FABIAN HANDBUCH: HANDBUCH DER HISTORISCHEN BUCHBESTÄNDE IN DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND EUROPA SUB Logo
 
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Eesti Rahvusraamatukogu

Estnische Nationalbibliothek


Adresse. Tönismägi 2, 15189 Tallinn
Telefon. (02) 6 31 14 11; (02) 6 30 76 11
Telefax. (02) 6 31 14 10
Telex. 17 38 11 ESTRREE
e-mail. [nlib@venus.nlib.ee]
Internet. http://mercury.nlib.ee
Bibliothekssigel. <RR>

Unterhaltsträger. Eesti Vabariigi Riigikogu [Staatsversammlung der Republik Estland]
Funktionen. National- und Parlamentsbibliothek, wissenschaftliche Universalbibliothek.
Sammelgebiete. 1. Allgemeine Sammelgebiete: Sämtliche Wissenschaftsgebiete mit Schwerpunkt in den Geisteswissenschaften, in Auswahl Natur- und technische Wissenschaften, Medizin, Landwirtschaft, Kinderliteratur. - 2. Besondere Sammelgebiete: Die auf dem Territorium der Republik Estland erschienenen Veröffentlichungen (auch Schallplatten, Tonbandkassetten) sowie in anderen Staaten der Welt erschienenes estnischsprachiges Schrifttum; fremdsprachige Estonica, Baltica; Veröffentlichungen verschiedener internationaler Organisationen (als Depotbibliothek).

Benutzungsmöglichkeiten. Präsenzbibliothek. - Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10-20 Uhr, Samstag 10-17 Uhr (Rara-Lesesaal: Montag bis Freitag 10-17 Uhr, Samstags geschlossen), im Juli und August Montag bis Freitag 12-19 Uhr (Rara-Lesesaal: 12-17 Uhr). - Leihverkehr: nationaler und internat. Leihverkehr.
Technische Einrichtungen für den Benutzer. Kopiergeräte, Lesegeräte für Mikroformen, AV-Geräte, Fotolabor.
Gedruckte Informationen. Eesti Rahvusraamatukogu juht [Führer durch die Estnische Nationalbibliothek]. Tallinn 1993. - Eesti Rahvusraamatukogu kunstide osakond [Die Kunst- und Musikabteilung der Estnischen Nationalbibliothek]. Tallinn 1993.
Hinweise für anreisende Benutzer. Auf schriftliche Anmeldung wird die gewünschte Literatur bereitgestellt. - Busverbindungen vom Flugplatz (Linie 22), vom Hauptbahnhof (Linie 22), vom Autobusbahnhof (Linien 17, 23) und vom Hafen (Linie 65) bis Haltestelle Vabaduse väljak. - Parkplätze in der Nähe der Bibliothek.

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Die Estnische Nationalbibliothek wurde am 21. Dezember 1918 gegründet. Die Entstehung der Bibliothek fiel in eine Zeitspanne, in der, nur einige Wochen nach dem Rückzug der deutschen Besatzungstruppen und unter der täglich anwachsenden Bedrohung durch die herannahende Rote Armee, die Estnische Provisorische Regierung sich intensiv mit der Gründung der Staats- und Verwaltungsinstitutionen der neuen Republik beschäftigte, die am 24. Februar 1918 ausgerufen worden war. In der Regierungsverordnung noch als Bibliothek der Provisorischen Regierung bezeichnet, trug sie danach bis Herbst 1941 den Namen Staatsbibliothek Estlands [Eesti Riigiraamatukogu] und übte die Funktionen einer Parlamentsbibliothek und einer Behördenbibliothek des Regierungsapparates aus.

1.2 Den Grundstock des Bestandes bildeten die etwa 2000 Bde amtlicher Druckschriften Rußlands, d. h. die russisch- oder deutschsprachige Literatur meist juristischen Inhalts, die aus den Handbibliotheken der ehemaligen Ehstländischen Gouvernementsverwaltung stammten. Seit Juli 1919 erhielt die Bibliothek Pflichtexemplare der Druckschriften der Republik Estland. In den Jahren 1920/21 konnte man von den Optanten, die aus Sowjetrußland zurückkehrten und sich für die estnische Staatsangehörigkeit entschieden, ganze Bibliotheken günstig ankaufen. Obwohl die Staatsbibliothek aus dem Erworbenen einen Teil (z. B. Rara, schöngeistige Literatur, militärwissenschaftliche Werke) anderen Bibliotheken überließ, zählte ihr Bestand im Frühjahr 1924 schon ca. 40.000 Bde. In den folgenden Jahren mußte die Bibliothek, vor allem wegen akuten Raum- und Geldmangels, den Zuwachs ihrer Bestände beträchtlich einschränken. Außer Pflichtexemplaren wurde meistens fremdsprachige gesellschaftswissenschaftliche Literatur des 20. Jhs oder aus der zweiten Hälfte des 19. Jhs angeschafft.

1.3 Im Jahre 1935 wurde in der Bibliothek eine Archivsammlung angelegt. Anfangs beschränkte man sich auf die Aufbewahrung je eines Exemplars aus der laufenden Buchproduktion Estlands, doch bald wurde das ältere, teils auch außerhalb Estlands erschienene baltische Schrifttum einbezogen. Das im Jahre 1938 erlassene Gesetz über die Staatsbibliothek bestätigte und erweiterte ihre Aufgaben im Bereich der Erwerbung und Bewahrung nationalen Schrifttums, präzisierte ihren Status als zentrale wissenschaftliche Bibliothek für alle Staatsbehörden und sah für sie auf einigen Tätigkeitsgebieten eine koordinierende Rolle unter den wissenschaftlichen Bibliotheken Estlands vor.

1.4 Ende 1939 bekam die Staatsbibliothek von den Deutschbalten, die infolge des Molotow-Ribbentrop-Paktes Estland verlassen mußten, mehrere Büchersammlungen geschenkt. So übergaben u. a. die ehemaligen Gutsbesitzer Ernest von Wahl (Herrengut Päinurme [Assick]), Bernd von Gruenewaldt aus Esna [Orrisaar] und der Fabrikbesitzer Franz Krull aus Reval insgesamt 2100 Bücher, wovon die Bibliothek jedoch fast die Hälfte - religiöse Werke und schöngeistige Literatur - anderen Bibliotheken überließ. Das wertvollste Geschenk erhielt die Staatsbibliothek vom ehemaligen Direktor der Revaler Domschule, Alexander Winkler (1888-1961). Seine etwa 4300 Bücher umfassende Sammlung, die vorwiegend geschichtswissenschaftliche Werke enthielt, wurde anfangs separat aufbewahrt, nach dem Krieg jedoch allmählich in die Bestände eingegliedert.

1.5 Der Kriegsbeginn bedeutete für die Staatsbibliothek eine erhebliche Abnahme der Neuzugänge aus dem Ausland. Nach der sowjetischen Militärokkupation Estlands am 17. Juni 1940 waren die subskribierten ausländischen Periodika nicht mehr zu erhalten. Auch wurde der Schriftenaustausch mit den Parlamenten und internationalen Organisationen unterbrochen. Statt dessen erhielt die Bibliothek in großer Anzahl russische Bücher aus den Tauschbeständen der Sowjetbibliotheken, seit Dezember 1940 auch die russischsprachigen Allunions-Pflichtexemplare. Seit dieser Zeit kamen die Zugänge anderssprachiger Literatur fast völlig zum Erliegen.

1.6 Zu Ende der ersten Sowjetbesatzung (August 1941) zählte die Bibliothek ca. 55.000 Titel. Außerdem besaß sie etwa 20.000 Druckschriften, die nicht eingearbeitet waren. Teils stammten diese Schriften aus verschiedenen Institutionen und Organisationen, deren Tätigkeit die Sowjetmacht beendete, teils gehörten sie der sogenannten ideologisch schädlichen, sowjetfeindlichen Literatur an, die seit August 1940 allmählich aus den Buchhandlungen und Bibliotheken ausgesondert wurde. Von diesem, in der Regel zur Vernichtung bestimmten Schrifttum konnte die Staatsbibliothek dank ihres wissenschaftlichen Status einen Teil behalten. Die Belege über Entstehung, Umfang und Zusammensetzung dieses Bestandskomplexes sind heute sehr lückenhaft, weil die Dokumentation über die Büchervernichtung, die unter Aufsicht der im Oktober 1940 gegründeten Hauptverwaltung des Verlagswesens (Glavlit) stattfand, geheimgehalten und vor dem Rückzug der Sowjettruppen vernichtet wurde.

1.7 Während der deutschen Okkupation Estlands bildete die Staatsbibliothek eine Abteilung des Zentralarchivs der Estnischen Selbstverwaltung. Dank des Archivstatus blieben die Bestände der Bibliothek von der faschistischen Büchervernichtung unberührt. An neuerer Literatur erhielt die Bibliothek neben den estnischen Pflichtexemplaren fast ausschließlich deutsche Publikationen aus den Jahren 1933 bis 1944. Am Ende der deutschen Okkupation (im September 1944) zählte der Bestand ca. 83.000 Titel, davon waren etwa 18.000 nicht in den Gesamtbestand eingearbeitet.

1.8 Vom Krieg blieben die Bestände der Bibliothek praktisch unversehrt. Anfang Oktober 1944 setzte sie ihre Arbeit unter dem Namen Staatliche Öffentliche Bibliothek der Estnischen SSR [Eesti NSV Riiklik Avalik Raamatukogu] fort. So hieß sie bis zum Jahr 1953, als sie in Kreutzwald-Staatsbibliothek der Estnischen SSR [F. R. Kreutzwaldi nim. Eesti NSV Riiklik Raamatukogu] umbenannt wurde. Sie hatte nun die Funktion einer Universalbibliothek, gleichzeitig aber die ideologisch-administrative Rolle einer staatlichen Zentralbibliothek sowjetischen Typs auszuüben. Weil ihre Bestände nicht allen Anforderungen gerecht werden konnten, war die Bibliothek bemüht, die nötige Literatur aus den sowjetischen Buchzentren zu beschaffen. So wurden in den Jahren 1944/45 aus St. Petersburg ca. 86.000 Bücher gekauft. Darunter war die etwa 26.000 wissenschaftliche Werke umfassende Privatsammlung des ehemaligen Philosophieprofessors der Petersburger Universität Alexander Grebjonkin (1881-193?). Seine Sammlung enthielt Werke in russischer, deutscher und in englischer Sprache sowie in anderen Sprachen von der Mitte des 18. Jhs bis zu Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jhs. Neben Literatur philosophischen Inhalts handelte es sich vorwiegend um Schrifttum zu Psychologie, Geschichte und Philologie. Heute ist die Sammlung teils in den allgemeinen Bestand, teils in den Rara- oder den Reservebestand eingegliedert.

1.9 Im Herbst 1944 wurde wieder eine Aktion zur Sicherstellung politisch verbotener Literatur eingeleitet. Im Oktober wurde in der Staatlichen Öffentlichen Bibliothek (SÖB) mit der Einrichtung von Sondermagazinen begonnen. Das bedeutete, daß die Bibliothek von den meisten verbotenen Titeln zwei Exemplare in ihrem Sondermagazin aufbewahren konnte. Nachdem im Februar 1945 auch die Universitätsbibliothek Tartu [Dorpat] die Erlaubnis zur Gründung einer Sonder(magazin)abteilung erhielt, wurde die Literatur aus Südostestland meist nach Dorpat, aus den übrigen Gebieten nach Reval gebracht. Neben dem antisowjetischen Schrifttum betraf die Sekretierung in wissenschaftlichen Bibliotheken oder die Vernichtung auch die sogenannte veraltete Literatur, die große Büchermengen verschiedenen Inhalts und Alters umfaßte. So mußte allein die Zentralbibliothek der Stadt Reval [Tallinna Linna Keskraamatukogu; gegr. 1907] in den Jahren 1946 bis 1951 etwa 97.000 Druckschriften, darunter ihren Archivbestand, der SÖB abtreten. Aus dieser Bibliothek erhielt die SÖB damals auch ca. 4000 bis 6000 Bücher, die das Revaler Stadtgymnasium (gegr. 1631) in den Jahren 1938/39 wegen Raummangels aus seinem historischen Bestand der Zentralbibliothek übergeben hatte. Davon sind heute ca. 1000 Bücher in die Rara-Sammlung, etwa 2000 in den Reservebestand und zwischen 1000 und 2000 in den allgemeinen Bestand eingegliedert.

1.10 Ihren Höhepunkt erreichte die ideologische Bücherfahndung in den Jahren 1951/52, als die Bestandssäuberung auch auf Museen ausgedehnt wurde. In diesen Jahren empfing die SÖB aus den Museen in Pärnu [Pernau], Viljandi [Fellin], Saaremaa [Ösel] und nochmals aus der Revaler Zentralbibliothek insgesamt etwa 200.000 Druckschriften. Mit Archivbeständen gelangten in die SÖB auch die Bücher aus einer Reihe von Sammlungen, die ihre Besitzer - deutschbaltische Organisationen und Privatpersonen - im Herbst 1939 örtlichen Museen geschenkt hatten. Obwohl für wissenschaftliche Bibliotheken bei der Aufnahme veralteter Literatur keine Beschränkung galt, konnte die SÖB wegen Mangels an Platz und Arbeitskräften nicht alles aus der zusammengetragenen Literatur aufnehmen, so daß die ausgesonderten Sammlungen meist unvollständig erhalten blieben. In der SÖB gehörte dieses Schrifttum vom Standpunkt der Benutzung aus zum passiven Bestand, weil es den damaligen Vorschriften entsprechend in den Leserkatalogen nicht verzeichnet werden durfte. Meistens wurde es im Reservebestand untergebracht, der in den ersten Nachkriegsjahren angelegt worden war.

1.11 Stalins Tod im Jahre 1953 machte der massenhaften Säuberung der Buchbestände ein Ende. Zu dieser Zeit zählte der Bestand der SÖB rund 1,2 Millionen bibliographische Einheiten, von denen ca. 511.000 zum Reservebestand und 143.000 zum Sondermagazinbestand gehörten. Für die weitere Entwicklung der Bestände war der Empfang der Pflichtexemplare der Estnischen SSR (10.000 bis 25.000 Einheiten pro Jahr) und der russischsprachigen Allunions-Exemplare (40.000 bis 60.000 Einheiten pro Jahr) ausschlaggebend. Von der ausländischen Buchproduktion war die Bibliothek bis Mitte der fünfziger Jahre fast völlig isoliert, danach wurde der Zugang von Literatur aus osteuropäischen Staaten ermöglicht und von den sechziger Jahren an auch der Schriftentausch mit westlichen Institutionen unter strenger Zensuraufsicht erlaubt. Die Zensur- und Sondermagazinierungsvorschriften wurden im Jahre 1990 endgültig aufgehoben. Die Literatur des Sonderbestandes ist heute überwiegend in den allgemeinen Bestand der Bibliothek eingearbeitet, teils auch den ehemaligen Besitzern, vor allem Bibliotheken, zurückgegeben worden.

1.12 Bereits im Jahre 1988 wurde die Bibliothek in Estnische Nationalbibliothek umbenannt. Seit Dezember 1989 erfüllt sie, nach einer Unterbrechung von 49 Jahren, wieder die Funktionen einer Parlamentsbibliothek. Ihr Status und Aufgabenbereich als National- und Parlamentsbibliothek wurde bestätigt durch ein besonderes Gesetz zur Estnischen Nationalbibliothek, das von der Staatsversammlung am 13. April 1994 verabschiedet wurde.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

2.1 Zur Ermittlung des historischen Buchbestandes wurde für die vor dem Jahre 1937 erworbenen Bestände der gedruckte Katalog ausgezählt, für die Jahre 1937 bis 1944 wurde anhand der Zugangsbücher hochgerechnet, und für die ab 1945 gebildeten Bestände erfolgte die Hochrechnung anhand der Leser- oder Dienstkataloge. Die Rara-Sammlung wurde z. T. am Regal ausgezählt. Die meisten Alten Drucke (vor 1800 erschienen) finden sich heute in der Rara-Sammlung, die Drucke des 19. Jhs verteilen sich auf mehrere Bestände. Eine systematische Übersicht über den historischen Bestand kann leider nicht gegeben werden, da die Aufstellung überwiegend nach dem Numerus currens erfolgt.

2.2 Laut Bibliotheksstatistik betrug der Gesamtbestand der Nationalbibliothek Anfang 1994 4.007.829 Bde (einschließlich der Zeitschriftenjahrgänge). Davon gehören ca. 3.302.000 Bde zum Hauptbestand, der den allgemeinen Bestand und eine Reihe von Sondersammlungen umfaßt, weitere 397.000 Bde gehören zum Reservebestand und 309.000 Bde zu den Tauschbeständen. Der Hauptbestand setzt sich zusammen aus ca. 1.849.000 Bdn Bücher und Broschüren, 375.000 Bdn (Jahrgängen) Periodika, 130.000 Graphiken, 107.000 Einheiten Noten, 19.000 Einheiten AV-Träger und 10.000 Karten. Von den Büchern und Broschüren sind ca. 72 Prozent in russischer Sprache, 10,5 Prozent in estnischer, 8,4 Prozent in deutscher, 3,9 Prozent in englischer sowie je ein Prozent in französischer und finnischer Sprache.

Allgemeiner Hauptbestand

2.3 Beim allgemeinen Hauptbestand zählen 3 Titel aus dem 16. Jh, 16 aus dem 17. Jh, ca. 300 aus dem 18. Jh und ca. 18.300 aus dem 19. Jh zu den deutschsprachigen Büchern und Broschüren. Unter den deutschsprachigen Periodika sind 10 Titel (32 Bde) aus dem 18. Jh und 319 (2052 Bde) aus dem 19. Jh. Die im deutschen Sprachgebiet erschienenen fremdsprachigen Drucke umfassen aus dem 18. Jh 11 Titel in lateinischer Sprache, aus dem 19. Jh 132 Titel in lateinischer, ca. 100 in französischer und ca. 350 in englischer Sprache. In der letzten Gruppe sind die Tauchnitz-Ausgaben von Werken der englischen Literatur in der Überzahl.

2.4 Die im Hauptbestand erhaltenen Alten Drucke (Bücher und Periodika) gehören überwiegend zu dem Bestand der ehemaligen Staatsbibliothek. In den Sammlungsgruppen, die nach dem Krieg gebildet wurden, kommen, die Rara-Sammlung ausgenommen, Alte Drucke selten vor. Dem Profil der Staatsbibliothek entsprechend, dominiert in ihrem Bestand juristische Literatur. Zu dieser Gattung gehören Gesetzessammlungen des in Estland und Livland gültigen Rechts, wie z. B. livländische Landesverordnungen, die in Riga ab 1689 erschienen sind. Davon sind noch zwei Rigaer Ausgaben im Bestand: Lieffländische Landes-Ordnungen, nebst darzu gehörigen Placaten und Stadgen (1705 und 1707). Die für die Stadt Reval geltenden alten Gesetze und Verordnungen sind vertreten durch Titel wie Copia Ihrer Königl. Majest. Allergnädigst confirmirte Strassenordnung, de Anno 1679 den 31. Maji (Reval 1744), Der Stadt Reval Kauff-Hauses-Ordnung und Taxa, nach dem Exemplar Anno 1679 (Reval o. J.) und Der Stadt Reval erneuerte Feuer-Ordnung nach dem im Jahr 1698 gedruckten Original (Reval 1744).

2.5 Zur Geschichte des Baltikums finden sich einige frühe Werke. Mit der livländischen Geschichte von Anfang bis zum Jahre 1621 befaßt sich Caspar von Ceumerns (1612-1692) Theatridium Livonicum, oder kleine lieffländische Schaubühne (Riga 1690). Erwähnenswert ist die erste gedruckte Ausgabe der Livländischen Chronik von Heinrich von Lettland, herausgegeben von Johann Daniel Gruber (

†1748) unter dem Titel Origines Livoniae sacrae et civilis (Frankfurt und Leipzig 1740). Auch die zweite Ausgabe (Halle 1747-1753) von Johann Gottfried Arndt (1710-1767) ist im Hauptbestand vorhanden. Die frühere baltische Geschichte berührt noch Johann Caspar Venators Werk Historischer Bericht von dem Marianisch-Teutschen Ritter-Orden (Nürnberg 1680), die Ereignisse des Nordischen Krieges behandelt die in den Jahren 1700 bis 1703 erschienene Quellenpublikation Livonica. Oder einiger zu mehrer Erläuterung der mit Anfang des 1700. Jahrs in Lieffland entstandenen Unruhe dienlicher Stücke und actorum publicorum fasciculus I-XI (o. O., o. J.)

2.6 Auch zu den übrigen Fachgebieten sind Baltica vorhanden. Zur Mathematik besitzt die Bibliothek das Lehrbuch Arithmetischer Wegweiser oder ...Erstes Revalsches Rechenbuch (Halle 1736, 9 Exemplare) von Johann Daniel Intelmann (1686-1760), der Stadtbuchhalter in Reval war.

  Die hiesige medizinische
Literatur ist mit Samuel Reinhold Winklers Werk Von einigen der gewöhnlichsten Krankheiten der Ehstländischen Bauern (Reval 1793) vertreten. Zu den frühen wissenschaftlichen Abhandlungen über die estnische Sprache gehören Anton Thor Helle, Kurtzgefaszte Anweisung zur Ehstnischen Sprache (Halle 1732) und August Wilhelm Hupel, Ehstnische Sprachlehre für beide Hauptdialekte ...nebst einem vollständigen Wörterbuch (Riga und Leipzig 1780; Mitau 1818). Aus Hupels vielseitigem OEvre findet sich u. a. auch sein Hauptwerk Topographische Nachrichten von Lief- und Ehstland (Riga 1777-1782) mit dem Anhang Die gegenwärtige Verfassung der Rigischen und der Revalschen Statthalterschaft (Riga 1789). Auch seine bekannten Reihen Nordische Miscellaneen (28 Bde, Riga 1780-1791) und Neue Nordische Miscellaneen (18 Bde, Riga 1792-1797) sind vollzählig vorhanden.

2.7 Von den deutschsprachigen Werken, die nicht zu den Baltica gehören, sind einige Handbücher erwähnenswert: Georg Draud, Bibliotheca Classica (Frankfurt 1625), Adam Volckmann, Informatio Notariorum, und verbesserte Notariat-Kunst (Leipzig 1643), Johann Kunckel von Löwenstern, Collegium Physico-chymicum experimentale oder Laboratorium Chymicum (Hamburg und Leipzig 1716) u. a. Unter den Nachschlagewerken ist Zedlers Universal-Lexikon erwähnenswert, obwohl nicht vollständig.

2.8 Die fremdsprachige Literatur des 19. Jhs ist nicht genau zu charakterisieren, zumal etliche Fachgebiete wie Religion, teils auch Philosophie, Soziologie, Geschichte und Politik über Jahrzehnte weniger gepflegt wurden als es normalerweise der Fall gewesen wäre. Es ist jedoch möglich, einen Überblick über die deutschsprachigen Archivexemplare des 19. Jhs zu geben, die während der letzten 30 Jahre in den Bestand eingearbeitet worden sind, da seit 1965 die Aufstellung dieses Bestandes chronologisch nach Erscheinungsjahr erfolgte. Es wurden mehr als 3500 deutschsprachige Titel des 19. Jhs festgestellt (in der Gesamtzahl von 18.300 enthalten, s. o. 2.3). Einen bedeutenden Teil davon bilden wissenschaftliche Werke von Lehrkräften und verschiedene amtliche und Gelegenheitspublikationen der Dorpater Universität. Die Habilitationsschriften sind von den sechziger Jahren des 19. Jhs an in deutscher Sprache gedruckt, in der ersten Hälfte des 19. Jhs noch überwiegend lateinisch.

2.9 Zahlreich sind verschiedene Einladungsschriften, Jahresberichte, Lehrprogramme usw. deutschbaltischer Schulen, darunter der Gymnasien in Reval, Dorpat, Pernau, des Livländischen Landesgymnasiums in Fellin, des Gymnasiums in Jelgava [Mitau (Lettland)], des Gymnasiums in Cesis [Wenden (Lettland), genauer: Gymnasium Kaiser Alexanders II. in Birkenruh bei Wenden], der Estländischen Ritter- und Domschule in Reval, der Polytechnischen Schule in Riga u. a. An Kalendern sind vorhanden: Revaler Kalender (1799-1934 mit 110 Drucken), Dörptscher Kalender (Dorpat 1835-1861, 12 Drucke), Neuer Dorpater Kalender (1863-1883, 17 Drucke), Liefländischer Kalender (Riga 1825-1918, 52 Drucke) u. a.

2.10 Unter den Nachschlagewerken ist hervorzuheben das Allgemeine Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon der Provinzen Livland, Esthland und Kurland (Mitau 1827-1832), mit Nachträgen und Fortsetzungen (Mitau 1859-1861) der deutschbaltischen Historiker Johann Friedrich von Recke (1764-1846) und Carl Eduard Napiersky (1793-1864). Im Bereich der Schönen Literatur dominiert August von Kotzebue. Neben zahlreichen Bühnenstücken liegen von ihm einige Romane und Memoiren vor, darunter auch ein Reisebuch in holländischer Übersetzung: Herinneringen eener Reize van Lijfland naar Rome en Napels (Amsterdam 1805). Von seiner Monatsschrift Für Geist und Herz (Reval 1786-1787) besitzt die Bibliothek nur den zweiten Band (1786). Einen bedeutenden Teil des Archivbestandes bilden Forschungsreihen deutschbaltischer wissenschaftlicher Vereinigungen, z. B. die Sitzungsberichte der Gelehrten Estnischen Gesellschaft (1861-1925, Dorpat 1863-1926), die Verhandlungen der Gelehrten Estnischen Gesellschaft (Dorpat 1840-1943) und die von der Estländischen Literärischen Gesellschaft herausgegebenen Beiträge zur Kunde Est-, Liv-, und Kurlands (Reval 1873-1939).

Sondersammlungen

Graphische Sammlung

2.11 Die Graphische Sammlung besteht aus mehreren Teilsammlungen. In der Plakatsammlung und in der Sammlung der originalen Buchgraphik überwiegen Drucke und Originalillustrationen aus dem 20. Jh. Die Exlibris-Sammlung mit 16.400 Exlibris enthält etwa 800, allerdings noch unerschlossene deutsche oder deutschbaltische Wappenexlibris (s. u. 2.24), vermutlich meist aus dem 19. Jh. Die Postkartensammlung zählt 37.700 Bildpostkarten, meist aus dem 20. Jh, darunter eine Gruppe estländischer und livländischer Ansichtskarten der Jahrhundertwende.

Notensammlung

2.12 Die Notensammlung enthält etwa ein Dutzend Ausgaben der Wiener Klassiker aus der zweiten Hälfte des 18. Jhs. Die im deutschsprachigen Gebiet erschienenen Musikalien des 19. Jhs sind mit rund 2500 Notendrucken vertreten (s. u. 2.24).

Kartographische Sammlung

2.13 In der Kartographischen Sammlung überwiegen die Drucke des 20. Jhs gegenüber einem geringen historischen Bestand. Bemerkenswert sind die Werke zweier aus Estland stammender Kartogra-

phen - von Ludwig August Graf Mellin (1754-1835) der Atlas von Liefland oder von den beyden Gouvernementen und Herzogthümern Lief- und Ehstland und der Provinz Oesel (Riga und Leipzig 1791-1809) und von Carl Gottlieb Rücker (1778-1856) die in 6 Blättern verfaßte Specialcharte von Livland (1839) sowie seine General-Karte der Russischen Ost-See-Provinzen Liv-, Ehst- u. Kurland. Von letzterer besitzt die Bibliothek Exemplare aus 5 Auflagen (Reval 1846-1890).

Rara-Sammlung

2.14 Die Sammlung enthält insgesamt 12.093 Titel (25.666 Bde), darunter in estnischer Sprache 2376 Titel (7701 Bde) und in russischer 1854 (3656). Die restlichen 7863 Titel (14.309 Bde) sind überwiegend deutsch oder lateinisch. Dem Erscheinungsjahr nach gehören zu den Rara die estnischen Drucke bis 1860, die russischen bis 1825 und die übrigen bis 1800.

2.15 Die Bibliothek besitzt 5 Inkunabeln, davon 3 aus Kölner Offizinen sowie je eine aus Nürnberg und Leipzig. Die älteste ist Lambertus de Monte, Copulata super tres libros Aristotelis De anima iuxta doctrinam Thomae de Aquino (Köln: Conrad Welker 1486). Daneben sind noch 3 Inkunabelfragmente vorhanden, 2 aus Basel und eines aus Nürnberg.

2.16 Aus dem 16. Jh stammen 214 Titel (234 Bde), darunter 159 Titel (173 Bde) in lateinischer Sprache, 53 (59) in deutscher und 2 (2) in italienischer. Aus dem deutschsprachigen Bereich stammen 112 lateinische und 46 deutschsprachige Titel in 175 Bdn. 31 Bde wurden in Frankfurt a. M., 27 in Basel, 18 in Leipzig und 16 in Wittenberg gedruckt, die restlichen 83 Bde verteilen sich auf 23 deutsche Druckorte. Ein deutschsprachiges Werk stammt aus Kopenhagen. Bei 21 lateinischen und 6 deutschen Titeln konnte der Druckort nicht ermittelt werden. Dem Inhalt nach dominiert bei den Drucken des 16. Jhs die theologische Literatur, es folgen Geschichte und Klassische Philologie. Als Verfasser sind vor allem Luther, Melanchthon, Erasmus und Gaius Suetonius Tranquillus zu nennen. Aus Melanchthons Lebzeit sind 10 Titel im Bestand, darunter als theologische Schriften Underscheidt des Alten und Newen testaments (o. O. 1543) und Loci praecipui theologici (Leipzig 1557), die übrigen behandeln Grammatik, Rhetorik, Dialektik u. a. Von Johann Bugenhagen findet sich sein Werk In IIII. priora Capita Evangelij secundum Matthaeum (Wittenberg 1543). Von Luthers Schriften ist bemerkenswert seine niederdeutsche Kercken Postilla (Wittenberg 1563). Zu erwähnen ist außerdem Albrecht Dürers Werk Della Simmetria dei corpi humani (Venedig 1591). Die Geschichte Estlands ist mit Balthasar Rüssows Chronica der Provintz Lyfflandt vertreten. Davon besitzt die Bibliothek neben der Erstausgabe (Rostock 1578) auch die dritte erweiterte Ausgabe (Barth 1584). Die Geschichte des Baltikums betrifft ferner Matthäus Waissels Chronica alter Preusscher, Liefflendischer und Curlendischer Historien (Königsberg 1599).

2.17 Von den 1211 Bdn (1081 Titel) des 17. Jhs sind 847 Bde in Deutschland erschienen, davon 450 in Deutsch und 397 in Latein. Fast 40 Prozent der deutschen Drucke stammen aus Frankfurt a. M. und Leipzig, der Rest verteilt sich auf 63 verschiedene Druckorte. Bei 20 deutschsprachigen Bänden konnte der Druckort nicht ermittelt werden. Außerhalb des deutschen Sprachgebietes wurden 22 Bde (14 Titel) gedruckt, darunter 14 (9) in Livland und Estland. Von den restlichen Exemplaren trägt die Mehrzahl Druckvermerke niederländischer oder französischer Offizinen. An theologischen Schriften sind erwähnenswert Martin Geier, D. O. M. S. in Salomonis regis Israel Ecclesiasten Commentarius (Leipzig 1653), Allgegenwarth unseres Allsehenden Gottes (Leipzig 1674) und Liebe zu Gott und dem Nähesten (Dresden 1677). Die Sammlung umfaßt eine Reihe von bedeutenden Baltica des 17. Jhs, so von Friedrich Menius, dem ersten Geschichtsprofessor der Dorpater Universität, Historischer Prodromus des Lieffländischen Rechtens und Regiments (Dorpat o. J.), von Heinrich Stahl (ca. 1600-1657) eine Predigtsammlung mit deutsch-estnischem Paralleltext, Leyen-Spiegel (Reval 1641-1649) sowie von Christian Kelch (1657-1710) die Liefländische Historia (Reval und Rudolphstadt 1695). Von Adam Olearius (1603-1671) findet sich sein berühmter Reisebericht Offt begehrte Beschreibung der Newen Orientalischen Reise (Schleswig 1647), der u. a. geschichtliche und ethnographische Angaben über Estland enthält. Hiervon besitzt die Bibliothek auch die zweite Ausgabe (Schleswig 1656) sowie Übersetzungen ins Französische (Leiden 1719) und ins Russische (Moskau 1870).

2.18 Die Rara-Sammlung enthält aus dem 18. Jh 13.833 Bde Monographien und 70 Titel (339 Jahrgänge) periodischer Schriften. Die Zahl der Monographientitel konnte nicht festgestellt werden. Die deutschsprachigen und die im deutschen Sprachraum erschienenen fremdsprachigen Drucke bilden etwa 70 Prozent des Bestandes. Es handelt sich meist um theologische Schriften, Werke deutscher, aber auch griechischer und römischer Klassiker, Reisebeschreibungen, Geschichtsliteratur sowie verschiedene Nachschlagewerke. Daneben besitzt die Bibliothek 26 deutsche Bibelausgaben und 114 Dissertationen deutscher Universitäten. An Gesangbüchern sind vorhanden Petersburgische Sammlung gottesdienstlicher Lieder (St. Petersburg 1783) und Neues Rigisches Gesangbuch (Leipzig 1784). Die Nachschlagewerke vertreten Compendiöses Gelehrten-Lexikon (Leipzig 1715 und 1733), Johann Burkhard Menckens und Christian Gottlieb Jöchers Allgemeines Gelehrten Lexicon (Leipzig 1750-1751), Gabriel Wilhelm Göttens Das jetzt-lebende gelehrte Europa (Braunschweig und Hildesheim 1735-1740) sowie Georg Christoph Hamberger und Johann Georg Meusel, Das Gelehrte Teutschland (Lemgo 1783-1784) mit Nachtrag (1786-1791). Unter den Periodika sind zwei fast vollständige Hamburger Publikationen: Politisches Journal (1781-1805) und Staats und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unparteyischen Correspondenten (1759-1800). Die restlichen 55 deutschsprachigen Titel (294 Jge) weisen viele Lücken auf. Einen beachtenswerten Teil der Sammlung bilden die Bücher deutschbaltischer Publizisten und Historiker wie Friedrich Conrad Gadebusch, August Wilhelm Hupel, Jakob Benjamin Fischer, Heinrich Johann von Jannau u. a. Ihre Werke wurden überwiegend in Riga oder in Deutschland gedruckt.

2.19 47 deutschsprachige Titel stammen aus Estland, darunter einige aus der 1766 von dem deutschbaltischen Arzt und Volksaufklärer Peter Ernst Wilde (1732-1785) in Põltsamaa [Oberpahlen] gegründeten Druckerei, die als erste Privatdruckerei im zaristischen Rußland gilt. Neben deutschsprachigen Schriften gab Wilde in den Jahren 1766/67 41 Nummern der ersten estnischsprachigen Zeitschrift Lühhike öppetus ... [Kurze Anweisung] heraus. Die Rara-Sammlung besitzt davon ein komplettes Exemplar. Eine bedeutende, etwa 1400 deutschsprachige Titel umfassende Gruppe bilden die oft in Plakatform erschienenen baltischen Landesverordnungen: die Publikationen (Publicata) der Estländischen Gouvernementsregierung und die Patente der Liv- und Kurländischen Gouvernementsregierung. Die Landesverordnungen stammen teils aus dem 18., teils aus dem 19. Jh.

2.20 Estnische Drucke von Kirchen- und Gesangbüchern sind ein Revalisches Kirchen-Buch (Reval 1740, Rarum), ein Vollständiges Revalisches Gesang-Buch (Reval 1705) und die Sammlung geistlicher Lieder der evangelisch-lutherischen Kirche (Reval 1771). Eine seltene, während des Nordischen Krieges gedruckte Ausgabe des Neuen Testaments in estnischer Sprache, Meie Issanda Jesusse Kristusse Uus Testament [Neues Testament unseres Herrn Jesus Christus, Reval 1715], enthält auf 12 Seiten eine deutschsprachige Vorrede, die die Editionsgeschichte der 23 frühesten estnischsprachigen Bücher mit Druckjahr bis 1700 behandelt. Die estnischsprachige Bibelausgabe, 1739 in Reval in großer Auflage erschienen und von den deutschbaltischen Geistlichen Anton Thor Helle, Heinrich Gutsleff u. a. in den nordestnischen Dialekt übersetzt, hat entscheidend zur Entwicklung der estnischen Schriftsprache beigetragen. Von der ersten Ausgabe besitzt die Bibliothek 11 Exemplare, die zweite (Reval 1773) ist viel seltener.

2.21 Aus dem 19. Jh gibt es in der Sammlung 403 Bde, aus dem 20. Jh 124 deutschsprachige oder im deutschen Sprachgebiet erschienene fremdsprachige Bücher. Neben Erstausgaben deutscher Klassiker aus der ersten Hälfte des 19. Jhs ist eine Reihe bibliophiler Bücher vorhanden (verschiedene Prachtausgaben, handsignierte oder mit handschriftlichen Widmungen versehene Exemplare, Miniaturbücher u. a.). Zu nennen sind an Prachtausgaben die Kirchen- und Pastoral-Bibel (Hildburghausen und New York 1831), Die Heilige Schrift (Wien und Leipzig o. J.), Goethes Reineke Fuchs (Stuttgart und Tübingen 1846) mit Wilhelm Kaulbachs Illustrationen und die Chronica von dem Geschlosse und der Vesten ze Lebenberg (Meran 1879). Es finden sich auch bemerkenswerte ethnographische Werke im Bestand, so Trachten der Schweden an den Küsten Estlands und auf Runö (Leipzig 1854) mit Lithographien von Ernst Hermann Schlichting (1812-1890), dem damaligen Zeichenlehrer der Ritter- und Domschule in Reval, und Necrolivonica, oder Alterthümer Liv-, Esth- und Curlands (Dorpat und Leipzig 1842) von dem Geschichtsprofessor der Universität Dorpat Friedrich Carl Hermann Kruse (1790-1866). Das Rara-Exemplar ist mit illuminierten Kupfern illustriert und thält eine handschriftliche Widmung des Verfassers: Der hochgeehrten v. Pistohlkorschen Familie auf Kardis. Die Entwicklungsgeschichte geographischer Wissenschaften spiegeln die Werke zweier aus Estland stammender Seefahrer, Adam Johann von Krusensterns Reise um die Welt ...in den Jahren 1803, 1804, 1805 und 1806 (St. Petersburg 1810-1811, zweite Ausgabe Berlin 1811-1812) sowie Otto von Kotzebues (1787-1846) Entdeckungs-Reise in die Süd-See und nach der Berings Strasse ...in den Jahren 1815, 1816, 1817 und 1818 (Weimar 1821) und seine Neue Reise um die Welt ...in den Jahren 1823, 1824, 1825 und 1826 (Weimar und St. Petersburg 1830). Als Miniaturbuch sei erwähnt Daniel Sanders' Konversations-Lexikon (Berlin 1896) im Format 23 x 32 mm.

Reservebestand

2.22 Von den rund 57.000 deutschsprachigen Titeln des Reservebestandes zählen etwa 150 bis 200 zum 18. Jh und ca. 19.000 Titel zum 19. Jh. Wenn sich der Bestand auch einigermaßen gleichmäßig über die Fachgebiete verteilt, so machen doch fast die Hälfte der Titel Belletristik sowie rechts- und geschichtswissenschaftliche Literatur aus, es folgen Naturwissenschaften, Theologie und Angewandte Wissenschaften. Den Kern des Bestandes bilden die Bücher, die in den Jahren 1940 bis 1953 infolge politischer Umwälzungen enteignet wurden (s. o. 1.6 -1.10). Heute wird allmählich aus dem Reservebestand die Literatur ausgesondert, die die Nationalbibliothek entweder in ihren allgemeinen Hauptbestand oder in die Rara-Sammlung eingliedern oder an andere Bibliotheken und Museen über- oder zurückgeben kann. So ist aus der Periodika-Sammlung des Bestandes die Mehrheit der Titel schon ausgesondert worden, die restlichen 96 Titel sind meist mit nur vereinzelten Jahrgängen (insgesamt 297) vertreten. Von den Büchern des 19. Jhs erhielt das Museum zu Ösel [Saaremaa Muuseum] an die 2000 Bde, ca. 1000 Bde werden demnächst an das Estnische Theater- und Musikmuseum in Reval übergeben werden. Unter diesen Büchern gibt es viele, die aus verschiedenen Theaterbibliotheken stammen und mit handschriftlichen Regievermerken versehen sind. Ca. 20 bis 30 Titel gehörten dem Revaler Theater, das 1784 von August von Kotzebue als Revaler Liebhaber-Theater gegründet wurde. In den letzten Jahren wurden anstelle älterer Bücher neuere in den Reservebestand aufgenommen, darunter deutschsprachige Druckschriften der Zeit des Nationalsozialismus (Dubletten).

Übersicht nach Provenienzen

2.23 Das Pflichtexemplarrecht, der Büchertausch mit dem Ausland, verschiedene Schenkungen und Ankäufe, aber auch die Beschlagnahme von Literatur und ihre zwangsweise Neuverteilung unter den Bibliotheken haben zur Entstehung der Bestände der heutigen Nationalbibliothek beigetragen. Durch Schenkungen und Ankäufe, besonders aber durch politische Requisitionen erhielt sie Bücher aus einer Reihe von Instituts- und Privatbibliotheken. Unter den Schenkungen ist neben den ererbten Büchern aus der Ehstländischen Gouvernementsverwaltung (s. o. 1.2) und den in den Jahren 1922 bis 1940 aus Washington kostenlos erhaltenen Depositen der Smithsonian Institution die Schenkung des estnischen Folkloristen und Diplomaten Oskar Kallas (1868-1946) zu nennen, der der Bibliothek 1935 über 1100 kulturhistorisch wertvolle Bände übergab. Im Herbst 1939 kamen infolge der politischen Ereignisse mehrere Privatsammlungen von deutschbaltischen Umsiedlern in die Bibliothek, ebenso im August 1940, als einige ausländische Vertretungen beim Abschied von Reval ihre Handbibliotheken überließen. Alle Werke sind heute über den Gesamtbestand verteilt.

2.24 Zu den frühesten Ankäufen gehört die 1921 erworbene Sammlung des Petrograder Professors Alexander Sack mit 2700 Bdn zur politischen Ökonomie, Handels- und Finanzfragen. Eine wesentliche Ergänzung bedeutete die etwa 26.000 Bde umfassende Sammlung von Alexander Grebjonkin, die die Bibliothek 1944 aus dem damaligen Leningrad erwerben konnte (s. o. 1.8). An weiteren Ankäufen sind die Sammlung Jakob Habersteins (1959) mit rund 1000 jiddischsprachigen Bänden aus dem Zeitraum von 1900 bis 1940 und ca. 30 hebräischen und russischen Titeln des 19. Jhs zu nennen, außerdem die in den sechziger Jahren erworbenen Sammlungen der estnischen Komponisten Mart Saar (1882-1963) und Cyrillus Kreek (1889-1962) mit jeweils ca. 3000 Bdn und Noten, darunter auch deutschsprachige Drucke. 1967 kaufte die Bibliothek die umfangreiche Exlibris-Kollektion des Sammlers Georg Rusi (*1903), die rund 1200 heraldische Exlibris enthält. Auch diese Ankäufe verteilen sich über den Gesamtbestand.

2.25 Da die Zugänge der Repressionsjahre nur lückenhaft dokumentiert sind, läßt sich die Provenienz eines Buches oft nur nach Sigeln oder Besitzvermerken feststellen. Zur Ermittlung der Provenienz werden in der Rara-Sammlung die in den Büchern vorhandenen Besitzvermerke registriert. Bisher wurden fast 75 Prozent des Rara-Bestandes durchgesehen. Auch bei der Bearbeitung des Reservebestandes wird ein Besitzerverzeichnis zusammengestellt. Es wurden ca. 300 Instituts- oder Organisationsbezeichnungen und fast 250 Personennamen ehemaliger Besitzer registriert, so z. B. in der Rara-Sammlung deutschsprachige Sigel wie Gymnasium zu Reval (ca. 1000 Bde, s. o. 1.9 ), Kirchenbibliothek zu Narva (ca. 250) und aus derselben Kirche Schulbibliothek St. Johannis zu Narva (17), Bibliothek des Livländischen Landesgymnasiums (131), Bibliothek der alterthumsforschenden Gesellschaft zu Pernau (83), Kreisschule zu Weissenstein (23), Bibliothek des Vereins zur Kunde Oesels (20), Fellins Litterärische Gesellschaft (7) u. a.

2.26 Ein bedeutender Teil des Rara-Bestandes stammt aus ehemaligen Privatbibliotheken, so aus der des Revaler Juristen Victor Johanson ca. 300 Bde. Seine mehrere tausend Bände umfassende Sammlung, die vor allem juristische und geschichtswissenschaftliche Werke, darunter viele Baltica, thielt, gelangte 1950 in die Bibliothek und wurde nach und nach in mehrere Bestände eingegliedert. Weiter gehören zu den Rara etwa 200 Bde von Johann Heinrich Lange (1717-1788), der bis 1758 Pastor der deutschen Gemeinde in Dorpat war, danach Pastor und Schulrektor an der St. Johannis-Kirche in Narva [Narwa]. Aus Narwa stammen außerdem 34 Bde des ehemaligen Bürgermeisters und Ratssyndikus Ulricus Herbers (1635-1691) und 4 Bde mit dem Namen seines Vaters, des Ratsherrn Herbert Herbers († 1651). Rund 100 Bde mit zeitgenössischen Einbänden gehörten zur Bibliothek von Heinrich Johann Winkler (1798-1864), dem ehemaligen Lehrer und Schulinspektor in Rakvere [Wesenberg] und Paide [Weißenstein] und Besitzer des Herrenhofs Ulvi [Oehrten]. Die Sammlung umfaßt Geschichtsbücher, philosophische Werke sowie Belletristik aus der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jhs. Vermutlich sind seine Bücher zusammen mit der Spende von Alexander Winkler (s. o. 1.4) in die Bibliothek gelangt. Unter den Rara finden sich auch ca. 300 Bde aus Bibliotheken deutschbaltischer Adelsfamilien, darunter die Namen von Vietinghoff (41 Bde), von Wahl (27 Bde), von Benckendorff (25 Bde) und von Stackelberg (21 Bde).

3. KATALOGE

3.1 Moderne allgemeine Kataloge

Alphabetischer Katalog des Hauptbestandes

[verzeichnet die Monographien getrennt nach Sprachen; fremdsprachiger Bestand ab 1945, Rara-Sammlung und Archivbestand unvollständig erschlossen]

Systematischer Katalog des Hauptbestandes

[verzeichnet die Monographien nach DK]

Alphabetischer Katalog der Periodika

Systematischer Katalog der Periodika

[fremdsprachiger Bestand bis 1945 in beiden Katalogen unvollständig erschlossen]

Alphabetischer Dienstkatalog des Hauptbestandes

[getrennt für Monographien und Periodika; umfaßt den fremdsprachigen Bestand und den Archivbestand vollständig; zur Recherche auf Anfrage zugänglich]

[alle Kataloge in Zettelform]

3.2 Moderne Sonderkataloge

Kataloge der graphischen Bestände und Kunstbücher

[getrennt für Exlibris, Plakate, Ausstellungskataloge, Alben]

Kataloge der Musikalien und des Musikschrifttums

Kataloge der kartographischen Veröffentlichungen

Kataloge der Rara-Sammlung:

Alphabetischer Katalog

[getrennt für Monographien und Periodika]

Schlagwortkatalog

Hilfskataloge zur Erschließung der Besonderheiten der Ausgabe und des Exemplars

[alle Sonderkataloge in Zettelform]

[Die Rara-Sammlung wird z. Z. nach ISBD(A) der IFLA rekatalogisiert; in den allgemeinen Katalogen (s. o. 3.1) sind nur rekatalogisierte Rara erschlossen.]

3.3 Historischer gedruckter Katalog

Riigiraamatukogu raamatute nimestik [Verzeichnis der Bücher der Staatsbibliothek]. 5 Bde. Tallinn 1925-1937

Das personale Gelegenheitsschrifttum im Bestand der Bibliothek wird im Rahmen eines von der Volkswagen-Stiftung geförderten Projekts verzeichnet und in Kürze auf Mikrofiche zugänglich gemacht.

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

4.1 Archivalien

Archivalien zur Geschichte von Bibliothek und Beständen werden in der Archivabteilung der Bibliothek aufbewahrt. Das Archiv umfaßt Dokumente seit Gründung der Bibliothek (1918), doch fehlen Archivalien aus der Periode der deutschen Besatzung (1941-1944).

4.2 Darstellungen

Fr. R. Kreutzwaldi nimeline Eesti NSV Riiklik Raamatukogu. Teatmik [Die Kreutzwald-Staatsbibliothek der Estnischen SSR. Nachschlagebuch]. Zusammengestellt von Hans Jürman. Tallinn 1983 [in Estnisch, Russisch, Deutsch und Englisch]

Lotman, Piret: Parlamendiraamatukogust rahvusraamatukoguks [Von der Parlamentsbibliothek zur Nationalbibliothek]. Bd 1: Eesti Vabariigi Riigiraamatukogu 1918-1940 [Die Staatsbibliothek der Estnischen Republik 1918-1940]. Tallinn 1988; Bd 2: Eesti NSV Riiklik Avalik Raamatukogu 1940-1953 [Die Staatliche Öffentliche Bibliothek der Estnischen SSR 1940-1953]. Tallinn 1993 [Zusammenfassungen in Englisch und Russisch]

Eesti Rahvusraamatukogu ja tema raamatud [Die Estnische Nationalbibliothek und ihre Bücher]. Zusammengestellt von Anne Ainz und Ene Kenkmaa. Text von Piret Lotman. Tallinn 1992 [in Estnisch, Englisch und Deutsch]

Eenmaa, Ivi: Eesti Rahvusraamatukogu saamisloost [Über die Entstehungsgeschichte der Estnischen Nationalbibliothek]. In: Eesti Rahvusraamatukogu ja rahvuslik identiteet. Konverentsi ettekannete kogumik [Die Estnische Nationalbibliothek und die nationale Identität. Ein Sammelband mit Konferenzvorträgen]. Tallinn 1994, S. 15-20

Eenmaa, Ivi: Raske tee koju [Der schwere Weg nach Hause]. In: Eesti Raamatukoguhoidjate Ühingu aastaraamat [Jahrbuch des Vereins Estnischer Bibliothekare] 1993. Tallinn 1994, S. 35-42 [zur Baugeschichte des Hauptgebäudes der Bibliothek; Zusammenfassung in Englisch]

5. VERÖFFENTLICHUNGEN ZU DEN BESTÄNDEN

Ainz, Anne: Eesti Rahvusraamatukogu varukogu provenientsist [Über die Provenienz von Büchern des Reservebestandes der Estnischen Nationalbibliothek]. In: Tsensor Eesti raamatukogus [Der Zensor in der estnischen Bibliothek]. Tallinn 1991, S. 124-155 (Eesti Rahvusraamatukogu toimetised/Acta Bibliothecae Nationalis Estoniae 2) [Zusammenfassung in Deutsch und Russisch]

Miller, Voldemar; Aru, Rein: Eesti Rahvusraamatukogu reservkogu [Der Reservebestand der Estnischen Nationalbibliothek]. In: Eesti Raamatukoguhoidjate Ühingu aastaraamat [Jahrbuch des Vereins Estnischer Bibliothekare] 1993.

  Tallinn 1994,
S. 57-63 [Zusammenfassung in Englisch]

Sildre, Urve: Eesti raamatute kollektsioon harulduste kogus [Die Kollektion der estnischen Bücher in der Rara-Sammlung].

 In:  Eesti Rahvusraamatukogu ja rahvuslik
identiteet. Konverentsi ettekannete kogumik [Die Estnische Nationalbibliothek und die nationale Identität. Ein Sammelband mit Konferenzvorträgen]. Tallinn 1994, S. 43-48

Tammaru, Kalju: Eesti trükiste arhiivkogu ajaloost [Über die Entwicklungsgeschichte des Archivbestandes der estnischen Druckschriften]. In: Eesti Rahvusraamatukogu ja rahvuslik identiteet. Konverentsi ettekannete kogumik. Tallinn 1994, S. 29-34

Stand: November 1994

Rein Aru