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Kunín [Kunwald]

Schloßbibliothek

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Die heutige Bauform des Schlosses ist das Ergebnis umfangreicher Umbauten in den Jahren 1726 bis 1745 nach Plänen von Johann Lukas Hildprandt für Friedrich Gervas Harrach (1696-1749), Oberster Kanzler von Böhmen, kaiserlicher Minister und Gouverneur in den Niederlanden. Sein Sohn Franz Xaver (1732-1781) heiratete Maria Rebecca, die Tochter von Franz Wilhelm Graf von Hohenembs, letzter männlicher Nachkomme der ehemaligen Reichsgrafschaft Hohenembs zwischen dem Rhein und dem Bodensee. Die Hohenembser Familienbibliothek mit ihren wertvollen Renaissance-Drucken wurde zunächst aus Vorarlberg nach Bystré u Policky [Bistrau] überführt und später nach Kunwald, wo die einzige Tochter Maria Rebeccas lebte, Maria Walburga Comtesse Harrach-Hohenembs-Kunwald (1762-1826), verheiratet mit Klemens Alois Graf Truchses-Waldburg-Zeil (1753-1817).

1.2 Gräfin Maria Walburga gründete 1792 im Schloß eine Schul- und Erziehungsanstalt für Jungen und Mädchen, in der in den Jahren 1807 bis 1809 auch František Palacký, der bedeutende tschechische Historiker, ausgebildet wurde. Durch umfangreiche Ankäufe von Büchern erweiterte sie die Bibliothek angeblich auf 20.000 Bde, von denen die Mehrzahl jedoch nach ihrem Tod verkauft wurde. Ein Verzeichnis dieses Bestandes ist nicht erhalten. In ihrem Testament vererbte sie ihr Eigentum einschließlich der Bibliothek dem Sohn ihres Pächters, Friedrich Emil Schindler, der 1859 mit dem Prädikat von Kunwald in den österreichischen Adelsstand erhoben wurde. Seine Erben verkauften 1870 die Herrschaft an die Familie Fürstenberg, die wiederum den Besitz von Kunwald 1895 an Dr. Victor und Marietta von Bauer verkauften. Sie war die Tochter des mährischen Historikers und Politikers Petr Chlumecký z Ríkovic (Peter von Chlumecký) und brachte auch einen Teil der Bibliothek ihres Vaters mit in die Schloßbibliothek, die zusätzlich noch durch Ankäufe von Victor von Bauer erweitert wurde. Er war Eigentümer einer Zuckerfabrik in Brünn und Verfasser politologischer Studien über Mitteleuropa.

1.3 Neben handschriftlichen Eigentumsvermerken der Bibliotheksbesitzer, wie Ex libris Lodovici Comitis de Auersperg oder Don Albert Visconti, finden sich in den Büchern vereinzelt in Kupfer gestochene Exlibris, z. B. das von Maximilian Joseph le Baron de Mytrowski et Nemischel. Unter den Dedikationen befinden sich Vermerke wie Jodocus Kalgovius 1671 oder a le usage du Comte Szápáry.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

2.1 Der historische Bestand verteilt sich auf ca. 30 Bde aus dem 16. Jh, ca. 300 Bde aus dem 17. Jh, ca. 800 Bde aus dem 18. Jh, ca. 1500 Bde aus dem 19. Jh und ca. 800 Bde aus dem frühen 20. Jh. Unter den Alten Drucken hebt sich vor allem der Bestand der Hohenembser Bibliothek hervor, die neben zahlreichen italienischen und lateinischen Schriften auch 15 deutsche Drucke aus dem 16. Jh enthält. Vorhanden sind beispielsweise ein Martyrologium (Dillingen 1573), eine lateinische Bibelausgabe (Basel 1516) und ein lateinisches Psalterium mit deutschem Kommentar (Straßburg 1508). Der bemerkenswerte Bestand an wertvollen Salzburgiana geht auf Max Sittich IV. von Hohenembs (1574-1619), Erzbischof von Salzburg, zurück. Die genealogische und alchemistische Literatur stammt vorwiegend aus dem späten 16. und frühen 17. Jh. Den größten Anteil in der Hohenembser Bibliothek haben deutsche historische Werke und Werke mit Handbuchcharakter, aber auch zahlreiche wertvolle Vorarlbergensia sind vertreten.

2.2 Der Harrachsche Bestandteil in der Kunwalder Bibliothek besteht aus einzelnen Exemplaren aus dem Vorbesitz älterer Harrachscher Generationen, aus einigen Büchern des Generals Franz Xaver und aus Akquisitionen von Maria Walburga. Hierbei handelt es sich vor allem um zeitgenössische deutsche und französische Romane sowie um Theaterstücke von Autoren wie Christian Heinrich Spiess, Alois Kramer, Johann H. D. Zschokke und Walter Scott in deutschen Übersetzungen. In der Bibliothek sind 37 Bde mit Theaterstücken von August von Kotzebue vorhanden, der 1817 bei seiner Rückkehr aus Rußland ein Gast der Gräfin Maria Walburga war.

2.3 Für die Erziehungsanstalt wurden viele pädagogische Werke angeschafft. Soweit die Bestände heute erhalten sind, läßt sich aus ihnen auf ein Interesse der Gräfin an pädagogischen Theoretikern schließen. Sie war persönlich mit Heinrich Pestalozzi bekannt. Auf das persönliche Interesse ihres Gemahls Klemens Alois Graf Truchses-Waldburg-Zeil an der Luftfahrt gehen 28 Bde Monatliche Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmelskunde (Gotha 1800-1813) zurück. Er startete 1786 einen Fesselballon in Kunwald.

2.4 Die Werke des 19. und 20. Jhs stammen aus der Bibliothek der Schindlers von Kunwald, der Bibliothek der Ritter von Chlumecký und von der Unternehmerfamilie von Bauer. Bücher mit Eigentumsvermerken von Friedrich Emil Schindler von Kunwald sind größtenteils Lehrbücher, so z. B. Carl Philipp Funkes Bildungsbibliothek für Nichtstudirende (Wien 1817), Militaria und Handbücher zur Landwirtschaft. Des weiteren sind vorhanden religiöse Werke, Liederbücher und Kinderliteratur. Besonders nennenswert sind Joachim Heinrich Campes pädagogische Werke sowie Antonia Wutkas Enzyklopädie für die weibliche Jugend (Wien 1815-1816) in 11 Bänden.

2.5 Über den kurzen Zeitabschnitt, in dem die Bibliothek den Fürstenbergs gehörte, gibt das siebenbändige Fürstenbergische Urkundenbuch Auskunft. Die Bibliothek der Familien von Chlumecký und von Bauer trägt die Spuren der verwandtschaftlichen Beziehung mit dem ehemaligen österreichischen Minister für Ackerbau, Johann Freiherr von Chlumecký (1834). Es finden sich hier z. B. 18 Bde der Forschungen auf dem Gebiete der Agrikulturphysik (1881-1889) und zahlreiche weitere Werke zur Landwirtschaftskunde, Werke über die Geschichte von Mähren und zeitgenössisches politologisches Schrifttum, darunter auch persönliche Schriften von Dr. Victor von Bauer und ein Sammelband des deutschen theosophischen Schriftstellers Josef Anton Schneider-Franken, der unter dem Pseudonym Bo Yin Ra schrieb.

Standortkatalog [erstellt 1978-1982]

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

Lifka, Bohumír: Knizní dedichví Hohenembsu z Kunvaldu [Das Büchererbe der Grafen von Hohenembs aus Kunwald]. In: Strahovská knihovna. Sborník Památníku národního písemnictví [Die Strahover Bibliothek. Jahrbuch des Museums des tschechischen Schrifttums] 4 (1969) S. 152-185

Antonín, Luboš: Zámecké knihovny v Libochovicích a v Kunvalde [Die Schloßbibliotheken in Libochowitz und in Kunwald]. In: Antique 2 (1994) S. 14-15

Stand: November 1996

Luboš Antonín


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.