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Bibliotheken in Wien

Wien hatte im Laufe seiner Geschichte zahlreiche Funktionen inne; die Stadt diente unter anderem als Residenz, Festung, Handelsmetropole, Universitätszentrum, Bischofssitz, Reichs- und schließlich Bundeshauptstadt. Jede dieser Aufgaben zog eine Fülle von tertiären Einrichtungen an sich, und in deren Folge entstand eine reichhaltige Bibliothekslandschaft, in der sich der politische, gesellschaftliche und kulturelle Werdegang nicht nur Wiens, sondern ganz Mitteleuropas spiegelt. Adelsfrömmigkeit, Ständestreit, Türkennot, Reformpolitik, Aufstieg und Untergang der Habsburgermonarchie, Weltkrieg und Wirtschaftswunder - alle diese Entwicklungen und Ereignisse hatten ihren Einfluß auf Struktur und Geschichte der Wiener Bibliotheken. Mittelalter Die drei ältesten Bibliotheken Wiens reichen in das hohe Mittelalter zurück und verdanken ihre Gründung dem Geschlecht der Babenberger, die ab 976 als Markgrafen von Ostarrichi den südöstlichen Teil Bayerns verwalteten. Das erstmals 881 namentlich erwähnte Wien war zunächst nur königlicher Burgplatz, die Erweiterung der Siedlung erfolgte durch Heinrich II. Jasomirgott (1141 Markgraf, 1156 Herzog von Österreich), der hier seine Residenz aufschlug. Um die Bedeutung des neuen Herzogssitzes zu heben, berief er im Jahr 1155 aus dem Kloster St. Jakob in Regensburg irische Mönche nach Wien und stiftete das Schottenkloster. Aus der klösterlichen Schreibstube entwickelte sich Wiens älteste Bibliothek.

Heinrich II. und seine Nachfolger betrieben eine bewußte Förderung Wiens, sodaß die Siedlung rasch anwuchs. Unter Verwendung des dem englischen König Richard Löwenherz abverlangten Lösegeldes gründete Herzog Leopold V. (1177-1194) nicht nur die Wiener Münzstätte, sondern nahm auch den Ausbau der Ringmauer in Angriff, welche für viele Jahrhunderte die räumliche Grenze der Siedlung fixierte. Sein Sohn, Leopold VI. der Glorreiche (1198-1230), verlieh Wien 1221 das Stadtrecht und machte seinen Hof zu einer der bedeutendsten Stätten ritterlich höfischer Kultur, in der Reinmar von Hagenau, Walther von der Vogelweide und Tannhäuser wirkten. 1226 zog mit den Dominikanern der erste Bettelorden in Wien ein; aus seinem Buchbesitz, welcher der Seelsorge und der Bekämpfung von Irrlehren diente, ging die zweitälteste Bibliothek Wiens hervor. Bald nach den Dominikanern kam mit den Minoriten ein weiterer Bettelorden nach Wien, der ebenfalls eine Bibliothek unterhielt. An der Wiener Universität lehrende Dominikaner- und Minoritenpatres bereicherten seit dem Spätmittelalter die beiden Bibliotheken durch Beschaffung wissenschaftlicher Literatur.

Der Tod des letzten Babenbergers, Friedrichs II. des Streitbaren, 1246 bedeutete das Ende einer Epoche. Nach dem Zwischenspiel Ottokar Przemysls von Böhmen kamen 1282 die Habsburger als Landesfürsten nach Österreich und prägten bis 1918 Wiens kulturelle Entwicklung. König Albrechts I. Bezeichnung für Wien als des Reiches Hauptstadt in Österreich entsprach allerdings zunächst eher einem politischen Programm als einer Tatsache. Wien war die größte Stadt innerhalb der habsburgischen Besitzungen und sollte fest an die Dynastie gebunden werden - Ansätze einer Reichsunmittelbarkeit wurden daher im Keim erstickt. Von einer Hauptstadt des Reiches kann aber in einem Zeitalter des Reisekönigtums nicht gesprochen werden, zumal es den Habsburgern zunächst noch nicht gelang, die Königswürde an sich zu binden. Aber es gab in baulicher und kultureller Hinsicht zahlreiche Anstrengungen der Landesfürsten, gemeinsam mit dem emporstrebenden Bürgertum Wiens Bedeutung zu heben. Am bekanntesten sind die ehrgeizigen Pläne Herzog Rudolfs IV. des Stifters (1358-1365), seine Residenz nach dem Vorbild Prags auszugestalten: Er erhob Wiens größte Kirche, St. Stephan, zur Propsteikirche und sorgte für deren bauliche Ausgestaltung durch Stiftung des Südturms, der noch heute das Wahrzeichen der Stadt ist. Auch die Gründung der (nach Prag) zweiten deutschen Universität, der Alma mater Rudolphina, ist Rudolf zu verdanken; aus der Bibliothek der Artistenfakultät ging die Universitätsbibliothek hervor. Die enge Verbindung der Universität mit den Ordensangehörigen verschiedener Klöster, die hier studierten oder lehrten, wirkte sich in der Folge günstig für zahlreiche Klosterbibliotheken aus. Auch die 1418 einsetzende Melker Reform, welche die praktische Erneuerung der Benediktinerregel zum Inhalt hatte, schlug sich im klösterlichen Bibliothekswesen nieder. Die Schreibtätigkeit wurde gefördert, der Buchbestand neu geordnet und katalogisiert. In Wien betraf die Melker Reform vor allem das Schottenstift, das 1418 von deutschen Benediktinern aus dem Stift Melk neu übernommen wurde; das hauseigene Skriptorium erhielt von Anfang an einen hohen Stellenwert.

Neben den frühen geistlichen entstanden die ersten fürstlichen Bibliotheken. Auf Rudolfs IV. Bruder und Nachfolger, Herzog Albrecht III. (1365-1395), gehen vermutlich die Anfänge des habsburgischen Bücherschatzes zurück, der heute zum Teil in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt wird. König Albrecht II. (1437-1439) vermehrte den Buchbesitz mit dem luxemburgischen Erbe, das Kaiser Friedrich III. über geschickte Erbschaftsverträge in seinen Besitz brachte.

Für Österreich und besonders für Wien war das 15. Jahrhundert eine unruhige Zeit. Wohl erlebte die Stadt ihren Höhepunkt an gotischer Bautätigkeit und Kunstentfaltung, und das Wirken des Theologen und Geschichtsschreibers Thomas Ebendorfer von Haselbach (1388-1464) als Rektor der Wiener Universität gibt Zeugnis von der geistigen Aufgeschlossenheit jener Jahre. Der Niedergang des Handels, innere Wirren und zahlreiche Kriege führten aber zu wirtschaftlicher Not und Verunsicherung eines Großteils der Bevölkerung. Nach dem Tod Albrechts II. entbrannten Parteienkämpfe mit zahlreichen Fehden um seinen nachgeborenen Sohn Ladislaus Postumus (1440-1457), später stritten die verfeindeten Brüder Herzog Albrecht VI. (1418-1463) und Kaiser Friedrich III. um den habsburgischen Besitz, darunter auch die Büchersammlung. Während Niederösterreich von durchziehenden Söldnerheeren verwüstet wurde, bekannte sich der Rat der Stadt Wien bald zu der einen, bald zu der anderen Partei. Aus dieser Zeit der Wirren stammen die ersten Nachrichten von der alten Ratsbibliothek (1460); sie diente dem Stadtrat als Behördenbibliothek und war sichtbares Zeichen für das gewachsene Selbstbewußtsein einer städtischen Elite, die selbst in Zeiten allgemeiner Verarmung große Vermögenswerte anzusammeln vermochte. (1780 wurde die Ratsbibliothek an die Hofbibliothek verkauft.) Mit dem Tod Albrechts VI. beruhigte sich die Situation kurzfristig: Der Kaiser verzieh den Wienern, die ihn 1462 sogar in seiner eigenen Burg belagert und dann aus der Stadt gejagt hatten, ihren Ungehorsam. 1469 bewirkte er die Errichtung des Wiener Bistums; dadurch wurden die Propsteikirche St. Stephan zum Dom und die Kollegiatstiftung zum Domkapitel. Allerdings residierte erst ab 1513 ein Bischof in Wien; die Anfänge der Erzbischöflichen Bibliothek datieren aus der Zeit des Bischofs Kaspar Neubeck (1574-1594). Neuzeit Die jahrelangen Unruhen, Münzverruf und Pest mochten dazu beigetragen haben, daß der Buchdruck in Wien - abgesehen von wenigen Drucken in den Jahren 1461 und 1482 bis 1486 - erst 1492, also wesentlich später als in anderen deutschen Städten einsetzte. Und noch immer hatte sich die politische Lage keineswegs stabilisiert, da der Ungarnkönig Matthias Corvinus die Eroberung Niederösterreichs betrieb. Von 1485 bis zu seinem Tod 1490 residierte Matthias in Wien. Kaiser Friedrich III. überlebte auch diesen Feind, Wien betrat er aber nicht mehr. Auch Maximilian I. hielt sich hier nicht gerne auf, zumal seine Verwaltungsreformen, von den Wienern nicht zu Unrecht als Mißachtung ihrer traditionellen Sonderstellung empfunden, zu häufigen Zerwürfnissen mit der Bürgerschaft führten. Die Wiener machten den Kaiser für die Wirtschaftsmisere verantwortlich, denn dieser hatte zum Vorteil der oberdeutschen Handelshäuser das alte Niederlagsprivileg aufgehoben. Aber das Verhalten dieses Kaisers der Zeitenwende war nur die Konsequenz des ökonomischen und politischen Bedeutungsverlustes von Wien. Auf künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiet sorgte Maximilian immerhin dafür, daß Wien den Anschluß an die neue Zeit nicht verlor. So berief er 1497 Conrad Celtis an die Wiener Universität. Andere Humanisten folgten, wie Johannes Cuspinian und später Wolfgang Lazius. Dieser Humanistenkreis war der wichtigste Auftraggeber für Wiens Offizinen, die nun auch hier dem ersten technischen Massenmedium zum Durchbruch verhalfen; als bedeutendste Wiener Buchdruckerei dieser Zeit gilt jene des gebürtigen Bayern Hans Singriener d. Ä. Da um 1520 etwa zehn Prozent der rund 40.000 Einwohner Wiens lesen konnten, erreichten die gedruckten Schriften theoretisch jeden zweiten Haushalt und praktisch alle Bibliotheken, wenn auch nicht mit gleicher Intensität. In der Universitätsbibliothek sorgte die Verwaltung des Gelehrten und Bibliothekars Thomas Resch für einen kurzfristigen Aufschwung, und auch in der Bibliothek des Schottenstiftes wurde eine umfangreiche Sammlung von Werken der Humanisten angelegt.

Maximilian hatte in den Erblanden ein Regiment als landesfürstliches Verwaltungsorgan eingerichtet. Nach seinem Tod (1519) sollte dieses bis zur Machtübernahme durch einen seiner Enkel regieren. Die Stände wehrten sich gegen eine solche Maßnahme und ernannten eine eigene Regierung, die sich landesfürstliche Rechte anmaßte. Führender Kopf dieser ständischen Opposition war der Universitätsprofessor und Bürgermeister von Wien, Martin Siebenbürger. Als Ferdinand I., der Begründer der österreichischen Linie des Hauses Habsburg, schließlich 1522 in Niederösterreich einzog, wurde ein Strafgericht über die widerspenstigen Ständevertreter eröffnet, welches für Siebenbürger und zwölf weitere Rädelsführer das Todesurteil aussprach. Mit diesem Wiener Neustädter Bluturteil setzte Ferdinand dem mittelalterlichen Ständewesen eine moderne zentrale Fürstengewalt entgegen; gleichzeitig führte er an Stelle des deutschen das römische Recht in Österreich ein. Noch im selben Jahr verlor Wien seine bisherigen Freiheiten und wurde dem Landesfürsten unterstellt; Bürgermeister und Stadtrichter agierten hinfort wie landesfürstliche Beamte. Auch das Münzrecht, Symbol wirtschaftlicher Macht, wurde der Stadt genommen. Es ist verständlich, daß solche Maßnahmen bei Wiener Bürgern und Adeligen den Widerstandswillen förderten; als daher mit dem Protestantismus eine von den Habsburgern abgelehnte und bekämpfte religiöse Bewegung in Wien Einzug hielt, fand diese unter den Unzufriedenen bereitwillige Aufnahme. Nach und nach wurde der Protestantismus die Speerspitze der ständischen Opposition.

Aber nicht allein die Politik kann als Wegbereiterin der Reformation in Wien gesehen werden, auch die Humanisten trugen das Ihre zur Verbreitung der neuen Lehre bei, zumal Gelehrte wie Cuspinian mit Luther korrespondierten. Händler, Studenten, Wanderprediger und Buchführer, die Luthers Schriften nicht nur verkauften, sondern auch vortrugen, sorgten dafür, daß alle sozialen Schichten über den evangelischen Glauben informiert wurden. Im Schicksalsjahr 1522 hielt Paulus Speratus im Stephansdom eine evangelische Predigt. Doch wenige Monate später begann in Wien die Zensur. Lutherische und sektiererische Bücher wurden - zunächst vergebens - verboten. 1524 büßte Caspar Tauber als erster Protestant seine Überzeugung vor dem Inquisitionsgericht, 1527 endete der Täuferführer Balthasar Hubmaier auf dem Scheiterhaufen. Ferdinand I. aber wollte und konnte angesichts der Bedrohung durch die Osmanen keine religiöse bzw. geistige Spaltung seiner Länder hinnehmen. Tatsächlich war es ihm gelungen, zunächst die Macht der Stände einzudämmen (1522), dann die Erbländer mit Böhmen und Ungarn zu einem Reich zusammenzufassen (1526) und schließlich vor Wien die Türken abzuwehren (1529).

Trotz der ersten Blutzeugen der Reformation kann das Zeitalter Ferdinands I. als für damalige Begriffe tolerante, weltoffene Periode bezeichnet werden. Der Landesfürst, der als Nachfolger seines Bruders Karl V. von 1556 bis 1564 auch die Kaiserwürde innehatte, beabsichtigte noch keine Gegenreformation, sondern die Beilegung der Glaubensspaltung. In Fortsetzung der Tradition seines Großvaters Maximilian bemühte er sich um die Förderung der Künste und Wissenschaften. 1526 wandte er seine Aufmerksamkeit auch dem kaiserlichen Bücherbesitz zu, den er von Gelehrten verwalten ließ und auch einer beschränkten Benützung öffnete. Um die Jahrhundertmitte betreute der Hofhistoriograph Wolfgang Lazius die Bibliothek. Auch für die Universitätsbibliothek wurden auf Ferdinands Anordnung zahlreiche Druckwerke angeschafft. Die von Ferdinand eingerichteten zentralen Verwaltungsbehörden für die Erblande und für das Reich (1527/1528: Geheimer Rat, Hofrat, Hofkanzlei, Hofkammer; 1556: Hofkriegsrat) verfügten gewiß über einschlägige kleine Handbibliotheken, welche schließlich in den unter Maria Theresia geschaffenen Behördenbibliotheken aufgingen. 1533 hatte sich der König dazu entschlossen, Wien zu seinem Hauptsitz zu machen. Die Hofburg erfuhr dadurch manche bauliche Veränderung im Renaissancestil. Im übrigen Wien wurde allerdings wenig gebaut, denn die erste Türkenbelagerung (1529) hatte gewaltige Schäden angerichtet, die erst nach und nach behoben werden konnten. Wien blieb seiner Physiognomie nach eine gotische Stadt. Lediglich an der 1531 bis 1566 errichteten bastionierten Stadtbefestigung ließ sich der Anbruch einer neuen Zeit erkennen.

Das Eintreffen der ersten Jesuitenpatres in Wien (1551) markiert für Österreich den Beginn der Gegenreformation. 1554 wies König Ferdinand den Jesuiten das verlassene Karmelitenkloster Am Hof zu. In der Folge sorgte der Niederländer Petrus Canisius (1521-1597) für den wachsenden Einfluß der Societas Jesu auf den Lehrbetrieb der Universität; den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete die Sanctio pragmatica (1623), durch die der Orden neben der Theologischen Fakultät auch die Artistenfakultät in Händen hielt. Bis zur Aufhebung des Ordens 1773 sollten die Jesuiten das Bildungswesen prägen. Zu diesem Zweck statteten sie ihre Ordensbibliothek großzügig aus, vernachlässigten aber gleichzeitig die Universitätsbibliothek; als letztere bis zur Bedeutungslosigkeit herabgekommen war, wurden die Restbestände 1756 der Hofbibliothek übergeben.

Die kaiserliche Bibliothek hingegen erfuhr eine ungebrochene Erweiterung. Ferdinands Sohn, Maximilian II., sandte noch als Erzherzog Kaspar von Niedbruck zum Bücherkauf aus. Als Kaiser (1564-1576) berief er erstmals einen hauptberuflichen Bibliothekar, den Delfter Gelehrten Hugo Blotius, der dafür sorgte, daß aus Klöstern sowie Privatbibliotheken Bücher erworben wurden. 1579 kam es zur ersten Regelung für die Abgabe von Pflichtexemplaren, die den Buchdruckern zu Privilegien gegen Nachdruck verhalf. Entscheidend für den systematischen Ausbau der Bibliothek war aber erst das 1624 erlassene kaiserliche Patent, welches der Hofbibliothek je ein Exemplar aller privilegierten und auf der Frankfurter Buchmesse gehandelten neuen Bücher zusprach; diese Regelung blieb bis zum Untergang des Heiligen Römischen Reiches (1806) in Kraft.

Die Anwesenheit der Jesuiten konnte die Verbreitung der neuen Glaubenslehre in der Wiener Bevölkerung zunächst nicht aufhalten. Als Kaiser Maximilian II. 1571 allen Untertanen Konfessionsfreiheit gewährte, erreichte der Protestantismus in Österreich seine größte Entfaltung. Etwa vier Fünftel der Wiener bekannten sich zum Luthertum. Erst Kardinal Melchior Klesl (1553-1630), Dompropst, Kanzler der Universität und Bischof, ebnete der Gegenreformation in Wien den Weg. So setzte er durch, daß zur Erlangung der Doktorwürde ebenso wie zur Verleihung des Bürgerrechts das Tridentinische Glaubensbekenntnis abgelegt werden mußte; die evangelischen Bethäuser wurden gesperrt, den Ungehorsamen drohte er mit Vertreibung. Hingegen gelang es Klesl noch nicht, dem allgemeinen Verfall des Klosterwesens in Wien und auf dem flachen Land Einhalt zu gebieten. Immerhin nützte er diese Situation, um die Lage der schlecht dotierten Wiener Dompropstei St. Stephan zu verbessern. 1611 inkorporierte er ihr das vakante Kollegiatstift Kirnberg an der Mank/Niederösterreich (1483 gegründet); mit dieser Maßnahme kamen auch die zum Zwecke der Seelsorge angeschafften Bücher des Stiftes in den Besitz der Wiener Dompropstei (heute im Diözesanarchiv).

Als Ferdinand I. und Maximilian II. Wien zur Kaiserresidenz erhoben, zogen sie nicht nur Künstler und Gelehrte aus ganz Europa an ihren Hof. Die Bedeutung Wiens als kulturelles und politisches Zentrum übte auch auf Angehörige des hohen Adels eine starke Anziehungskraft aus und veranlaßte sie, sich hier niederzulassen. Damit wurde eine soziokulturelle Entwicklung eingeleitet, die - mit Unterbrechung durch Rudolf II. (1576-1612), der Prag bevorzugte - bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts andauerte und maßgebend das bauliche Geschehen der Stadt beeinflußte. Die in Wien ansässigen Adeligen bekleideten nicht nur die höchsten Staatsämter, sondern betätigten sich auch als Kunstmäzene und Sammler. Ihre Bibliotheken finden sich heute vielfach im Bestand der Nationalbibliothek. Aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts datiert die Entstehung der Fürstlich Liechtensteinischen Bibliothek. Hartmann II. von Liechtenstein (1544-1585) hinterließ bei seinem Tod etwa 230 Bücher und setzte damit den Grundstein der Fürstlich Liechtensteinischen Fideikommißbibliothek.

Das Zerwürfnis zwischen Kaiser Rudolf II. und seinem Bruder, Erzherzog Matthias, ermöglichte den protestantischen Ständen ihre letzte und größte Machtentfaltung; sie nützten den Bruderzwist, um die uneinigen Habsburger gegeneinander auszuspielen und neue Rechte zu ertrotzen. Das politische Geschehen verlagerte sich vorübergehend nach Böhmen, wo durch den zweiten Prager Fenstersturz 1618 der Dreißigjährige Krieg ausgelöst wurde. Wien profitierte von den Ereignissen insofern, als Kaiser Matthias nun die Stadt endgültig zur Habsburgerresidenz machte; auch sein Nachfolger, Ferdinand II. (1619-1637), verließ Graz und zog in die Hofburg ein. Wien war Reichshaupt- und Residenzstadt geworden.

Im Unterschied zu anderen deutschen Städten machte das Elend des Großen Krieges vor den Stadtmauern halt. Kaiser Ferdinand II. nützte den Sieg des katholischen Ligaheeres am Weißen Berg bei Prag (1620), um den österreichischen Protestantismus und zugleich die Macht der Stände für immer zu brechen. Er setzte mit allen Mitteln - gewaltsamen und gewaltlosen - den katholischen Einkonfessionsstaat durch. Zu den gewaltlosen Methoden zählte die Errichtung des nach dem Graner Erzbischof Peter Pßzmßny (1570-1637) benannten Pazmaneums, in dem ungarische Priester im Sinne der Gegenreformation ausgebildet wurden; die Leitung dieses Instituts, das auch über eine eigene Bibliothek verfügte, oblag bis 1761 den Jesuiten. Nachhaltiger für Wien und Österreich wirkte die ab 1630 im Sinne der Gegenreformation gezielt betriebene Neuansiedlung zahlreicher Orden. Diese Klosteroffensive, von Ferdinand III. (1637-1657) und Leopold I. (1658-1705) fortgesetzt, prägte auch die Bibliothekslandschaft. Denn die Barnabiten, Augustiner-Eremiten, Serviten, Kapuziner, Franziskaner (Bücherschatz heute in der Zentralbibliothek in Maria Enzersdorf), Karmeliten und etliche andere Orden legten zugleich mit ihrer Niederlassung eigene Bibliotheken an. Die typische Klosterbibliothek umfaßte um 1700 etwa 1000 bis 5000 Bände.

Nicht alle Orden dienten ausschließlich der Seelsorge und damit insbesondere der Gegenreformation; der 1660 eingeführte Ursulinenorden unterhielt die erste Schule für adelige Mädchen, die 1688 angesiedelten Trinitarier machten sich den Loskauf von Christensklaven, die Krankenpflege und die Mission zur Pflicht; das 1697 gegründete Piaristenkolleg Maria Treu (heute Piaristengymnasium) wirkte als deutsche und lateinische Schule; die 1709/1710 auf Betreiben des Hochadels von Graz nach Wien geholten Elisabethinen widmeten sich der Pflege armer und erkrankter Frauen.

Die frühe Neuzeit bedeutete für das österreichische Städtewesen einen langsamen, ab dem 17. Jahrhundert einen beschleunigten Niedergang: Handel und Handwerk stockten, Seuchen, Kriege und Gegenreformation verursachten wiederholt demographische Einbrüche. Nur die Landeshauptstädte und Residenzen erlebten auch in dieser Periode ihren Aufstieg. Am meisten profitierte Wien, das um 1700 bereits etwa 100.000 Einwohner zählte; 20 Prozent von ihnen fanden ihren Lebensunterhalt direkt oder indirekt am kaiserlichen Hof oder als Angehörige der Hofbürokratie bei den Wiener Zentralbehörden. Noch bevor Wien den knapp zuvor durch die Pest hervorgerufenen demographischen und wirtschaftlichen Einbruch wieder ausgleichen konnte, brach 1683 die zweite Türkenbelagerung über die Stadt herein. Wien verlor ein Drittel seiner Einwohner, alle Vorstadtgebäude wurden zerstört, zahlreiche Innenstadthäuser gingen in Flammen auf. Schließlich befreiten die siegreiche Entsatzschlacht am Kahlenberg (12. September 1683) und die Feldzüge der kommenden Jahre die Erblande von der Bedrohung durch die Osmanen. Wien, bisher als Grenzstadt nur zwei Tagesreisen vom Osmanischen Reich entfernt, lag infolge der Eroberungen der kaiserlichen Heere ab nun im Zentrum der neuen habsburgischen Großmacht. Der Wiederaufbau ging rasch von statten, immer mehr infolge des Türkenkriegs reich gewordene Adelige zogen in die Stadt, die zentralen Hofstellen vermehrten ihren Beamtenstand. Wien veränderte sein Aussehen: Der mittelalterliche, bürgerliche Charakter ging verloren und wich einem barocken Luxus. Und Kaiser Leopold I., der einzige Habsburger, dem die Zeitgenossen den Beinamen der Große gegeben hatten, war der beste Repräsentant höfischer Prunkentfaltung. 1661 holte er Franz de Mesgnien Meninski nach Wien, der hier als erster mit arabischen Typen druckte. Nach und nach wurde Wien zum Mittelpunkt für den Druck in orientalischen Sprachen. 1692 legte Leopold I. den Grund für die älteste Kunstakademie Mitteleuropas; ihre Bibliothek ist seit 1774 nachweisbar.

1704 erhielten anläßlich der Bedrohung durch ungarische Aufständische (Kuruzzen) auch die Vorstädte eine Befestigungsanlage: den Linienwall. Nun konnte der Adel, der sich bisher auf seine Palais in der Innenstadt beschränken mußte, neue Sommerpaläste in gesicherten Vorstädten errichten. Bekanntestes Beispiel ist das Belvedere, der Sommersitz des Prinzen Eugen. Auch viele barocke Kirchen (Karlskirche) und Klöster (Piaristen) entstanden in den Vorstädten und bestimmten Wiens Stadtbild mit. 1723 veranlaßte Kaiser Karl VI. den schon längst geplanten, aber wegen der zahlreichen Kriege immer wieder hinausgeschobenen Neubau der kaiserlichen Bibliothek, der nach Plänen von Johann Bernhard Fischer von Erlach in den Jahren 1723 bis 1726 errichtet wurde. Den Wissenschaften kam in dieser Zeit der höchsten Entfaltung barocken Lebensstils nicht der erwartete Stellenwert zu. Vergebens bemühte sich Leibniz während seines Wienaufenthaltes von 1712 bis 1714 um die Errichtung einer Akademie der Wissenschaften. Aufgeklärter Absolutismus Die demonstrative Zurschaustellung barocker Hoch- kultur verdeckte die Tatsache, daß sich der höfische Absolutismus überlebt hatte. Aber erst Maria Theresia (1740-1780) wurde mit den Systemschwächen der österreichischen Monarchie konfrontiert. Zahlreiche Kriege zwangen sie zu einer umfassenden Staatsreform, wodurch der überaltete, schwerfällige Verwaltungsapparat aus der Zeit Ferdinands I. von Grund auf neu gestaltet wurde. Nicht nur auf dem Gebiet der Verwaltung folgte die Kaiserin-Königin dem modernen Gedankengut. Sie löste die Kirche Österreichs von der Bevormundung durch Rom, sie veranlaßte die völlige Neugestaltung des Erziehungs- und Schulwesens, sie förderte die Medizin und die Naturwissenschaften. Alle diese Maßnahmen erwiesen sich als fruchtbar für Wiens Bibliothekslandschaft. Die Bildungsoffensive erweiterte die Gruppe der Bibliotheksbenützer; neben dem bisherigen Benützerkreis der Gelehrten, Professoren und Studierenden stiegen zusehends auch Bildungsbürger und wohlhabende Handwerker zur Leserschicht auf. Für die Buchdruckerkunst war Wien ein besonders reicher Boden, galt die Habsburgerresidenz doch neben Leipzig und Berlin als bedeutendster Druckort im Heiligen Römischen Reich. Lange Zeit hatte der Wiener Buchdrucker Johann Thomas Trattner (1717-1798) mit seinen 34 Pressen im deutschen Buchmarkt eine führende Stellung. Die Buchdruckerkunst stand in derart hohem Ansehen, daß auch Joseph II. sie in jungen Jahren erlernte.

Bei den Bibliotheksgründungen unter Maria Theresia handelt es sich im wesentlichen um Behördenbibliotheken, Schulbibliotheken, Studienbibliotheken (in den Provinzen) und wissenschaftliche Spezialbibliotheken. Den Impuls zur Entstehung von Behördenbibliotheken gab die Errichtung neuer Zentralbehörden in Wien; ihre Buchbestände sind heute zumeist in der Bibliothek des Österreichischen Staatsarchivs vereinigt. Hierzu zählen die Bibliothek der 1742 geschaffenen Hof- und Staatskanzlei, die Bibliothek des 1749 gegründeten Haus-, Hof- und Staatsarchivs und die Bibliothek des Hofkriegsrates, welche ab 1776 mit anderen militärwissenschaftlichen Fachbibliotheken zusammengefaßt und im Kriegsarchiv aufgestellt wurde. Die Schul- und Studienbibliotheken standen ganz im Zeichen der von Maria Theresia eingeleiteten Bildungsoffensive. 1746 wurde die Lehranstalt Collegium Theresianum eröffnet und mit einem reichen Buchbestand ausgestattet; dieser gelangte zwar unter Joseph II. an die Universitätsbibliothek Lemberg, Kaiser Franz dotierte aber die Bibliothek des Theresianums von neuem. Die 1754 gegründete Akademie der Orientalischen Sprachen, die spätere Konsular-Akademie, sollte junge Adelige für den diplomatischen Dienst ausbilden; ihre Bibliothek wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum Teil dem Haus-, Hof und Staatsarchiv, zum Teil dem Orientalischen Institut der Universität Wien übergeben. Die Bibliothek des ebenfalls 1754 errichteten Piaristenkollegs St. Thekla diente ebenso wie die Bibliothek des Kollegs der Barnabiten Mariahilf (1768/1769) Studienzwecken.

1748 begann Maria Theresias Gemahl, Kaiser Franz Stephan (1745-1765) mit jener Naturaliensammlung, welche heute im Naturhistorischen Museum ausgestellt wird; Bibliothek und Sammlung bildeten seit jeher eine Einheit. 1754 rief Maria Theresia eine Lehrkanzel für Botanik an der Universität und den Akademischen Botanischen Garten am Rennweg ins Leben; mit einer einmaligen Bücherschenkung legte sie den Grundstein für die einschlägige Bibliothek. Wissenschaftliche Bibliotheken erhielten auch die 1756 eingerichtete Universitätssternwarte sowie die 1758 gegründete Commercial-Zeichnungs-Akademie (heute Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie), die älteste Institution dieser Art in Europa zur Ausbildung von Fachkräften für die staatliche Textilproduktion. Speziell Werke der Hippologie sammelte die 1777 geschaffene Bibliothek des kayserlich königlichen Thier Spitals (heute Universität für Veterinärmedizin); das Institut diente lange Zeit militärischen Zwecken und kam erst nach dem Ersten Weltkrieg unter zivile Verwaltung.

Schon Maria Theresias Vorgänger, welche auf Grund ihrer Erfolge bei der Gegenreformation auch in religiösen Belangen selbstbewußt geworden waren, leiteten eine Entwicklung ein, welche die Kirche in den Erblanden von Rom unabhängig machen sollte. Maria Theresia schließlich stellte die Weichen für jenes Staatskirchentum, das dann unter Joseph II. seine vollkommene Ausprägung erfuhr. Entscheidend für eine den kaiserlichen Interessen dienende Kirche war die Zurückdrängung der Jesuiten. Das 1758 gegründete erzbischöfliche Priesterseminar in Wien entzog der Societas Jesu die Klerikerausbildung; den Zöglingen wurde eine eigene Studienbibliothek zur Verfügung gestellt. 1773 hob Papst Klemens XIV. unter dem Druck der von den Bourbonen regierten Staaten den Jesuitenorden auf; ein Jahr später verfügte Maria Theresia die Einziehung seiner Güter. Gymnasien und Universitäten standen von nun an unter staatlicher Aufsicht. Fünf ehemalige niederösterreichische Jesuitenbibliotheken wurden zusammengelegt und 1775 zur Neugründung der Wiener Universitätsbibliothek verwendet. Dennoch blieb die Wiener Universität wie bisher eine Stätte der Lehre, keine der Forschung. Einer der Organisatoren der theresianisch-josephinischen Studienreform war der Theologe Franz Stephan Rautenstrauch (1734-1785); als amtlich beauftragter Bibliothekspolitiker sorgte er u. a. dafür, daß viele bibliothekstheoretische Erkenntnisse in die österreichischen Bibliotheken Eingang fanden. 1778 entwarf er jene Bibliotheksordnung, welche die Aufstellung der Bücher in Fachgruppen, die Art der Signatur, die Anlegung von Katalogen, die allgemeine Benützbarkeit sowie Öffnungszeiten und Entlehnvorschriften der Bibliotheken für die gesamte Monarchie festlegte. Eben erst begann sich mit den einschlägigen Werken des Exjesuiten, Dichters und Kustos der Wiener Hofbibliothek, Michael Denis (1729-1780), die Buchwissenschaft in Wien zu konstituieren. Seine Einleitung in die Bücherkunde erschien 1777/1778, Wiens Buchdruckergeschichte bis 1560 im Jahr 1782. Für die Hofbibliothek legte er einen Katalog der theologischen Handschriften in fünf Foliobänden an (1793-1802).

Wien wuchs unablässig. Die erste Volkszählung (1754) registrierte 175.000 Einwohner. Obwohl Maria Theresia - abgesehen von Schloß Schönbrunn - keine große Bauherrin war, vollendeten spätbarocke Baumeister das Bild einer neuzeitlichen Residenzstadt. Nach wie vor wetteiferten landesfürstliches, kirchliches und adeliges Mäzenatentum in der Förderung der Künste. Auf Herzog Albert von Sachsen-Teschen (1738-1822) geht die Graphische Sammlung Albertina zurück; der zugehörige Bibliotheksbestand befindet sich heute teils am Ort, teils in der Nationalbibliothek.

Unter Joseph II. (1765 Kaiser, 1780-1790 Österreichs Alleinherrscher) erhielt die Stadt Wien 1783 eine neue Verfassung, die bis zum Revolutionsjahr 1848 in Kraft blieb. Der Revolutionär auf dem Kaiserthron war der Repräsentant des aufgeklärten Absolutismus. Als autokratischer Schätzer seines Volkes, der seinen Willen ohne Rücksicht auf Tradition oder Religion der Betroffenen durchsetzte, mußte er allerdings erleben, daß viele der von Gottes Gnade und dem Recht der Vernunft diktierten Maßnahmen abgelehnt und sogar bekämpft wurden. Daher führte der Begründer des Wohlfahrtsstaates auch den Polizeistaat ein; sein Dekret über die Pressefreiheit (1781) formuliert erstmals, welche Druckschriften der Zensur unterlagen.

Die als Josephinismus bezeichnete Kirchenpolitik vollendete das von Maria Theresia begonnene Werk des Staatskirchentums. Die Dotierung der Kirche und ihrer beamteten Vertreter erfolgte aus dem Religionsfonds, der durch die 1781 angeordnete Liquidierung sämtlicher kontemplativer Orden gespeist wurde. Dieser Säkularisierung fielen fast alle Klöster, die infolge der Gegenreformation entstanden waren, zum Opfer. Ihre Bücherschätze wurden anderen Bibliotheken inkorporiert, wobei der Hofbibliothek das Erstauswahlrecht zukam. So hatte sich der Josephinismus negativ auf die Summe der Wiener Bibliotheken ausgewirkt. Positiv schlug hingegen Josephs Sozialpolitik zu Buche, denn einige neu gegründete Wohlfahrtseinrichtungen legten auch eigene Bibliotheken an; dazu zählen das Taubstummeninstitut und das Josephinum (einst Medizinisch-chirurgische Militärakademie). Zur Hebung der Staatseinnahmen, aus denen die Wohlfahrtseinrichtungen finanziert werden mußten, gründete Joseph II. 1784 die Österreichische Tabakregie, der auch die Verwaltung des staatlichen Tabakmonopols übertragen wurde; die einschlägigen Bücher der Generaldirektion bilden den Grundstock der Bibliothek des Österreichischen Tabakmuseums.

Mit dem 1781 verkündeten Toleranzedikt blieb zwar der Katholizismus weiterhin Staatsreligion, Protestanten und Griechisch-Orthodoxe durften aber ihre Religion frei ausüben und bekamen Zugang zum öffentlichen Leben. Dasselbe galt ab 1782 für die Juden Wiens und Niederösterreichs. Als eine der unmittelbaren Folgen dieser Toleranzpolitik erhielt 1787 die griechisch-orientalische Kirchengemeinde in Wien die Erlaubnis zum Bau eines eigenen Gotteshauses; 1801 wurde der Kirche die griechische Nationalschule Zur Heiligen Dreifaltigkeit angeschlossen; ihre Bibliothek stand nicht nur den Schülern, sondern allen Gemeindemitgliedern offen.

Seit 1742 waren die Freimaurer in Österreich tätig. Vier Jahre zuvor hatte die erste deutsche Freimaurerloge in Hamburg den preußischen Kronprinzen, den späteren König Friedrich II., aufgenommen. Das Beispiel machte Schule, die Freimaurer verbreiteten sich im ganzen Reich. Unter Joseph II. erlangten sie ihre höchste Blüte, da die meisten Hofstellen in ihren Händen lagen. Aus dieser Zeit (vor 1785) stammt die Nachricht von einer Bibliothek der Großloge von Österreich; wie aus dem Mitgliederverzeichnis hervorgeht, gab es damals einen eigenen Bibliothekar. Aber schon Josephs Nachfolger, Leopold II. (1790-1792), betrachtete die Freimaurer mit Mißtrauen, Kaiser Franz ging aktiv gegen sie vor. Da die Französische Revolution seiner Meinung nach die Aufklärung desavouiert hatte und er das Maurertum mit den Gedanken der Aufklärung assoziierte, löste er 1793 alle Logen auf. Die Jakobinerverschwörung in Wien und in den Kronländern (1794) gab ihm nicht nur den Anlaß für ein neues, verschärftes Zensurgesetz, er verbot auch allen Geheimgesellschaften, insbesondere den Freimaurern, jegliche Aktivität; de facto hörte die Freimaurerei zu bestehen auf. Von einer kleinen Freimaurerbibliothek weiß man erst wieder seit der Gründung der Großloge von Wien nach dem Ersten Weltkrieg. Restauration und Vormärz Mit dem Tod Leopolds II. endete 1792 die Reformära. Sie stellte den gewaltigen Versuch dar, die barock-konservative Staatsideologie durch die moderne, aufgeklärt-absolutistische zu ersetzen. Dieser Versuch war insofern erfolgreich, als er der Habsburgermonarchie den Weg in das 19. Jahrhundert ebnete. Unter Franz dem Guten wurde Österreich zum perfekten Polizeistaat ausgebaut, Buchzensoren und Polizeispitzel folgten dem Grundsatz des Leiters der Polizeihofstelle, Anton Graf Pergen, daß Denken und Wissenschaft die eigentlichen Feinde nationalen Glücks sind. Hatte die Einführung der Schulpflicht unter Maria Theresia und die daraus hervorgehende Alphabetisierung der Gesellschaft zur Entstehung von Lesegesellschaften und zur Gründung öffentlicher Büchereien geführt, so versuchte Franz diese Entwicklung rückgängig zu machen. 1798 wurden die Wiener Lesekabinette verboten, im Jahr darauf die Leihbibliotheken; seit 1811 durften wieder zwei Leihbibliotheken offen halten, ihre Anzahl blieb bis zur Jahrhundertmitte unverändert. Im Vergleich dazu verfügte das damals noch kleinere Berlin über 60 Leihbibliotheken. Anno 1844 gab es in Wien 48 Buchhandlungen, in Berlin 127. Der Verein der österreichischen Buchhändler ist erstmals 1845 belegt, die Anfänge der nach Leipziger Vorbild gegründeten Vereinsbibliothek datieren aus dem Jahr 1862 (heute Hauptverband des österreichischen Buchhandels).

Das Lesebedürfnis der Bevölkerung ließ sich nicht unterdrücken, weder im Hinblick auf Bücher noch auf Zeitungen und Zeitschriften. Napoleon hatte in Paris gelernt, die Presse als - lenkbares - Ausdrucksmittel der öffentlichen Meinung zu benützen; im Jahr 1805 verwendete er sie zur politisch-publizistischen Mission im besetzten Wien. Das Beispiel machte Schule: Während der zweiten Besetzung 1809 gab Friedrich Schlegel (1772-1829) eine habsburgtreue Zeitung heraus; Metternich, 1809-1848 Österreichs Außenminister (ab 1821 Staatskanzler), hatte die Bedeutung der Presse ebenfalls erkannt und veranlaßte seinen publizistischen Berater, Friedrich Gentz (1764-1832), die Fragen der Tagespolitik in regierungsnahen Organen (Wiener Zeitung, Österreichischer Beobachter) darzulegen. Gedruckt wurden die amtlichen Blätter in der 1814 gegründeten k.k. Hof- und Staatsdruckerei, die aus der Offizin des Buchhändlers Josef Vinzenz Degen hervorgegangen war.

Kaiser Franz ließ seine Polizei dafür sorgen, daß die strengen Zensurgesetze nicht umgangen wurden und unkontrollierte Information nicht in falsche Hände gelangte. Im Zweifelsfalle entschied er selbst, wer welches Buch lesen durfte. Für seinen Eigenbedarf hatte er schon als Kronprinz 1785 eine Bibliothek angelegt. Diese von ihm zum Fideikommiß bestimmte Bibliothek umfaßte bei seinem Tode 40.000 Bände (die Fideikommißbibliothek ist seit 1921 Teil der Österreichischen Nationalbibliothek). Franz fand auch an Porträts Interesse und trug im Laufe seines Lebens rund 130 Bilder und 80.000 Porträts zusammen; sie bilden heute ebenfalls einen Sonderbestand der Österreichischen Nationalbibliothek.

So reaktionär der letzte römisch-deutsche und erste österreichische Kaiser in politischer Hinsicht dachte und handelte, so aufgeschlossen stand er technischen bzw. naturwissenschaftlichen Innovationen gegenüber. Im Jahr 1815 gründete er das Polytechnische Institut (heute Technische Universität); den Kern der Büchersammlung bildeten die zusammengelegten Bibliotheken der Realakademie zu St. Anna und des Fabriksproduktenkabinetts. 1829 begann in Österreich mit der Errichtung einer zentralen amtlichen Stelle für Statistik (heute Österreichisches Statistisches Zentralamt) das statistische Zeitalter. Im Todesjahr des Kaisers (1835) entstand das Montanistische Museum, dessen Aufgabe in der Erstellung der ersten geologischen Karten der Monarchie lag (heute Geologische Bundesanstalt); die zugehörige Bibliothek bekam ihre ersten Karten und Bücher aus den Beständen der Hofkammer für Münz- und Bergwesen. Die Herstellung topographischer Karten oblag in jener Zeit noch dem General-Quartiermeisterstab, der in Wien eine topographisch-lithographische Anstalt unterhielt; aus der Koppelung mit dem seit 1801 in Mailand bestehenden Deposito della Guerra erwuchs 1839 das k.k. Militärgeographische Institut (seit 1921 Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen).

Die von Maria Theresia und Joseph II. geprägte Kirchenpolitik blieb im Zeitalter der Restauration im wesentlichen unverändert; gemäß den neuen politischen Gegebenheiten sollte die Kirche nun Erfüllungsgehilfin der Regierung im Kampf gegen die Revolution sein. Besonderes Augenmerk mußte daher auf die Priesterausbildung gelegt werden. Aus diesem Grund unterstellte der Kaiser das 1816 gegründete Thomaskolleg (ursprünglich Frintaneum) seinem unmittelbaren Schutz. In dieser höheren theologischen Bildungsanstalt, die ihrem römischen Vorbild Collegium Germanico-Hungaricum entsprach, studierten Priester aus allen Teilen der Monarchie; sie benützten die Augustinerbibliothek, die in der Folge vom Thomaskolleg erworben wurde. Mit diesem Institut erhielt das österreichische Staatskirchentum zwar einen weiteren Stützpfeiler, aber gleichzeitig entstand unter der Geistlichkeit eine Gegenbewegung, welche die Kirche in der Monarchie wieder stärker an Rom zu binden trachtete. Die Vertreter dieser Richtung forderten u. a. die Wiederzulassung der Jesuiten und Redemptoristen. Kaiser Franz ließ sich auf seiner Romreise 1819 vom Papst dazu bewegen, das Staatskirchentum etwas abzuschwächen. 1820 erteilte er daher den Redemptoristen die Erlaubnis, sich in Wien anzusiedeln. Wenige Monate zuvor war allerdings jener Mann verstorben, der sich am intensivsten für die Wiederzulassung dieses Ordens bemüht hatte: der Reformprediger und (seit 1914) Stadtpatron von Wien, Klemens Maria Hofbauer (1751-1820). Das Redemptoristenkolleg Maria am Gestade erhielt für seine Bibliothek zunächst Duplikate aus der Wiener Universitätsbibliothek.

Im vormärzlichen Wien fand die von der Aufklärung propagierte Toleranz nur eine bedingte Fortsetzung. Wohl wurde an der Universität Wien 1819 eine Evangelisch-Theologische Fakultät geschaffen; sie ist die einzige Österreichs und wurde von Anfang an mit reichen Bücherspenden (Protestantica) bedacht. Tolerant zeigte sich der Kaiser auch hinsichtlich der Mechitharisten, die sich - nach ihrer Vertreibung aus Triest durch die Franzosen (1810) - in Wien niederlassen durften; ihre 1776 in Triest gegründete Druckerei übersiedelte ebenfalls. Heute stellt die Mechitharistenbibliothek mit ihren etwa 50.000 armenischen Büchern eine der weltweit umfangreichsten einschlägigen Sammlungen dar. Gegenüber den Wiener Juden verhielt sich die kaiserliche Regierung weniger aufgeschlossen als zu Josephs II. Zeiten; wohl genossen jüdische Wirtschaftstreibende und Bankiers, die als Kreditgeber des Staates fungierten, höchste Privilegien, das Gros der etwa 4000 Personen zählenden Judengemeinde wurde aber wieder Diskriminierungen ausgesetzt. Daran änderten auch die Einrichtung eines Betzimmers mit angeschlossener Religionsschule (1811) und der Bau eines Tempels (1825/1826) nichts. Aber allmählich wuchs eine jüdische Intelligenzschicht heran, und Wien wurde ein Zentrum des hebräischen Buchmarktes. 1814 schenkte der Wiener Buchdrucker Anton Schmid alle bei ihm erschienenen hebräischen Werke der israelitischen Kultusgemeinde und setzte damit den Grundstein für die Jüdische Gemeindebibliothek in Wien. Nachdem Kaiser Franz Joseph um die Jahrhundertmitte die israelitische Gemeinde von Wien ausdrücklich anerkannt hatte, übergab die Polizeibehörde der Bibliothek alle einschlägigen Neuerscheinungen als Pflichtexemplare.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte die bürgerliche Lebensart das Erscheinungsbild der Städte. Die Bewegungskräfte der kulturellen, wirtschaftlichen und allmählich auch der politischen Bühne verlagerten sich vom Adel auf das Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum. Der Bieder- meierstil überdeckte die vormals barocke Physiognomie der Reichshaupt- und Residenzstadt. Vom bedeutendsten Architekten jener Zeit, Josef Kornhäusel (1782-1860), stammen u. a. der oben erwähnte jüdische Tempel und der Neubau des Schottenstiftes mit den Bibliotheksräumen. Die außerordentlich rege Bautätigkeit führte 1835 zur Gründung des Wiener Stadtbauamtes; die zugehörige Behördenbibliothek wird heute als Technisch-wissenschaftliche Bibliothek der MA 20 geführt.

In dem Maße, wie Wien wuchs - 1800 bis 1848 von 232.000 auf 430.000 Einwohner - wurden die letzten freien Flächen innerhalb des Linienwalles verbaut, auch wichen die meisten Vorstadtpalais den vormärzlichen Miethäusern. Das Expandieren der Stadt vollzog sich nicht ohne Interessenskonflikte mit dem Umland, da dem Wiener Magistrat noch nicht alle Grundherrschaften der Vorstadtgemeinden gehörten. Der Stadtverwaltung gelang es vorerst nicht, diese an sich zu bringen, da die niederösterreichische Regierung alte ständische Interessen wahrte und sich weigerte, einer Vereinigung sämtlicher innerhalb des Linienwalles gelegenen Vorstädte mit Wien zuzustimmen. Zwar verfügten die Stände nur mehr über äußerst eingeschränkte Rechte. Das hinderte sie allerdings nicht daran, 1813 eine eigene Behördenbibliothek anzulegen, welche von den Vertretern der Geistlichkeit, des Adels und der Städte benützt werden konnte; 1823 wurde ihr die Bibliothek des Ritterstandes einverleibt, seit 1861 ist der Name Niederösterreichische Landesbibliothek gebräuchlich.

Das aufstrebende Bürgertum beeinflußte zwar das Stadtbild, hatte aber nur wenig Gelegenheit, auch die Bibliothekslandschaft zu bereichern. Bürgerliche Vereinsaktivitäten fanden nicht selten im polizeilichen Verbot ihr Ende. Eine der Ausnahmen bildete die 1802 vom Apothekergesellen Joseph Moser gegründete pharmazeutisch-chemische Lesegesellschaft. Die Bibliothek sollte den Apothekergesellen zur Weiterbildung dienen; später gingen die Bücher in den Besitz des Wiener Apothekergremiums über (heute Bibliothek der Österreichischen Apothekerkammer). In diesem Zusammenhang ist auch die 1812 auf Anregung von Joseph Sonnleithner (1766-1835) ins Leben gerufene Gesellschaft der Musikfreunde zu erwähnen. Ihre Intentionen waren die Veranstaltung von Konzerten und die Ausbildung junger Künstler. Das von ihr geleitete Konservatorium wurde 1919 in eine staatliche Akademie umgewandelt (heute Musikhochschule); die Bibliothek umfaßt einschlägige Fachliteratur, Musikernachlässe und Autographen. Andere - bürgerliche - Künstlervereinigungen konnten sich meist nur kurze Zeit halten oder durften erst gar nicht gegründet werden. Der Juridisch-politische Leseverein erhielt bezeichnenderweise erst gegen Ende des Vormärz seine behördliche Zulassung (Buchbestände heute in der Bibliothek der Rechtsanwaltskammer Wien). In einem solchen geistigen Klima wurde auch den Wissenschaften nicht der ihnen gebührende Platz eingeräumt. Daher erhielt Wien erst viel später als vergleichbare europäische Hauptstädte eine Akademie der Wissenschaften (1847). Immer wieder hatte die Regierung Vorwände gefunden, um sie zu verhindern, bis endlich Staatskanzler Metternich durch den Orientalisten Joseph Hammer-Purgstall (1774-1856) von der Notwendigkeit einer derartigen Institution überzeugt werden konnte.

In den dreißiger und vierziger Jahren hielt auch in der Habsburgermetropole die Industrielle Revolution Einzug; die Eröffnung der ersten Eisenbahnlinie 1837 zeigte den Anfang der modernen Zeit an: Wien wurde Industriestadt. Der Eisenbahnbau lag lange in privaten Händen - erst 1877 erfolgte die Verstaatlichung der Linien (mit Ausnahme der Südbahn); das 1896 eingerichtete Eisenbahn-Ministerium - mit eigener Amtsbibliothek - sorgte für ihre zentrale Verwaltung. Franzisko-josephinische Zeit Noch bevor die Revolution der Sturmjahre 1848/1849 in allen Teilen der Monarchie niedergeworfen war, wechselten die Monarchen: Kaiser Ferdinand der Gütige (1835-1848) dankte zugunsten seines 18jährigen Neffen Franz Joseph ab. Wien erlebte in den folgenden Jahrzehnten den rasanten Wandel von der biedermeierlichen Residenzstadt zur Wirtschaftsmetropole und Weltstadt. In einem Bauboom ohnegleichen wurden drei von vier Häusern abgebrochen und neu errichtet; noch heute trägt Wien die Physiognomie dieser Gründerzeit.

Die Bibliothekslandschaft blieb von der gesellschaftlichen Dynamik der expandierenden Metropole nicht unberührt. Viele alte Bibliotheken, die einst nur einem eingeschränkten Leserkreis zugänglich waren, öffneten nun ihre Tore für die Allgemeinheit. Seit 1860 war auch die Hofbibliothek für jedermann benützbar. Bei den außerordentlich zahlreichen Bibliotheks-Neugründungen überwogen zwei Typen: die Behördenbibliotheken und die Spezialbibliotheken. Alle diese Einrichtungen entsprangen dem aktuellen Bedürfnis einer industriellen Gesellschaft. Die Behördenbibliotheken dienten den Bereichen der staatlichen, kommunalen und technischen Verwaltung, die Spezialbibliotheken dem Studien- und Forschungsbetrieb einschlägiger Institute.

Das erste Dezennium der franzisko-josephinischen Ära, der Neoabsolutismus, leitete eine Reformperiode ein, die an das Werk Maria Theresias und Josephs II. anschloß. Die Reformen betrafen sämtliche Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens. Noch 1849 entstand im Zuge der im Revolutionsjahr umgestalteten Staatsverwaltung die Administrative Bibliothek im Ministerium des Innern; der Grundstock an Büchern entstammte der vormärzlichen Polizei- und Zensurhofstelle, welche bis zu ihrer Auflösung 1848 Pflichtexemplare bezogen hatte. Mit Inkrafttreten der Preßordnung 1852 erhielt auch die neue Bibliothek das Pflichtexemplarrecht. Dieselbe Regelung galt für die 1852 gegründete Bibliothek des Ministerrates; ihre Bestände wurden 1897 der Bibliothek des Innenministeriums inkorporiert. Die Konstituierung der österreichischen Handelskammer 1849 gab erstmals einer Berufsgruppe eine moderne Interessensvertretung; 1850 kam die Rechtsanwaltskammer hinzu. Beide Körperschaften wurden mit eigenen Bibliotheken ausgestattet.

1850 gewährte der Kaiser der Stadt Wien die provisorische Gemeindeverfassung, kraft derer alle 34 Vorstädte eingemeindet und in acht (1857 zehn) Bezirke umgewandelt wurden. Die kommunale Verwaltung zeichnete nun mit Ausnahme der Befestigungsanlagen für den gesamten Raum innerhalb des Linienwalls verantwortlich. Um für städtische Beamte und Politiker die einschlägige Fachliteratur bereitzuhalten, wurde 1856 die Wiener Stadtbibliothek gegründet. Im selben Jahr erfolgte die Schlußsteinlegung des Arsenals, der größten jener drei Defensionskasernen, welche als Antwort auf die Revolution zur militärischen Beherrschung der Stadt angelegt worden waren. Namhafte Architekten und Künstler wirkten an dem weitläufigen Arsenalkomplex; dies mag Ausdruck dafür sein, daß in jenen Jahren der Festungsbau noch als Kunst verstanden wurde. In dem am prunkvollsten ausgestalteten Objekt wurde ein Waffenmuseum - mit eigener Bibliothek - eingerichtet (heute Heeresgeschichtliches Museum). Ende 1857 befahl der Kaiser die Demolierung der frühneuzeitlichen Wiener Stadtmauer mit ihren Basteien und Ravelins. Franz Joseph wollte seiner Residenzstadt ein modernes und zugleich glanzvolles Aussehen verleihen und ordnete die große frühgründerzeitliche (erste) Stadterweiterung auf den Festungs- und Glacisgründen an. Nach Pariser Vorbild entstand hier der Ringstraßen-Boulevard.

Der schwungvolle Reformeifer der neoabsolutistischen Ära, der in kurzer Zeit die Versäumnisse des Vormärz nachzuholen trachtete, zeigt sich auch in den vielen neuen Spezialbibliotheken. Um 1850 gründete Christian Doppler (1803-1853) das Physikalische Institut, etwa vier Jahre später wurde an der Universität Wien die Lehrkanzel für Physik geschaffen; 1875 kam es zur Vereinigung der Buchbestände beider Einrichtungen mit jenen des Physikalisch-chemischen Laboratoriums (heute Zentralbibliothek für Physik). Auf Vorschlag der Akademie der Wissenschaften wurde 1851 die Zentralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus ins Leben gerufen; auch diese Institution erhielt eine Bibliothek. Seinen speziellen Beitrag zur Erweiterung der Wiener Bibliothekslandschaft leistete der Schöpfer des modernen österreichischen Schulwesens, der von 1849 bis 1860 amtierende Unterrichtsminister Leo Graf Thun-Hohenstein. 1854 initiierte er die Gründung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 1855 wirkte er maßgebend beim Abschluß des Konkordats mit und sorgte dadurch indirekt für die Wiederzulassung der Jesuiten, welche seit 1858/1859 in Kalksburg ein Kollegium und eine Bibliothek führen. Im Konkordatsjahr konstituierte sich ferner die Österreichische Geographische Gesellschaft als wissenschaftlicher Verein; Publikationen von Vereinsmitgliedern und Buchspenden ausländischer geographischer Gesellschaften bildeten den Grundstock ihrer Bibliothek.

Mit der Niederlage der kaiserlichen Armee gegen Frankreich 1859 endete der Neoabsolutismus. Die absolutistische Militärmonarchie wich einer konstitutionellen Monarchie, deren parlamentarische Verfassung im Februarpatent von 1861 festgelegt war und bis zum Ende des alten Kaiserstaates in Kraft blieb. Zunächst begünstigte ein restriktiver Wahlzensus die deutschsprachige wirtschaftliche Oberschicht. Das Großbürgertum bestimmte die Zusammensetzung des Reichsrats und der Regierung. Für Österreich begann die liberale Ära.

Bald nach dem Februarpatent erhielt Wien durch das Reichsgemeindegesetz (1862) ein eigenes Statut und wurde direkt der niederösterreichischen Statthalterei unterstellt. Auch für den Gemeinderat galt das Zensuswahlrecht, sodaß von den 1861 gezählten 555.000 Einwohnern nur 18.300 wahlberechtigt waren. In der liberalen Ära erlebte die Stadt eine Blüte hochgründerzeitlicher Bautätigkeit. 1865 wurde die Ringstraße feierlich eröffnet; die repräsentativen Ringstraßengebäude kamen erst einige Jahre später hinzu. Sie boten zahlreichen Bibliotheken neue Räumlichkeiten. So erhielt 1871 das älteste Kunstgewerbemuseum des Kontinents, das (1864 gegründete) Museum für Kunst und Industrie mitsamt der angeschlossenen Kunstgewerbeschule sein von Heinrich Ferstel geschaffenes Gebäude am Stubenring (heute Hochschule für angewandte Kunst, mit eigener Bibliothek). 1870 bezog die Gesellschaft der Musikfreunde ihr prachtvolles, von Theophil Hansen entworfenes Gebäude am Karlsplatz. Vom selben Architekten stammt das 1883 fertiggestellte Parlament. Die ursprünglich Reichsratsbibliothek (seit 1869) genannte Parlamentsbibliothek stand um die Jahrhundertwende unter der Leitung des späteren Bundespräsidenten Karl Renner. Ebenfalls 1883 erfolgte die Schlußsteinlegung des neuen, von Dombaumeister Friedrich Schmidt geplanten Rathauses, wo seither die Stadtbibliothek und die ihr 1889 ausgegliederte Bibliothek des Wiener Stadt- und Landesarchivs untergebracht sind. Im Jahr 1884 öffnete die nach Plänen von Heinrich Ferstel erbaute Neue Universität ihre Pforten (Universitätsbibliothek). Nach den Ideen von Carl Hasenauer und Gottfried Semper entstanden bis 1881 als Teile eines nicht zur Gänze verwirklichten Kaiserforums die Gebäude des Naturhistorischen und Kunsthistorischen Museums (Museumsbibliotheken), in denen die kaiserlichen Sammlungen aufgestellt wurden; zum Gesamtensemble gehört auch die Neue Burg, die heute Teile der Nationalbibliothek beherbergt. Ebenfalls zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezog das Haus-, Hof- und Staatsarchiv mitsamt der zugehörigen Bibliothek neue Räumlichkeiten am Minoritenplatz.

1867 machte der Ausgleich mit Ungarn das Kaisertum Österreich zur Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Da durch die Teilung der Monarchie die ehedem gemeinsame landwirtschaftliche Lehranstalt in Ungarisch-Altenburg nun in der anderen Reichshälfte lag, erwies sich 1872 die Errichtung einer eigenen Landwirtschaftlichen Hochschule als notwendig (heute Universität für Bodenkultur); die Bibliothek erhielt ihre ersten Bestände aus dem Ackerbauministerium.

Eine wesentliche Forderung der Liberalen betraf die Aufhebung des 1855 geschlossenen Konkordats; der kurze Kulturkampf zwischen Liberalen und Klerikalen endete, als das 1. Vatikanische Konzil 1870 das Unfehlbarkeitsdogma verkündete und dadurch die Stellung des Staates zur Kirche auf eine ganz neue Basis gehoben wurde; die Regierung betrachtete das Konkordat für abgeschafft. Der Ausgang des Konzils war auch ausschlaggebend für die Konstituierung der Altkatholischen Kirche in Wien 1871; zu ihrer gesetzlichen Anerkennung kam es aber erst 1877. Die Bibliothek der Kirchengemeinde wurde in der Zwischenkriegszeit angelegt.

Eisenbahnbau, Industrialisierung und Wohnbau bescherten dem liberalen Großbürgertum hohe Spekulationsgewinne, bis der Börsenkrach des Jahres 1873 der überhitzten Konjunktur ein vorläufiges Ende bereitete. In ebendiesem Katastrophenjahr, als Wien von der fünften Choleraepidemie dieses Jahrhunderts heimgesucht wurde, fand im Pratergelände die Weltausstellung statt. Ihr Defizit kostete den Staat etwa soviel wie die gleichzeitig durchgeführte Donauregulierung, welche die einschneidendste je von Menschenhand bewirkte landschaftliche Umgestaltung des Wiener Raumes zur Folge hatte. Aber trotz des finanziellen Desasters blieb diese internationale Großveranstaltung nicht ohne positive Auswirkungen, hatte sie doch das Interesse für den Orienthandel geweckt. Zu dessen Förderung wurde 1875 das Orientalische Museum gegründet und mit einer Spezialbibliothek ausgestattet; 1898 wurde diesem eine Exportakademie angeschlossen, welche 1919 in den Rang einer Hochschule erhoben wurde (heute Wirtschaftsuniversität). Auch die 1868 eingerichtete Bibliothek des Ackerbauministeriums profitierte von der Weltausstellung insofern, als ihr durch offizielle Vertreter Frankreichs, Belgiens, Schwedens, Rußlands und den USA Büchergeschenke zukamen.

Im Weltausstellungsjahr rief der Kaiser die Versuchs- und Beobachtungsstation für Bodenkultur ins Leben (heute Forstliche Bundesversuchsanstalt Wien); die zugehörige Bibliothek datiert ebenfalls aus dem Jahr 1873. Drei Jahre später genehmigte das Ministerium für Cultus und Unterricht ein mathematisches Seminar an der Wiener Universität und bewilligte zugleich eine jährliche Dotation von 2000 Gulden für die Anschaffungen einer Spezialbibliothek (heute Fachbibliothek für Mathematik, Statistik und Informatik). Die jetzige Höhere Graphische Bundeslehr- und Versuchsanstalt - eine Ausbildungsstätte für Photographie und Repro-Verfahren - wurde 1888 gegründet; auch sie verfügt über eine Spezialbibliothek.

Neben Bibliotheken, welche ihre Entstehung staatlichen Initiativen verdanken, sind noch Vereinsbibliotheken aus jener Zeit zu erwähnen. 1862 wurde nach britischem Vorbild in Wien der Österreichische Alpenverein gegründet, die zweitälteste Organisation dieser Art in Europa, die auch eine einschlägige Bibliothek unterhält (heute Österreichischer Alpenverein/Sektion Austria). Adelsinteressen führten 1870 zur Konstituierung der Heraldisch-genealogischen Gesellschaft Adler; auch diese europaweit zweitälteste Einrichtung zur Ahnenforschung ist mit einer reichhaltigen Bibliothek ausgestattet. Die Bibliothek des 1878 ins Leben gerufenen Wiener Goethe-Vereins entsprang literarischen Interessen.

In der österreichischen Reichshälfte folgte der liberalen die feudal-konservative Ära unter dem Ministerpräsidenten Taaffe (1879-1893). In Wien konnten sich die Liberalen noch länger halten, obwohl auch hier andere politische Gruppierungen erstarkten. 1890 verwirklichten die Liberalen ihr letztes und größtes Vorhaben: die zweite Stadterweiterung mit der Eingemeindung von 43 Vorortegemeinden. Wiens Fläche wurde dadurch verdreifacht, die Zahl der Bezirke erhöhte sich auf 19, jene der Einwohner auf 1,365 Millionen. Der ungeliebte Linienwall wich dem zweiten Boulevard, der Gürtelstraße.

Mit dem Wahlsieg Karl Luegers (1844-1910) endete auch in Wien die liberale Ära. Für die Wiener Gemeindeverwaltung begann nun die christlichsoziale Ära, welche von 1895 bis zum Ende der Monarchie dauerte. In Luegers Amtszeit fallen neben der Errichtung zahlreicher Schulen und Wohlfahrtsinstitutionen auch die Kommunalisierung städtischer Infrastruktureinrichtungen und die dritte Stadterweiterung jenseits der Donau (1904), welche in Erwartung eines Wachstums zur Viermillionenstadt vollzogen wurde. Diese Planung schien angesichts der ungebrochenen Zuwanderung nach Wien aus allen Teilen der Monarchie durchaus realistisch. 1911, ein Jahr nach Luegers Tod, erreichte Wien die Zweimillionengrenze.

Wissenschaft und Kunst erlebten im Wien des Fin de siècle und im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine späte Blüte. Die Wiener Bibliothekslandschaft erfuhr eine Bereicherung um zahlreiche Spezialbibliotheken. Beispielsweise kam es 1898 zur Gründung des Österreichischen Archäologischen Instituts; an der Universität Wien wurde das Institut für Musikwissenschaft mit einer eigenen Bibliothek errichtet, etwa zur selben Zeit erfolgte die Anlage einer juridischen Bibliothek, deren erste Bücher aus den Nachlässen namhafter Professoren stammen (seit 1984 Bibliothek im Neubau des Juridikums). Zur Jahrhundertwende wurde dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung das Kunsthistorische Institut ausgegliedert (heute Fachbibliothek für Kunstgeschichte), und 1907 erwarb die Universität die Privatbibliothek eines russischen Historikers und stattete damit das neue Seminar für Osteuropäische Geschichte aus (heute Fachbibliothek für Ost- und Südosteuropaforschung). Ein außeruniversitäres Forschungsinstitut, das 1904 ins Leben gerufene Österreichische Volksliedunternehmen, sollte den gesamten Volksliedschatz der Kronländer dokumentieren; der Krieg vereitelte dieses Vorhaben, und erst in der Zweiten Republik wurde das Österreichische Volksliedwerk neu gegründet (mit einschlägiger Bibliothek). Zu erwähnen sind schließlich die Bibliothek der 1903 errichteten Modernen Galerie im Belvedere (heute Österreichische Galerie) und die Bibliothek des im Mai 1918 eröffneten Technischen Museums (der Kriegsausbruch hatte die für 1914 geplante Eröffnung verzögert).

Der Bedarf an Behördenbibliotheken war in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend gedeckt worden. Zu den wenigen Neugründungen zählen die bereits erwähnte Bibliothek des 1896 eingerichteten Eisenbahnministeriums sowie jene des Österreichischen Patentamts (1899). In der Endphase des Weltkrieges befahl Kaiser Karl (1916-1918) angesichts der katastrophalen Ernährungslage und wirtschaftlichen Not der Zivilbevölkerung die Schaffung eines Ministeriums für soziale Fürsorge, das mit einer Amtsbibliothek ausgestattet wurde (heute Ministerialbibliothek des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales). Erste und Zweite Republik Ende Oktober 1918 zerfiel die Donaumonarchie, am 12. November 1918 wurde die Republik Deutsch-Österreich ausgerufen. Es war ein schwieriger Neubeginn, insbesondere für Wien. Nicht nur, weil die vormals zentral gelegene Reichshaupt- und Residenzstadt einer Großmacht nun zur peripher liegenden, überdimensionierten Hauptstadt eines Kleinstaates wurde, sondern vor allem, weil Hunger und Mangel an allen lebensnotwendigen Gütern, ein dramatischer Verfall des Geldwertes und politische Unruhen den Alltag der ersten Nachkriegsjahre prägten. In dieser kritischen Zeit erhoben bevollmächtigte Vertreter der Alliierten, namentlich der Tschechoslowakei und Italiens, Ansprüche auf die Liquidationsmasse des Hofstaates, also auf die Krongüter der vier Hofstäbe, denen alle Hofgebäude mitsamt dem Inventar, somit auch die Hofbibliothek, die Archive und Sammlungen unterstanden. Als im Februar 1919 Beschlagnahmungen im Kunsthistorischen Museum durchgeführt wurden, war rasches Handeln geboten. Die Regierung übergab sämtliche Krongüter dem Staatsamt für Unterricht, und im April 1919 verabschiedete die Nationalversammlung das Habsburg-Gesetz, welches die Landesverweisung des letzten Kaisers und die Übernahme des Habsburgvermögens durch die Republik verfügte. Dadurch waren die Krongüter dem Zugriff der Alliierten entzogen. Auf den beweglichen Besitz der k.u.k. Armee konnte die junge Republik hingegen nur in geringem Umfang zurückgreifen. Die Alliierten hatten deren Auflösung gefordert und sorgten dafür, daß ein Großteil des Kriegsgeräts in ihre Hände kam oder unbrauchbar gemacht wurde. Die Buchbestände aller ehemaligen militärischen Institutionen, Schulen und Behörden gelangten nun in die Bibliothek des Kriegsgarchivs.

Im Februar 1919 gab es die ersten freien Wahlen der Republik, wenige Monate später unterzeichnete Österreichs Staatsoberhaupt, Karl Renner (1870-1950), den Staatsvertrag von St. Germain. 1920 wurde die Bundesverfassung verabschiedet. Damals fand auch das Sozialgesetzgebungswerk Ferdinand Hanuschs (1866-1923) seinen Abschluß: Arbeitslosenversicherung, Achtstundentag, Arbeiterurlaub, Nachtarbeitsverbot für Frauen und Jugendliche, Krankenversicherung usw. verbesserten die Lebensverhältnisse in einer schwierigen Zeit. Als Krönung seiner Tätigkeit gilt die 1920 beschlossene Errichtung von Arbeiterkammern, welche die gesellschaftliche Ebenbürtigkeit des Arbeiterstandes gegenüber Handel, Gewerbe und freien Berufen ausdrückte. 1921 erhielt die Wiener Arbeiterkammer ihre eigene Bibliothek (heute Sozialwissenschaftliche Studienbibliothek der Kammer für Arbeiter und Angestellte in Wien). Im selben Jahr wurde der kurz zuvor verstaatlichten Hofbibliothek, der nunmehrigen Nationalbibliothek, die im Laufe des letzten Jahrhunderts auf 100.000 Bände angewachsene habsburgische Familien-Fideikommißbibliothek eingegliedert. 1922 kam es an der Nationalbibliothek zur Gründung der Theatersammlung, welche alle alten Wiener Theaterarchive in sich vereinigte (heute Österreichisches Theatermuseum).

Die Einrichtung einer Bibliothek im Parteihaus der Sozialdemokraten (heute Bibliothek des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung) zeugt vom Selbstbewußtsein jener Partei, die in den beiden ersten Nachkriegsjahren die österreichische Politik maßgebend beeinflußte. 1920 schieden die Sozialdemokraten aus der Bundesregierung aus. Nur in Wien regierten sie bis 1934. Aus allen politischen Lagern mehrten sich alsbald die Stimmen, das rote Wien vom agrarisch dominierten Niederösterreich zu trennen. 1922 wurde diese Trennung vollzogen: Wien erhielt den Status eines eigenen Bundeslandes. Dies hatte auch Konsequenzen für die Niederösterreichische Landesbibliothek, die Teile ihrer Bestände an die Stadtbibliothek abgeben mußte.

Ziel der Sozialdemokraten unter den Bürgermeistern Jakob Reumann (1919-1923) und Karl Seitz (1923-1934) war es, Wien zur sozialistischen Musterstadt auszugestalten. Hier sollte mit Hilfe des kommunalen Wohnbaus, der Sozialfürsorge sowie des spezifischen Kultur- und Erziehungswesens ein Gegenmodell zum bürgerlich verwalteten Staat entstehen. Dauerkonflikte der politischen Lager zeichneten sich ab. Insbesondere galt die Schule als Exerzierfeld der Parteipolitik. Dem Protagonisten der sozialdemokratischen Schulreform, Otto Glöckel (1875-1935), sind das 1922 zur Lehreraus- und Fortbildung gegründete Pädagogische Institut der Stadt Wien und die zwei Jahre später eingerichtete Pädagogische Zentralbücherei zu verdanken.

1927 geriet die Demokratie in eine Krise, von der sie sich nicht mehr erholen sollte, als spontane Arbeiterdemonstrationen gegen das Urteil im Schattendorfer Prozeß zu schweren Ausschreitungen und zum Brand des Justizpalastes führten. Das Eingreifen der Polizei kostete fast 100 Menschenleben. Da beim Justizpalastbrand auch die im Hause befindliche Behördenbibliothek in Mitleidenschaft gezogen wurde, mußte sie neu aufgebaut werden; als Bibliothek des Allgemeinen Verwaltungsarchivs bildet sie heute einen Teilbestand der Bibliothek des Österreichischen Staatsarchivs.

Die letzten Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg waren von der Selbstausschaltung des Parlaments 1933 und vom Bürgerkrieg im Februar 1934 überschattet. Österreich erhielt eine autoritäre, ständestaatliche Verfassung. Am 12. März 1938 beendete der Einmarsch der Deutschen Wehrmacht die Erste Republik. Von der einsetzenden Verhaftungswelle war die jüdische Bevölkerung am stärksten betroffen. Sie stellte 1938 etwa neun Prozent der Einwohner Wiens, nach dem Krieg jedoch nur mehr knapp 0,5 Prozent. 1939 lösten die NS-Machthaber die Bibliothek der Wiener israelitischen Kultusgemeinde auf; zahlreiche Bücher verschwanden für immer, jener Bestand, der nach Deutschland abtransportiert wurde, kam nach dem Krieg wieder zurück; etliche Bücher überdauerten jene Jahre in Verstecken, u. a. in Grüften des Zentralfriedhofes und in verborgenen Räumen der aufgelösten Kultusgemeinde. Nach 1945 wurden Teile der Bibliothek der National- und Universitätsbibliothek Jerusalem zugeführt.

Auch für andere Bibliotheken Wiens wirkte sich die NS-Zeit negativ aus. So konfiszierte die Gestapo 1938 die Bibliothek der Wiener Arbeiterkammer; die Bestände übersiedelten in die Berliner DAF-Zentralbücherei und wurden nach Kriegsende großteils zerstreut; lediglich ein Fünftel der Bücher kam nach Wien zurück. Ebenfalls 1938 wurden die Lokalitäten der Freimaurer in der Absicht beschlagnahmt, in den Räumen ein nach Nürnberger Vorbild gestaltetes Museum der Freimaurerei einzurichten. Der Plan wurde nicht ausgeführt, vom Bibliotheksbestand aber blieb nur ein Teil erhalten. Einen kleinen, aber auch nur vorübergehenden Gewinn machte die Stadtbibliothek auf Kosten der Niederösterreichischen Landesbibliothek (damals Bibliothek des Gaues Niederdonau), weil infolge einer neuen Verwaltungseinteilung 97 Umlandgemeinden dem Stadtgebiet einverleibt wurden. Die Stadtfläche vervierfachte sich, die Einwohnerzahl stieg von 1,87 auf 2,08 Millionen.

Wie die meisten Städte wurde auch Wien im Dritten Reich Opfer von Bombardements durch die Alliierten: 52 Luftangriffe und die Schlacht um Wien Anfang April 1945 kosteten mehr als 10.000 Zivilopfern das Leben und zerstörten ein Fünftel des Hausbestandes. Die kriegsbedingten Verluste an Wiens Bibliotheken bzw. an deren Beständen waren nicht unbeträchtlich, mit 150.000 Druckwerken aber doch gering - verglichen mit den Verlusten Deutschlands (13 Millionen Bände) und Frankreichs (zwei Millionen Bände). Die zahlenmäßig größte Einbuße erlitt die Universitätsbibliothek mit fünf Prozent (120.000 Drucke) des Gesamtbestandes. Der tragischste Fall betraf das Redemptoristenkolleg: Durch einen Bombentreffer auf den Gebäudekomplex starben 100 Menschen, wertvolle Bücher verbrannten. Kriegsschäden verzeichneten ferner die Pädagogische Zentralbücherei, die Bibliothek des Instituts für Botanik, die Bibliothek der Rechtsanwaltskammer, die Bibliothek des Bundesamts für Eich- und Vemessungswesen und die Evangelisch theologische Fakultätsbibliothek. Die Bibliothek des Heeresgeschichtlichen Museums verlor zahlreiche Bücher durch Plünderung, viele ausländische Dissertationen der Universitätsbibliothek der Veterinärmedizinischen Universität verbrannten am Bergungsort. Bestände der Fürstlich Liechtensteinischen Fideikommißbibliothek in den Liechtensteinischen Sommersitzen Feldsberg und Eisgrub fielen nach Kriegsende an die CSSR.

Am 27. April 1945 wurde vor dem Parlament die provisorische österreichische Staatsregierung unter Karl Renner proklamiert, wobei man auf die alte, bis zum Bürgerkriegsjahr 1934 gültige Verfassung zurückgriff. Im November 1945 fanden zugleich mit den ersten Nationalratswahlen der Zweiten Republik die ersten Wiener Gemeinderatswahlen statt; in Wien gewannen die Sozialisten die absolute Mehrheit. Die Einteilung Wiens in vier Besatzungszonen verzögerte eine Rücknahme der 1938 vollzogenen Einverleibung von 97 Randgemeinden; erst 1954 konnte das Randgemeindenrückgliederungsgesetz verwirklicht werden: 80 Gemeinden kamen wieder an Niederösterreich, Wien zählt seither 23 Bezirke und - mit geringfügigen Schwankungen - 1,6 Millionen Einwohner. Der 1939 erzwungene Büchertransfer von der Niederösterreichischen Landesbibliothek zur Wiener Stadtbibliothek wurde rückgängig gemacht.

Zehn Jahre blieben Wien und Österreich besetzt. Noch in der Phase des Wiederaufbaues legte Wien im Oktober 1946 durch die Veranstaltung der ersten Nachkriegsmesse ein Zeugnis vom Lebenswillen der geteilten Stadt ab. Im selben Jahr öffnete die Modeschule der Stadt Wien im Schloß Hetzendorf ihre Tore; akuter Platzmangel im Rathaus bewog die Stadtverantwortlichen dazu, wenig später auch die Sammlung historischer Kleidungsstücke mitsamt der zugehörigen Fachliteratur den Städtischen Sammlungen auszugliedern und in das Schloß Hetzendorf zu überführen. Auch heute befindet sich die Bibliothek der Modesammlung des Historischen Museums der Stadt Wien in diesem ehemaligen kaiserlichen Lust- schloß. Die übrigen Sammlungen des Historischen Museums bezogen 1959 das neue Gebäude am Karlsplatz.

Das Wiener Bibliotheksgeschehen vollzog bzw. vollzieht sich in den letzten Jahrzehnten auf folgenden Ebenen: Fakultäts- und Fachbibliotheken sowie bibliothekarische Einrichtungen an den Instituten wurden gemäß Universitätsorganisationsgesetz (1975) der Verwaltung der Universitätsbibliothek unterstellt. Amts- und Spezialbibliotheken (insbesondere Museumsbibliotheken) wurden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Klosterbibliotheken werden in Zentralbibliotheken der einzelnen Orden konzentriert (Minoriten), auch gleichgeartete Spezialbibliotheken fließen vielfach in eigens errichteten Räumlichkeiten zusammen. Bibliotheksneubauten zählen zu den eindrucksvollen architektonischen Leistungen der Zweiten Republik. Erwähnt seien der Glaspalast des Juridikums, die Bibliothek der Technischen Universität, die Bibliothek der Wirtschaftsuniversität und der Tiefspeicher der Österreichischen Nationalbibliothek.

Wiens Bibliotheken sind ein Abbild der bewegten Geschichte dieser Stadt. Aus der Perspektive des historischen Buchbestandes wurde hier aufzuzeigen versucht, wie die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlicher Entwicklung und kultureller Gestaltung, zwischen politischem Willen und ökonomischem Zwang, zwischen Lesebedürfnis und Bibliotheksverwaltung eine spezifische Bibliothekslandschaft geschaffen hat. Die Zusammenschau aller in den beiden Wien-Bänden des Handbuchs aufgenommenen Bibliotheken zeigt, daß das Bibliotheksgeschehen im wesentlichen von drei städtischen Funktionen abhing und abhängt: von der Funktion Wiens als Habsburgerresidenz, als Hauptstadt und als Universitätsstadt. Die einstige Herrscherdynastie beschritt ihren historischen Weg in engster Anlehnung an die katholische Kirche; aus dieser Symbiose von Erzhaus und Religion resultiert der - mit 21 Prozent - überproportionale Anteil von geistlichen Bibliotheken. Ferner verdankt Wien der habsburgischen Sammelleidenschaft nicht nur die Schätze der einstigen Hof- und heutigen Nationalbibliothek, sondern auch eine Reihe von Museen und Museumsbibliotheken. Die Hauptstadtfunktion bescherte Wien zahlreiche Behördenbibliotheken, die Universitätsstadtfunktion schließlich eine stattliche Anzahl von Universitäts- und Hochschulbibliotheken sowie von Fakultäts-, Fachbibliotheken und bibliothekarischen Einrichtungen an den Universitätsinstituten.

Bertrand Michael Buchmann

Für Hinweise zur Geschichte der einzelnen Bibliotheken dankt der Verfasser Herrn Hofrat Dr. Josef Mayerhöfer.


Quelle:Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.