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Dieses Geleitwort sieht seine Aufgabe weniger in der Verdeutlichung des Panoramas der hier vereinigten Bibliotheksbeschreibungen als in einem Hinweis auf die Vielfalt und Komplexität der Beziehungen, die auf dem Gebiete des Buch- und Bibliothekswesens zwischen Deutschland und Italien bestehen. Es möchte damit auf die Notwendigkeit noch umfassenderer und grundlegenderer bibliothekshistorischer Forschungen aufmerksam machen, ohne dabei die Mühe und die Sorgfalt zu verkennen, die bei der Erarbeitung der vorliegenden Einträge für das Handbuch in Italien aufgewendet worden sind.
Die bisher erschienenen Bände des Handbuches deutscher historischer Buchbestände in Europa dokumentieren umfassend die Allgegenwart deutschen Schrifttums in den Bibliotheken europäischer Länder. Darunter sind die bedeutendsten Sammlungen des Kontinents, ebenso aber auch viele Bibliotheken außerhalb des unmittelbaren Einflußbereichs der deutschen Kultur. Die Bedeutung Italiens für die Erfassung von Beständen, die als Germanica zu bezeichnen sind, ist nicht geringer als die fast aller bereits beschriebenen Länder.
Die vornehmlich auf der Diarchie von Papsttum und Kaisertum basierenden säkularen kulturellen und historischen Beziehungen zwischen Italien und Deutschland, aber auch die kirchlichen Verflechtungen, insbesondere die theologischen Streitigkeiten der Reformation und Gegenreformation, hatten beträchtliche Auswirkungen auf das italienische Bibliothekswesen. Diese manifestierten sich nicht nur in der geänderten Zusammensetzung des Buchbestandes, sondern auch in einem neuen Kulturverständnis, das die öffentliche Benutzbarkeit von Beständen einschränkte. Neben dem bedeutsamen und zugleich dramatischen Ereignis der Verbringung der Heidelberger Palatina in den Vatikan (von der außer der Vatikanischen Bibliothek auch die Bibliothek Casanatense profitierte) gehören in diesen Zusammenhang die Bemühungen des Sanctum Officium und der Index-Kongregation um die Zusammenstellung der Indices Librorum Prohibitorum, die die als gefährlich angesehenen Auswirkungen der lutherischen Lehre und der protestantischen Bewegung durch die Indizierung häretischer deutscher Bücher und ihrer Übersetzungen einzudämmen versuchten.
Zuwächse an Germanica ergaben sich für italienische Bibliotheken aus der Übernahme der Gesamtbestände oder Teilbestände von Privatbibliotheken deutscher Gelehrter und Wissenschaftler sowie aus der gezielten Ergänzung italienischer Sammlungen durch deutsche Werke und Drucke. Einerseits handelte es sich um den Erwerb von einschlägigen Werken durch italienische Sammler und Bibliophile - man denke etwa an Schweizer Drucke und besonders an Bücher aus dem Besitz Conrad Gesners, die mit der Sammlung des Kardinals Domenico Passionei in die Bibliothek Angelica gelangten. Andererseits beeinflußten deutsche Herrscher die Bibliotheksbestände in den von ihnen regierten Teilen Italiens. In diesem Zusammenhang ist etwa Maria Theresias umsichtige Bibliothekspolitik zu würdigen, die systematisch versuchte, die Bestände der lombardisch-venetischen Bibliotheken ins Gleichgewicht zu bringen, etwa durch die Erwerbung der naturwissenschaftlichen Sammlung Albrecht von Hallers für die heutige Braidensische Nationalbibliothek in Mailand und für die Bestandsergänzung der Universitätsbibliothek Pavia; oder auch die sorgfältige Ergänzung der deutschen Bestände der heutigen Zentralen Nationalbibliothek in Florenz durch Leopold und Franz Stephan von Lothringen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Der Handbuch-Abschnitt für Italien schließt Beschreibungen der Bibliotheken des Kunsthistorischen Instituts in Florenz und des Deutschen Historischen Instituts in Rom ein als Institutionen in deutscher Trägerschaft. Bedauerlicherweise ist das Spektrum der italienischen Bibliotheken aus unterschiedlichen Gründen nicht lückenlos. So fehlt beispielsweise eine Beschreibung der bedeutenden deutschen Bestände in der Staatsbibliothek zu Gorizia und eine Beschreibung der Sammlung von 8000 deutschen Dissertationen des 17. und 18. Jahrhunderts im Besitz der Bibliothek der Etruskischen Akademie in Cortona.
Rom, März 2001
Alfredo Serrai,
Ordinarius für Bibliotheksgeschichte der Universität ,,La Sapienza``, Rom