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Knihovna Národního muzea - Majorátní knihovna hrabat z Nostitz-Rienecku

Bibliothek des Nationalmuseums - Majoratsbibliothek der Grafen von Nostitz-Rieneck


Adresse. Maltézské námestí 1, 118 00 Praha 1 - Malá Strana

Unterhaltsträger. Národní muzeum [Nationalmuseum]
Funktion. Historische Adelsbibliothek.
Sammelgebiete. Der Altbestand wird nicht vermehrt.

Benutzungsmöglichkeiten. Präsenzbibliothek. Benutzung nur nach Vereinbarung mit der Direktion der Bibliothek des Nationalmuseums (s. Eintrag dort). - Leihverkehr: nicht angeschlossen. Hinweise für anreisende Benutzer. Schriftliche Anmeldung bei der Direktion der Bibliothek des Nationalmuseums erforderlich. - U-Bahnverbindung (Linie A) Richtung Dejvická bis Haltestelle Malostranská, dann zwei Stationen mit der Straßenbahn (Linie 12 oder 22) in Richtung Smíchov oder Fußwegnähe (ca. 500 m). - Parkmöglichkeiten vor dem Palais sehr beschränkt.

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Die Majoratsbibliothek der Grafen von Nostitz-Rieneck im Nostitz-Palais auf der Prager Kleinseite wurde im Jahre 1664 von Johann Hartwig von Nostitz (1610-1683) errichtet, der das monumentale Prager Palais bauen ließ, in dem zwei Räume für die Bibliothek bestimmt waren. Später wurde die Bibliothek mit klassizistischem Mobiliar eingerichtet, das bis heute erhalten geblieben ist.

1.2 Johann Hartwig von Nostitz war als Oberstburggraf der höchste Repräsentant des Kaisertums in Böhmen. Neben seinen politischen und wirtschaftlichen Bemühungen hatte er großes Interesse an Kunst und Wissenschaft und war ein leidenschaftlicher Sammler von Antiquitäten und Büchern. Er überführte zwei bedeutende Büchersammlungen, die er von seinen Verwandten geerbt hatte, in sein Eigentum. Die erste stammte von seinem Onkel Otto d. Ä. von Nostitz (†1631), dem Begründer des Familienvermögens. Als deutscher Vizekanzler in der Prager königlichen Kanzlei konvertierte er nach der Schlacht auf dem Weißen Berg 1621 zum katholischen Glauben und beteiligte sich dann an den Konfiskationen des bestraften utraquistischen Adels, von denen er profitierte. Dabei war er aber nicht nur am Landbesitz interessiert, sondern auch an Kunstgegenständen und Büchern. Als Otto 1631 unverheiratet starb, vermachte er sein ganzes Vermögen seinem Neffen Johann Hartwig, dem Sohn seiner Schwester Sophie von Nostitz.

1.3 Die zweite Erbschaft kam von der väterlichen Seite. Johann von Nostitz-Rottenburg, Johann Hartwigs Vater, hatte aus der ersten Ehe einen Sohn Otto d. J. von Nostitz (1608-1664), der der Begründer der Rokitnitzer-Planer Familienlinie wurde. Von diesem Stiefbruder erbte Johann Hartwig ebenfalls hauptsächlich Kunstsammlungen und Bücher. Otto war Landeshauptmann der Fürstentümer Schweidnitz und Jauer in Schlesien. Er war sehr gebildet, studierte an der Universität Leipzig und bereiste einen großen Teil von Europa. Als leidenschaftlicher Sammler trug er reiche Kunstsammlungen, eine Galerie und eine Bibliothek zusammen. Hierher stammen auch die wertvollsten Bestände der Prager Nostitzschen Majoratsbibliothek, wie die Eigentumsvermerke Ottos belegen.

1.4 Die Bestände der Majoratsbibliothek wurden auch in den nachfolgenden Jahrhunderten bedeutend erweitert. Unter Graf Franz Anton von Nostitz-Rieneck (1725-1794, ebenfalls Oberstburggraf von Böhmen) wurde die Bibliothek auch in der gelehrten Öffentlichkeit bekannt. In Diensten des Grafen waren die böhmischen Wissenschaftler František Martin Pelcl (1734-1801), erster Professor für tschechische Sprache und Literatur an der Prager Universität, Jaroslav Schaller (1738-1809), Topograph von Böhmen, und Josef Dobrovský (1753-1829), gelehrter Patriot und Slawist. Pelcl war als Hofmeister auch Bibliothekar, die beiden anderen waren als Praeceptores tätig und beteiligten sich auch an den Bibliotheksarbeiten. Damals spielte die Bibliothek eine bedeutende gesellschaftliche Rolle für die Emanzipationsbewegung der tschechischen Nationalen Wiedergeburt.

1.5 Um die Mitte des 19. Jhs traf die Nostitz-Bibliothek das Schicksal der meisten Adelsbibliotheken. Sie wurde nicht mehr systematisch vermehrt und stagnierte, so daß sie zu einer historisch abgeschlossenen Sammlung wurde. Sie verblieb bis zu ihrer Verstaatlichung im Jahre 1945 im Besitz der Familie. Im Jahre 1953 wurde sie vorübergehend in Bibliothek von Josef Dobrovský umbenannt, eine Bezeichnung, die heute nicht mehr benutzt wird. Im Jahre 1954 wurde sie der Bibliothek des Nationalmuseums in Prag übergeben, verblieb aber im ursprünglichen Zustand in ihren Räumen. Als eine der wertvollsten Sammlungen des Nationalmuseums wurde sie für die wissenschaftliche Benutzung und in beschränktem Maße auch für die Öffentlichkeit zur Besichtigung zugänglich gemacht.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

2.1 Die Bibliothek umfaßt ca. 14.000 Bde aus der Zeit vor 1900, davon schätzungsweise 4500 deutsche Titel. Vorhanden sind 150 Inkunabeln, ca. 3400 Bde des 16. Jhs, ca. 4800 des 17. Jhs, ca. 3200 des 18. Jhs und ca. 2300 des 19. Jhs.

2.2 Die Inkunabelsammlung weist größtenteils Drucke deutscher Provenienz auf. Bemerkenswert ist eine große Zahl von Leipziger Drucken, die das Interesse der Nostitz-Familie, vor allem Ottos d. J., an Sachsen dokumentiert, insbesondere an Leipzig. Viele Eigentumsvermerke verweisen außerdem auf die gen Beziehungen der Eigentümer zum schlesischen Raum. Die meisten Bücher waren Geschenke an die Familie und enthalten dementsprechende handschriftliche oder gedruckte Widmungen von Autoren, Adligen sowie Repräsentanten von Kirche oder Staat. Viele Geschenke sind Otto d. J. dediziert. Vertreten sind alle bedeutenden deutschen Offizinen, ebenso nahezu alle Fächer. Theologische Literatur steht an erster Stelle, aber es liegen auch Werke zur Jurisprudenz, zu Naturwissenschaften, Geschichte, Heilkunde und Geographie vor, darunter verschiedene Ausgaben von Ptolemäus. Die wertvollste Inkunabel der Bibliothek war die 42-zeilige Bibel Gutenbergs, auf Pergament gedruckt, mit zeitgenössischem Einband Leipziger Ursprungs und reicher Illuminierung (heute in der Huntington Library, San Marino, California; s. u. 5).

2.3 Die deutschsprachige und die in Deutschland erschienene Literatur bildet den Kernbestand der Bibliothek. Sie zeigt das Interesse der Eigentümerfamilie an Geschichte und Politik, in der beinahe alle Mitglieder als Repräsentanten der Staatsverwaltung eine Rolle spielten. Bedeutend ist der Bestand zur Geschichte der ersten Hälfte des 17. Jhs, zum böhmischen Ständeaufstand und zum Dreißigjährigen Krieg, insbesondere in Schlesien. Breiten Raum nehmen Werke zur Weltgeschichte ein, hauptsächlich von deutschen Historiographen. Besonders zahlreich sind Werke zur Kriegsgeschichte, Militaria im allgemeinen sowie Biographien berühmter Feldherren. Viele Bücher tragen handschriftliche Widmungen oder Eigentumsvermerke.

2.4 Die deutschsprachigen Bohemica (860 von insgesamt 1088 Titeln Bohemica) sind vorwiegend Werke des 17. und 18. Jhs, vor allem zur Geschichte Böhmens. Reich ist der Bestand an zeitgenössischer Literatur zum böhmischen Ständeaufstand von 1618, zur Schlacht auf dem Weißen Berg 1620, zur Prager Exekution von 1621 und zum Dreißigjährigen Krieg. Gut vertreten ist auch die wissenschaftliche Literatur, vorwiegend aus dem ausgehenden 18. Jh, die nach der Gründung der Gelehrten Gesellschaft in Prag publiziert wurde. Ihre Mitglieder übergaben ihre Schriften Graf Franz Anton von Nostitz (1725-1794), dem Gründer und Mäzen der Gesellschaft. Zahlreich sind außerdem Militaria wie Biographien von Feldherren, Werke zur Kriegführung und Strategie sowie zu Waffen. Eine weitere Gruppe bildet die juristische Literatur u. a. mit Gesetzeskommentaren sowie Werken zu Notariatsverfahren und Erbschaftsregelungen. Es handelt sich meist um Literatur, die für die Verwaltung der Güter und Schlösser wichtig war. Zu den Naturwissenschaften, insbesondere zur Astronomie, liegt ebenfalls ein beachtenswerter Bestand vor. Gut vertreten sind Werke über Sehenswürdigkeiten und Kunstsammlungen in Böhmen (vorwiegend Prag), topographische Werke und Museumsführer. Auch Enzyklopädien und genealogische Werke sind vorhanden. An Moravica liegen 77 Titel vor, davon ca. 50 deutschsprachige.

2.5 Bei den Silesiaca (806 Titel, davon ca. 640 deutschsprachige) handelt es sich um regionale Literatur des 17. und 18. Jhs. Stark vertreten sind religiöse Literatur, Medizin (meist Breslauer Drucke), Reglements von Gymnasien und anderen Schulen und Gelegenheitsdrucke (u. a. gedruckte Glückwünsche zu Hochzeiten schlesischer Adeliger sowie Trauerreden und -gedichte, letztere vorwiegend aus dem 17. Jh). Auch wissenschaftliche Literatur ist vorhanden, so die numismatische, kunstgeschichtliche, historische, naturwissenschaftliche und ökonomische. Bedeutend sind Werke zur Geschichte Schlesiens, insbesondere zu Breslau und zu den Herzogtümern Schweidnitz und Jauer. Außerdem finden sich Stadtverordnungen, teilweise vom Anfang des 17. Jhs (z. B. aus Glogau), sowie zahlreiche topographische Beschreibungen und Werke zur Ortsgeschichte Schlesiens. Die Bibliothek bietet umfangreiches und seltenes Quellenmaterial zum Studium der schlesischen Geschichte.

2.6 Weiterhin sind 120 Titel Lusatica vorhanden, davon ca. 50 deutschsprachige, 332 Titel Polonica, davon ca. 160 deutschsprachige, und 21 deutschsprachige Moscovitica. Zu sämtlichen Spezialsammlungen liegen Verzeichnisse vor (s. u. 3).

3. KATALOGE

Alphabetischer Autorenkatalog

[hschr.; in Zettelform; angelegt zu Beginn des 20. Jhs; verzeichnet alle Bestände der Bibliothek außer Hss.; Nachträge in selbständigem hschr. Zettelkatalog, nach 1945, vom damaligen Bibliothekar Jan Ševcovic]

Weitere Bestandsverzeichnisse

[hschr. von Jan Ševcovic auf losen Blättern; mit Vermerken über Bohemica, Moravica, Silesiaca, Lusatica und Polonica]

Katalog der Inkunabeln

[in Zettelform; angelegt 1956]

Inkunabeln der Gräfl. Nostitz'schen Majoratsbibliothek. Verfaßt von Fr. Elisabeth von Kathen aus Berlin, dzt. Landes- und Universitätsbibliothek in Prag. 19.5.1944 [mschr.; nach Signaturen geordnet; Kurztitelverzeichnis mit Hain- und GW-Nummern]

Prvotisky Nostické knihovny v Praze [Die Inkunabeln der Nostitzbibliothek in Prag]. [mschr.; alphabetisch nach Autoren; von Jan Ševcovic; 142 Titel; Kurztitelverzeichnis mit Hain- und GW-Nummern]

[Die Kataloge stehen in der Bibliothek im Nostitz-Palais zur Verfügung.]

Die Bestände sind in der Bibliographie der gedruckten fremdsprachigen Bohemica aus den Jahren 1501-1800, die als Datenbank in der Hauptbibliothek der Akademie der Wissenschaften in Prag ausgearbeitet wird, vezeichnet.

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

Lifka, Bohumír: Josef Dobrovský a Nostická knihovna [Josef Dobrovský und die Nostitz-Bibliothek]. Praha 1953

Vrchotka, Jaroslav: Knihovna Josefa Dobrovského, bývalá Nostická [Die Bibliothek von Josef Dobrovský, ehemalige Nostitz-Bibliothek]. In: Knihovna Národního musea v Praze [Die Bibliothek des Nationalmuseums in Prag]. Praha 1959, S. 54

Vrchotka, Jaroslav: Zur ehemaligen Prager Provenienz der B 42 in der Henry E. Huntington Library in San Marino, California, USA. In: Sammelband der Beiträge zur Internationalen Gutenberg-Konferenz der Deutschen Staatsbibliothek Berlin, Juni 1990. Berlin 1993

Stand: März 1999

Jaroslav Vrchotka


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.