Home > Europa > Slowakische Republik
Die Slowakische Nationalbibliothek in der Matica slovenská in Martin freut sich, zur Erforschung deutscher historischer Buchbestände in Europa mit einem Band über die Bibliotheken der Slowakischen Republik beitragen und die entsprechenden Bestände als Teil des in der Slowakei erhaltenen Kulturerbes vorstellen zu können.
Genese, Struktur und Provenienz slowakischer historischer Bibliotheken werden im Kontext der slowakischen Bibliothekswissenschaft seit dem 19. Jahrhundert erforscht. Bei der Gründung der Slowakischen Nationalbibliothek im Jahre 1941 wurde es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben bezeichnet, ,,den in verschiedenen Privat-, Studien- und öffentlichen Bibliotheken aufbewahrten Buchreichtum zu untersuchen, zu verzeichnen und bekannt zu machen.`` In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde diese Aufgabe im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprojekts zur Geschichte der Buchkultur in der Slowakei vom Bibliographischen Nationalinstitut der Slowakischen Nationalbibliothek weiterentwickelt. Teil dieses Projektes war die Erfassung historischer Bibliotheksbestände in der Slowakei mit Hilfe eines Fragenkatalogs zu Geschichte, Zustand, Struktur und Eigentumsverhältnissen sowie zur sprachlichen Charakteristik und zur Provenienz, der Hunderten von Bibliotheksbesitzern und -verwaltern zuging. Aus dieser Erhebung gingen zahlreiche Studien über die bedeutendsten slowakischen historischen Bibliotheken hervor, die z. T. von der Slowakischen Nationalbibliothek veröffentlicht wurden. Um im Laufe der Zeit möglichst alle historischen Bibliotheken der Slowakei erforschen zu können, organisiert das Bibliographische Nationalinstitut in Zusammenarbeit mit diesen Bibliotheken und den Instituten der Slowakischen Akademie der Wissenschaften regelmäßig Seminare zu Bibliotheken und Buchkultur in einzelnen Regionen der Slowakei, deren Ergebnisse in der Reihe Kniha [Das Buch] veröffentlicht werden. Diese Arbeiten wurden Grundlage für die Teilnahme an dem von der Volkswagen-Stiftung unterstützten Projekt des Handbuches deutscher historischer Buchbestände in Europa, mit dem die Tradition der Erforschung historischer Buchbestände in der Slowakei fortgesetzt werden konnte.
In der ersten Phase der Konzeptions- und Organisationsarbeiten des Projektes Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde noch ein gemeinsamer tschechoslowakischer Band geplant, den auf slowakischer Seite Dr. Miroslav Bielik, damals Direktor der Slowakischen Nationalbibliothek, zusammen mit Dr. Blazej Belák und Stanislav Muntág, M.A., betreuten. Dabei hätten nur die slowakischen Bibliotheken mit den bedeutendsten Germanica-Beständen berücksichtigt werden können. Nach dem Zerfall der Tschechoslowakei wurde für die seit dem 1. Januar 1993 souveräne Slowakische Republik ein eigener Band geplant und die Teilnahme einer größeren Zahl slowakischer historischer Bibliotheken ermöglicht. Dieses umfangreichere Vorhaben koordinierte als Redakteurin Elena Midriaková, M.A., als Mitarbeiterin des Bibliographischen Nationalinstituts der Slowakischen Nationalbibliothek. Die Bedeutung der Germanica-Bestände auch in kleineren Bibliotheken der Slowakei dokumentiert der vorliegende Band.
Bedeutend waren die deutschen Buchbestände nicht nur im Hinblick auf die historische Besiedlung des slowakischen Territoriums durch Deutsche (z. B. in den Bergstädten) und deren kulturprägende Rolle, insbesondere bei der sogenannten ,,mentalen`` Urbanisierung. Vielmehr spiegeln sie auch die intensiven slowakisch-deutschen Kulturbeziehungen, vor allem in der Reformationszeit und in der Postreformationsepoche. Deutsche Universitäten, besonders in Wittenberg und Halle, boten damals Ausbildungsmöglichkeiten für Hunderte slowakischer evangelischer Theologen, die in der Regel Büchersammlungen in die Slowakei zurückbrachten und zum Grundstock ihrer Privatbibliotheken machten. Überdies wurden in Deutschland zahlreiche für die kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung der Slowakei wichtige Bücher veröffentlicht, sowohl auf Deutsch wie auch in der damaligen Schriftsprache der Slowaken - dem sogenannten Bibeltschechisch. Dies bezeugen nicht nur viele in slowakischen Bibliotheken erhaltene Bücher deutscher Provenienz, sondern auch die bedeutende Anzahl auf deutschem Gebiet erschienener slovacikaler Drucke, wie die erste slowakische Bibelausgabe von Daniel Krman und Matej Bel, die 1722 in Halle erschien. Schließlich - jedoch nicht zuletzt - wurde Deutschland zur neuen Heimat zahlreicher slowakischer evangelischer Geistlicher, die ihre Heimat als Folge der Gegenreformation in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie verlassen mußten. Herausragende Vertreter der deutschen Wissenschaft und Kultur, vor allem Herder und Hegel, beeinflußten später die Entstehung der slowakischen Nationalen Wiedergeburtsbewegung und der slowakischen Romantik. Deutsche Universitäten inspirierten die Entstehung und Entwicklung slowakischer Studentengesellschaften, aus denen ganze Generationen von Persönlichkeiten des slowakischen politischen und kulturellen Lebens hervorgingen.
Die kulturellen Beziehungen der Slowakei zu Deutschland sind auch ein Thema der Einleitung zu dem vorliegenden Band. Ihr Ziel ist es jedoch nicht, ein differenziertes Geschichtsbild slowakisch-deutscher Bibliotheksbeziehungen zu bieten. Sie ist auch keine umfassende Analyse der komplexen Bibliotheksgeschichte der Slowakei. Sie konzentriert sich auf Hauptentwicklungslinien, die entscheidend für Entstehung, Aufbau, Verwaltung und Erhaltung der Bibliotheken des Landes waren. In diesem Kontext stellt sie die wichtigsten Bibliothekstypen der Slowakei vor unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Beiträge zu den einzelnen Bibliotheken die eigentlichen Informationen über die wichtigsten in der Slowakei erhaltenen Germanica-Bestände darbieten und daß zur Ergänzung zahlreiche Spezialisationen herangezogen werden können.
Eines der im Verlauf der Erarbeitung der Beiträge wiederkehrenden Probleme war die Frage der Schreibung historischer Eigennamen slowakischer oder slovacikaler Persönlichkeiten. Als die Slowakei vor 1918 Bestandteil des ungarischen Staates war, wurden die Eigennamen slowakischer Persönlichkeiten antikisiert, germanisiert oder hungarisiert, wobei in vie-
len Fällen daneben auch die slowakische Form erhalten blieb. In den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts kodifizierte das Slowakische biographische Wörterbuch [Slovenský biografický slovník] die Ansetzung historischer Namen. Die slowakische Redaktion dieses Bandes richtete sich daher bei Eigennamen nach dem Slowakischen biographischen Wörterbuch, auch wenn sich dadurch Abweichungen von den in anderen Bänden des Handbuches verwendeten Namensformen ergeben.
Die Redaktion des vorliegenden Bandes wurde auf slowakischer Seite mit beispielhaftem Einsatz von Frau Elena Midriaková ausgeführt. Auf ihren Vorschlag wurde der Band um zahlreiche Bibliotheksbeschreibungen ergänzt. Trotz des Mehraufwandes, den diese Ausweitung mit sich brachte, ist es ihrer bis zum Schluß sorgfältigen Redaktion zu verdanken, daß der Band in seiner jetzigen Form vorliegt. Danken möchten wir auch allen slowakischen Autoren, die in ihre Beiträge die Summe ihrer Kenntnisse über die historische Stellung des deutschen Buches im wissenschaftlichen und kulturellen Leben der Slowakei einfließen ließen. Zudem möchten wir für die aufmerksame Bearbeitung der Beiträge durch die deutsche Handbuchredaktion danken, die mit vielen Anregungen die Beiträge bereicherte und ergänzte. Schließlich - aber nicht zuletzt - danken die Slowakische Nationalbibliothek und andere slowakische Bibliotheken sowie Bibliotheksverbände der Volkswagen-Stiftung für ihr Angebot zur Zusammenarbeit, das den vorliegenden Band überhaupt erst ermöglicht hat.
Martin, Mai 2000
Miloš Kovacka,
Direktor des Bibliographischen
Nationalinstituts der Slowakischen
Nationalbibliothek in der
Matica slovenská