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Mnichovo Hradište [Münchengrätz]

Schloßbibliothek

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Die heutige Schloßbibliothek in Münchengrätz tstammt dem Besitz eines Zweiges der Familie Waldstein in Duchcov [Dux]. Sie wurde nach dem Verkauf des Schlosses Dux im Jahre 1921 nach Doksy [Hirschberg] und in das Schloß in Münchengrätz überführt. Ihren Grundstock legte der Bauherr des Schlosses und Erzbischof von Prag, Johann Friedrich von Waldstein (1644-1694). Den Aufbau der Bibliothek setzten weitere Mitglieder des Duxer Familienzweiges fort; zu den bedeutendsten gehörten der Erbe des Erzbischofs, Johann Joseph von Waldstein (1684-1731), und der spätere Besitzer des Duxer Majorats, Johann Joseph Georg von Waldstein (1709-1771). Zu den Besitzern der Bibliothek zählte auch der Enkel Johann Joseph Georgs, Joseph Karl Emmanuel Graf Waldstein-Wartenberg (1755-1814), kaiserlicher Generalfeldwachtmeister.

1.2 Der Prager Erzbischof Johann Friedrich von Waldstein erwarb für seine Bibliothek alte Handschriften und Bücher des Geschichtsschreibers Tomáš Pešina z Cechorodu (1644-1694). Sie tragen den handschriftlichen Vermerk Ex Bibliotheka Czechorodiana. Aus seiner Bibliothek finden sich zahlreiche Drucke aus dem 16. und 17. Jh, die vergoldete Thurzo-Supralibros tragen und vermutlich aus dem Eigentum des ungarischen Palatinus Georg Thurzo stammen. Aus dem Jahr 1572 liegt ein in rotes Leder gebundener Band von Aemelius Paulus mit dem Supralibros von Pertold z Lipé vor: Der Roem. Mag. in Franckreich, Parlament Raths, frantzoesischer und anderer Nationen mit einlauffender Historien (Basel 1572). Auf dem Einband trägt er die Jahreszahl 1574. Neben einer geringeren Anzahl von Büchern in Pergamenteinbänden, die kleine Supralibros der Angehörigen des Hauses Lobkowicz aufweisen, liegen auch eine Reihe von Werken mit dem Eigentumsvermerk Emmerich de Czobor aus den Jahren 1640 bis 1670 vor. Einige alchemistische Werke tragen den Vermerk Lerner, der auf Amadeus Lerner zurückgeht. Von ihm liegt auch eine alchemistische Handschrift vor (1574). Der Großteil der vorhandenen Bände trägt in Kupfer gestochene Waldstein-Exlibris von A. Birckhardt, die auf den Vorbesitz Johann Joseph Georg von Waldsteins verweisen. Prachtbände, zumeist im Folio-Format, tragen auf den Ledereinbänden ein großes goldenes Waldstein-Supralibros. Außerdem finden sich weiße Leder-Folianten mit dem goldenen Waldsteinschen Supralibros im roten Oval.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

2.1 Die Bibliothek umfaßt 22.000 Bde aus der Zeit vor 1800, darunter 36 Inkunabeln und 200 Drucke des 16. Jhs. Annähernd die Hälfte ist in deutscher Sprache oder im deutschen Sprachgebiet in lateinischer Sprache erschienen. Weiterhin liegen lateinische und französische Werke vor, ferner auch tschechische Alte Drucke, vorwiegend aus dem Bereich der Geschichtsschreibung. Einige Alte Drucke sind in italienischer, ungarischer und vereinzelt auch in hebräischer Sprache erschienen. Aus dem 19. Jh liegen nur wenige Werke vor. Mnichovo Hradište [Münchengrätz]

2.2 Der Bestand der Schloßbibliothek hat einen universalen Charakter. Neben belletristischen Werken sind u. a. zahlreiche Werke juristischen Inhalts vorhanden, vorwiegend in lateinischer Sprache, sowie historische Kompendien, Atlanten und prächtig gestaltete kunstgeschichtliche Publikationen. Bemerkenswert sind zwei Exemplare der berühmten Landkarte von Böhmen aus dem Jahre 1720 von Johann Christoph Müller mit barocken Ornamenten von Wenzel Laurentius Reiner.

2.3 Als einzigartig gilt der Bestand an 2200 Klein- und Gelegenheitsdrucken, der im ersten der drei Säle der Schloßbibliothek in Schatullen in Bücherform aufbewahrt wird. Es handelt sich um Drucke des 16. Jhs mit Bezug zur Reformation und um eine große Anzahl von Drucken über den Dreißigjährigen Krieg. Deutsche Druckorte sind hier zahlreich vertreten. Unter diesen Kleindrucken wurden bereits einige Unikate tdeckt, z. B. das einbogige Heftchen ohne Deckel im Quartformat Aus Praag Summarischer Bericht ...1612 zur politischen Situation am Ende der Herrscherzeit Kaiser Rudolfs II. (s. u. 5). Es liegen außerdem Dissertationen, geographische Werke und Reiseliteratur aus dem 16. bis 18. Jh vor, darunter Drucke von Matthäus Merian, ergänzt durch zahlreiche, auch astronomische Atlanten. Die Bibliothek besitzt zudem astronomische Werke von Tycho Brahe und Johannes Kepler. Die Wissenschaften der Renaissance-Zeit sind durch Werke von Paracelsus, Giordano Bruno und Galilei repräsentiert. Der deutsche Polyhistor Athanasius Kircher ist mit mehr als zwanzig Ausgaben vertreten.

2.4 Ihr individuelles Gepräge bekam die Bibliothek durch Joseph Karl Emmanuel von Waldstein und Franz de Paula Adam Graf von Waldstein (1759-1823). Dieser widmete sich neben seinem Militärdienst der Botanik und war Mitverfasser des grundlegenden Werkes über die ungarische Flora Descriptiones et icones plantarum rariorum Hungariae (Wien 1802-1812). Joseph Karl Emmanuel beschäftigte Giacomo Casanova, eigentlich Gian Giacomo Geronimo Casanova de Seignalt, in den Jahren 1785 bis 1798 als Verwalter der Bibliothek. Casanova verbrachte die letzten dreißig Jahre seiner literarischen Tätigkeit in Münchengrätz. Eine Auswahl seiner französischen Werke, herausgegeben in Leipzig und Prag, ist in der Bibliothek vorhanden.

2.5 Joseph Karl Emmanuel von Waldsteins Interesse für die Alchemie spiegelt sich in dem Bestand an alchemistischer Literatur aus Böhmen wieder. Mehrere hundert Drucke des 16. bis 18. Jhs zu dieser Thematik bilden einen unter den Schloßbibliothek ==== en einmaligen, geschlossenen Bestand, in dem alle bedeutenden Autoritäten der Alchemie vertreten sind. Die meisten dieser Werke sind in Deutschland gedruckt. In der Bibliothek finden sich außerdem Auktionskataloge der alchemistischen Literatur aus der zweiten Hälfte des 18. Jhs. Umfangreich ist zudem die Freimaurerliteratur vertreten. Des weiteren liegen Werke zu Mitgliedern der Familie Waldstein vor, besonders zu Albrecht von Waldstein, dem kaiserlichen Generalissimus und Feldherrn im Dreißigjährigen Krieg.

3. KATALOGE

3.1 Moderne Kataloge

Gesamtkatalog der Schloßbibliotheken unter der Verwaltung des Nationalmuseums in Prag

Standortkatalog [in Zettelform]

3.2 Historische Kataloge

Bohatta, Hanns (Johann): Inkunabeln der graeflich Waldsteinschen Bibliothek in Dux [hschr.]

ders.: Karten und Pläne der graeflich Waldsteinschen Bibliothek in Dux [hschr.]

ders.: Handschriften der graeflichen Waldsteinschen Bibliothek in Dux [hschr.]

ders.: Systematische Übersicht. Bücher im Archiv des graeflich Waldstein'schen Schlosses in Dux [hschr.]

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

Lifka, Bohumír: Zámecké a palácové knihovny v Cechách. Prehled historicko-topografický [Schloß- und Palaisbibliotheken in Böhmen. Eine historisch-topographische Übersicht]. In: Ceský bibliofil [Der tschechische Bibliophile] 6 (1934) S. 54

Cerný, Václav: Trináct posledních let Jakuba Casanovy [Die letzten dreißig Jahre von Giacomo Casanova]. In: Strahovská knihovna [Die Strahover Bibliothek] 2 (1967) S. 189-216 [mit französischer Zusammenfassung]

Polišenský, Josef: Giacomo Casanova, Historie mého zivota. Výbor z pametí literárních, z odborných prací a z korespondence [Giacomo Casanova, die Geschichte meines Lebens. Eine Auswahl aus literarischen Memoiren, aus Fachliteratur und aus der Korrespondenz]. Praha 1968

5. VERÖFFENTLICHUNGEN ZU DEN BESTÄNDEN

Antonín, Luboš: Mnichovo Hradište. In: Ctenár [Der Leser] 46 (1994) Heft 1, S. 36-37

Antonín, Luboš: Zámecká knihovna Mnichovo Hradište [Die Schloßbibliothek Mnichovo Hradište]. In: XIX. kongres mezinárodní asociace bibliofil [XIX. Kongreß der Internationalen Assoziation der Bibliophilen]. Praha 1995, S. 30 [in Tschechisch und Englisch]

Antonín, Luboš: Alchymistické rukopisy a tisky ze zámecké knihovny v Mnichove Hradišti [Alchemistische Handschriften und Drucke aus der Schloßbibliothek in Münchengrätz]. In: Antique 6 (1993) S. 10-12

Kneidl, Pravoslav: Trosky knihovny Václava Budvoce z Budova [Bruchstücke der Bibliothek von Václav Budevec z Budova]. In: Strahovská knihovna [Die Strahover Bibliothek] 5/6 (1970/71) S. 369

Stejskalová, Eva: Aus Praag Summarischer Be- richt ... z roku 1612 [Aus Praag Summarischer Bericht ... aus dem Jahr 1612]. In: Miscellanea oddelení rukopis a starých tisk [Miszellen der Abteilung für Handschriften und Alte Drucke] 7 (1990) Heft 2, S. 109-127

Stand: November 1996

Luboš Antonín




Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.