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Turmbibliothek der St. Andreaskirche

Adresse. Petrikirchplatz 22, 06295 Lutherstadt Eisleben [Karte]
Telefon. (03475) 60 22 29

Unterhaltsträger. Evangelische Kirchengemeinde St. Andreas-Nicolai-Petri in Eisleben
Funktion. Pfarrbibliothek.
Sammelgebiete. Theologie. Abgeschlossener historischer Bestand.

Benutzungsmöglichkeiten. Präsenzbibliothek. Benutzung nach Vereinbarung. Leihverkehr: nicht angeschlossen.
Hinweise für anreisende Benutzer. Schriftliche Anmeldung erforderlich. Fußwegnähe vom Bahnhof (ca. 20 Minuten). Busverbindung vom Bahnhof. A 9 (E 51), Ausfahrt Halle, B 100 bis Halle, B 80 nach Eisleben; Ausfahrt Naumburg, B 180 über Naumburg und Querfurt; oder B 81, B 180 von Magdeburg. Begrenzte Parkmöglichkeiten an der Kirche.

1. BESTANDSGESCHICHTE

1.1 Die Entstehung der Bibliothek ist eng verbunden mit der Geschichte des Klosters Helfta, genauer Neuhelfta. Ursprünglich eine Stiftung der Grafen von Mansfeld, erlangte es im 13. Jh im Zuge der mystischen Bewegung durch einige literarisch hervortretende Nonnen wie Mechthild von Magdeburg (1210-1285) und Gertrud der Großen von Helfta (1256-1302) besondere Bedeutung. Von dieser Tradition sind keine schriftlichen Zeugnisse überliefert. Erhalten sind jedoch Teile der spätmittelalterlichen Klosterbibliothek, die von dem letzten Prior, Caspar Güttel (1471-1542; im Amt ab 1515) vor der völligen Zerstörung des Klosters in der Reformationszeit gerettet werden konnten. Zwanzig Bände, darunter geistliche Erbauungs- und Predigtbücher, Heiligenlegenden sowie scholastische und kirchenjuristische Werke, lassen sich noch heute anhand von Eintragungen als einstiger Klosterbesitz identifizieren.

1.2 Die geretteten Teile der ehemaligen Klosterbibliothek bildeten vermutlich auch den Grundstock der heutigen Turmbibliothek St. Andreas, die durch Güttel, der sich 1518 der Reformationsbewegung angeschlossen hatte und ab 1524 zuerst als Prediger, ab 1528 als Pfarrer an der Andreaskirche wirkte, gegründet wurde. Signaturen auf dem seitlichen Schnitt weiterer Bände aus den Anfangsjahren der Bibliothek lassen darüber hinaus erkennen, daß Güttel seine Bibliothek planmäßig ausbaute. Hinzu kamen Schenkungen von Bürgern der in der ersten Hälfte des 16. Jhs wirtschaftlich aufblühenden Stadt, wie z. B. Sebastian Koska (oder Koschka), Johannes Dhuer (1482-ca. 1541) oder Johannes Rühl. Als Caspar Güttel starb, hinterließ er der Kirchengemeinde eine breitgefächerte Sammlung von etwa 240 schweins- und kalbsledergebundenen Bänden, die nach sachlichen Kriterien erschlossen waren, sowie mehr als 2000 Einzelschriften.

1.3 Nach dem Tode Güttels (1542) fand die Bibliothek im zweiten Geschoß des Turmes der Andreasbibliothek Aufstellung, wo sie auch heute wieder untergebracht ist. Maßgebend für ihren weiteren Ausbau war zunächst Generalsuperintendent Johannes Spangenberg (1484-1550), der sich um den Ausbau im Bereich der praktischen Theologie verdient machte; in ähnlicher Weise midmete sich sein Nachfolger im Amt, der Leipziger Theologieprofessor Erasmus Sarcerius (1501-1559), vor allem der Pastoraltheologie. Auch die dogmatischen Streitigkeiten jener Zeit haben sich in den Buchbeständen der Kirchenbibliothek und einer Vielzahl von Gelegenheitsschriften aus Eisleben und der Umgebung erhalten. Als Historiker und erster Verfasser von Predigten gegen den sittlichen Verfall tat sich vor allem Cyriacus Spangenberg, der Sohn Johannes Spangenbergs hervor (1528-1604). Seiner Aktivität war auch der Druck der beiden Ergänzungsbände des Johannes Aurifaber zur Wittenberger und Jenaer Lutherausgabe zu verdanken, die 1564 und 1565 bei Urban Gaubisch in Eisleben erschienen. Bis 1641 war die Bibliothek durch Schenkungen und Legate, wie z. B. dem des Gymnasiallehrers Paul Röseler (1594-1672), von 240 Bdn auf über 1000 Bde angewachsen.

1.4 Im 18. Jh wurde die Bibliothek kaum vermehrt und erlitt auch Verluste, wie der Katalog vom Ende des 19. Jhs beweist. Erwähnenswert unter den wenigen Neuzugängen nach 1850 ist vor allem die Stiftung von Handschriften und Büchern aus verschiedenen Erfurter Klöstern durch den Bergrat und Lokalhistoriker Ludwig Plümicke (1791-1866). Durch Tausch gegen Parzifal-Fragmente gelangten im Jahre 1917 Flugschriften der Reformationszeit aus dem Besitz von Amtsgerichtsrat Hermann Hof in die Bibliothek. Die wissenschaftliche Verzeichnung der Handschriften begann 1882 durch Rudolf Westphal, die der Drucke 1881 durch Rudolf Westphal und den Reformationsforscher Gustav Kawerau. Angesichts der Bedeutung der Sammlung sind die Bestände seit 1965 auf Initiative des Magdeburger Konsistoriums und von Pfarrer Helmut Hartmann durch Hans-Ulrich Delius (Lutherschriften), Fritz Juntke (Inkunabeln), Renate Schipke (Handschriften), Hannelore Götting und Konrad von Rabenau (Drucke des 16. und 17. Jhs) neu bearbeitet worden. Die Sammlung wurde 1977 in dem ursprünglichen Raum des Turmes neu aufgestellt und zu diesem Anlaß der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

2. BESTANDSBESCHREIBUNG

Chronologische Übersicht und Übersicht nach Sprachen

2.1 Der Gesamtbestand beträgt 2501 Titel. Davon stammen aus dem 15. Jh 84 Titel (75 lateinische, 2 lateinisch-griechische und 7 deutsche), aus dem 16. Jh 1684 (914 lateinische, 735 deutsche, 31 griechische, ein hebräischer und 3 polyglotte) sowie aus dem 17. Jh 714 (506 lateinische, 194 deutsche, 3 lateinisch-deutsche, 10 griechische und ein hebräischer). Aus dem 18. Jh liegen insgesamt nur 17 (davon 5 lateinische und 12 deutsche) sowie aus dem 19. Jh nur 2 deutsche Titel vor.

2.2 Sprachlich dominiert mit 1502 Titeln Latein, vor Deutsch (953 Titel) und den Bibelsprachen Griechisch (41 Titel) und Hebräisch (2 Titel). Die neueren europäischen Sprachen sind nur durch ein polyglottes Lateinisch-Französisch-Spanisch-Flämisches Wörterbuch vertreten. Systematische Übersicht

2.3 Eine Systematik ist weder an der heutigen Aufstellung noch an den älteren Katalogen ablesbar, so daß die Beschreibungsabfolge frei gewählt ist.

2.4 Die Bibliothek besitzt nur 3 allgemeinwissenschaftliche Titel, darunter Theodor Zwinger, Theatrum humanae vitae (Basel 1586) und das Jubilaeum typographicum Lipsiensium (Leipzig 1640).

2.5 Auch die Anzahl der Bibelausgaben (Gesamt- und Teilausgaben) ist mit 22 Titeln, darunter ein hebräischer, 3 griechische, 10 lateinische, ein polyglotter und 6 deutsche, eher bescheiden. Umfangreicher ist mit insgesamt 99 Titeln der Bestand an Grammatiken und Lexika zum Hebräischen (18), Griechischen (34) und Latein (2 Lexika und 45 Grammatiken). Zur Bibelauslegung liegen insgesamt 205 Titel vor, davon allein 166 aus der zweiten Hälfte des 16. Jhs. Die Bibelwissenschaft, u. a. mit Titeln zu Einzelfragen der Auslegung, ist mit 51 Titeln vertreten.

2.6 Im Bereich Kirchengeschichte finden sich neben Monographien und Gesamtdarstellungen (zusammen 29 Titel) vor allem Quellenwerke, wie z. B. Ausgaben der Kirchenväter (19 Titel) und Kirchenlehrer (Bernhard von Clairvaux). Großen Raum im 16. Jh nehmen mit insgesamt 343 Titeln die Flugschriften ein, viele davon von Luther, Melanchthon und Ulrich von Hutten (12). Matthias Flacius ist mit zahlreichen Schriften aus den Jahren 1571 und 1572 zum Augsburger Interim und zur Erbsündenlehre vertreten. Zu erwähnen sind auch die Werkausgaben von Luther, Melanchthon, Johannes Brenz und Jan Hus.

2.7 In der Systematischen Theologie überwiegen mit 229 Titeln, die meisten davon aus dem 18. Jh, die reformatorischen Themen. In die gleiche Richtung weisen auch die Kontroversschriften (86 Titel) und die Schriften gegen innerprotestantische Gegner. Vier Titel wenden sich gegen den Islam. Zur Ethik liegen 23 Titel vor aus dem 16. Jh.

2.8 Im Bereich der Praktischen Theologie entfallen 7 Titel auf die Pastoraltheologie sowie 12 Titel auf die Liturgik. Den Gottesdienst betreffen 9 agendarische Werke und 4 Gesangbücher. Zur Homiletik liegen 6 Titel, zur Rhetorik 42 vor. Den größten Anteil an der Praktischen Theologie haben mit 165 Titeln die Predigtbände, 25 davon aus dem 15. Jh, 89 aus dem 16. Jh, 49 aus dem 17. Jh und 2 aus dem 18. Jh. Ansehnlich ist auch der Bestand an Leichenpredigten (97 Titel). Die Erbauungsliteratur umfaßt 111 Titel. Der christlichen Unterweisung widmen sich 8 Titel mit theoretischen Ausführungen und 41 Katechismustexte. Den Bestand ergänzen 9 Titel zur Pädagogik. Zum Kirchenrecht liegen 23 Titel vor.

2.9 Ein deutliches Interesse ist an der Philosophie zu spüren. Die ältesten der insgesamt 184 Titel, 31 davon der philosophischen Ethik zuzurechnen, stammen aus dem 15. Jh (7 Titel). Aus der ersten Hälfte des 16. Jhs stammen 27 Titel, aus der zweiten Hälfte 64 sowie aus dem 17. Jh 86.

2.10 Im Bereich Literatur und Dichtung nehmen das Schrifttum der Antike (122 Titel) und die neulateinische und neugriechische Dichtung (166 Titel) den breitesten Raum ein. Bei den 68 Titeln Hochzeitsgedichten oder -predigten und 17 anderen Gelegenheitsgedichten halten sich lateinische und deutsche Titel die Waage. Der Bestand wird ergänzt durch ein Lexikon und zwei Grammatiken zur deutschen Sprache.

2.11 Die Allgemeine Geschichte ist mit 36 Titeln, die Rechtsliteratur mit 43 Titeln vertreten, darunter 9 Titel aus dem 15. Jh. Die Naturwissenschaften und Künste (51 Titel) sind mit Werken zur Mathematik, Astronomie, Musiktheorie, Geographie, Mineralogie, Alchemie und Medizin vertreten. Eine Schwerpunktbildung ist in keinem dieser Bestände zu erkennen.

3. KATALOGE

3.1 Moderne Kataloge

Juntke, Fritz: Inkunabeln der St. Andreaskirche zu Eisleben. In: Beiträge zur Inkunabelkunde. III. Folge, Bd 8, Berlin 1983, S. 50-68

Kawerau, Gustav und Westphal, R[ichard]: Katalog der Bibliothek St. Andreas in Eisleben. Abteilung I. Drucke vom Beginn der Buchdruckerkunst bis zum Jahre 1517. Fol. 1-20. Abteilung II. Reformationsgeschichtliche Drucke von 1517-1560. Fol. 21-82. Abteilung III. Drucke seit 1560. Fol. 84-128. Anhang I. Islebiensia et Mansfeldensia. Fol. 129-131. Anhang II. Gelegenheitsschriften. Fol. 132-135. Abteilung IV. Manuscripte. Fol. 136. [1881]. Überarbeitet von Hannelore Götting und Konrad von Rabenau im Exemplar des Konsistoriums der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg [Bandkatalog]

Alphabetischer Katalog und Standortkatalog auf der Grundlage des überarbeiteten Kataloges von Gustav Kawerau und R[ichard] Westphal, bearb. von Hannelore Götting und Konrad von Rabenau [in Zettelform]

Die Bestände sind im Kirchlichen Zentralkatalog Berlin (Mikroficheausgabe 1997) weitgehend nachgewiesen.

3.2 Historische Kataloge

Inventar von 1640 unter Verantwortung des Notars Felix Bauer mit Ergänzungen 1651, 1655 und 1674 [Archiv der Gemeinde St. Andreas Eisleben Nr. 1]

Verzeichnis von 1682 von Georg Theodor Reineccius

4. DARSTELLUNGEN ZUR GESCHICHTE DER BIBLIOTHEK

4.1 Archivalien

Archiv der Kirchgemeinde, der Superintendentur und des Konsistoriums Magdeburg

4.2 Darstellungen

Westphal, R[ichard]: Über die Entstehung der Andreas-Bibliothek zu Eisleben nebst dem Verzeichnis der in derselben vorhandenen alten Drucke. Eisleben 1882 (Eisleben, Gymnasium, Programm 1882)

Größler, H[ermann]: Denksprüche in Büchern der S. Andreas-Turmbibliothek zu Eisleben. In: Mansfelder Blätter. Eisleben 1905, S. 211-213

Gutbier, Johannes: Familienkundliche Nachrichten aus Leichenpredigten der Turmbibliothek zu Eisleben, In: Mansfelder Blätter. Eisleben 43/44 (1939/40) S. 47-71

Delius, Hans-Ulrich: Bibliophile Schätze auf dem Kirchturm. In: Standpunkt. Evangelische Monatsschrift 1 (1973) S. 190-191

Delius, Hans-Ulrich: Lutherdrucke in der Andreaskirche zu Eisleben. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 87 (1973) S. 705-724

Rabenau, Konrad von: Die Geschichte der Kirchenbibliothek von St. Andreas in Eisleben als Spiegel der Kirchengeschichte des Mansfelder Landes. In: Herbergen der Christenheit. Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte 1985/86. Berlin 1987, S. 91-103 (Beiträge zur deutschen Kirchengeschichte 15)

Gursky, André: Martin Luthers Gymnasialvermächtnis. Eisleben 1992 Rabenau, Konrad von: Stellungnahme und Rückfragen zu André Gurskys Buch " Martin Luthers Gymnasialvermächtnis". [Ms. 1993]

Stand: Juli 1998

Konrad von Rabenau


Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner.
Hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003.