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Kirchenbibliothek St. Georg

Adresse. Evangelisch-Lutherisches Pfarramt, Pfarrgasse 5, 86720 Nördlingen [Karte]
Telefon. (09081) 2 45 79

Unterhaltsträger. Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Nördlingen
Funktion. Historische Kirchenbibliothek. Sammelgebiet. Theologie.

'Benutzungsmöglichkeiten.
'Benutzung nach Vereinbarung. Leihverkehr: nicht angeschlossen.
Hinweise für anreisende Benutzer. Bahnstrecke Aalen-Donauwörth. Fußwegnähe vom Bahnhof (10 Minuten). A 7, Ausfahrt Lauchheim; B 29. Parkplätze außerhalb der Stadtmauer, von dort 10 Minuten Fußweg.

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Unter den historischen Bibliotheken der ehemals freien Reichsstadt Nördlingen nimmt die Kirchenbibliothek St. Georg an Größe und Bedeutung den zweiten Platz ein. Wie die Ratsbibliothek verdankt sie ihre Entstehung der Schenkung des Nördlinger Patriziersohnes Johannes Protzer (ca. 1472-1528), der 1487-1488 in Ingolstadt studierte, von 1490 bis 1497 in Italien sein Jurastudium weiter betrieb, zu Beginn des 16. Jhs Ratsherr in Nürnberg wurde und dort an der Ausarbeitung der Gesetzgebung für die Freie Reichsstadt Nürnberg beteiligt war. Seine wertvolle Bibliothek vermachte er seiner Heimatstadt (s. Eintrag Ratsbibliothek, 1.2). Nach seinem Tod kamen die Bücher 1529 aus Nürnberg nach Nördlingen. Einen Teil davon, über 200 Titel in 114 Bdn, erhielt die Stadtkirche.

1.2 Eine weitere Schenkung gab die Stadt fast vollzählig an die Kirchenbibliothek weiter: die Stiftung eines Geistlichen an der Georgskirche, Gregorius Raming genannt Engelhart († um 1532). Seine Sammlung ist auf einem Holzdeckelkatalog verzeichnet, der sich in der Ratsbibliothek befindet (s. Eintrag dort, 1.3). Um 1465 in Nördlingen geboren, studierte Raming in Leipzig und Köln, wo er die Magisterwürde erwarb. Seit 1495 lebte er wieder in Nördlingen, wo er, auch nach Einführung der Reformation 1524 katholisch geblieben, bis 1532 nachweisbar ist.

1.3 Weitere kleinere Schenkungen folgten. Einen beträchtlichen Zuwachs erhielt die Bibliothek im Jahr 1689, als die Kirchengemeinde die Büchersammlung des im gleichen Jahr verstorbenen blinden Magisters Johann Schmidt ankaufte. 1670 bis 1674 war der Sohn eines Nördlinger Sattlers, der schon als Kind das Augenlicht verloren hatte, Hilfsprediger in Nördlingen. Danach führte er ein unstetes Wanderleben, predigte auf vielen Kanzeln, kam auf seinen Reisen bis Dänemark und starb später fünfzigjährig als Wirt eines Gasthauses in Baldingen bei Nördlingen. Unter den weiteren Schenkungen ist die des Nördlinger Buchhändlers und Verlegers Karl Gottlob Beck (1733-1802) zu nennen, der je ein Exemplar seiner Verlagsproduktion vermachte; davon ist fast nichts erhalten.

1.4 Genaueres über das Anwachsen der Bibliothek nach 1700 wäre dem handschriftlichen Katalog von 1678 zu entnehmen, der bis ins späte 18. Jh fortgeschrieben wurde; er gilt jedoch als verschollen. Es existiert eine Abschrift, die aber die Verzeichnisse der Schenkungen nicht enthält, ebensowenig die Fortschreibungen. Der Katalogabschrift liegt eine Liste jener Bücher bei, die 1859 veräußert wurden, offensichtlich mit dem Zweck, die Bibliothek zu " sichten". Es waren hauptsächlich Bücher nicht-theologischen Inhalts, die dieser Aktion zum Opfer fielen: 119 Bde, darunter 54 Inkunabeln. Als Gegenwert wurden Melanchthons Werke in 21 Bdn und andere theologische Antiquarien in die Bibliothek aufgenommen.

1.5 Im Jahr 1888 wurde die Bibliothek aus der Sakristei in den darüberliegenden Raum verlegt, wo mehr Platz war. Dort wuchs die Zahl der geschenkten Bücher so sehr an, daß man nach 1960 die Notwendigkeit sah, weit mehr als die Hälfte der Bücher auszusortieren. Dabei ging Erhaltenswertes aus dem 18. und 19. Jh verloren. Die älteren Bestände wurden nicht angetastet. Um 1970 erhielt die Kirchenbibliothek im neu umgebauten Dekanat einen großen Raum, in dem der historische Bestand 1971 nach der alten Ordnung wieder aufgestellt und zur Hälfte neu katalogisiert wurde. Eine Ergänzung des wissenschaftlichen Katalogs wird vorbereitet. Der neuere Teil der Bibliothek wurde 1991/92 katalogisiert und neu geordnet.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

Chronologische Übersicht und Übersicht nach Sprachen

2.1 Die Titel wurden nach dem angefangenen Katalog ausgezählt, der nicht katalogisierte Teil wurde einzeln gezählt. Der Bestand bis zum Ende des 19. Jhs umfaßt etwa 1160 Titel, davon 97 Inkunabeln, 551 Titel aus dem 16. Jh, 261 aus dem 17. Jh, 105 aus dem 18. Jh und 146 aus dem 19. Jh. Der heutige Gesamtbestand beträgt ca. 2500 Titel.

2.2 Unter den Inkunabeln finden sich 4 deutsche Titel, alle anderen sind lateinisch. Am häufigsten erscheinen als Druckorte Venedig, Basel und Nürnberg. Im 16. Jh stehen 309 lateinische Titel 233 deutschen gegenüber, dazu kommen 5 mehrsprachige Bibeln und Bibelteile, 3 Lexika und eine dänische Kirchenordnung. Aus dem 17. Jh stammen 22 lateinische und 232 deutsche Titel, 6 mehrsprachige Bibeln und Neue Testamente und ein griechisches Testament. Aus dem 18. Jh sind 11 Titel lateinisch, 91 deutsch, dazu kommen eine griechische Bibel, ein italienisch-deutsches Lexikon und eine deutsch-lateinische Concordia. Außer einer französischen Bibel, einem hebräischen Deuteronomium und einem dänischen Gebetbuch sind die aus dem 19. Jh stammenden Bücher in deutscher Sprache.

Systematische Übersicht

2.3 Den Schwerpunkt bei den über den Bestand verstreuten Inkunabeln bilden Werke der Kirchenväter sowie mittelalterliche und vorreformatorische Theologie. Hier finden sich ein Druck von Augustinus' De civitate Dei (Freiburg 1494), Nicolaus von Lyras Commentaria in universa S. Biblia (Nürnberg 1481) und Jacobus de Voragines Legenda aurea oder Legenda sanctorum (Ulm o. J.). Unter den Bibelausgaben sind eine vorlutherische deutsche Bibelübersetzung (Straßburg: Eggestein, um 1466), die als Leihgabe im Städtischen Museum liegt, sowie eine lateinische Bibel (Venedig 1487) zu nennen. Unter den Meßbüchern steht ein prachtvolles Missale Augustanum (Bamberg: Sensenscdt 1489), ein Folioband in mit ehedem weißem Leder überzogenen Holzdeckeln, mit Messingbeschlägen.

2.4 Im Jahr 1678 entstand ein handschriftlicher Katalog, von dem eine Abschrift aus dem Jahr 1806 erhalten ist. Die Einteilung des älteren Buchbestandes geht mindestens auf das Jahr 1678 zurück. Sie umfaßt 8 Abteilungen (A-H), die ihrerseits nach Formaten geordnet sind, zumindest die Abteilungen A-F, deren Bücher im Katalog von 1678 aufgeführt sind. Nur in den ersten Abteilungen (A-C) ist eine inhaltliche Gliederung noch erkennbar.

2.5 Die Abteilung A enthält Bibeln und biblische Bücher, Werke der Kirchenväter sowie mittelalterliche Theologie, alle im Folioformat. Die Abteilung B mit insgesamt mehr als 250 Titeln umfaßt Werke der Kirchenväter, Theologie des Mittelalters und reformatorische Schriften in Folio und Quarto. Hier und in der Abteilung C finden sich umfangreiche Sammelbände mit Reformationsdrucken, eine große Anzahl von Lutherdrucken und Schriften weiterer Reformatoren. Durch die große Zahl der reformatorischen Schriften erhält die Bibliothek ihren besonderen Charakter. Mit über 300 Titeln allein aus dem 16. Jh, darunter zahlreichen Flugschriften, gibt sie ein lebendiges Bild der geistigen Auseinandersetzung mit der Reformation aus der Sicht der evangelischen Stadt Nördlingen. Erwähnenswert ist ein Oktavbändchen aus sieben ungebundenen Blättern, die deutsche Messe des Nördlinger Pfarrers Kaspar Krantz aus dem Jahr 1524 (in Photokopie).

2.6 In den Abteilungen D-F erscheint die Aufstellung eher zufällig. Es finden sich Predigtsammlungen aus allen Jahrhunderten, Gebetbücher, Kirchenordnungen, dazwischen vereinzelt griechische und römische Klassiker und geschichtliche Werke. Eine eigene Abteilung (G) bilden die chronologisch aufgestellten Gebet- und Gesangbücher, darunter das Nördlinger Gesangbuch, Singendes Hauß- und Kirchenparadies, in 16 Ausgaben von 1688 bis 1726. In der Gruppe H stehen 35 Bde theologischen Inhalts vom 16. bis 19. Jh, ohne systematische Gliederung.

2.7 Die Bestände aus dem 18. und 19. Jh sind eher dürftig. Im 18. Jh nimmt die Andachtsliteratur zu, die auch im 19. Jh den größten Teil des Bestandes ausmacht. Daneben stehen eine beträchtliche Anzahl kirchengeschichtlicher Werke sowie Beiträge zur Geschichte Nördlingens.

2.8 Die von Raming gestifteten Bücher sind in den allgemeinen Bestand integriert, doch ist seine Sammlung anhand des in der Ratsbibliothek aufbewahrten Holzdeckelkatalogs rekonstruierbar. Sie enthält zahlreiche Reformationsschriften. Ramings handschriftliche Anmerkungen zeugen vom intensiven Studium der neuen Lehre. Nach 1521, dem Jahr, in dem über Luther der Bann verhängt wurde, nahm er kein Buch mehr auf, das sich mit dem Glaubensstreit befaßt.

Sondersammlung

2.9 In der gesondert aufgestellten Bibliothek des blinden Theologen Johann Schmidt finden sich die meisten der 80 vorhandenen Kirchenordnungen deutscher Länder und Reichsstädte sowie Schul-, Ehe-, Kleider- und Polizeiordnungen. Daneben verdankt die Bibliothek Schmidt Predigtsammlungen aus der Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jh, darunter eine größere Anzahl von " Jubelpredigten" auf das Jahr 1618 und Dankpredigten für schwedische Siege, ca. 75 Katechismus-Ausgaben, darunter Luthers Kleiner Katechismus mit Holzschnitten von Hans Sebald Beham und den seltenen Deutsch Catechismus. Gemeret mit einer neuen underricht und vermanung zu der Beycht (Wittenberg 1533) mit Initialen und Holzschnitten. Außerdem finden sich 24 Gesangbücher, Gebetbücher und weitere theologische Schriften aus dem 16. und 17. Jh.

3. KATALOGE

3.1 Moderne Kataloge

Katalog des neueren Teils der Kirchenbibliothek

[1991/92 katalogisiert, in Zettelform, nach PI; enthält einige Werke des 18. und 19. Jhs]

Alphabetischer Katalog des historischen Teils der Kirchenbibliothek

[im Entstehen; in Zettelform, nach RAK-WB]

Standortkatalog des alten Bestandes

[in Zettelform; aus den fünfziger Jahren]

Verzeichnis der Sammlung Schmidt

[mschr.; unvollständig]

Die Bestände sind nicht im Bayerischen Zentralkatalog nachgewiesen.

3.2 Historische Kataloge

Katalog der Kirchenbibliothek von 1678

[Abschrift von 1806; enthält auch eine Liste der Verkäufe von 1859]

Holzdeckelkatalog der Sammlung Raming in der Ratsbibliothek Nördlingen

Die Bestände sind nicht im Bayerischen Zentralkatalog nachgewiesen.

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

Schmid, Albrecht: Die Bibliotheken der Stadt Nördlingen. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 47 (1927) S. 106-178 [Sonderdruck in der Stadtbibliothek in Nördlingen]

Über die Nördlinger Kirchenbibliothek in St. Georg. In: Heimatfreund. Beilage zu Rieser Nachrichten 5 (1954) Nr. 5

5. VERÖFFENTLICHUNGEN ZU DEN BESTÄNDEN

Rehlen, Esaias: Kirchenbibliothek zu Nördlingen. In: Bragur. Ein litterarisches Magazin der deutschen und nordischen Vorzeit 3 (1794) S. 507-508

Schmid, Albrecht: Die Bibliothek bei der St. Georgskirche. In: 500 Jahre St. Georg Nördlingen. Jubiläum der Grundsteinlegung und der Reformation am 6. und 7. November 1927. Nördlingen 1927, S. 7-8

Stand: Juli 1992

Helga Schmitz


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.