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Námešt nad Oslavou [Namiescht an der Oslawa]

Schloßbibliothek

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Im 16. Jh wurde der Namieschter Besitz Eigentum des bedeutenden mährischen Geschlechts Zierotin, das das bereits seit dem 13. Jh bestehende Burggelände in ein Renaissance-Schloß umbauen ließ. Im Schloß wurde eine Druckerei eingerichtet, in der 1533 die erste tschechische Grammatik, 1535 die tschechische Einleitung zur Grammatik sowie eine Übersetzung des Neuen Testaments erschienen, die auf der lateinischen Übersetzung von Erasmus basierte. Die Druckerei, die unter dem Schutz von Johann d. Ä. von Zierotin (†1583) der Union der Böhmischen Brüder diente, wurde später in die polnische Stadt Leszno [Lissa] umgesiedelt. Hier wurde sie zum Zentrum der Verlagstätigkeit der Union. Nach der Schlacht auf dem Weißen Berg mußte Karl d. Ä. von Zierotin (1564-1636) den Gang ins Exil in Erwägung ziehen und verkaufte deshalb 1628 den Herrschaftssitz seinem Verwandten Albrecht von Waldstein (1583-1634). Dieser gab schon 1629 die Herrschaft an die Familie Werdenberger weiter, die sie bis zu ihrem Aussterben 1731 hielt. 1752 kaufte Graf Karl Wilhelm von Haugwitz und Biskupitz, Staats- und Konferenzminister von Kaiserin Maria Theresia und böhmischer Oberstkanzler, das Anwesen. 3

1.2 Johann von Zierotin und sein Nachfolger Karl d. Ä. von Zierotin erbauten im Erdgeschoß des Schlosses in den Räumen des ehemaligen Salla Terrena einen Büchersaal, in dem sie Drucke aus der berühmten Druckerei in Kralice [Kralitz] aufbewahrten, die durch die Herausgabe der Kralitzer Bibel bekannt ist. Karl d. Ä. baute mit Hilfe des Bibliothekars Julian Poniatowski und von Paul von Hronovsky eine umfangreiche Bibliothek im Schloß auf. Die Bestände blieben auch nach dem Verkauf des Schlosses an Albrecht von Waldstein im Besitz von Karl d. Ä. Sein Enkel, Karl Wrbna-Freudenthal schenkte die Bibliothek 1641 der Pfarrkirche in Wroclaw [Breslau], von dort kam sie 1810 in die Stadtbibliothek Wrolaw. In der zweiten Hälfte des 17. Jhs wurde der Saal der Zierotiner Bibliothek, der in der Zwischenzeit als Speisesaal benutzt worden war, durch die Familie von Haugwitz wieder seiner ursprünglichen Funktion zugeführt.

1.3 Zu den ältesten Drucken der Bibliothek gehören sieben Bände der venezianischen Ausgabe der Schriften von Aristoteles, die auf dem Pergament-Einband ein heraldisches Supralibros der Fuggers und einen Eigentumsvermerk Anthoni Fugger 1586 tragen. Neben einer Reihe von Büchern mit heraldischem Exlibris der Grafen Haugwitz finden sich auch mehrere handschriftliche Besitzvermerke einzelner Fami- lienmitglieder, z. B. die der Comtessa Franckenberg, der Gemahlin von Karl Wilhelm von Haugwitz, oder von Ottokar Graf Daun (1813-1904) und Theresia Daun (1816-1904). Besitzvermerke der Familien Nádherny von Borutin, Károlyi und Hardegg gehen ebenfalls auf Verwandte der Familie von Haugwitz zurück. Die Bibliothek besitzt ferner wissenschaftliche Werke mit Exlibris des Ritters Ignaz von Born, dem bedeutenden Mineralogen und Repräsentanten wissenschaftlicher Forschungen in Prag und Wien. Heraldische Exlibris tragen des weiteren Bücher aus den Sammlungen bedeutender Bibliophiler des 18. Jhs, so die von Jacob Michael von Smitmer und dem Ritter Franz Paul von Smitmer (1740-1796).

1.4 Heute befindet sich die Bibliothek im Besitz des Denkmalamtes für Südmähren [Památkový ústav Jizní Moravy] in Brno [Brünn] und unter der Verwaltung des Nationalmuseums in Prag.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

2.1 Die Bibliothek umfaßt ca. 16.000 Bde, davon sind etwa ein Drittel Alte Drucke. Sprachlich überwiegt deutsches Schrifttum mit ca. 70 Prozent; vertreten sind weiterhin Latein, Französisch und Italienisch. Die Bestände des 19. Jhs enthalten auch englische und tschechische Werke.

2.2 Zu den ältesten Drucken der Bibliothek gehören das Olmützer Missale (Nürnberg 1499) und eine siebenbändige Aristoteles-Ausgabe (Venedig 1557-1590). Unter den Drucken des 16. Jhs finden sich prachtvoll illustrierte Werke zur Metallurgie. Wissenschaftliche Bestände sind vertreten durch Werke zur Mathematik (aus dem 17. und 18. Jh), zur Optik, zum Magnetismus, zur Geschichte der Physik, Pyrometrie, Meteorologie, Entomologie und zu weiteren naturwissenschaftlichen Disziplinen.

2.3 In der Schloßbibliothek sind klassische Werke der deutschen Aufklärung vertreten sowie eine Reihe von Werken des Freimaurer-Schrifttums. Die Herkunft der Familie Haugwitz, die aus der Lausitz und aus Schlesien nach Mähren kam, belegen zahlreiche Silesiaca und Lusatica. Unter den Verfassern finden sich auch Angehörige der Familie. Historische Werke behandeln die Geschichte einzelner deutscher Länder. Die Genealogie ist durch eine Reihe Gothaischer Almanache vertreten. Juristische Literatur behandelt vor allem die Gebiete des Staatsrechts, des allgemeinen und des bürgerlichen Rechts. Námešt nad Oslavou [Namiescht an der Oslawa]

2.4 Eine bemerkenswerte Zahl von Reisebeschreibungen und umfangreiche geographische Literatur dokumentieren das Interesse an der Geographie; am zahlreichsten sind Werke über den amerikanischen Kontinent vertreten. Umfangreich ist auch die Literatur zur Landwirtschaft und Forstverwaltung. Änderungen in der Bewirtschaftung des adeligen Großgrundbesitzes spiegeln die Titel zur Futterpflanzenzucht, Schafzucht und zum Kartoffelanbau wider. Es finden sich aber auch vereinzelte Spezialwerke wie z. B. zur Spirituserzeugung.

2.5 Unter den Werken des 19. und frühen 20. Jhs finden sich neben Ausgaben von Klassikern der deutschen Literatur auch Memoiren, Reisebücher und Führer durch Kurorte und Heilbäder sowie in kleinerem Umfang Literatur zum Okkultismus.

3. KATALOGE

3.1 Moderne Kataloge

Gesamtkatalog der Schloßbibliotheken unter der Verwaltung des Nationalmuseums in Prag

Standortkatalog

3.2 Historische Kataloge

Catalogue Historique et Raisonné de la Bibliothèque de Namiest. 1797

Catalogus Librorum Bibliothecae Illustrissimi Domini Comitis ab Haugwitz, in arce Namieschtensi, Secundeum ordinem differentialem materialum distributus. 1798

Catalogus alphabeticus

Catalogus Materiarum [2 Bde]

Namiester Hofgräflich Haugwitz'sche Bibliothek

[etwa Mitte des 19. Jhs]

Tenora, Richard: Namiester Schloß-Bibliothek. 1923

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

Elvert, Christian d': Geschichte des Bücher- und Steindrucks, des Buchhandels, der Bücher-Zensur und der periodischen Literatur, so wie Nachträge zur Geschichte der historischen Literatur in Mähren und Oesterreich-Schlesien. Brünn 1854

Kneidl, Pravoslav: Zámek námešstský [Das Namieschter Schloß]. In: Námešt nad Oslavou, Trebíc, mesto a okres [Namiescht an der Oslawa, Trebitsch, die Stadt und der Bezirk]. Brno o. J., S. 11-16

Antonín, Luboš: Zámecká knihovna v Námešti nad Oslavou [Die Schloßbibliothek in Namiescht an der Oslawa]. In: Ctenár [Der Leser] 46 (1994) Heft 6, S. 216-217

Stand: Dezember 1996

Luboš Antonín