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Die Arbeiten am polnischen Teil des Handbuches deutscher historischer Buchbestände in Europa begannen im Herbst 1988, als auf Vorschlag von Professor Bernhard Fabian die Jagiellonen-Bibliothek die Koordination der Arbeiten auf polnischer Seite übernahm. Unter meiner Leitung wurde die Bearbeitung der polnischen Beiträge Frau Marzena Zacharska übertragen, die von November 1988 bis Anfang 1995 ausschließlich mit dieser Aufgabe beschäftigt war und zahlreiche Bibliotheken in Polen aufsuchte. Das Projekt zum Abschluß gebracht zu haben, ist ein großes Verdienst von Frau Zacharska, zumal die Zusammenarbeit mit den am Handbuch beteiligten polnischen Bibliotheken oft mit technischen Schwierigkeiten verbunden war. Die in Polen ausgeführten Arbeiten wurden von der Volkswagen-Stiftung finanziert.
Die polnischen Bibliotheken, deren Buchbestände beschrieben werden sollten, wurden in mehrere Kategorien eingeteilt. In die erste Kategorie fielen sieben große Bibliotheken mit umfangreichen deutschsprachigen Büchersammlungen. Diese Bibliotheken - die Nationalbibliothek in Warschau, die Jagiellonen-Bibliothek in Krakau, die Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Danzig und die Universitätsbibliotheken in Breslau, ódz, Posen und Warschau - hatten die Beiträge für das Handbuch selbständig vorzubereiten. Die Universitätsbibliothek ódz zog sich von der selbständigen Bearbeitung von Materialien zurück, so daß diese Aufgabe von Frau Zacharska übernommen wurde.
Die übrigen, verschiedene staatliche und kirchliche Institutionen repräsentierenden Bibliotheken wurden in vier Gruppen gegliedert. Die Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe erfolgte nach Maßgabe des Umfangs der Sammlungen deutscher Drucke aus der Zeit vom 15. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Von den 40 durch eine Umfrage ermittelten Bibliotheken konnten indessen nur die Bestände von 27 berücksichtigt werden. Die Sammlungen der übrigen Bibliotheken wiesen keine nennenswerten historischen Bestände im Sinne des Handbuches auf.
Auch wenn das Ergebnis dieser langwierigen und aufwendigen Arbeit nicht immer befriedigend sein mag, so zeigt es doch den großen Reichtum der deutschen Buchbestände in Polen. Die mehrere Millionen Einheiten umfassenden Sammlungen deutscher Druckschriften in den polnischen Bibliotheken sind nicht nur für die deutsche, sondern auch für die polnische Wissenschaft von Bedeutung. Unter ihnen sind sowohl zahlreiche historische Büchersammlungen, die sich innerhalb der polnischen Grenzen von 1939 befanden, als auch solche, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vom polnischen Staat übernommen wurden - hauptsächlich in Schlesien, Pommern und Masuren. Von besonderem Wert sind die Sammlungen aus den schlesischen, pommerschen und preußischen Grenzgebieten, in denen sich die polnische und die deutsche Kultur jahrhundertelang gegenseitig beeinflußten. Die Bestände dieser Bibliotheken sind in Deutschland heute oft wenig bekannt.
Im Laufe der Geschichte mußte das polnische Bibliothekswesen schwere Schicksalsschläge hinnehmen. Besonders groß waren die Verluste der polnischen Bibliotheken während des Zweiten Weltkriegs, die bei etwa 70 bis 75 Prozent des gesamten Buchbestandes lagen. Die Buchbestände fielen zunächst Kriegsvernichtungen zum Opfer, oder sie wurden geplündert. Erhaltene Sammlungen wurden bei ihrer Sicherstellung auch aufgeteilt - teils infolge eines fehlerhaften Konzepts, teils aus Platzgründen, teils wegen der schwierigen Transportbedingungen in dem durch den Krieg stark geschädigten Land. Um so wertvoller sind heute die für das Handbuch angefertigten Beschreibungen der Sammlungen in den einzelnen Bibliotheken. Sie zeigen nämlich die Komponenten, die ,,disiecta membra`` der ehemaligen historischen Sammlungen, die sich jetzt nur noch auf dem Papier zusammenfügen lassen.
Die Sammlungen deutscher Drucke in polnischen Bibliotheken sind selbstverständlich Zeugnisse der Geschichte, Zeugnisse der schwierigen und oftmals dramatischen polnisch-deutschen Nachbarschaft. Gleichzeitig zeugen sie auch von der Nähe der beiden Völker zueinander und von ihren engen kulturellen Bindungen sowie von der hohen Anziehungskraft, die das deutsche Buch in Polen besaß.
Ich bin der Überzeugung, daß der ,,polnische Teil`` des Handbuches für alle Wissenschaftler, die in Polen nach deutschen Büchern, Zeitschriften, Broschüren
und Flugblättern zwischen dem 15. Jahrhundert und dem Ende des 19. Jahrhunderts forschen werden, zu einem wertvollen Wissenskompendium wird. Ich hoffe überdies, daß in Zukunft eine ähnliche Bestandsaufnahme der Polonica in den Beständen deutscher Bibliotheken erarbeitet werden kann. Ähnlich wie der vorliegende Band des Handbuches deutscher historischer Buchbestände in Europa wäre sie ein Zeugnis der guten polnisch-deutschen wissenschaftlichen Zusammenarbeit, die für beide Seiten von großem Nutzen ist und zur Annäherung zwischen unseren Völkern beiträgt.
Krakau, Januar 1999
Jan Pirozynski,
Direktor der Jagiellonen-
Bibliothek von 1981 bis 1993