in Böhmen Einzug hielt.

Die wirtschaftliche, gesellschaftliche und religiöse Macht der katholischen Kirche wuchs stetig an. Eine besondere Rolle fiel dem Jesuitenorden zu, der seit 1556 in Böhmen tätig war. Die Hauptaufgabe des Ordens bestand in der Verbreitung der katholischen Lehre, der Einrichtung von Schulen und der Festigung der kirchlichen Machtposition. Die Jesuiten übernahmen in kurzer Zeit den Unterricht an allen Schulen, Klöstern und Kirchen in Prag, später das gesamte Schulwesen in Böhmen und Mähren. Das Klementinum, ursprünglich ein Dominikanerkonvent, kam unter die Verwaltung der Jesuiten, die 1556 mit dem Erweiterungsbau begannen. Ab 1622 war die gesamte Karls-Universität mit allen Kollegien und Bibliotheken den Jesuiten unterstellt.

Bücher - sowohl tschechische als auch ausländische - unterlagen fortan der jesuitischen Zensur, ebenso die Buchdruckereien in Prag und ganz Böhmen. Viele Druckereien mußten ihre Tätigkeit einstellen, die privilegierten Drucker durften nur die zuvor genehmigten Bücher herausgeben. Die Jesuiten betrieben im Klementinum eine eigene Druckerei, die fast ausschließlich jesuitische Schul- und Kirchenbücher herausgab und marktführend war. Seit 1626 wurden alle Buchhändler streng kontrolliert. 1627 kam ein Dekret gegen ketzerische Bücher aus dem In- und Ausland heraus; gleichzeitig mußten alle jüdischen Buchdruckereien in Prag schließen, tausende hebräische Bücher wurden konfisziert und vernichtet. Ein Jahr später wurde die Zensur noch ausgeweitet und verschärft; es kam zu Bücherverbrennungen und zur Verbrennung einiger ausländischer Buchverkäufer.

Für die Emigranten, die nach Preußen, Sachsen, Bayern und in die Slowakei gegangen waren, sowie für politisch andersdenkende Tschechen gewann die Exilliteratur an Bedeutung. Sie wurde im Ausland gedruckt und nach Prag geschmuggelt, insbesondere nachts über die Bergwege in Nordböhmen. Solche geheimen Kontakte bestanden in erster Linie nach Pirna, Zittau, Wroclaw [Breslau] und Leszno [Lissa], wo die meisten tschechischen Emigranten ansässig waren. So war die gesamte Buchdruckerei der Böhmischen Brüder aus Kralice [Kralitz] in Südmähren insgeheim 1629 nach Leszno verbracht worden, um dort weiterzuarbeiten. Die Druckerei in Kralice war besonders durch die Kralická bible [Kralitzer Bibel] (1579-1594) der Böhmischen Brüder berühmt geworden, eine tschechische Übersetzung aus lateinischen, griechischen und hebräischen Texten, die zur Grundlage für eine Norm der tschechischen Schriftsprache wurde. Aber auch in Dresden, Halle, Leipzig und Wittenberg erschien Exilliteratur, die für die Prager Bevölkerung wichtig war, um einen Anschluß an wissenschaftliche und politische Neuigkeiten zu bewahren. Alle Gesetze, Zensurvorschriften und drohenden harten Strafen konnten die geheime Lektüre verbotener Literatur nicht verhindern.

In einer Periode solcher Beschränkungen konnten sich Literatur, Buchproduktion und Lesekultur in Prag nur schwer weiterentwickeln. Wissenschaftliche Werke wurden noch immer zumeist in lateinischer Sprache produziert; überwiegend bestand die Buchproduktion jedoch aus Gebetbüchern, Kalendern und Predigtsammlungen. 1630 befahl ein erzbischöflicher Erlaß, daß alle Buchdrucker sowie Buchhändler vor dem Generalvikar schwören mußten, daß sie ihre Betriebe ausschließlich im katholischen Glauben führen würden. Erzbischof Arnošt Vojtech z Harrachu (Ernst von Harrach, 1598-1667) gründete 1630/31 für den Bedarf seines neuen Erzbischöflichen Seminars die erzbischöfliche Druckerei in Zbraslav (Typographia in Aula Regia). Die Kluft zwischen einheimischer Literatur für die mittleren und unteren Gesellschaftsschichten und importierter Literatur für Adlige, wohlhabende Bürger und Kirchenwürdenträger verstärkte sich.

Den Jesuiten gelang es, ihre Macht und Einflußsphäre ständig auszuweiten und Reformationsgedanken sowie humanistische Strömungen, besonders an der Karls-Universität, zunächst zu unterdrücken. Kaiser Ferdinand III. benannte die Universität 1654 in Karl-Ferdinands-Universität um. Die beiden weltlichen Fakultäten im Karolinum und die beiden jesuitischen Fakultäten im Klementinum bauten ihre Bibliotheken aus, unter anderem mit Hilfe einiger Vermächtnisse. Besonders die Bibliothek im Klementinum entwickelte sich langsam aber stetig zu einer Wiege des Aufklärungsgedankens. Viele gelehrte Persönlichkeiten nutzten die Bibliothek zum Selbststudium und zur Recherche für ihre eigenen, vom Geist der Aufklärung geprägten Werke.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts belebte sich der Buchmarkt wieder. Bibliotheken und Lesehallen wurden vermehrt frequentiert. Mit der verstärkten Nachfrage nach gedruckten Werken konnten sich mehr Druckereien etablieren, darunter auch einzelne unter der Leitung von Frauen. Die erste Hofdruckerin wurde 1621 Judita Bylinová der Titel fiel 1657 an Ludmila Sedlcanská. Sie erhielt, ähnlich wie Jirí Cernoch, das einträgliche Privileg, Kalender, Zeitungen, Landtagsbeschlüsse und andere Kleindrucke zu veröffentlichen. Cernochs Druckerei kaufte 1685 Jan Karel Jerábek, der damit die lange Familientradition dieses bedeutenden Verlagshauses in Prag begründete. Matej Václav Štajer begründete unter dem Namen Die Erbschaft des Heiligen Wenzeslaus im Jahre 1699 eine Buchdruckerei. Sie produzierte eine Vielzahl kleiner und preisgünstiger katholischer Bücher in tschechischer Sprache, aber auch eine tschechische Bibelübersetzung und sprachwissenschaftliche Literatur.

Die ersten tschechischen Zeitungen - Prazské poštovské noviny [Prager Postzeitung] - erschienen seit 1719 zweimal wöchentlich. Das gesamte nicht-katholische Schrifttum wurde allerdings nach wie vor streng kontrolliert; ein Zensurbefehl folgte dem nächsten. 1715 erhielt die Universität das Recht, philosophische Werke zu beurteilen, aber Werke politischen Inhalts kontrollierten weiterhin die kaiserlichen Zensurbehörden. Für den Inhalt kleinerer Amtsschriften zeichnete der Prager Magistrat verantwortlich; für die aus dem Ausland nach Prag importierten Bücher waren weiterhin die Zoll- und Zensurbehörden im Teynhof zuständig. Zudem wurde 1723 eine Kommission ernannt, die die Einfuhr von Exilliteratur kontrollierte, denn auf die Einfuhr sogenannter häretischer Literatur stand die Todesstrafe. Zudem unterlagen alle Juden einer besonders strengen Aufsicht. Sie wurden verdächtigt, unerwünschte und verbotene Literatur in Leinen oder Säcken versteckt in die Stadt gebracht zu haben. Im Jahre 1729 veröffentlichte der Jesuit Antonín Koniáš (1691-1760) einen Index der zu beschlagnahmenden Bücher unter dem Titel Clavis haeresim claudens et aperiens (Hradec Králové 1729). Er empfahl, in den genannten Büchern Textpassagen zu entfernen oder sie ganz aus den Bibliotheken zu entfernen und zu verbrennen oder zumindest für Leser unzugänglich zu machen. Als verboten galt neben ausländischen Werken unter anderem auch die gesamte nicht-katholische Literatur von 1414 bis 1620. In kürzester Zeit wurden in Bibliotheken mehr als 30.000 verbotene Bücher ermittelt, konfisziert und verbrannt oder als Libri prohibiti ausgesondert.

Am 20. Mai 1726 wurde für die Öffentlichkeit die neue Bibliothek der Prager Universität im Karolinum eröffnet. Die Eröffnung wurde in Zeitungen mit dem Hinweis angekündigt, daß dort schöne, juristische, politische und medizinische Bücher zu finden sind, überwiegend vom Grafen Sternberg der Bibliothek überlassen (gemeint ist Franz Leopold von Sternberg, 1680-1745). Die Bibliothek war jeden Montag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag von neun bis elf Uhr vormittags und von drei bis fünf Uhr nachmittags frei zugänglich; die Bücher standen den Lesern kostenlos und ausschließlich im Präsenzstudium im Lesesaal zur Verfügung. Die Universitätsprofessoren besaßen als einzige ein Ausleihprivileg. Dies war der erste Schritt zu einem System öffentlicher Bibliotheken im Geiste der Aufklärung.

Die Epoche des Aufgeklärten Absolutismus

Nach dem Tode Karls VI. (Regierungszeit 1711-1740) entbrannten in den Jahren 1740 bis 1743 Machtkämpfe um den böhmischen Thron. Am 12. Mai 1743 wurde schließlich Maria Theresia (Regierungszeit 1740-1780) zur Königin gekrönt. Ähnlich wie in Wien und Österreich konnte sie auch in Prag und Böhmen ihre ökonomischen, administrativen und sozialen Reformen durchsetzen. Der Geist der Aufklärung hielt schnell Einzug in Prag. Ihr Sohn Joseph II. (Regierungszeit 1780-1790), seit 1765 Mitregent als römisch-deutscher Kaiser, setzte die Reformpolitik fort und machte sich als Förderer des Schul- und Bildungswesens verdient. Im Zuge der Josephinischen Säkularisation ließ der Papst 1773 den Jesuitenorden und etwa 80 Klöster in Böhmen aufheben; die politischen sowie kulturellen Beschränkungen wurden zudem gelockert. Aus dem konfiszierten Vermögen der Orden wurde ein Fond zur Finanzierung des Schulwesens und der Landeskirche eingerichtet. Unterrichtssprache in allen höheren Schulen sowie Amtssprache war Deutsch. Anstelle der Jesuitendruckerei arbeitete seit 1776 im Klementinum die Druckerei der Normalschule. Von großer gesellschaftlicher Bedeutung waren 1781 und 1782 das Toleranzedikt, das zwei protestantische Konfessionen zuließ, und die Aufhebung der Leibeigenschaft vorsah, durch die viele Arbeitskräfte für Unternehmen, Handel, Handwerk und Fabriken neu zur Verfügung standen.

Auch die Prager Universität wurde von ihren jesuitischen Fesseln befreit. 1777 kam es zur Vereinigung der jesuitischen Bibliothek im Klementinum mit der Bibliothek im Karolinum, aus der die öffentliche k.k. Universitätsbibliothek hervorging. Ihr erster Direktor war Karel Rafael Ungar (1744-1807), Literaturwissenschaftler, Priester, Professor und 1790 auch Rektor der Prager Karls-Universität. Er hatte zuvor als Bibliothekar in der Strahover Klosterbibliothek gearbeitet. Im Jahre 1781, in dem die Universitätsbibliothek ihr Pflichtexemplarrecht erhielt, begründete er die sogenannte Bibliotheca nationalis für Bohemica und Moravica. Aus seinen Berichten geht hervor, daß 1785 täglich mindestens 100 Personen die neue öffentliche Universitätsbibliothek nutzten, darunter nicht nur Universitätsprofessoren und Studenten, sondern auch Prager Bürger verschiedenster Berufe und Stände.

Mit der neuen Epoche des Prager Hochschulwesens und mit der Erneuerung der tschechischen Wissenschaften und Kultur ist der Name Wolfgang Christian Gerle (1792) verknüpft. Er war als Freimaurer-Hochmeister 1770 aus Frankfurt nach Prag gekommen. Am Altstädter Ring in der Nähe des Kinský-Palais gründete er den ersten Prager wissenschaftlichen Verlag und Buchhandel. Er unterstützte die josephinische Aufklärung und trug durch seine Verlagsproduktion dazu bei, die neuen Fortschrittsgedanken zu verbreiten. So erschienen in seinem Verlag beispielsweise die Werke des Naturwissenschaftlers und Mineralogen Ignaz Anton von Born, des Literaturhistorikers und Numismatikers Nicolaus Adauct Voigt und vieler anderer Wissenschaftler. 1771 gründete Gerle den ersten Prager Lesezirkel, dem er in seiner Wohnung den größten Raum als Lesesaal zur Verfügung stellte. Hier sollten alle Mitglieder aus Adels-, Offiziers- und Wissenschaftlerkreisen in angenehmer Atmosphäre die neuesten Zeitungen und Zeitschriften lesen und zugleich wissenschaftliche und politische Neuigkeiten diskutieren können. Gerles Arbeit und Fachkenntnis machten ihn zum führenden Prager Buchhändler, der ab 1784 auch monatliche Buchauktionen veranstaltete. Er pflegte intensive Geschäftsbeziehungen mit dem Ausland. Schnell bestellte und bezog er neue englische, italienische und vor allem französische Literatur. Beispielsweise verkaufte er 40 Exemplare der französischen Enzyklopädie von d'Alembert und Diderot. Zudem gab er ab 1787 monatlich einen Überblickskatalog neuer Bücher heraus, dessen inhaltlicher Schwerpunkt auf aufgeklärten wissenschaftlichen Werken lag; theologische waren nur marginal vertreten. Gerles Mißwirtschaft ruinierte jedoch sein zunächst so erfolgreiches Geschäft, so daß es 1791 zur Versteigerung kam.

Das Wiener Hof- und Universitäts-Buchgeschäft eröffnete neben seiner Hauptstelle in Wien mehrere Buchdruckereien und Buchgeschäfte als Filialen, unter anderem auch in Prag. Inhaber waren Johann Thomas von Trattner und sein Sohn Jan, der 1772 den Orbis pictus von Jan Amos Komenský herausgab. Sein Programm offerierte in erster Linie neu konzipierte Schulbücher; später inserierte er sogar neue Bücher über die Schädlichkeit von Mönchen, Jesuiten und Juden. 1776 erhielt er das Druckprivileg für gymnasiale Schulbücher, und nach der Eröffnung einer zweiten Filiale in der Jesuitengasse zählte das Hof- und Universitäts-Buchgeschäft zu den größten in Prag. Doch den anderen Prager Buchdruckern und Buchhändlern war der Wiener Konkurrent, der viele Raubdrucke verbreitete, ein Dorn im Auge. Sie zwangen Trattner schließlich in den Konkurs. Großen Anteil daran hatte der erfolgreiche adlige Geschäftsmann Johann Nepomuk Ferdinand von Schönfeld (1750-1821), der als Prager Buchhändler vorgab, aus Wien zu stammen, um seine erhöhten Preise zu rechtfertigen. Beachtliche Einkünfte bezog er durch seine Funktion als Hofdrucker und durch seine Papierfabrik, die fast alle Prager Druckereien mit Papier belieferte. Günstig erwarb er das zuvor aufgehobene St.-Anna-Kloster, um in dessen Gebäuden 1795 eine moderne Druckerei einzurichten. Später übersiedelte er nach Wien.

Der Philologe und katholische Priester Josef Dobrovský (1753-1829) kam 1776 als Hauslehrer für die vier Söhne des Grafenhauses Nostitz nach Prag, um sie in ihrem Palais besonders in Philosophie und Mathematik zu unterrichten. Weitere Erzieher im Hause Nostitz waren der Historiker František Martin Pelcl (1734-1801) und der Topograph Jaroslav Schaller (1738-1809). Die drei Wissenschaftler und Aufklärer wurden Freunde und nutzten die historische Bibliothek im Palais für ihre Studien, die bereits 1664 gegründet wurde und auch die historische Sammlung Ottos von Nostitz (1608-1664) enthielt, dem ehemaligen königlichen Hauptmann in Schlesien. Im Hause von Graf Franz Anton von Nostitz (1725-1794) fanden Sitzungen der Königlichen böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften [Královská ceská spolecnost nauk] statt, deren Mitglieder die bedeutendsten Prager Wissenschaftler waren und die 1786 eine eigene Bibliothek der Gesellschaft gründete. Die Bibliothek des Grafen Nostitz umfaßte damals 8500 Bände, darunter wertvolle Handschriften ab dem 12. Jahrhundert und Inkunabeln. Besonders bemerkenswert ist die Handschrift De revolutionibus orbium coelestium von Kopernikus mit einem Provenienzvermerk von Jan Amos Komenský. Inhaltlich dominierten im Nostitz-Bestand Bibeln (auch mittelalterliche illuminierte), Werke zu Geschichte, Philosophie, Philologie sowie Enzyklopädien. Die Funktion des Bibliothekars erfüllte František Martin Pelcl, der ab 1793 als Professor für tschechische Sprache und Literatur an der Prager Universität lehrte und unter anderem die Kurzgefaßte Geschichte Böhmens (Erstausgabe Prag 1774) verfaßte. Zu diesem Freundeskreis, in dem die tschechische Sprache, Literatur und Geschichte diskutiert wurden, gehörte auch der Bibliothekar des Strahover Klosters Jan Bohumír Dlabac, dessen vierbändiges Allgemeines historisches Künstlerlexikon für Böhmen 1815 erschien. Dobrovskýs private Bibliothek umfaßte mehr als 2300 gedruckte Bände und etwa 100 Handschriften.

An der Karls-Universität lernte Dobrovský Václav Matej Kramerius (1753-1808) kennen, der dort Philosophie und Jura studierte und sich mehr und mehr an der patriotischen Bewegung der Prager Bourgeoisie und Intelligenz beteiligte. 1778 wurde Kramerius auf Empfehlung Dobrovskýs bei Ritter Jan F. z Neuberka (1743-1780), einem bedeutenden Aufklärer und Förderer der Nationalbewegung, in dessen Prager Haus als Bibliothekar beschäftigt. Er war zudem ein leidenschaftlicher Sammler von alten Münzen, Antiquitäten, Bildern und Stichen, vor allem aber von alten tschechischen Büchern. Beschädigte Bände reparierte er selbst, andere schrieb er ab oder stellte mit Hilfe seiner eigenen Druckerpresse Nachdrucke her. Die Pflege, Neuordnung und Vervollständigung der Neuberkschen Bibliothek nach dem Vorbild Dobrovskýs ließen Kramerius zu einem hervorragenden Kenner der tschechischen Sprache und Literatur werden. Seine Buchexzerpte umfaßten dreißig Bände und dienten später Josef Jungmann (1773-1847) bei der Vorbereitung seines tschechisch-deutschen Wörterbuchs. Im Haus des Ritters Neuberk verkehrten nahezu alle in Prag lebenden patriotischen Künstler, Schriftsteller sowie Wissenschaftler, so daß ein reger Austausch über Fragen der Politik, Kultur und Wissenschaft stattfinden konnte. Kramerius gab im selben Jahr eine Übersicht aller neuen kaiserlichen Patente und Anordnungen heraus, um der Landbevölkerung ihre Rechte gegenüber der Herrschaft bewußt zu machen.

Im Jahre 1783 gab Kramerius das Werk Obrana jazyka ceského proti zlobivým jeho utrhacm ... [Verteidigung der tschechischen Sprache gegen ihre bösen Verleumder ...] heraus, zusammengefaßt von Karel Ignác Thám (1763-1816), dem tschechischen Patrioten, Philologen und Übersetzer. Im nächsten Jahr brachte Kramerius sein eigenes Werk heraus unter dem Titel Kniha Josefova [Das Buch von Joseph], eine freie Umarbeitung einer deutschen Vorlage, die die Reformen von Joseph II. vermitteln wollte. Das Werk stieß auf außerordentliches Interesse in der Bevölkerung und entwickelte sich zu einer Art Volksbibel des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Unweit vom Altstädter Ring eröffnete Kramerius einen kleinen Verlag und Buchhandel mit dem Namen Ceská expedice [Tschechische Expedition], der hauptsächlich Werke der Aufklärung in tschechischer Sprache publizierte. Kramerius gab zudem die Wochenschrift Kramériusovy císarské král. vlastenské noviny [Kramerius' k.k. patriotische Zeitung] heraus, die mehr als 1400 Abonnenten hatte und neben Nachrichten Bildungsrubriken für die Landbevölkerung, für Gewerkschafter und Lohnarbeiter in den Städten sowie eine Übersicht über neu erschienene Bücher mit kritischen Anmerkungen gefolgt von Buchhändleradressen enthielt. Hier wurde Anfang August 1789 die erste Nachricht von der Revolution in Paris veröffentlicht; weitere Nachrichten über die Französische Revolution waren allerdings ab 1790 gesetzlich verboten.

Junge tschechische Schriftsteller, darunter zahlreiche Studenten der Universität, gründeten 1791 einen Verband, und 1809 entstand der Zirkel der Philosophie- und Jura-Studenten [Krouzek student filosofie a práva] zur Lektüre und Diskussion tschechischer Bücher. In den nächsten zwei Jahren wuchs die Zahl der tschechischen Studenten an der Universität, und die sogenannten tschechischen Deklamatoria wurden als erste öffentliche Rezitationsabende initiiert, an denen neben Studenten auch Professoren, Priester, Beamte und Bürger teilnahmen. Es gelang, ein breiteres Interesse an der tschechischen Literatur zu wecken, woraufhin in Prag weitere Zentren für Kultur sowie internationale Nachrichten entstanden, beispielsweise in den Kaffeehäusern. Die Prager Kaffeehäuser konkurrierten um die Zahl der angebotenen ausländischen Zeitschriften und Zeitungen. Einige legten gedruckte Verzeichnisse der abonnierten Zeitschriften aus, die gegen eine geringe Gebühr auch nach Hause entliehen werden konnten. Sie belegen, daß im 18. Jahrhundert in Prag mehr als 70 Titel ausländische Zeitungen und Zeitschriften bezogen wurden, davon etwa 30 deutsche, 8 französische und 3 englische Tageszeitungen sowie etwa 30 ausländische Wochen- und Monatsschriften zu Politik, Wissenschaft und Unterhaltung.

Andreas Gerle, Bruder des Verlegers und Buchhändlers Wolfgang Christian Gerle, wollte in Prag die im Ausland bereits beliebten Lesekabinette einführen. Im Herbst 1781 eröffnete er ein Kaffeehaus am Altstädter Ring als erste öffentliche Lesehalle für Zeitungen und Zeitschriften sowie zur Ausleihe von Büchern gegen eine geringe Gebühr. 14 Zeitungen und 30 Zeitschriften wurden angeboten, und ein Regal mit Handbüchern und allgemeinen Nachschlagewerken, besonders deutschen und französischen, stand den Gästen ebenfalls zur Verfügung. Anfangs war das Interesse groß, später nachlassend. Am 27. September 1790 wurde aufgrund der vorrevolutionären Ereignisse in Frankreich die Zensur verschärft, und Lesehallen sowie Studienmöglichkeiten in Kaffeehäusern wurden verboten. Ausländische Zeitschriften durften nicht mehr bezogen werden. Andreas Gerle reichte zwar ein Gesuch mit einem Verzeichnis seiner 8000 Fachbücher ein, dennoch wurde auch seine Lesehalle verboten.

An der Karl-Ferdinands-Universität beschloß der Leiter der Bibliothek im Karolinum, Jan Augustin Gressl (1771), daß die Bibliothek nach der Vereinigung der ehemaligen jesuitischen Bibliothek mit der Majoratsbibliothek der Grafenfamilie Kinský aus Schloß Matzen in Niederösterreich im Jahre 1777 ihre zahlreichen Dubletten zur Hälfte des ursprünglichen Preises verkaufen sollte. Andere Dubletten sollten zum Schriftentausch genutzt werden. Geleitet wurden Verkauf und Schriftentausch von den Universitätsbibliothekaren Charles Maria Charuel (1742-1779) und Samuel Václav Mende (1781). Ein gedruckter Katalog der angebotenen Dubletten wurde fertiggestellt, die Preise von zwei Prager Buchhändlern festgesetzt. Der Verkauf von Dubletten gehörte seitdem zur gängigen Praxis in der Universitätsbibliothek.

Aus den durch die Josephinische Säkularisation aufgehobenen Klöstern und ihren Bibliotheken wurden in ähnlicher Weise Bücher verkauft. Die Klosterbestände wurden gleichfalls der Universitätsbibliothek angeboten, darunter sehr seltene und wertvolle Bücher (auch Inkunabeln), doch durften die Bibliothekare keine Dubletten ankaufen. So wurden viele kostbare Bücher aus der Universitätsbibliothek und aus den Klosterbibliotheken günstig an Privatsammler und Bibliotheken im In- und Ausland verkauft, darunter auch frühere Libri prohibiti. Einigen Vorbesitzern gelang es später, die konfiszierten Bücher zurückzukaufen. Auch Jan Bohumír Dlabac kaufte als Bibliothekar der Strahover Klosterbibliothek Dubletten auf. Gerade die Größe und Vielfalt ihrer Buchbestände zu allen Wissensgebieten sowie ihre öffentliche Zugänglichkeit hatten bewirkt, daß Kaiser Joseph II. die Strahover Bibliothek nicht aufheben ließ. Dlabac richtete sein Hauptaugenmerk auf Bohemica, insbesondere tschechische Kunstbücher und wissenschaftliche Werke. Ihm war daran gelegen, das hohe geistige Niveau und die wissenschaftlichen Ergebnisse des böhmischen Volkes zu dokumentieren. So kaufte er beispielsweise die Bibliothek von dem Physiker und Astronomen Antonín Strnad (1746?-1799) sowie einen Komplex medizinischer Dissertationen. Bei den Inkunabeln konzentrierte er sich auf die Inkunabeln der ältesten tschechischen Buchdrucker, darunter die Prager Drucker Jan Kamp und Jonata z Vysokého Mýta. Josef Dobrovský beteiligte sich ebenfalls am Ankauf von wertvollen Büchern für die Strahover Bibliothek. So kam es, daß in ihrem Bestand nahezu das gesamte tschechische Schrifttum aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert vertreten war.

Wahrscheinlich waren niemals so viele und so günstige Bücher auf dem Prager Buchmarkt wie zur Zeit der aufgehobenen Prager Klosterbibliotheken. Die Bücher wurden sogar am laufenden Meter, kiloweise oder in großen Mengen als Makulatur verkauft. So ist es nicht verwunderlich, daß auch Buchhändler und Antiquare aus Wien und verschiedenen Städten Deutschlands sowie aus Amsterdam, London und anderen europäischen Hauptstädten nach Prag kamen, um Bücher einzukaufen. In den achtziger Jahren wurden öffentliche Buchauktionen etabliert, beispielsweise bei Andreas Gerle seit Dezember 1781 monatlich. Im Angebot waren tschechische, deutsche, lateinische und französische Werke verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, darunter historische, juristische, medizinische, ökonomische, montanistische, technische und andere Literatur. Manchmal standen komplette Büchersammlungen aus Nachlässen zum Verkauf. Gedruckte Verzeichnisse des Buchangebots verschickte und verteilte Gerle unentgeltlich (das erste Verzeichnis aus dem Jahre 1784 bot 366 Titel an, das siebte bereits 595 Titel; später standen tausende von Büchern zur Auktion). Ähnliche Auktionen fanden parallel an anderen Orten in Prag statt.

Andreas Gerles Lesekabinett blieb zwar nahezu erfolglos, trotzdem wurden nachfolgend weitere Lesekabinette gegründet. Der Buchhändler und Verleger František Haas eröffnete 1794 eine öffentliche Leihbibliothek am Kleinen Ring im Haus bei der goldenen Lilie. Im Jahre 1798 veröffentlichte er sein erstes Verzeichnis ausleihbarer Bücher, zu beziehen gegen zwei Gulden Anzahlung oder gegen 30 Kreuzer für ein Monatsabonnement. Bereits ein Jahr später mußte Haas seine Leihbibliothek wieder schließen; das Verbot der Zeitungslektüre in Kaffeehäusern dauerte an, und die Lektüre der Werke von Helvétius, Rousseau und Voltaire wurde verboten (auch in der Universitätsbibliothek). Die Angst vor dem Einfluß der Französischen Revolution resultierte in laufend verschärften Zensurbestimmungen. Erst 1811 ließ Kaiser Franz II. (Regierungszeit 1792-1835) öffentliche Leihbibliotheken wieder zu. Sein Ziel war unter anderem, das geheime Leihen verbotener Literatur zu verhindern und der Polizei eine leichtere Kontrolle von Buchhändlern, Bibliothekaren und Lesern zu ermöglichen. Ein Antragsteller für eine Leihkonzession mußte allerdings sittlich und politisch ungescholten sein, Zuneigung zur Dynastie sowie literarische Ausbildung beweisen und noch dazu eigenes Vermögen zur Disposition haben. Franz II. schrieb vor, welche Literatur in den Lesehallen und Büchereien zu leihen war: größtenteils handelte es sich um historische und naturwissenschaftliche Werke, Bücher über die österreichische Monarchie, Reisebeschreibungen, Werke der griechischen und lateinischen Klassiker sowie Moralbücher für Erwachsene.

Infolge der neuen Gesetzgebung entstanden einige neue Leihbüchereien und im November 1823 auch die erste Musik-Leihbücherei des Komponisten J. C. G. Junghansz unweit vom Wenzelsplatz. Später gründete Junghansz seinen eigenen Musikverlag, in dem in erster Linie tschechische Musikalien erschienen. Prag war damals ein lebendiges Zentrum des Musiklebens. Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) war bereits zwischen 1786 und 1791 dreimal in Prag im Haus des Pianisten und Komponisten František Xaver Dušek (1731-1799) zu Gast gewesen. 1789 hatte Mozarts Oper Don Giovanni in Prag ihre Uraufführung; 1787 besuchte er auch persönlich die Universitätsbibliothek im Klementinum. 1791 führte er anläßlich der Krönung des böhmischen Königs Leopold II. (Regierungszeit 1790-1792) seine Oper Titus auf. Mozarts Opern wurden in Prag zumeist im Ständetheater gegeben, das am 21. April 1783 mit Lessings Emilia Galotti als Nostitz-Theater eröffnet hatte. In den Jahren 1813 bis 1816 war Carl Maria von Weber (1786-1826) in Prag als Dirigent und Komponist tätig, unter anderem mit einer Aufführung von Beethovens Oper Fidelio. Im Klementinum gab 1798 Ludwig van Beethoven (1770-1827) ein Klavierkonzert im Refektorium. Bereits gegen Ende des Jahrhunderts bot der Buchhändler und Verleger Josef Jan Polt (1824) in seinem Musikaliengeschäft eine breit gefächerte Auswahl der Musikliteratur, und mehrere Musikaliengeschäfte sowie Musikalien-Leihanstalten kamen bald hinzu.

Die tschechische Nationale Wiedergeburt

In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts stabilisierte sich die allgemeine wirtschaftliche und politische Lage, so daß sich die Bedingungen für Wissenschaft und Kultur verbesserten. Kleinere Unternehmer, Geschäftsleute und Handwerker erlebten besonders in Prag einen bemerkenswerten Aufschwung. Auch die Nationalbewegung war in Prag stärker ausgeprägt als in der Provinz. Eines der wichtigsten Ereignisse für die Bewegung der Nationalen Wiedergeburt war die Gründung des Nationalmuseums in Prag im Jahre 1818 durch eine Gruppe böhmischer Adliger unter der Leitung von Caspar Maria Graf von Sternberg (1761-1838). Es wurde von der Gesellschaft des vaterländischen Museums verwaltet, die im Jahre 1822 vom Kaiser offiziell bewilligt wurde. Das Museum wurde auf der Prager Burg im Sternberg-Palais untergebracht (1818-1846), danach im Nostitz-Palais in der Straße Am Graben (1846-1892). Die Sammlungen wuchsen sehr schnell, so daß bald ein Raummangel herrschte. Das Museum wurde zum Mittelpunkt der tschechischen Nationalen Wiedergeburt, hauptsächlich durch den Historiker František Palacký (1798-1876), der auch die Herausgabe einer Museumszeitschrift anregte. Die Zeitschrift erschien seit 1827 in tschechischer und deutscher Sprache unter dem tschechischen Titel Casopis Spolecnosti Vlastenského Museum v Cechách [Zeitschrift der Gesellschaft des vaterländischen Museums in Böhmen] und dem deutschen Titel Monatsschrift des vaterländischen Museums in Böhmen. Die deutsche Ausgabe erschien nur bis 1831, die tschechische erscheint bis heute und gilt als die älteste wissenschaftliche Zeitschrift in tschechischer Sprache. Auf Initiative von František Palacký wurde bei der Museumsgesellschaft ein Beirat für die wissenschaftliche Förderung der tschechischen Sprache und Literatur [Sbor pro vedecké vzdelávání reci a literatury ceské] und 1831 eine Stiftung zur Herausgabe von tschechischen Büchern gegründet, genannt Matice ceská. Matice ceská wurde einer der wichtigsten Verlage in Böhmen im 19. Jahrhundert, der auch die Museumszeitschrift und alle wichtigen Werke der tschechischen Literatur des 19. Jahrhunderts herausgab, zudem Übersetzungen aus der Weltliteratur, um diese den Tschechen in der Nationalsprache zu vermitteln.

Die Repräsentanten der tschechischen Wissenschaft des 19. Jahrhunderts standen mit dem Nationalmuseum in enger Verbindung oder direkt in seinen Diensten. Wichtige Repräsentanten des Gedankenguts der Nationalen Wiedergeburt waren unter anderem der Professor für slawische Archäologie an der Universität in Wien und evangelische Prediger in Pest sowie slowakische Dichter Jan Kollár (1793-1852); der Professor für slawische Philologie an den Universitäten in Wroclaw [Breslau] und Prag und tschechische Dichter František Ladislav Celakovský (1799-1852); der Historiker František Palacký, Verfasser der Dejiny národu ceského v Cechách a v Morave [Geschichte von Böhmen und Mähren] (Prag 1836-1876) und zahlreicher Studien zu Ästhetik, Linguistik, Geschichte, Literaturtheorie und Politik in tschechischer und deutscher Sprache; der Literaturhistoriker, Linguist und Dichter Josef Jungmann (1773-1847), Lehrer am Altstädter Gymnasium in Prag, Übersetzer von Chateaubriand, Milton, Goethe und Schiller sowie Verfasser des Slovník cesko-nemecký [Tschechisch-deutsches Wörterbuch] (Prag 1835-1839) und der Historie literatury ceské ... [Geschichte der tschechischen Literatur ...] (Prag 1825); und der Kustos und Bibliothekar der Universitätsbibliothek in Prag sowie Professor für slawische Philologie an der Karls-Universität, Pavel Josef Šafarík (1795-1861), der unter anderem die Geschichte der slawischen Sprache und Literatur nach allen Mundarten (Prag 1826) verfaßte sowie als Schiller-Übersetzer tätig war.

Das Aufleben der tschechischen Gesellschaft wurde nicht nur in den Bereichen Kultur und Literatur sichtbar, sondern auch im gesteigerten wissenschaftlichen und technischen Interesse. Der Prager Verein zur Förderung des Gewerbegeistes in Böhmen [Jednota ku povzbuzení prmyslu v Cechách] zählte damals mehr als 600 Mitglieder; sein Vorsitzender war Jan Svatopluk Presl (1791-1849), Professor für Zoologie und Mineralogie an der Prager Universität und zudem langjähriger Redakteur der tschechischen naturwissenschaftlichen Belehrungszeitschrift Krok (1821 ff.). Josef Jungmann schrieb im Leitartikel zur ersten Nummer: Es genügt nicht, eine schöne, reiche und berühmte Heimat zu haben, sondern man muß diese Heimat ausbilden, ihre Oberfläche sowie das Innere durchforschen, die Vergangenheit sowie die Gegenwart, Natur und auch den Kosmos kennenlernen .... Krok erschien in einer Auflage von 300 Exemplaren und veröffentlichte zum Beispiel die erste tschechische Information über die Dampfmaschine. Ein Mitglied der Redaktion von Krok war der bekannte Anatom und Physiologe Jan Evangelista Purkyne (1787-1869), der seine Studien zum Teil in Krok veröffentlichte, zudem mit Johann Wolfgang von Goethe befreundet war und dessen sowie Friedrich Schillers Gedichte ins Tschechische übersetzte. 1841 erschien Schillers Lyrik in Wroclaw [Breslau] unter dem Titel Básne lyrické [Lyrische Gedichte].

Tschechische Wissenschaftler erlangten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders in den Naturwissenschaften sowie in den Bereichen Medizin, Mathematik und Technik großes Ansehen. Der Mediziner Karel Slavoj Amerling (1808-1884) war beim Grafen Caspar Maria von Sternberg als Privatsekretär angestellt. Caspar Maria von Sternberg zählte zu den Mitbegründern des Nationalmuseums, dem er später seine wertvolle private Gelehrtenbibliothek mit umfangreichen naturwissenschaftlichen Beständen hinterließ. Amerling bemühte sich zunächst besonders um die naturwissenschaftliche, mineralogische und numismatische Sammlung sowie um die große Fachbibliothek. Später hielt Amerling Vorträge und Kurse zur Chemie für Handwerker und Lehrlinge in Prag, gab die Schrift Prmyslový posel [Industrie-Bote] (1840-1846) heraus, begründete die Erziehungs-Anstalt Budec und machte sich auch anderweitig um die Verbreitung der Wissenschaften verdient. Selbstverständlich verfügte er über eine Privatbibliothek mit mehreren hundert Bänden wissenschaftlicher Literatur und zahlreichen deutschen, russischen, polnischen und französischen Wörterbüchern.

Insgesamt stieg das Ausbildungsniveau in der ersten Hälfte des Jahrhunderts in breiten Schichten der Bevölkerung merklich an - besonders in Prag und anderen größeren Städten. Infolgedessen stieg auch der Bedarf an Fachliteratur. In diesem Zusammenhang gründeten die Söhne von Bohumil Haase eine große wissenschaftliche Fachbibliothek in Prag, die bei ihrer Eröffnung im Jahre 1843 mehr als 16.000 Bücher aus verschiedenen Wissenschaftsgebieten und zudem 4500 Romane in englischer, französischer, italienischer, spanischer, deutscher, ungarischer und portugiesischer Sprache umfaßte. Später waren es etwa 30.000 Bände. Bemerkenswert sind in den Bestimmungen über die Ausleihe, daß zwei bis drei Personen zusammen eine Abonnement-Gebühr zahlen können und daß die Lese-Vereine für ihre Mitglieder in der Haase-Bibliothek Fachbücher ausleihen können. Die Kataloge standen kostenlos zur Verfügung. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stieg auch das Interesse an der Schönen Literatur in dem von der Romantik geprägten Böhmen. Auch die Volkskunst erlebte eine Blütezeit.

In dieser Zeit änderten sich Lebensart und Gesellschaft in Prag zunehmend, besonders durch den Beginn der Industrialisierung. In verschiedenen Fabriken wurden Textilien, mathematische, optische und physikalische Apparate und Maschinen, aber auch Klaviere und Orgeln erzeugt. Die Stadt hatte im Jahre 1840 bereits etwa 140.000 Einwohner verschiedenster Berufsstände: Universitätsprofessoren, Wissenschaftler, Pädagogen, Künstler und Baumeister waren ebenso vertreten wie Handwerker, Geschäftsleute und Fabrikarbeiter. Allen gemeinsam war, daß Buch und Lektüre von zunehmender Bedeutung für sie waren. Wie andernorts in Europa kam es auch hier mit der zunehmenden Industrialisierung zu sozialen Konflikten und Arbeiterunruhen. Der Kampf um die soziale und nationale Freiheit

In Prag existierten im Jahre 1845 etwa 50 öffentliche und zwölf private Schulen und Bildungsanstalten. Die Karl-Ferdinands-Universität bot Studiengänge an ihrer Theologischen, Juristischen, Medizinischen und Philosophischen Fakultät an. Neben der Universität waren das Böhmisch-ständische polytechnische Institut und die Realschule am bedeutendsten. Weiterhin gab es drei Gymnasien, dreißig Volksschulen und neun Kunstschulen. Fachgesellschaften und Vereinigungen offerierten zusätzlich wissenschaftliche, wirtschaftliche, industrielle, technische oder künstlerische Fortbildungsmöglichkeiten.

Drei umfangreiche öffentliche Bibliotheken waren mit dem kulturellen, künstlerischen und wirtschaftlichen Leben Prags eng verbunden: Die Universitätsbibliothek im Klementinum mit etwa 100.000 Titeln und 3300 Handschriften; die Bibliothek des damaligen Museums des Königreichs Böhmen (heute Nationalmuseum), die 1845 etwa 20.000 Bände und 1500 Handschriften umfaßte, sowie die Bibliothek des Industrie-Vereins mit etwa 8000, überwiegend technischen und wirtschaftswissenschaftlichen Bänden. Weitere bedeutende Spezialbibliotheken waren die Bibliothek der Königlichen technischen Gesellschaft der Wissenschaften, die Bibliothek des Böhmisch-ständischen polytechnischen Instituts, die Bibliothek des Strahover Prämonstratenserstifts (mit mehr als 60.000 wertvollen historischen Bänden und zahlreichen Handschriften), die Bibliothek des Kapitels am St.-Veits-Dom sowie einige größere Adelsbibliotheken, wie die der Grafen Fürstenberg, Kinský, Nostitz und der Fürsten Lobkowicz, die jedoch nicht öffentlich zugänglich waren.

Im Januar 1846 eröffnete der kurz zuvor gegründete Bürgerverein Concordia ein Kulturhaus, dessen größter Saal für eine Bibliothek mit Lesehalle bestimmt war. Den Benutzern standen hier 30 Zeitungen und Zeitschriften in tschechischer, deutscher, polnischer, serbischer und französischer Sprache zur Verfügung. Dem Verein gehörten mehr als 500 Prager Bürger an, unter ihnen bedeutende Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur, so daß er sich zu einem demokratischen Forum des böhmischen Gesellschaftslebens entwickeln konnte. Kleinere ähnliche Vereine entstanden nach und nach in allen Stadtteilen, einige auch als Arbeitervereine. Weitere Vereinsbibliotheken mit Lesehallen, die meist aus den Vereinsbeiträgen getragen wurden, wurden gegründet.

Die Revolution vom Februar 1848 in Paris wirkte sich auch auf Prag aus. Am 11. März 1848 fand in der Prager Neustadt eine große Versammlung statt, auf der bürgerliche Freiheit, Änderung der Staatsverfassung, gleiches Wahlrecht, paritätische Ämterbesetzung und die tschechische Sprache als Amtssprache im gesamten öffentlichen Leben in einer Petition an Kaiser Ferdinand V. (Regierungszeit 1835-1848) in Wien gefordert wurden. Zunächst wurden die Forderungen abgelehnt, dann vom Kabinett die Wählbarkeit von Bürgern in den Landtag und in die Stadtverwaltung sowie die Gleichberechtigung der tschechischen und deutschen Sprache eingeräumt. Getragen war die böhmische Revolutionsbewegung von der Nationalitätenfrage. Ein Slawen-Kongreß, auf dem die bedeutendsten Repräsentanten der tschechischen Nationalbewegung, František Palacký und Pavel Josef Šafarík, referierten, wurde im Juni 1848 abgehalten. Im Anschluß an den Kongreß folgten tagelange Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und der Polizei. Ein Demonstrationsverbot wurde verhängt, und es kam zu erheblichen Einschränkungen im öffentlichen Leben. Die Lesevereine wurden fortan verboten, ihre Bücher, Zeitschriften und Zeitungen, die gesamte Korrespondenz und ihre Einnahmen konfisziert. Einige Leiter von Lesevereinen in den Prager Vorstädten wurden sogar vor das Militärgericht gestellt. Die führenden Persönlichkeiten der tschechischen Nationalbewegung wurden in der Folgezeit streng kontrolliert, ihre Aktivitäten stark eingeschränkt oder verboten. Der beliebte Schriftsteller, Politiker und Journalist Karel Havlícek Borovský (1821-1856), von 1848 bis 1849 auch Abgeordneter im Reichstag, war wegen seiner journalistischen Tätigkeit von 1851 bis 1855 in Brixen interniert. Inzwischen kam Kaiser Franz Joseph I. (Regierungszeit 1848-1916) auf den Thron.

Nach der Amnestie für die Revolutionsteilnehmer von 1848 kehrte auch der tschechische Industrielle Vojta Náprstek (1826-1894) von seinem zehnjährigen Emigrationsaufenthalt in den Vereinigten Staaten nach Prag zurück. In seinem Haus brachte er seine technischen und literarischen Sammlungen zusammen und machte sie der Prager Öffentlichkeit für ein Präsenzstudium zugänglich. Es entstand ein Gewerbemuseum und eine dazugehörige 35.000 Bände umfassende Studienbibliothek, die um neue Fachliteratur ergänzt werden sollte. Die Bibliothek enthielt Werke aus fast allen Wissensgebieten, darunter auch Fachliteratur zu Industrie, Technik, Geographie, Statistik, Geschichte, Gewerkschaften und zur Frauenbewegung. In Náprsteks Haus wurden Vorträge von Wissenschaftlern, Schriftstellern, Künstlern oder Pädagogen gehalten und diskutiert. Die Tätigkeit des Amerikanischen Clubs tschechischer Damen [Americký klub ceských dam] nahm 1858 nach amerikanischem Vorbild hier seinen Ursprung, den Vorsitz hatte die tschechische Schriftstellerin Karolína Svetlá (1830-1899). Nach seinem Vorbild entstanden wiederum Bildungsvereine für Frauen auch in anderen Städten, wodurch sich die Emanzipationsbewegung weiter verbreitete. Für die Frauen wurde eine neue soziale Stellung in der Gesellschaft propagiert.

Sofort nach der Veröffentlichung des Oktoberdiploms von 1860 kamen František Palacký, Jan Evangelista Purkyne und František Ladislav Rieger (1818-1903) mit Julius Grégr (1831-1896) in der Náprstek-Bibliothek zusammen, um die neue gesellschaftliche Situation zu analysieren und eine neue Zeitung vorzubereiten. Im Januar 1861 erschien die erste Nummer der Zeitung Národní listy [Nationalblätter], die weite Verbreitung fand. Die Begeisterung für das Oktoberdiplom verflog jedoch bald, als im Februar 1862 die Kompetenz des Landtags eingeschränkt und der deutschen Nation im Wahlreglement stärkere Macht eingeräumt wurde. Doch das neue tschechische Nationalbewußtsein und die Weiterentwicklung des tschechischen Gesellschaftslebens einschließlich der Vereinsbewegungen war nicht mehr aufzuhalten. In dieser Zeit gewann das tschechische Provisoriumstheater [Prozatímní divadlo] an Bedeutung, und es wurde auch der politisch wichtige Turnverein Sokol gegründet (1862).

Nach dem Oktoberdiplom konnte sich die bis dahin unterdrückte und stark kontrollierte periodische Presse vielseitiger entwickeln. 1861 erschienen in Prag 42 Zeitschriften, 1864 bereits 76, 1865 84, 1870 120 und zum Ende des Jahrhunderts 170. Im Österreichisch-Preußischen Krieg von 1866 unterlag die österreichische Armee. Der frühere Kaiser Ferdinand und die österreichischen Beamten verließen vorübergehend die Stadt, als die preußische Armee Prag besetzte. 1868 wurde mit dem Bau des Nationaltheaters begonnen, der große Unterstützung durch die gesamte Bevölkerung erfuhr, und im Dezember 1867 deklarierte schließlich eine neue Konstitution die Freiheit wirtschaftlicher Unternehmungen, der Religion, der Presse und der Vereine. So konnte auch 1879 nach dem Vorbild des Vereins der österreichischen Buchhändler der Verein der tschechischen Buchhändler und Verleger [Spolek ceských knihkupc a nakladatel] gegründet werden.

Schon zu Beginn der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts war Prag ein Industriezentrum, vor allem in der Maschinenindustrie. Es wurde im Stadtzentrum in mehr als 90 Fabriken, in der Vorstadt Karlín in mehr als 40 und in Smíchov in mehr als 20 Betrieben produziert. Hinzu kamen zahlreiche kleine und mittlere Handwerksbetriebe. Die tschechische Nationalbewegung stand vor neuen Kämpfen, in denen die Rolle der Arbeiterschaft an Bedeutung gewann. Im April 1871 wurde der Arbeiterleseverein der Kleinseite erneut verboten, im Januar 1872 der Verein in Smíchov. In den siebziger Jahren brachte eine sechsjährige Wirtschaftskrise Betriebsschließungen, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit mit sich. In dieser Zeit besaßen die Arbeiter als einziges Sprachrohr die tschechischsprachige Arbeiterzeitschrift Budoucnost [Zukunft]. In den Lesezirkeln wurden gemeinsam die neuesten Berichte von der Pariser Kommune aus den Zeitschriften Národní listy und Budoucnost gelesen und diskutiert.

Auch der Prager Kunstverein Umelecká beseda (gegründet 1863) trug durch verschiedene Vortragsreihen und Lesungen neuerer Literatur zur Volksbildung bei. Er besaß eine Bibliothek mit mehr als 7000 Bänden und eine Lesehalle mit über 50 in- und ausländischen Zeitschriften, die einen Ersatz für die damals fehlende Stadtbibliothek bieten konnte. 1885 wurde mit dem Bau des neuen Nationalmuseums am Wenzelsplatz begonnen, dem auch eine Museumsbibliothek mit mehreren tausend Bänden Fachliteratur angeschlossen war. Beim Einzug in das neue Gebäude im Jahre 1892 umfaßte die Bibliothek des Nationalmuseums mehr als 175.000 Bände. Im Juli 1891 wurde auf vielfaches Drängen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens endlich eine Stadtbibliothek eröffnet, die mit 300 Bänden nur eine vergleichsweise kleine Sammlung bieten konnte und die mehrfach ihren Standort wechselte. Erst unter der Leitung des Dichters Antonín Sova (1864-1928) konnte sie effizienter arbeiten und 1905 neue Zweigstellen am Hradschin, in der Neustadt, in Vyšehrad und in Holešovice eröffnen; weitere Zweigstellen waren in Vorbereitung. Allerdings erschwerte der Erste Weltkrieg die Bemühungen um den Aufbau eines umfassenden Bibliotheksnetzes.

Von der ersten Tschechoslowakischen Republik bis zum Zweiten Weltkrieg

Das Ende des Ersten Weltkrieges führte zur Gründung der Tschechoslowakischen Republik mit der Hauptstadt Prag am 28. Oktober 1918. Bereits am 14. Oktober legte die Bibliothekssektion des Kulturverbandes dem Ministerium für Schulwesen und Volksaufklärung einen Gesetzentwurf für ein allgemeines Bildungssystem mit öffentlichen, von qualifizierten Bibliothekaren geführten Bibliotheken vor, der 1919 angenommen wurde. Allerdings sah das Gesetz nur die Bildung von Gemeindebibliotheken vor; Spezialbibliotheken, Kloster-, Vereins-, Schul- und Universitätsbibliotheken blieben unberücksichtigt. Es wurden in der Folgezeit mehrere hundert Gemeindebibliotheken gegründet, ebenso ein Verein der tschechoslowakischen Bibliothekare [Spolek ceskoslovenských knihovník] und in der Universitätsbibliothek Prag ein Tschechoslowakisches bibliographisches Institut [Ceskoslovenský bibliografický ústav]. 1920 nahm die neue Staatliche Bibliothekarschule ihre Lehrtätigkeit auf, die für eine verbesserte Ausbildung der Bibliothekare Sorge trug.

Auch der Buchmarkt wurde lebendiger; der Verband der Buchhändler und Verleger kümmerte sich sowohl um Editionsfragen, Probleme des Buchdrucks, der Distribution und des Verkaufs als auch um den künstlerischen Wert der Werke. 1919 wurden weitere Zweigstellen der Stadtbibliothek in Prag gegründet, meist mit Lesesälen und erstmals auch mit Abteilungen für Kinderliteratur. Die Nationalbibliothek erhielt den Auftrag, die gesamte tschechische Literatur zu sammeln, zu erhalten, zu bearbeiten und über Neuzugänge laufend zu informieren. Im Klementinum arbeiteten weiterhin die Slawische Bibliothek und die Bibliothek der technischen Hochschulen. Das gute fachliche Niveau der tschechischen Bibliotheken, besonders in Prag, zeigt sich auch in der Enzyklopädie Masarykv slovník naucný, die 1925 unter der Leitung des damaligen Direktors der Bibliothek der Nationalversammlung [Knihovna Národního shromázdení] Zdenek V. Tobolka erschien. Sie verzeichnet beispielsweise für die Bibliothek des St.-Veits-Doms ca. 25.000 Bände und 1700 Handschriften; für die Bibliothek des Strahover Prämonstratenserstifts 100.000 Bände, 1200 Inkunabeln und 200 Handschriften; für die Universitätsbibliothek 457.000 Bände, 1564 Inkunabeln und 3930 Handschriften; für die Bibliothek des Nationalmuseums 360.600 Bände, 7033 Handschriften und 76.308 Stücke literarische Korrespondenz; und für die Bibliothek der Nationalversammlung (erst nach 1918 gegründet) bereits etwa 60.000 Titel. 1925 begann der Bau der neuen großen Stadtbibliothek am Marienplatz neben dem Klementinum. Großes Verdienst daran hatte der damalige Direktor der Stadtbibliothek Jan Thon (1886-1973). Ebenfalls ab 1925 erschien die umfassende Bibliographie Knihopis ceských a slovenských tisk od doby nejstarší az do konce XVIII. století [Bibliographie der tschechischen und slowakischen Drucke von den ältesten Zeiten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts], herausgegeben von Zdenek V. Tobolka und František Horák.

Im Jahre 1926 fand zum ersten Mal ein internationaler Bibliothekarkongreß in Prag statt, auf dem die Gründung einer Internationalen Assoziation der Bibliotheksverbände vorgeschlagen wurde, der späteren IFLA. In den dreißiger Jahren beeinträchtigte die Wirtschaftskrise die gesamte ökonomische und soziale Situation auch in Prag erheblich, das damals etwa 900.000 Einwohner zählte. Andererseits erreichten gerade in dieser Zeit die Prager Hochschulen ein hohes pädagogisches und wissenschaftliches Niveau und großes Ansehen. Die Karls-Universität zählte mehr als 10.000 Studenten, die Deutsche Universität und die Tschechische technische Hochschule jeweils etwa 5000, die Deutsche technische Hochschule weitere circa 2000. Zunehmende Bedeutung gewannen dadurch die gut ausgestatteten, fachlich spezialisierten Hochschulbibliotheken. Nach einer Statistik aus dem Jahre 1932 standen in den Prager wissenschaftlichen Bibliotheken den Benutzern insgesamt mehr als fünf Millionen Fachbücher zur Verfügung, davon allein etwa 800.000 Titel in der Universitätsbibliothek.

Von hoher Qualität waren in dieser Zeit Literatur und Kunst. In den zwanziger Jahren wurden verschiedene literarische Gesellschaften gegründet, und auch einige der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller lebten damals in Prag, so Rainer Maria Rilke (1875-1926), Franz Kafka (1883-1924), Max Brod (1884-1968), Egon Erwin Kisch (1885-1948) und Franz Werfel (1890-1945). Unter den Emigranten aus Deutschland, die teils nur kurz in Prag lebten und wirkten, befanden sich Thomas Mann (1875-1955) und Heinrich Mann (1871-1950), die die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft annahmen, Lion Feuchtwanger (1884-1958) und Bertolt Brecht (1898-1956). Auch einige bedeutende österreichische Künstler und Schriftsteller, wie Oskar Kokoschka (1886-1980) oder Gustav Meyrink (1868-1932), lebten längere Zeit in Prag. Gleichzeitig erreichte das literarische Schaffen der tschechischen und slowakischen Autoren ein hohes Niveau. Die Zahl der Verlage und Buchhandlungen nahm weiterhin zu. Sie brachten vermehrt auch internationale wissenschaftliche und Kunstliteratur heraus. Ebenso stieg die Zahl der Fachzeitschriften mit den neuesten Informationen aus dem Ausland.

Die Bedrohung durch einen neuen Weltkrieg nahm rasch zu. Durch die Unterzeichnung des Münchner Abkommens am 29. September 1938 gingen trotz der internationalen Verträge große Teile der Grenzgebiete der Tschechoslowakischen Republik verloren. Der damalige Präsident Edvard Beneš dankte am 5. Oktober 1938 ab. Zehntausende tschechischer Familien mußten die Grenzgebiete verlassen; die tschechischen Schulen und Bibliotheken wurden geschlossen. Am 15. und 16. März 1939 wurde das Restgebiet als Protektorat Böhmen und Mähren dem Deutschen Reich angegliedert. Unter strenger Kontrolle nationalsozialistischer Behörden wurden tausende unerwünschter Werke aus allen Bibliotheken ausgeschieden, in Konfiskationsverzeichnisse eingetragen und zur Aufbewahrung an Orte innerhalb und außerhalb von Prag abtransportiert. Alle in Tschechisch unterrichtenden Hochschulen mit ihren Bibliotheken wurden ebenfalls geschlossen. Der tschechische Widerstand war während der deutschen Besatzungszeit sehr aktiv; einigen Bibliothekaren gelang es, heimlich Bücher zu retten.

Betroffen waren in großem Ausmaß die Bibliotheken jüdischer Institutionen und Familien. Die jüdischen Bücher und Büchereien wurden zumeist durch die Gestapo konfisziert und abtransportiert. Heute beherbergt die Bibliothek beim Jüdischen Museum eine in Mitteleuropa einzigartige Sammlung hebräischer Handschriften und alter jüdischer Drucke.

Den Zweiten Weltkrieg beendete in Prag der Einmarsch russischer Truppen. Das ehemalige Rathaus, in dem das Archiv der Hauptstadt Prag und die Bibliothek untergebracht waren, war durch einen Brand zerstört worden. Was den Erhalt historischer Buchbestände in den Bibliotheken betrifft, so hatte Prag im Zweiten Weltkrieg vergleichsweise großes Glück, da es nicht wie andere europäische Großstädte von größeren Bombardierungen betroffen war. Es konnte seine historische wertvolle Bausubstanz bewahren und auch die wertvollen alten Buchbestände aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Jahrhunderten, darunter einige jahrhundertealte Buchsammlungen. Die Universitätsbibliothek und die Stadtbibliothek nahmen bald ihren Betrieb wieder auf und ordneten die Bücher, die zuvor als unerwünschte Werke ausgesondert oder versteckt worden waren, wieder in den Bestand ein. Es fehlten jedoch die Publikationen zu Okkultismus, Astronomie und Spiritismus, die nach Berlin verlagert worden waren. Schon bald nach Kriegsende erschienen zuvor verbotene Werke wieder im Angebot der Prager Buchhändler sowie Literatur über den Nationalen Widerstand, den Nationalaufstand in der Slowakei und andere historische Ereignisse der jüngsten Vergangenheit.

Die Gegenwart

Nach Kriegsende nahmen die Fakultäten der Karls-Universität und alle Hochschulen, die seit November 1939 geschlossen waren, ihren Lehrbetrieb wieder auf; die Hochschulbibliotheken waren wieder frei zugänglich. Die Gesellschaft stand am Anfang eines Demokratisierungsprozesses wie auch einer Verstaatlichung, die einhergingen mit einer Wiedergeburt von Wissenschaft, Bildung, Technik, Kunst und Kultur. Es kam zu Neugründungen von Hochschulen, spezialisierten Mittelschulen und Ausbildungsbetrieben. Dies machte die Gründung neuer spezialisierter Fachbibliotheken und Informationszentren mit entsprechendem Bestandsprofil und einem fortlaufenden Ankauf moderner Publikationen einschließlich ausländischer Zeitschriften notwendig. Der Unterhalt von öffentlichen Bibliotheken wurde in den staatlichen Wirtschaftsplan aufgenommen.

Der Nachkriegsaufschwung von Industrie und Forschung verlangte nach qualifiziert ausgebildeten Bibliothekaren, Dokumentaren und Informatikern. Das Netz der städtischen Bibliotheken in Prag, an dessen Spitze die zentrale Stadtbibliothek stand, erreichte eine doppelt so große Ausdehnung wie vor dem Kriege. Dies war nicht nur zurückzuführen auf die größeren Informationsbedürfnisse, sondern auch auf eine Bildungspolitik, die eine Versorgung aller Stadtteile und Vorstädte mit Zweigbibliotheken (mit Lesesälen, Kinderabteilungen und weiteren Räumen für Austellungs-, Vortrags- und Bildungszwecke) oder durch Autobüchereien vorsah. Die Zahl der jährlich ausgeliehenen Bände erreichte im Netz der öffentlichen Prager Bibliotheken zwischen drei und vier Millionen, wovon ungefähr ein Drittel Fachliteratur war. Auch in den wissenschaftlichen und Hochschulbibliotheken stieg die Zahl der Ausleihen. Den gesteigerten Bedarf an wissenschaftlicher Spezialliteratur deckte in erster Linie die Hauptbibliothek der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und Kunst [Knihovna Ceské akademie ved a umení], der mit ihrem über eine Million Bände zählenden Fachliteraturbestand eine führende Rolle zukam.

Die Funktionen der Nationalbibliothek im Klementinum wurden ausgeweitet, zum einen bedingt durch ihren Rang als Staatsbibliothek und zum anderen durch neue Verbindungen zum Ausland. Ein Grundproblem war der Raummangel, verbunden mit überfüllten Magazinen. Die zweite große Bibliothek im Klementinum, die Staatliche technische Bibliothek [Státní technická knihovna], wurde zum Hauptzentrum der technischen Bibliotheken und Informationsstätten. Ein neues Bibliotheksgesetz wurde im Juli 1959 verabschiedet, das die Hauptaufgabe aller Bibliotheken in der Erziehungs- und Bildungstätigkeit festschrieb, zudem in der Förderung von Wissenschaft und Technik. Alle Bibliotheken sollten im Hinblick auf eine Spezialisierung der Buchbestände, eine Aufteilung der Sammelgebiete und die aktuellen gesellschaftlichen Bedürfnisse im landesweiten Bibliotheksnetz kooperieren. Das größte Netz wissenschaftlicher Spezialbibliotheken bestand bei der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften. Dieses Bibliotheksgesetz behielt bis heute seine rechtliche Gültigkeit, nicht aber seine praktische Umsetzung. Obwohl die Notwendigkeit eines neuen Gesetzes schon lange diskutiert wird, das sich an den heutigen Problemen und Bedürfnissen orientieren soll, wurde es noch nicht verabschiedet.

Das Verlags- und Bibliothekswesen wurde 1949 verstaatlicht und 1953 unter die Aufsicht des Innenministeriums gestellt. Doch seit den fünfziger Jahren kam es mehrfach zu Umschwüngen in der politischen, ideologischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Orientierung der Tschechoslowakei. Der einschneidendste Wendepunkt war die Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahre 1968 durch die Armeen des Warschauer Paktes, die den zuvor eingeschlagenen Demokratisierungsprozeß beendete. Die Wenden nahmen Einfluß auf die Bewertung von Literatur: oppositionelle Werke wurden verboten oder vernichtet. Den Bibliotheken wurde eine sofortige Umorientierung abverlangt ebenso wie den einzelnen Politikern, Philosophen, Professoren, Autoren und letztlich Bürgern. Eine neue ideologische Klassifikation sowohl von Autoren wie auch von Büchern war die Folge, einschließlich einer totalen Umwertung ihrer Bedeutung.

Ein Verdienst der modernen tschechoslowakischen Bibliothekswissenschaft war beispielsweise das 1966 von der Stadtbibliothek in Prag initiierte internationale Symposium über die Konzeption, Organisation und Tätigkeit der öffentlichen Bibliotheken in Großstädten. Bei der IFLA resultierte daraus eine neue Abteilung, die mit den Aufgaben, Fragen und Problemen von Stadtbibliotheken in Metropolen befaßt war (INTAMEL). Die Prager Stadtbibliothek wurde 1968 zu ihrem Dokumentations- und Informationszentrum bestimmt. Ein Schlag für das Bibliothekswesen war im September 1970 das Verbot des Verbandes der tschechoslowakischen Bibliothekare und Informationsmitarbeiter - SKIP [Svaz knihovník a informacních pracovník] durch das tschechische Innenministerium mit der Argumentation, daß seine Tätigkeit in den Jahren 1968 und 1969 der Konsolidierung der Verhältnisse in der CSSR sowie der wissenschaftlichen Weltanschauung des Marxismus-Leninismus nicht entspräche. Daraufhin verloren viele Bibliothekare und Bibliothekarinnen ihre Anstellungen und erhielten ein weitreichendes Beschäftigungsverbot im gesamten kulturellen Bereich.

Im Jahre 1971 verschickte das Ministerium für Kultur an alle Bibliotheken geheime Verzeichnisse der fortan verbotenen Literatur mit der Maßgabe, die Bücher zu entfernen und die Einträge in den Katalogen zu streichen. Die Bücher wurden vom Ministerium für Kultur konfisziert und in gesonderten Depots ausgelagert. Eine Zuwiderhandlung gegen diesen Konfiskationsbefehl stand unter Strafe. Die im November 1989 niedergeschlagenen Studentenaufstände, denen die Samtene Revolution der neunziger Jahre und eine Neuordnung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse folgten, eröffneten ein neues Kapitel der Gesellschaft und Kulturgeschichte. Im Jahre 1990 konnte der Verband der Bibliothekare und Informationsmitarbeiter der Tschechischen Republik SKIP erneuert werden und seine Arbeit auf internationaler Ebene wieder aufnehmen. Seit 1990 schenkt man in Prag, aber auch in der gesamten Tschechischen Republik, der Kultur, dem Schulwesen, den Wissenschaften und der Kunst wieder mehr Aufmerksamkeit, gleichfalls auch dem Bibliothekswesen und den Informationsdiensten, denen eine stetig wachsende Bedeutung zukommt. Doch die Jahrzehnte der Unterdrückung sind nicht spurlos an den Kultureinrichtungen vorübergegangen.

Seit 1989 wurden privaten Unternehmungen und Geschäften mehr Freiräume zugestanden, was nicht nur das Handwerk und die Wirtschaft belebte, sondern auch die Bereiche Verlagswesen, Buchhandel und Antiquariat. Wirtschaftliche Privatisierungen und Eigentumsrestitutionen, die beim Kirchen- und Klostergut sowie Adelseigentum so manche wertvolle und umfangreiche Bibliothek mit historischen Beständen betreffen, werden nach und nach vollzogen. Sie verändern die Bibliothekslandschaft. Die Aufhebung der Landkreise im Jahre 1990 störte zudem die zuvor existierende fachliche Zusammenarbeit der Kreis-, Bezirks- und Ortsbibliotheken erheblich - nur in Prag blieben die Bezirke des früheren zentralisierten Bibliotheksnetzes erhalten.

Derzeit arbeitet man in den tschechischen Bibliotheken wie andernorts an einer elektronischen Datenerfassung der Bestände und einer übergreifenden Vernetzung. Durch das System CESNET sind beispielsweise die Prager Hochschulbibliotheken mit anderen tschechischen Bibliotheken außerhalb Prags verbunden und durch das Internet mit den ausländischen. Die Realisation verspricht mit Hilfe der modernsten Technik einen schnellen und umfassenden Informationsaustausch auf allen Wissensgebieten auf nationaler und internationaler Ebene.

Rudolf Málek

(Ergänzt von Jaroslav Vrchotka)


Quelle:Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.