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Adresse. S. Braunschweig, Bibliothek des Predigerseminars der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig
1.1 Als 1713 die Äbtissin Elisabeth Ernestine Antonie, Herzogin von Sachsen-Meiningen (1681-1766) ihr Amt antrat, war von der alten Stiftsbibliothek, von der die Dichterin Roswitha von Gandersheim in der Vorrede zu ihren Legenden berichtet, nichts geblieben, von späteren Anschaffungen nur wenige Bände. Die Äbtissin gründete deshalb zusammen mit dem Stiftskapitel am 26. April 1721 die heutige Stiftsbibliothek. Sie wurde unterstützt von ihrem Oberhofmeister Johann Anton Kroll von Freyhan, der den Ankauf der Bücher besorgte. Wie die Widmungseinträge ausweisen, scheute sich die Äbtissin nicht, berühmte Besucher und Gäste des Stifts um einen Beitrag für den Aufbau der Bibliothek zu bitten. Es wurden nicht nur zeitgenössische Werke erworben, sondern auch ältere, viele davon auf Auktionen oder durch Nachlässe. Zeitweilig bezog die Äbtissin Werke durch Mitglieder der Familie Tyroff, Kupferstecher und Kunsthändler in Nürnberg, als Bücheragenten.
1.2 Ursprünglich war die Auffächerung der Sachgebiete breiter angelegt, als es die jetzt noch vorhandenen Schwerpunkte vermuten lassen. Einen Begriff von dem allseitig enzyklopädischen Interesse der Äbtissin vermittelt die Raumgliederung des von ihr umgebauten ehemaligen Klosters Brunshausen bei Gandersheim, das sie als Lustschloß nutzte. Dort hatte die Äbtissin spätestens im Mai 1720 eine Bibliothek eingerichtet. Bald nach ihrem Tod wurden wohl diese Bibliotheksbestände in das Stift von Gandersheim verlegt, denn ihre Nachfolgerinnen nutzten das Lustschloß nicht mehr und ließen es verfallen.
1.3 Von Anfang an wurden die Bände einheitlich in Leder gebunden. 321 Bde sind mit goldenen Stempeln versehen, auf der Vorderseite mit dem Stiftswappen (gespalten in Schwarz und Gold), auf der Rückseite mit dem Stiftssiegel (Johannes der Täufer zwischen den Stiftsheiligen Anastasius und Innocentius) in reicher Kartusche. Für die Quartbände wurden kleinere und schlichtere Prägestempel verwendet. Einige Pergamentbände tragen die Initialen des Herzogs Friedrich von Sachsen-Gotha auf der Vorder-, sein Wappen auf der Rückseite.
1.4 Die Weiterentwicklung der Stiftsbibliothek brach nach dem Tod der letzten Äbtissin, Auguste Dorothea, mit der Aufhebung des Stiftes durch den westfälischen König Jérôme im Jahre 1810 ab. Über 760 Bde, 4 Hss. und das wertvolle " Gandersheimer Evangeliar" nahm die letzte Dechantin Caroline Ulrike Amalie von Sachsen-Coburg-Saalfeld als Abfindung in ihre Heimat nach Coburg mit. Diese Bestände betrafen in erster Linie die ehemalige Bibliothek aus Brunshausen. In Gandersheim verblieben die Bestände der Abteibibliothek, außerdem die Abteilungen der Brunshausener Sammlung (Erbauungs- und Predigtbücher), die man in Coburg, bedingt durch die aufklärerische Haltung des Hofes, nicht vereinnahmen wollte (s. Eintrag Coburg, Landesbibliothek 1.6, 2.22). Mit Bücherverlusten, besonders zu Anfang des 19. Jhs, ist bei den verbliebenen Beständen der Stiftsbibliothek in Gandersheim zu rechnen. Eine Abgleichung mit den alten Katalogen ist noch nicht erfolgt.
1.5 Die Bibliothek war Ende des 18. Jhs auf der Südempore des Querschiffs in der Stiftskirche aufgestellt. Nach 1810 wechselten wegen ungeklärter Eigentumsfragen die Standorte der Bibliothek mehrmals. 1850 wurde sie von der Südempore in die Kapitelstube im nördlichen Obergeschoß des Westwerks verlegt. Von dort gelangte sie um 1900 in die " Vision", das südliche Obergeschoß des Westwerks. Im April 1993 wurde die Bibliothek aus konservatorischen Gründen als Depositum in die Bibliothek des Predigerseminars der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig überführt, befindet sich aber weiterhin im Eigentum der Evangelisch-Lutherischen Stiftskirchengemeinde Bad Gandersheim.
2.1 Die Bibliothek umfaßt 610 Titel in etwa 1450 Bdn, die nach der Größe aufgestellt sind. Die ca. 50 größtenteils mittelalterlichen Hss. sind in der folgenden Bestandsbeschreibung nicht berücksichtigt. Die Zahlenangaben beziehen sich auf Titel und wurden durch Auszählen ermittelt. An mehrbändigen Titeln sind besonders die Zeitungsserien zu nennen; Sammelbände mit mehreren Titeln enthalten hauptsächlich theologische Streitschriften aus der Reformationszeit. Chronologische Übersicht und Übersicht nach Sprachen
2.2 Von den insgesamt 610 Titeln stammen 9 aus dem 15. Jh, 79 aus dem 16. Jh, 193 aus dem 17. Jh, 326 aus dem 18. Jh sowie 3 aus dem 19. Jh. Das Schwergewicht liegt mit 320 Titeln bei der lateinischen Literatur, gefolgt von 278 deutschsprachigen Titeln. 9 Titel sind französisch, 2 italienisch. Ein Unikat ist ein Titel in Malabar. Systematische Übersicht
2.3 Der Schwerpunkt der Bibliothek liegt mit 241 Titeln im Bereich Jura. Neben 138 Werken allgemeinen Inhalts finden sich hier 50 Titel zum Staats- und Lehnsrecht, 31 Titel zum Kirchenrecht sowie 22 Gesetze und Verordnungen.
2.4 Die zweitgrößte Gruppe stellt mit 180 Titeln die Theologie dar. Neben 75 Titeln zur Allgemeinen Theologie finden sich hier 93 Andachtsbücher. Hinzu kommen 7 Leichenpredigten sowie 5 Bibeln bzw. Bibelteile. Daneben verfügt die Bibliothek über 135 Werke zur Geschichte und Kirchengeschichte sowie 10 Titel der Historischen Hilfswissenschaften.
2.5 Demgegenüber sind die Bestandszahlen der übrigen Systematikgruppen sehr niedrig: 15 Reisebeschreibungen, 10 Lexika und Enzyklopädien, je 7 Periodika bzw. Bibliotheks- und Universitätsschriften, 3 naturwissenschaftliche Titel sowie 2 Werke zur Musik.
2.6 Schließlich verfügt die Bibliothek über eine handschriftliche Predigtsammlung von Elisabeth Ernestine Antonie, die von 1712 bis 1745 für jeden Sonntag die Nachschrift der gehaltenen Predigten verzeichnet.
3.1 Moderne Kataloge
Katalog der Stiftsbibliothek zu Gandersheim. Im Auftrage des Herzoglich Braunschweigischen Staatsministeriums aufgestellt durch Rektor Friedrich Brackebusch. Gandersheim 1897
[hschr.; in Bandform; Systematischer Katalog mit ausführlichen bibliographischen Angaben, Wid- mungsvermerken usw.]
Alphabetischer Katalog der Stiftsbibliothek in Gandersheim, angelegt 1912 in der Herzoglichen Bibliothek Wolfenbüttel als Auszug aus dem Katalog von Brackebusch 1897
[hschr.; in Bandform; mit gekürzten Titelangaben]
Magazinkatalog der Stiftsbibliothek in Gandersheim, angefertigt 1986 aufgrund des Kurzkatalogs von 1912 durch Pfarrer Walter Baumann
[hschr.; in Bandform; mit gekürzten Titelangaben]
Die Bestände sind weder im Niedersächsischen Zentralkatalog noch in der Zeitschriftendatenbank (ZDB) nachgewiesen.
3.2 Historische Kataloge
Catalogus Bibliothecae Ecclesiae Gandersheimensis
[Alphabetischer Katalog von 1739]
Catalogus Librorum Bibliothecae Ecclesiae Cathedralis Gandersheimensis
[aufgestellt 1769 von Heinrich Ludwig Albrecht, beide im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel (11 Alt Gan Fb 1 I.20)]
4.1 Archivalien
Stiftungsurkunde (1721) im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel (6 Urk no. 1268). Dort auch umfangreiche Archivalien zu Aufbau und Verwaltung der Bibliothek im 18. Jh [11 Alt Gan Fb 1 I.20; VII B Hs no. 39 Bd 2 und no. 11. Bd 5]
4.2 Darstellungen
Götting, Hans: Das Bistum Hildesheim. 1: Das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim. Berlin, New York 1973 (Germania Sacra 7,1) [zu Archiv und Bibliothek S. 57-75]
Harenberg, Johann Christoph: Historia Ecclesiae Cathedralis Gandersheimensis. Hannover 1734, S. 1060
Höfner, Curt: Zur Geschichte der Gandersheimer Büchersammlungen. In: Hans Striedl und Joachim Wieder (Hsrg.): Buch und Welt. Festschrift für Gustav Hofmann zum 65. Geburtstag dargebracht. Wiesbaden 1965, S. 197-210
Kronenberg, Kurt: Die Kupferstecher Tyroff in Nürnberg als Gandersheimer Agenten. In: Gandersheimer Chronikblätter 16 (1985) S. 25-28, 29-31, 33-36
Zahlten, Johannes: Bildprogramme als Bildungsprogramm. Ein Portrait der Gandersheimer Äbtissin Elisabeth Ernestine Antonie von Sachsen-Meiningen und ihr Schloß Brunshausen. In: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 16 (1977) S. 69-82
Zahlten, Johannes: " Es gibt noch einen historischen Werth der Kunstsachen." Die Geschichte der Kunstsammlungen des Stiftes Gandersheim. In: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 21 (1982) S. 99-128 [zur Baugeschichte der Biblibliothek S. 117-120]
Kronenberg, Kurt: Die Dichterin Roswitha und die Gandersheimer Stiftsbibliothek. Bad Gandersheim 1973 [Ausstellungskatalog]
ders.: Die Frühdrucke der Gandersheimer Stiftsbibliothek. In: Gandersheimer Chronikblätter 10 (1979) S. 9-10, 15-19, 35-36, 41-43; 11 (1980) S. 25-27, 40
ders.: Ovids " Heilmittel der Liebe" im Damenstift. In: Gandersheimer Chronikblätter 17 (1986) S. 41-43
ders.: Der Psalter des Bürgermeisters Konrad Koneken. In: Gandersheimer Chronikblätter 18 (1987) S. 13-15 [zum Druck von 1509] ders.: Die Schönsten Buchdruckersignete aus der Gandersheimer Stiftsbibliothek. In: Gandersheimer Chronikblätter 18 (1987) S. 1-4, 8
ders.: Das Weihnachtsfest 1508 in der Stiftskirche. In: Gandersheimer Chronikblätter 17 (1986) S. 45-47
Stand: Juli 1997
Walter Baumann (†)