FABIAN HANDBUCH: HANDBUCH DER HISTORISCHEN BUCHBESTÄNDE IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND EUROPA SUB Logo
 
Home
HomeRegionen:Stadtregister:Abkürzungen
Volltextsuche:

trunkiert

BenutzerprofilLogin

Impressum
 Home  > Deutschland > Baden-Wuerttemberg A - H > Esslingen am Neckar
 Baden-Wuerttemberg I - R Baden-Wuerttemberg S - Z

Kirchenbibliothek der Evangelischen Stadtkirche St. Dionys

Adresse. Evangelisches Pfarramt der Stadtkirche St. Dionys, Augustinerstr. 12/1, 73728 Esslingen am Neckar [Karte]
Telefon. (0711) 39 69 73 40

Unterhaltsträger. Evangelisches Pfarramt der Stadtkirche St. Dionys
Funktion. Denkmalgeschützte Kirchenbibliothek.
Sammelgebiete. Der Altbestand wird nicht vermehrt.

Benutzungsmöglichkeiten. Präsenzbibliothek. Benutzung nach Voranmeldung im Stadtarchiv Esslingen, Marktplatz 20, Tel.: (0711) 35 12 25 30, stadtarchiv@esslingen.de. Leihverkehr: nicht angeschlossen.
Technische Einrichtungen für den Benutzer. Aus konservatorischen Gründen keine Kopien möglich. Hinweise für anreisende Benutzer. S-Bahnverbindung (Linie S 1) ab Stuttgart Hauptbahnhof. Fußwegnähe (ca. 10 Minuten) vom Bahnhof Esslingen. - A 8, Ausfahrt Esslingen oder Wendlingen, dann B 313 und B 10. Parkmöglichkeit im Parkhaus Marktplatz (P1).

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Der heutige Bestand der Esslinger Kirchenbibliothek ist nur noch der letzte, wenn auch beachtliche Rest der alten Esslinger Stadt-, Kirchen- und Schulbibliothek. Die Geschichte dieser Bibliothek ist vor allem eine Geschichte ihrer Verluste. Die reichen Bücherbestände der nach der Einführung der Reformation aufgehobenen mittelalterlichen Klöster Esslingens wurden 1555 mit der Bibliothek der evangelischen Prädikanten zu einer zentralen Stadt-, Kirchen- und Schulbibliothek vereinigt und im sogenannten Pfarrhof untergebracht. Dort blieb die Bibliothek, bis sie im frühen 19. Jh ihren jetzigen Standort in einem nicht öffentlich zugänglichen Raum über der Sakristei auf der Südseite der Stadtkirche erhielt. Seit 1975 steht die Kirchenbibliothek als Ganzes unter Denkmalsschutz und darf von diesem Standort, der inzwischen saniert und renoviert wurde, nicht entfernt werden.

1.2 Unmittelbar nach ihrer Konstituierung im Jahre 1555 umfaßte die Bibliothek neben einer bedeutenden Anzahl mittelalterlicher Hss. etwa 2000 Drucke des 15. und der ersten Hälfte des 16. Jhs. Schon 1613 war man im Esslinger Rat mehrheitlich der Meinung, die Bibliothek enthalte zu viele " Alte Papistische Pergamentine und geschriebene unnuze Büecher", die man aussondern und verkaufen und mit dem Erlös " Andere nuzliche Büecher" erwerben solle (Ratsprotokoll vom 3. September 1613). Es vergingen aber noch fast zwanzig Jahre, bis man diesen Beschluß in die Tat umsetzte. 1632 wurden alle damals greifbaren Pergament-Hss. (insgesamt 5 Zentner) an einen Buchbinder als Makulatur verkauft. Damit war das kulturelle Erbe der mittelalterlichen Klöster Esslingens auf einen Schlag beseitigt.

1.3 Der Neuzugang beschränkte sich im 17. und 18. Jh auf den Erwerb aktueller historisch-juristischer und kirchengeschichtlich-theologischer Literatur (also typischer Gebrauchsliteratur), die teilweise durch den Verkauf entbehrlicher Werke aus dem Altbestand finanziert wurde. Im großen und ganzen blieb jedoch der immer noch beachtliche Bestand an Frühdrucken bis ins frühe 19. Jh unangetastet.

1.4 Der zweite große Verlust nach der Beseitigung der mittelalterlichen Pergament-Hss. trat in den Jahren 1822 und 1823 ein, als der damalige Esslinger Dekan Friedrich August Herwig ermächtigt wurde, den größten Teil der vorreformatorischen Drucke (darunter rund 500 Inkunabeln) zu veräußern. Nur vier Inkunabeln wurden damals direkt an die Königlich-Öffentliche Bibliothek in Stuttgart (die heutige Württembergische Landesbibliothek) verkauft, 10 Bde gelangten nach Darmstadt, 300 Bde mit ca. 1200 Drucken wurden an einen unbekannten Antiquar in Frankfurt a. M. veräußert. Ihr Verbleib ist weitgehend unbekannt.

1.5 1872 wurden nochmals 17 Bde mit Hss. und 49 Drucke an die Universitätsbibliothek Tübingen abgegeben. Ein weiteres Angebot der Tübinger Universitätsbibliothek, Teile der Esslinger Bibliothek zu erwerben, wurde vom Esslinger Stiftungsrat am 28. Januar 1886 endgültig abgelehnt. Aufgrund des Kirchengemeindegesetzes von 1888 mußte das Kirchenvermögen vom allgemeinen Stiftungsvermögen, das der bürgerlichen Gemeinde zufiel, getrennt werden. Dies führte dazu, daß aus der Kirchenbibliothek rund 450 Bde mit nichttheologischer Literatur ausgeschieden wurden, die sich heute zum größten Teil in der Bibliothek des Stadtarchivs befinden (siehe Eintrag dort). Versuche am Beginn des 20. Jhs, die getrennten Teile der alten Bibliothek wieder zu vereinigen, blieben ohne Erfolg.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

Chronologische Übersicht und Übersicht nach Sprachen

2.1 Der abgeschlossene historische Bestand besteht aus etwa 800 Bdn. Davon sind 39 Bde Papierhandschriften des 15. Jhs. Insgesamt umfaßt dieser Bestand rund 1300 Drucke des 15. bis 18. Jhs. Nach den Verlusten des 19. Jhs sind nur noch 18 Inkunabeln in 13 Bdn vorhanden alle in lateinischer Sprache und für den Gesamtkatalog der Wiegendrucke erfaßt. Der Schwerpunkt liegt beim 16. Jh, das mit etwa 850 Drucken vertreten ist. Rund 250 Drucke entfallen auf das 17. Jh und etwa 200 auf das 18. Jh.

2.2 Insgesamt besteht ein ungefähres Gleichgewicht zwischen lateinischer und deutscher Sprache. Bei den Drucken des 16. Jhs überwiegen die lateinischen Texte gegenüber den deutschen etwa im Verhältnis von 60 zu 40. Daneben gibt es zwei griechische und vier hebräische Drucke.

Systematische Übersicht

2.3 Nach der Renovierung des Bibliotheksraumes wurde der Bestand im Frühjahr 1983 neu aufgestellt und mit einheitlichen Signaturen versehen. Die Aufstellung erfolgte in zwei Formatgruppen (Folio sowie Quart/Oktav). Die ersten 39 Signaturen sind den Hss. vorbehalten; Signaturen 40 bis 52 sind die Inkunabeln. Die Foliobände des 16. bis 18. Jhs haben die Signaturen 53 bis 339, die Quart- und Oktavbände 350 bis 799. Innerhalb der beiden Formatgruppen ist die Abfolge ungefähr chronologisch. Bis zur Fertigstellung eines neuen Zettelkataloges, mit dem 1992 begonnen wurde, dient der alte Bandkatalog von 1929 als Zugang zu den Beständen. Das Handexemplar dieses Kataloges ist mit den neuen Signaturen versehen. Ein gedruckter Katalog ist in Vorbereitung.

2.4 Seit der Abtrennung des nicht zum Kirchenvermögen gehörenden Teils der Bibliothek im ausgehenden 19. Jh ( s. o. 1.5) besteht die Bibliothek im wesentlichen aus kirchengeschichtlich-theologischer Literatur. Die zahlreichen Sammelbände des 16. Jhs enthalten teilweise noch Schriften aus anderen Fachgebieten. Aber auch die wenigen Turcica oder Schriften zu ökonomischen Fragen haben meist einen theologischen Hintergrund. Vier der 7 Ausgaben antiker Klassiker aus der ersten Hälfte des 16. Jhs sind lateinische Übersetzungen aus dem Griechischen (Hesiod, Lukian und Plutarch). Wenige Titel entfallen auf andere Fachgebiete wie Geschichte, Grammatik, Medizin oder Recht.

2.5 Obwohl die Bibliothek einen eindeutig protestantischen Charakter aufweist, enthält sie noch einen beachtlichen Bestand an vorreformatorischen Autoren. Vor allem die lateinischen Kirchenväter Ambrosius, Augustinus, Gregorius Magnus und Hieronymus sind mit Werkausgaben des frühen 16. Jhs vertreten. Auch Autoren wie Lactanz oder Tertullian und griechische Kirchenväter (in lateinischer Übersetzung) fehlen nicht.

2.6 Der wertvollste Teil sind die Schriften des Reformationszeitalters. Etwa 700 Drucke sind überwiegend in fast 100 zeitgenössischen Sammelbänden zusammengefaßt. Neben Erasmus (ca. 30 Ausgaben) sind alle bedeutenden Reformatoren mit Ausgaben vertreten. Von Luther sind neben den Jenaer und Wittenberger Werkausgaben aus den fünfziger Jahren des 16. Jhs 2 spätere Werkausgaben sowie über 100 Einzelschriften des 16. Jhs vorhanden. Melanchthon und Zwingli folgen mit je rund 40 Drucken.

2.7 Die Reformatoren aus dem süddeutschen Raum und der Schweiz sind gut repräsentiert. Zu nennen sind u. a. Johannes Brenz, Martin Bucer, Heinrich Bullinger und Johannes Oekolampad mit jeweils fast 20 Ausgaben. Von Calvin sind 5 lateinische Ausgaben vorhanden. Auch weniger bekannte Autoren finden sich, wie Andreas Cellarius (Keller, 1503-1562), Veit Dietrich (1506-1549), Ludwig Haetzer (ca. 1500-1529), Melchior Hoffmann (ca. 1500-1543), Wenzeslaus Linck (1483-1547) oder Jakob Strauß (ca. 1483-ca. 1533). Besonders zu erwähnen sind zwei Autoren, die in Esslingen zeitweise als Stadtpfarrer gewirkt haben, Jakob Otter († 1547) und Thomas Naogeorgus (Kircier, um 1511-1563). Von Naogeorgus sind einige seiner neulateinischen Tendenzdramen im Bestand; von Otter neben zwei eigenen Werken von 1528 auch 20 Bde aus seiner Bibliothek. Einige weisen Widmungen der Drucker an Otter auf.

2.8 Aus der zweiten Hälfte des 16. Jhs sowie aus dem 17. und 18. Jh sind die wichtigsten Werke der protestantischen Theologen vorhanden, aber auch eine größere Zahl von Schriften katholischer (vor allem jesuitischer) Autoren aus dem frühen 17. Jh. Unter den protestantischen Autoren befinden sich wiederum einige, die zumindest eine Zeitlang Pfarrer in Esslingen waren, wie der spätere Tübinger Professor Tobias Wagner (1598-1680) oder Johann Jakob Faber (1612-1667) und Ludwig Karl Ditzinger (1670-1731). Auch unter den Vorbesitzern der Bücher sind zahlreiche Esslinger Pfarrer des 16. bis 18. Jhs. Der größte Teil der Bände wurde von Esslinger Buchbindern gebunden, wobei man die Neuerwerbungen des 18. Jhs, aber auch zahlreiche ältere Bände mit je zwei Supralibros verzierte. Das Supralibros auf den Vorderdeckeln trägt die Inschrift " Sum ex Bibliotheca Esselingensi"; während auf den Rückdeckeln das Stadtwappen und das Signet des Esslinger Kirchenkastens angebracht sind.

3. KATALOGE

3.1 Moderne Kataloge

Ein moderner Zettelkatalog ist im Entstehen, ein gedruckter Katalog in Vorbereitung.

Die Bestände sind nicht im Zentralkatalog Baden-Württemberg nachgewiesen.

3.2 Historische Kataloge

Pfaff, Karl: Katalog der Stadt- und Kirchenbibliothek. 1858

[hschr. Bandkatalog im Stadtarchiv Esslingen]

Katalog der Pfarrbibliothek. 1894

[Bandkatalog, ebenfalls im Stadtarchiv]

Lang, Karl: Katalog der alten Pfarr- und Diöcesan-Bibliothek ad S. Dionysium Esslingen. [Derendingen] 1929

[mschr. Bandkatalog; Standortkatalog nach der alten Aufstellung mit Sachregister und 2 Namensregistern; Handexemplar in der Bibliothek mit den neuen Signaturen]

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

4.1 Archivalien

Archivalien zur Geschichte der Bibliothek befinden sich im Stadtarchiv Esslingen.

4.2 Darstellungen

Borst, Otto: Buch und Presse in Esslingen am Neckar. Esslingen 1975 (Esslinger Studien 4) [S. 184-212: Alte Esslinger Bibliotheken]

Amelung, Peter: Ein verborgenes Esslinger Kleinod. Kirchenbibliothek der Stadtkirche St. Dionys wurde renoviert. In: Esslinger Zeitung vom 28. Mai 1977, S. 3-4

Bernhardt, Walter: Die " gute Librarey" in St. Dionys. In: 7300 ES-CE 7 (1978) Heft 2, S. 19-20

Schröder, Tilman Matthias: Das Kirchenregiment der Reichsstadt Esslingen. Esslingen 1987 (Esslinger Studien 8) S. 358-360

Amelung, Peter: Esslingen am Neckar. Bibliotheken. In: Lexikon des gesamten Buchwesens (LGB2) Bd 2 (1989) S. 496-497

5. VERÖFFENTLICHUNGEN ZU DEN BESTÄNDEN

Mayer, Otto: Die ältesten Druckschriften der einstigen Eßlinger Stadt-, Kirchen- und Schulbibliothek. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte N. F. 32 (1925/26) S. 188-237 und 33 (1927) S. 167-207 [Versuch der Rekonstruktion der alten Bibliothek vor den Verkäufen von 1822/1823 und 1872 nach älteren Verzeichnissen, die sich im Stadtarchiv Esslingen erhalten haben]

Kyriss, Ernst: An Esslingen binder of the late gothic period. In: Speculum 25 (1950) p. 73-77 [mit 6 Tafeln, betrifft auch Einbände in der Kirchenbibliothek]

Stand: März 1993

Peter Amelung


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.