FABIAN HANDBUCH: HANDBUCH DER HISTORISCHEN BUCHBESTÄNDE IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND EUROPA SUB Logo
 
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Kacina [Kaczin]

Schloßbibliothek

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Das Schloß Kaczin wurde von 1820 bis 1822 in einem Wildgehege bei Kutná Hora [Kuttenberg] im Empirestil erbaut. Die Bibliothek, für die schon beim Bau ein ganzer Pavillon vorgesehen war, befindet sich in einem Annex des Schlosses. Der Innenraum, in drei Zimmer aufgeteilt, ist einem antiken Tempel der Vernunft und Wissenschaft nachempfunden. Beeindruckend ist vor allem der mittlere kreisrunde Raum mit Nachbildungen antiker Säulen und Kunstdenkmälern.

1.2 Der Begründer des Schlosses und der Bibliothek war Graf Johann Rudolf Chotek z Chotkova a Vojnína (1748-1824), ein seinerzeit bedeutender Repräsentant des böhmischen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Er war oberster Burggraf des böhmischen Guberniums, österreichischer Minister und Präsident der Königlichen Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften und vertrat in seinen zahlreichen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Tätigkeiten die Aufklärungsideen der Vernunft und des Fortschritts. Seit seiner Jugendzeit interessierte er sich für Naturwissenschaften und Reisen und war ein eifriger Büchersammler und Bibliophiler, was sich im Aufbau seiner Bibliothek widerspiegelt. Sie basiert auf einem breiten Grundstock mit Universalcharakter, auch im Hinblick auf Fachliteratur. Bei seinem Tod 1824 zählte sie mehr als 22.000 Bde.

1.3 Den Aufbau der Bibliothek setzten Johann Rudolfs Nachfolger Heinrich (1802-1864) und Rudolf Karl Chotek (1783-1868) fort, die den Bestand um etwa 10.000 Bde vermehrten, ihm aber kein neues inhaltliches Gepräge verliehen. 1911 ging der Kacziner Besitz durch Erbschaft an Quido von Thun-Hohenstein, der die Bibliothek in den dreißiger Jahren verkaufen wollte. Während des Zweiten Weltkrieges hatte eine nationalsozialistische Organisation ihren Sitz im Schloß, und 1945 wurde das Schloß von der Sowjetarmee besetzt. Obwohl in den Nachkriegsjahren beinahe die gesamte Einrichtung des Schlosses verkauft oder gestohlen wurde, blieb die Bibliothek - wahrscheinlich dank der Aufbewahrung in einem gesonderten Gebäude - völlig unberührt und ohne Verluste. Seit den fünfziger Jahren ist im Gebäude das Landwirtschaftliche Museum untergebracht. Musikalien aus der Bibliothek gingen an das Archiv des Museums der tschechischen Musik [Muzeum Ceské Hudby - archiv] in Prag (s. Eintrag dort).

1.4 Beinahe alle Bände der Bibliothek tragen eines der fünf verschiedenen, in Kupfer gestochenen heraldischen Exlibris des Dresdner Kupferstechers J. G. Böhm vom Ende des 18. Jhs mit der Inschrift Graeflich Chotekische Bibliothek und der eingezeichneten Signatur. Einige der Ledereinbände sind mit einem heraldischen Supralibros der Familie Chotek verziert, andere Bände tragen Eigentumsvermerke, die auf eine Provenienz aus säkularisierten Klöstern hinweisen, z. B. auf die Piaristen aus Mikulov [Nikolsburg], die Jesuiten aus Jindrichv Hradec [Neuhaus], die Augustiner zu St. Thomas aus Prag und die Zisterzienser aus Plasy [Plass].

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

2.1 Die Bibliothek umfaßt 36.659 Bde, in denen das europäische Schrifttum des 16. bis 19. Jhs vertreten ist. Etwa 30 Prozent der Werke sind in deutscher Sprache, 30 Prozent in französischer, 20 Prozent in italienischer, 10 Prozent in lateinischer und je 5 Prozent in englischer und tschechischer Sprache. Andere Sprachen sind nur marginal vertreten. Der Bestandsschwerpunkt der Bibliothek liegt bei Fachpublikationen aus der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jhs, die Johann Rudolf Chotek sammelte.

2.2 Unter den Drucken des späten 16. und des 17. Jhs überwiegen lateinische Übersetzungen antiker Philosophen und Geschichtsschreiber. Es finden sich aber auch Erstausgaben zeitgenössischer Philosophen, so z. B. von Erasmus. Auf die umfassende Bildung und weitgefächerten Interessen des Begründers der Bibliothek verweisen ferner die von ihm gesammelten deutschen und französischen Enzyklopädien, Wörterbücher und Dissertationen an deutschen Universitäten in verschiedenen Fächern. Weiterhin liegen vollständige Ausgaben der Veröffentlichungen zeitgenössischer europäischer gelehrter Gesellschaften vor, einschließlich der Königlichen Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. Die Bibliothek besitzt auch Werke böhmischer Schriftsteller vom Ende des 18. und Beginn des 19. Jhs in deutscher und tschechischer Sprache.

2.3 Charakteristisch für diese Bibliothek ist, daß alle wissenschaftlichen Disziplinen sowohl mit grundlegenden theoretischen Werken als auch mit praktischen Handbüchern, Anleitungen und Lehrbüchern vertreten sind. Im Grundstock überwiegen die Naturwissenschaften. Aus dem 17. und 18. Jh liegen hier Werke zu den grundlegenden Erkenntnissen über die Welt und das Leben vor sowie allgemeine Werke aus der Botanik und Zoologie. Unter den Werken des späten 18. und frühen 19. Jhs zeichnen sich differenziertere naturwissenschaftliche Disziplinen ab, z. B. Werke der Physik (insbesondere der Mechanik), der Chemie, Astronomie, Mathematik sowie zu Flora und Fauna verschiedener Länder. Besonders zahlreich vertreten sind Werke der Medizin und Pharmakologie, die nicht nur die Geschichte der Heilkunde einschließen, sondern auch Werke über einzelne Krankheiten und deren Heilung, über Balneologie, Elektromagnetismus und das Kurwesen. Weitere naturwissenschaftliche Fächer sind die Geologie, Paläontologie, Anthropologie, Mineralogie und Metallurgie. Reich vertreten sind auch die Hippologie und Entomologie. Aus praktischen Gebieten finden sich Bücher über Obstzucht, Gärtnerei und das Forstwesen.

2.4 Die Philosophie ist vertreten durch Werke antiker und mittelalterlicher Philosophen in Latein und Deutsch sowie durch zahlreiche Werke französischer Philosophen aus der Zeit der Aufklärung in Französisch und in deutschen Übersetzungen. Hier liegen einzelne Werke zur Logik, Psychologie und Metaphysik vor sowie Ausgaben der Korrespondenz verschiedener Philosophen. In der Theologie finden sich Werke zur Geschichte der europäischen und asiatischen Religionen, verschiedene Ausgaben der Bibel und Katechismen.

2.5 Die Geschichte widmet sich vornehmlich der Geschichte Österreichs, insbesondere der Zeit Maria Theresias und Josephs II., sowie der Geschichte Böhmens. In deutschen, lateinischen und tschechischen Ausgaben sind Werke von Bohuslav Balbin, Gelasius Dobner, Josef Dobrovský, Josef Jakob Jungmann und František Palacký vorhanden. Neben weiteren Werken zur Geschichte Frankreichs, vor allem über die Zeit vor der Französischen Revolution, finden sich hier auch Werke zum Römischen Reich, zu Italien, den deutschsprachigen Staaten, England und Rußland. An die Geschichte knüpfen Werke zur Kunstgeschichte einzelner europäischer Länder, zur Geschichte der Malerei, zur Bildhauerei und vor allem zur Architektur an. Hier finden sich auch Beschreibungen europäischer Galerien und Verzeichnisse von Kunstsammlungen, von denen das wertvollste das einzige vorhandene Exemplar des nur in zwölf Exemplaren gedruckten, kolorierten Werkes Déscription de l'Egypte (Paris 1809-1813) ist. In die Bestandsgruppe Geschichte sind auch einzelne Lebensläufe von bedeutenden Herrschern, Politikern, Wissenschaftlern und zeitgenössischen deutschen, französischen und englischen Schriftstellern eingegliedert.

2.6 Seine öffentliche Tätigkeit führte Johann Rudolf Chotek zum Studium der juristischen und ökonomischen Literatur, insbesondere zu den Anfängen der österreichischen Industrie, die dadurch in der Bibliothek zahlreich vertreten ist. Militaria sind vertreten durch Titel zur Geschichte europäischer Kriege und zu bedeutenden Schlachten aus frühester Zeit bis zur Zeit Napoleons. Einen beachtlichen Teilbestand verzeichnet die Bibliothek für die klassische und zeitgenössische Belletristik. Es finden sich z. B. Gesamtausgaben von Goethe, Schiller, Kotzebue, Voß und Wieland sowie Ausgaben englischer Klassiker in Originalen und deutschen Übersetzungen. Zu den Literaturen einzelner europäischer Länder sind zahlreiche Anthologien vorhanden, des weiteren Reiseliteratur sowie eine umfangreiche Sammlung historischer Atlanten und zeitgenössischer Landkarten. Nicht weniger bedeutend sind größtenteils vollständig vorhandene Zeitungen (z. B. Prager deutsche Zeitungen), Fachzeitschriften, zeitgenössische Pamphlete und Gelegenheitsschriften.

2.7 Einen umfangreichen selbständigen Teilbestand bildet die Theaterliteratur, die eng mit dem Theaterbetrieb im Kacziner Schloß verbunden ist. Neben zahlreichen Theatertexten (etwa 3000 Stücke) besitzt die Bibliothek auch historische und theoretische Literatur zum Theater, zahlreiche Bildwerke über das antike Theater, aber auch Werke zum chinesischen Theater und zu Theaterritualen afrikanischer Völker. Erstausgaben des deutschen und französischen Repertoires des 18. Jhs machen den Großteil dieses Bestandes aus. Beinahe vollständig ist der Bestand der in Wien von 1750 bis in die zwanziger Jahre des 19. Jhs herausgegebenen Theatertexte. Auffallend zahlreich sind auch zeitgenössische Theaterausgaben aus Prag vertreten. Zu den Besonderheiten der Sammlung gehören deutsch-lateinische Theaterstücke, die im Prager Jesuitenkollegium am Ende des 18. Jhs aufgeführt wurden sowie der 1721 in Amsterdam herausgegebene Bestand italienischer Libretti und Texte.

3. KATALOGE

3.1 Moderner Katalog

Gesamt- und Standortkatalog [3 Bde; erstellt 1972]

3.2 Historischer Katalog

Standortkatalog

[hschr.; 3 Bde; aus den Jahren 1932-1933]

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

Lifka, Bohumír: Knihovna státního zámku Kaciny [Die Bibliothek des Staatsschlosses Kaczin]. In: Sbírky na státních hradech a zámcích [Sammlungen in staatlichen Burgen und Schlössern]. Praha 1952

Lifka, Bohumír: Knihovny statních hrad a zámk [Bibliotheken staatlicher Burgen und Schlösser]. Praha 1954, S. 10

5. VERÖFFENTLICHUNGEN ZU DEN BESTÄNDEN

[Kopecký, Jan]: Teatralia v zámecké knihovne na Kacine. Výberový soupis [Theatralia in der Schloßbibliothek ==== in Kaczin. Ein Auswahlverzeichnis]. Praha 1973

Stand: November 1996

Jitka Šimáková


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.